Zum 100. Geburtstag von Otl Aicher

Otl Aichers „Rotis Semi Sans“ – Bild von Esteboix unter CC-BY-SA 3.0 Lizenz.

Otl Aicher, Gestalter, Denkender, Schaffender und Universalgelehrter und -lernender mit Rückgrat wäre heute 100 Jahre alt geworden, wäre er nicht schon 1991 nach einem Motorradunfall gestorben.

War es die letzten Jahrzehnte medial ruhig um ihn, wird er nun, da er sich nicht mehr gegen die Art und Weise seines Gedenkens wehren kann, vielfach gerühmt und gewürdigt. Erwartbar, dass die unbequemen Seiten seines Wesens in diesem Zuge unterbelichtet und untergewichtet – wenn übrerhaupt erwähnt – bleiben.

Nachfolgend ein paar kurze Auszüge aus seinem zusammen mit Josef Rommen verfassten Buch „typographie“ aus 1988,  im Verlag ernst&sohn erschienen. Otl Aicher verzichtete aus guten Gründen weitestgehend auf Großbuchstaben.

„der innenminister ist für mehr sicherheit. heute genügt es nicht mehr, verbrechen zu verurteilen und verbrecher zu bestrafen. es geht darum, bereits das umfeld zu kontrollieren, in dem verbrechen entstehen. es geht darum, personen und gruppen zu erfassen, die beim zustandekommen von verbrechen wirksam werden.

der schlüssel dazu ist eine ausweitung von beobachtung, informationsermittlung und informationsverarbeitung. die technologie der datenermittlung und datenverarbeitung drängt, ob man sie braucht oder nicht, auf den markt, auch auf den, der sich schutz der demokratie nennt.

(…)

der unbescholtene bürger hat keine angst vor seinem leumundszeugnis. sagt der innenminister. er übersieht allerdings, daß er damit auf dem weg in den überwachungsstaat ist.

die demokratische struktur zerfällt, immer mit dem argument, dem bürger zu dienen. ein wohltätiger postfaschismus entsteht mit einem umfassenden kontrollsystem. wobei allein das wertsystem des kontrollapparates und nicht das des kontrollieren, des demokratischen subjekts über die bewertung der kontrollen und die auswertung der daten entscheidet. das grundmotiv dieser hilfestellung für den bürger und seine sicherheit ist der satz: gemeinnutz geht vor eigennutz.

ließe sich die richtigkeit eines solchen satzes verifizieren, so wäre zum mindesten zu fragen: wer bestimmt, was gemeinnutz ist? der innenminister?

(…)

kann der staat überhaupt ein bild des idealen bürgers haben? woher weiß er, was der richtige bürger zu denken und zu tun hat und worin seine sicherheit besteht? ein staat besitzt keine intelligenz, höchstens interessen. und er hat so viele bürger, wie er einwohner hat. den bürger an sich gibt es nicht. er ist eine wortblase, vorzüglich geeignet, vom thema, nämlich den einzelnen bewohnern eines landes, abzulenken.

jeder bürger ist ein individuum, hat eigene vorstellungen und lebt sein eigenes leben, allein, mit anderen, in einer gesellschaft, aber immer als einzelne person, sein leben besteht aus handeln, sich verhalten, aber nicht im befolgen von gesetzen. der gesetzesgehorsam ist für ein gemeinwesen unerläßlich, er ist aber kein lebensziel. jeder bürger entwickelt sein leben selbst auf seine weise.“

Jedes Buch Otl Aichers ist lesenswert.

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Kommunikationskonzern Ströer verweigert Kommunikation, und doch kommt raus: Unlimitierte Aufrüstung für Hannover mit Riesen-Digital-Screens vereinbart, 50 Bauanträge liegen schon vor

Seit Dezember 2021 bitten wir den Medienkonzern Ströer um die Beantwortung einer Presseanfrage. Es geht darin – wie schon berichtet – um Fragen zur Ausweitung der Werbemaßnahmen im öffentlichen Raum der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover (LHH).

Die sonst professionell agierende Medien-AG (und zugleich schattenhaft agierender Influencerkonzern) will uns dazu nicht antworten und reagiert ungewöhnlich dumb:

Wir werden zunächst vertröstet, dann von Hannover an die rheinländische „zentrale Unternehmenskommunikation“ verwiesen und dort wird uns nach zwei Telefonaten mit der geduldigen und höflichen Bitte um Beantwortung unserer Anfrage bei weiteren Anrufen nun nur noch eine Handy-Mobilbox zugeschaltet. Gefühlt wurde unsere Redaktion auf eine schwarze Ströer-Liste unerwünschter Anrufer eingetragen. Unsere auf dem Anrufbeantworter des Kommunikationsprofis aufgesprochenen Bitten um Rückmeldung verhallen dementsprechend unbeantwortet. Noch nicht einmal zu einer Absage zur Bitte um Antworten kann sich der Konzern durchringen.

Was trotz alledem seitens der Pressestelle der Stadt Hannover und anderer, hier im Detail nicht weiter benennbarer Quellen rauskam:

Die Stadt Hannover hat dem Ströer-Konzern bezüglich der Ausweitung der Werbeanlagen durch Umbau von festen oder rollierenden Plakatschildern auf digitale Leinwände einen Freifahrtschein erteilt:

„Vertraglich ist keine Gesamtanzahl an Anlagen festgelegt.“

Mit anderen Worten: Ströer kann so viele der massighaft vorhandenen Groß-Werbeanlagen in Digital-Screens umbauen, wie es will. Und derzeit liegen bereits rund 50 Bauanträge dazu vor, wie uns zugetragen wurde. Auch ohne die uns gegenüber verweigerte Auskunft von Stadt und Konzern haben wir bereits knapp 20 neue oder im Bau befindliche Anlagen registriert (Liste).

Dass derlei vertraglich ungehemmte Ausweitung der Verseuchung öffentlichen Stadt-Lebensraums mit unausweichbarer Dauer-Werbe-Beflimmerung möglichst gar nicht erst öffentlich diskutiert werden soll ist nachvollziehbares Interesse der Ströer-Drahtzieher. Dass man sich dabei aber über das Recht und die Bedürfnisse der Bewohner dieser Stadt auf Erholung einfach hinwegsetzt, das ist die andere Seite der Medaille.

Bei der Forderung zu „Hannover werbefrei“ geht es um das Recht, im öffentlichen Raum unbelästigt zu bleiben und in Ruhe gelassen zu werden – es geht um ein Ende des Verkaufs von erzwungener Aufmerksamkeit von Menschen. Es geht aber weiter auch um Klimaschutz, denn jedes einzelne der neuen Riesendisplays soll angeblich so viel elektrische Energie verschwenden, wie 15 2-Personen-Haushalte. Wenn Ströer & Co. dann argumentieren, dass man doch nur regenerativ erzeugte elektrische Energie verbrauche, so versucht man damit nur abzulenken oder hat nicht verstanden, dass die Devise der Zukunft das Einsparen von Energie lauten wird. Die von den grellen Anzeigen ausgehende massive Lichtverschmutzung ist dann nur noch ein weiteres, bislang totgeschwiegenes Problem der Werbeaufrüstung.

Während das Thema in der Landeshauptstadt derzeit noch kaum Gemüter bewegt, hat sich (nach „Berlin werbefrei“) in Hamburg das Bündnis „Hamburg werbefrei“ etabliert und startklar gemacht, um mittels Gesetzentwurf und Volksinitiative eine werbeärmere und dafür lebenswertere Hansestadt zu erzielen.

Die Haltung hannoverscher Lokalpolitiker wird dem gegenüber durch folgende Ausschnitte aus einem Zeitungsbeitrag aus 2019 deutlich und soll hier weitgehend unkommentiert – weil selbstbelichtend – bleiben:

Werbung gehört seit Generationen zum Stadtbild der Landeshauptstadt Hannover und sollte daher in einem vernünftigen Maß betrieben und fortgeführt werden“, sagt Stadtsprecher Dennis Dix. Die Werbung im öffentlichen Raum leiste einen „erheblichen Beitrag“ zur Finanzierung der weitgehend kostenlosen öffentlichen Toiletten. (…) Hannovers Marketing- und Tourismuschef Hans Nolte sieht in Werbung „einen Beleg für die Kaufkraft und die Lebendigkeit einer Stadt“. Sie dürfe Menschen „nicht an jeder Ecke belästigen“. In Hannover habe man aber einen guten Kompromiss gefunden. Das sieht auch SPD-Mann Lars Kelich so. „Es gehört zum städtischen Leben dazu. Es muss ja nicht aussehen wie in Las Vegas“, sagt er. Auch aus Sicht von FDP-Fraktionschef Wilfried Engelke „wird eine Stadt belebt von Werbung.“

Nur soviel dazu:

Wer Hannover kennt, gerät beileibe nicht ins Schwärmen über genügend allgemein zugängliche Toiletten. Und tatsächlich belästigt die Ströer-Werbung die Hannoveraner eben doch so gut wie „an jeder Ecke“. Wer das nicht glaubt, soll kommen und sich umsehen. Und das ist alles andere als „ein Beleg für die Lebendigkeit einer Stadt“. Wir fragen uns, wie weltentrückt ein Mensch muss, um so eine Interpretation erfinden zu können geschweige denn diese öffentlich zu äußern und zu vertreten zu wagen …

Redaktionelle Anmerkung zum Schluss:

Die von Ströer selbst bereitgestellte, beeindruckende Kartenübersicht über die Positionen aller Werbeanlagen in Hannover ist nach der Verlinkung in einem Beitrag von uns vom Januar 2021 leider offline geschaltet worden … damals waren es rund 4.600 Ströer-Werbeanlagen alleine in der Stadt Hannover (ohne die Region!), die dort aufgeführt waren.

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(Nichts) Neues zum Tod eines Menschen bei Hannover nach Taser-Einsatz durch die Polizei, keine Taser für die niedersächsische Streifenpolizei, Fortschreibung der Mär vom „nicht-tödlichen“ Elektroschocker und eine geheime bundesweite Auswertung polizeilicher Taser-Einsätze

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Schmerzen eines „getaserten“ Menschen

Am 1.10.2021 gab es in Garbsen nahe bei Hannover einen Polizeieinsatz. Ein so genanntes „SonderSpezialeinsatzkommando“ (SEK) setzte dabei eine Taser-Elektroschock-Pistole ein. Der Mann, der in dem Zuge „überwältigt“ wurde verstarb kurz darauf in ärztlicher Behandlung.

Die Polizei hatte den Einsatz des Tasers der Presse und Öffentlichkeit gegenüber zunächst verschwiegen.

Wir hatten dazu nachrecherchiert und im Oktober 2021 darüber berichtetauch darüber, dass das Innenministerium Niedersachsens dazu mauerte und viele Fragen zum Vorfall aber auch zum Einsatz von Taserwaffen bei der Polizei insgesamt aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht beantworten wollte.

Nicht alle, aber einige unserer Fragen hat dann freundlicherweise die Landtagsfraktion der Bündnis90/Grünen aufgegriffen uns als Kleine Anfrage in den Landtag eingebracht – die Antworten dazu liegen inzwischen vor.

Und? Was kam gehaltlich dabei heraus?

Knapp zusammengefasst, bewertet und kommentiert:

1. Zum nach einem Tasereinsatz gestorbenen Menschen
2. Zum Einsatz von Tasern bei der niedersächsischen Streifenpolizei
3. Nichts gelernt: Taser als angeblich „nicht letale“ Waffe
4. Taser-Statistiken für Niedersachsen
5. Geheime bundesweite Auswertung polizeilicher Taser-Einsätze
6. Fazit

Im Einzelnen:

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Kurz vor dem Stichtag der Volkszählung 2022 („Zensus 2022“): Trügerischer Schein der Reibungslosigkeit

Wie auch schon zur letzten Volkszählung 2011 klaffen die Verlautbarungen der eigens zur Volkszählung eingerichteten PR-Stelle mit der Wirklichkeit zumindest in Teilen weit auseinander.

 

Eine „eher schwierigere“ „Rekrutierung“ von „Erhebungsbeautragten“

Aus dem frisch erschienenen „Newsletter“ des Zensus vom 4.4.2022 (Hervorhebungen durch uns):

„Wenige Wochen vor dem Zensus-Stichtag haben die örtlichen Erhebungsstellen in Deutschland ihre Arbeit aufgenommen. Die örtlichen Erhebungsstellen sind für die Durchführung der Befragungen zur Personener­hebung zuständig. (…) Zu den Aufgaben der Erhebungsstellen zählen die Akquise von Erhebungsbeauftragten, deren Schulung sowie die Einteilung und Zuweisung der zu erhebenden Bezirke auf die einzelnen Erhebungsbeauftragten. (…) IT-Verfahren und Online-Formulare erhalten derzeit den letzten Schliff, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden rekrutiert und in ihren Aufgaben für den Zensus geschult und Erhebungsunterlagen werden gedruckt, um pünkt­lich ab Stichtag 15. Mai 2022 die Feldphase starten zu können. Ab diesem Zeitpunkt werden im gesamten Bundesgebiet über 100 000 Erhebungsbeauftragte durch die Kommu­nen eingesetzt.“

Kein Wort von aktuellen Problemen mit der „Akquise“ bzw. „Rekrutierung“ von 100.000 Menschen, die die Befragungen durchführen sollen.

Dagegen heißt es bspw. in einem an verschiedene Behörden und Unternehmen versandten Brief des Landrats des Landkreises Hildesheim aus dem März 2022 (Hervorhebungen durch uns):

„Dem Landkreis Hildesheim fällt die Aufgabe zu, in seinem Gebiet zum Zensus 2022 die erforderlichen Daten im Rahmen des Zensus 2022 zu erheben. Dazu bedarf es sog. Erhebungsbeauftragter die vor Ort tätig werden. Die zu gewinnen gestaltet sich zur Zeit eher schwierig. Daher wende ich mich an Sie mit der Bitte um Unterstützung. Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie in Ihrem Haus unter Ihren Mitarbeiter*innen für diese ehrenamtliche Aufgabe werben könnten. Einen entsprechenden Text habe ich diesem Schreiben beigefügt. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe und alles Gute für Sie. Ihr Landrat.“

 

Vorbefragungen: 28% verweigern die Antwort

Ähnlich interessant die folgende Passage aus dem frischen Zensus-Newsletter:

„Eine weitere wichtige Maßnahme der Vorbefragung war die Umsetzung der Online-First Strategie. Möglichst viele Meldungen sollten also über den Online-Fragebogen ein­ gehen. Um dieses nachhaltige und ressourcenschonen­de Ziel zu erreichen, legte die Mehrheit der Statistischen Landesämter den Papierfragebogen erst dem Erinnerungsschreiben bei oder verzichtete ganz darauf. Der Rücklauf betrug bundesweit etwa 72 %. Die Rückmel­dungen zeigen, dass der Online-Fragebogen sehr gut angenommen wurde: Insgesamt haben mehr als drei Viertel aller Befragten online gemeldet. Die Online-Quote war besonders hoch, wenn beim ersten Versand kein Papier­fragebogen beigelegt wurde. Diese wichtige Erkennt­nis fließt in die Umsetzung der Hauptbefragung ein: Um bei der Hauptbefragung der Gebäude- und Wohnungs­zählung 2022 eine hohe Online-Quote zu erhalten, erfolgt der erste Versand der Anschreiben zum Stichtag 15. Mai 2022 ohne Papierfragebogen.

Es wirkt unehrlich, wenn „Nachhaltigeit und Ressourcenschonung“ als Grund dafür vorgeschoben wird, die Menschen mittels des Tricks zunächst nicht beigelegter Papierfragebögen dazu zu bewegen/anzutreiben, die Fragen online zu beantworten. Es geht wohl eher darum, den Statistikern und „Erhebungsbeauftragten“ die Arbeit zu erleichtern und Geld zu sparen.

Und man könnte es aus anderer Perspektive auch als ermutigendes Zeichen anerkennen, dass immerhin mehr als ein Viertel aller im Zuge der Vorbefragungen angeschriebenen Menschen selbst nach Zusendung eines zweiten Schreibens inklusive Papierfragebogens weder online noch offline dazu bereit gewesen sind, diese Fragen zu beantworten.

 

Rückblick und Kritikpunkte

Über den Zensus 2022 (vormals: Zensus 2021) berichten wir bereits seit 2017 in loser Folge und versuchen schon seit 2015 ein wenig mehr Licht in das sonst weitgehend unbehandelte Thema zu bringen. Der Hintergrund dafür sind die Erfahrungen aus der Volkszählung 2011 – damals noch im Zusammenhang mit dem damaligen AK Zensus und mit Unterstützung des AK Vorratsdatenspeicherung (siehe das umfangreiche Wiki dort). Die Berichterstattung zur öffentlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Zensus 2011 vom 25.10.2017 (siehe hier und noch viel ausführlicher hier) ist dabei ein wichtiger Baustein gewesen – denn die intensive Betrachtung der Verhandlung und die Verhandlungsführung warfen bereits Schatten auf die laufende, sich auf den Stichtag des 15. Mai 2022 beziehende Datenerhebung und -verarbeitung voraus.

Derweil bleibt die ausführliche Kritik am System des „Zensus“ nach wie vor aktuell und so verweisen wir der Einfachheit dazu einfach auf die ausführlichen Texte und Argumentationen zum Zensus 2011. Beispielhaft seien die Volkszählungsfibel 2011, die lose Sammlung von Kritikpunkten im Wiki des AK Vorrat oder ein ebenso altes Aufklärungs-Video genannt. Auch die Folien eines in 2010 und 2011 häufiger gehaltenen Vortrags können einen guten Einstieg in das Thema bieten (als Bild- oder odp-Datei verfügbar). Für Freunde des Podcasts ist die Folge 5 der 6teiligen Podcastreihe zur Volkszählung 2011 hörenswert, die sich eben insbesondere mit der Kritik daran beschäftigt.

 

Der Ukraine-Krieg, der Zensus und die Grundsorge der Statistiker

Derweil versucht die Presseabteilung zum Zensus, die Angst davor zu nehmen, mehr oder weniger offiziell untergebrachte Kriegsflüchtlinge zu melden. Es heißt im aktuellen Newsletter dazu (Hervorhebungen durch uns):

Grundsätzlich gilt, dass für den Zensus 2022 alle Per­sonen erfasst werden müssen, die am Stichtag melde­pflichtig an einer Anschrift wohnhaft sind. Zu zählen sind alle Personen, die meldepflichtig sind – unabhängig da­von, ob sie sich tatsächlich gemeldet haben. Prinzipiell sind alle Personen an ihrem Wohnort meldepflichtig, es gibt jedoch einige Ausnahmen von der Meldepflicht, u. a. eben für Personen aus dem Ausland. Sie dürfen bis zu drei Monate in Deutschland wohnen, ohne sich ­anzu­melden. Dies gilt auch für Geflüchtete aus der Ukraine.

Zynisch ausgedrückt: Die Statistiker*innen sind einigermaßen froh, dass Putin bzw. der russische Machtapparat den Krieg gegen die Ukraine nicht schon einen Monat früher vom Zaun gebrochen hat. Dann nämlich würden einige der vor dem Krieg Geflüchteten nicht mehr unter die genannte Ausnahmeregelung fallen und die Arbeit der Zahlentechniker erschweren oder deren Sorge vor unehrlichen Antworten nähren.

Denn das ist eine der größten Sorgen der Mathematiker*innen: Unehrliche oder fahrlässig falsche/ungenaue Antworten der Befragten aus Mangel an Vertrauen in das Zensus-System und die nur angeblich sichere IT-Zensus-Umgebung. Beispielsweise aus Sorge der Befragten und zur Antwort Gezwungenen davor, dass deren ehrliche Angaben z.B. über die Anzahl und Identität der Mitbewohner*innen anders als verfassungsrechtlich vorgegeben keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen werden (Stichpunkt „Rückspielverbot“).

 

Ausblick

Screenshot aus einem offiziellen Kino-Werbespot für den „Zensus 2011“. Mit Blick auf die heutige Wirklichkeit der Wohnungsnot für viele Menschen und den krebsartig wuchernden Immobilien-Kapitalismus sehr ernüchternd …

Wohl erst mit dem Eintreffen der Anschreiben zur Aufforderung der Beantwortung der Fragenkataloge bzw. mit dem Erscheinen der „Erhebungsbeauftragten“ wird das Thema „Zensus 2022“ eine breitere Schicht an Menschen zu interessieren beginnen. Die PR-Abteilung der Zensus-Betreiber wird versuchen, etwa aufkommende Kritik oder Verweigerungshaltungen mittels ihrer „Dialogkampagne“ einzudämmen. Vermutlich nicht ganz ohne Erfolg.

Doch was immer dann noch kommt oder auch nicht kommt:

Das Versprechen, mittels genauerer Zahlen eine bessere, gerechtere und schönere Welt dank besserer politischer Steuerung zu erzielen wird in 2022 wie schon 2011 nichts anderes als eine Illusion bleiben.

Auf manche wirken die Begründungs- und Beteuerungsreden der Statistiker und Politiker daher wie der fortgesetzte Versuch des Reitens eines toten Pferdes.

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In eigener Sache – die bessere Alternative zu Twitter: freiheitsfoo nun im Mastodon-Fediverse

Seit heute senden wir Hinweise zu unseren Neuigkeiten nicht nur auf Twitter, sondern auch via Mastodon:

https://hannover.social/@freiheitsfoo

Hoffentlich das Anfang vom Ende des mit Abhängigkeiten und Intransparenz beladenen Twitter-Kommerzes.

Ein großes Dankeschön an die engagierten Macher von hannover.social!

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Offener Brief gegen Bundeswehr-Werbung auf dem Katholikentag 2022 in Stuttgart!

Zur Klärung: Dieser Offene Brief wurde lange vor dem Ukraine-Krieg initiiert. Aber hat vor dem aktuellen Hintergrund nichts an Wichtigkeit und Berechtigung verloren.

An die Leitung des 102. Deutschen Katholikentages
und an die Medien

Offener Brief gegen Bundeswehr-Werbung auf dem Katholikentag 2022 in Stuttgart!

Wir befürchten, dass die Bundeswehr – wie auf vergangenen Katholikentagen – auch auf dem Katholikentag 2022 wieder Image-Werbung und Kontaktpflege betreiben wird. Ein Problem sehen wir vor allem in dem traditionellen Militär-Katholikentags-Gottesdienst, denn durch solche Gottesdienste wird das Militär insgesamt gesegnet und aufgewertet. (s. Anm.1)

Der Katholikentag 2022 steht unter dem Motto „Leben teilen“. Sankt Martin ist bis heute ein Vorbild für dieses Motto. Er ist auch der Diözesanheilige des Bistums, in dem der Katholikentag stattfindet. Oft wird jedoch vergessen, dass Sankt Martin – als er Christ wurde – nicht länger Soldat sein wollte. (s. Anm.2) Er steht damit in der Nachfolge Jesu, der militärische Gewalt abgelehnt hat. In dieser Tradition lehnt auch Papst Franziskus militärische Gewalt ab. Er wirbt für aktive Gewaltfreiheit. (s. Anm.3)

Auch der gescheiterte Afghanistan-Einsatz hat gezeigt, dass militärische Gewalt keine Lösung ist. Militärische Aufrüstung und Abschreckung sind nicht der richtige Weg zum Frieden!

Unsere Bitte: Lassen Sie nicht zu, dass die Bundeswehr auf dem Katholikentag Image-Werbung und Kontaktpflege betreibt! (s. Anm.4) Lassen Sie im Rahmen des Katholikentages keinen Militär-Gottesdienst zu!

Wichtig: Unser Protest richtet sich nicht gegen Personen, auch nicht gegen Soldat*innen als Privatpersonen, sondern gegen einen Missstand!

Unterstützt wird dieser Offene Brief von folgenden Organisationen und Gruppen:

1. pax christi Diözesanverband Bamberg
2. pax christi Diözesanverband Würzburg
3. AG Steuern zu Pflugscharen im Netzwerk Friedenssteuer
4. Antimilitaristische Aktion Berlin (amab)
5. Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Ev. Kirche der Pfalz
6. Augsburger Friedensinitiative (AFI)
7. AWC Deutschland e. V., Weltbürgerinnen und Weltbürger
8. Bremer Friedensforum
9. Bund für Soziale Verteidigung e.V.
10. LINKE Christ*innen – DIE LINKE, Bundesarbeitsgemeinschaft und die Landesarbeitsgemeinschaft Bayern
11. Bürgerinitiative OFFENe HEIDe
12. Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner/innen, DFG-VK, der Bundesverband sowie die Gruppen Karlsruhe und Erlangen / Region Oberfranken
13. Ellwanger Mahnwache, Aktionsbündnis
14. Frauen wagen Frieden (Ev. Kirche der Pfalz)
15. Frauennetzwerk für Frieden e.V. (s. Anm.5)
16. Friedensinitiative Hersfeld-Rotenburg
17. Friedensinitiative Reichenbach im Vogtland
18. Friedensinitiative Westpfalz e.V. (FIW)
19. Friedensmuseum Nürnberg e.V.
20. Friedenspädagogischer Runder Tisch Freiburg „Schulfrei für die Bundeswehr – Lernen für den Frieden“
21. FriedensPlenum Iserlohn
22. Friedensregion Bodensee e.V.
23. Friedenstreff Rüsselsheim und Umgebung
24. Fürther Friedensforum
25. Göttinger Friedensforum (s. Anm.5)
26. Gruppe „Friedensbewegt Ulm“
27. Gruppe freiheitsfoo, Hannover (s. Anm.5)
28. Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V.
29. Heilbronner Friedensrat
30. Informationsstelle Militarisierung Tübingen, IMI
31. Initiative Musiker*innen gegen Militärmusikkorps
32. Initiativkreis Frieden in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern (IKF)
33. Institut für Theologie und Politik, Münster
34. Internationale der Kriegsdienstgegner*innen, IDK e.V.
35. Internationaler Versöhnungsbund – Deutscher Zweig, Regionalgruppe Bonn-Rhein-Sieg
36. Lebenshaus Schwäbische Alb – Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V., Gammertingen
37. Martin-Niemöller-Stiftung
38. Offene Arbeit des Kirchenkreises Erfurt
39. Ohne Rüstung Leben e.V.
40. Ökumenische Initiative zur Abschaffung bzw. Reform der Militärseelsorge
41. Ökumenisches Institut für Friedenstheologie
42. Ökumenisches Netz Rhein-Mosel-Saar
43. Ortsgruppe Schwerin der Sammlungsbewegung Aufstehen
44. Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF)
45. Pusdorfer Friedensgruppe, Bremen
46. Regionales Friedensbündnis Ostalb
47. Rostocker Friedensbündnis
48. terre des hommes Deutschland e.V.
49. Trägerkreis Rüstungskonversion Jena

Einzelne Unterstützer*innen:

1. Matthias Gürtler, DDR-Friedenspfarrer i.R.
2. Eberhard L. Müller, Ingenieur, Diakon
3. Ellena Hüther, Pädagogin, Berlin
4. Klaus Friedrich, Friedrichshafen

Kontakt für organisatorische Fragen (R. Schmid, Sekretariat):
kirche-ohne-militaer@dfg-vk.de

Kontakte für inhaltliche Fragen:
Dipl.-Theol. Peter Bürger, Mitglied bei pax christi und im OekIF: peter@friedensbilder.de, Dr. theol. Julia Lis, aktiv im ITP Münster: lis@itpol.de, Dr. theol. Michael Ramminger, aktiv im ITP Münster: ramminger@itpol.de und Reinhard Muth, Mitglied bei pax christi und im Friedensnetz BaWü: r.muth-ah@online.de

Anmerkungen

(1.) Bei Katholikentags-Militär-Gottesdiensten spielt in der Regel ein Militärmusikkorps, die Militärpolizei bewacht den Eingang, hohe Militärvertreter*innen nehmen teil, und Militärgeistliche werben um Verständnis für Auslandseinsätze. Unklar ist noch, wie man den Militär-Katholikentags-Gottesdienst 2022 nennen wird, vielleicht „Friedensgebet“? Oder „Bittgottesdienst für den Frieden“?
(2.) Sankt Martin ist der „Diözesanheilige“ des Bistums Rottenburg-Stuttgart. Literatur: „Es ist mir nicht erlaubt zu kämpfen – St. Martin: Mantelteiler. Kriegsdienstverweigerer. Friedensstifter.“ Herausgeber: pax christi Rottenburg-Stuttgart, St. Martinus-Gemeinschaft und RPI-Stuttgart, Din A4, 157 Seiten, Rottenburg 2021.
Aus der Legenda Aurea, übersetzt aus dem Lateinischen: „Zu den Zeiten fielen die Barbaren in Gallien ein; da zog der Kaiser Julian gegen sie in den Krieg, und gab seinen Rittern großen Lohn. Martin aber wollte nicht kämpfen, und wollte das Geld (den Lohn) nicht empfangen, sondern sprach zu dem Kaiser `Ich bin ein Ritter Christi, darum ziemt mir nicht zu kämpfen´. Da sprach Julian voll Unmuts, er (d.h. Sankt Martin) verweigere den Dienst nicht wegen seines Glaubens, sondern aus Furcht vor dem drohenden Kriege. Da antwortete ihm Martin mit unverzagtem Sinn: `Misst man dies meiner Feigheit zu und nicht meinem Glauben, so will ich mich morgen ohne Waffen vor das Heer stellen, und mit dem Kreuz allein statt Schild und Helm beschirmt im Namen Christi unversehrt durch die Scharen der Feinde brechen´…
(3.) Botschaft des Heiligen Vaters Papst Franziskus zur Feier des Weltfriedenstages, 1. Jan. 2017: „Möge die Gewaltfreiheit von der Ebene des lokalen Alltags bis zur Ebene der Weltordnung der kennzeichnende Stil unserer Entscheidungen, unserer Beziehungen, unseres Handelns und der Politik in allen ihren Formen sein.“
Ebenda: „Auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren führt bestenfalls zu Zwangsmigrationen und ungeheuren Leiden, denn große Mengen an Ressourcen werden für militärische Zwecke bestimmt und den täglichen Bedürfnissen der Jugendlichen, der Familien in Not, der alten Menschen, der Kranken, der großen Mehrheit der Erdenbewohner entzogen.“
Papst Franziskus, Enzyklika Fratelli Tutti (Okt. 2020), 258: „So entscheidet man sich dann leicht zum Krieg unter allen möglichen angeblich humanitären, defensiven oder präventiven Vorwänden, einschließlich der Manipulation von Informationen. In der Tat gaben in den letzten Jahrzehnten alle Kriege vor, `gerechtfertigt´ zu sein. Der Katechismus der Katholischen Kirche spricht von der Möglichkeit einer legitimen Verteidigung mit militärischer Gewalt, was den Nachweis voraussetzt, dass einige `strenge Bedingungen´ gegeben sind, unter denen diese Entscheidung `sittlich vertretbar´ ist. Aber es ist leicht, in eine allzu weite Auslegung dieses möglichen Rechts zu verfallen. Dann will man selbst `präventive´ Angriffe oder kriegerische Handlungen unzulässigerweise rechtfertigen, bei denen sich kaum `Schäden und Wirren´, `die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel´, vermeiden lassen… Deshalb können wir den Krieg nicht mehr als Lösung betrachten, denn die Risiken werden wahrscheinlich immer den hypothetischen Nutzen, der ihm zugeschrieben wurde, überwiegen. Angesichts dieser Tatsache ist es heute sehr schwierig, sich auf die in vergangenen Jahrhunderten gereiften rationalen Kriterien zu stützen, um von einem eventuell `gerechten Krieg´ zu sprechen. Nie wieder Krieg!“
(4.) Die Bundeswehr ist traditionell auf dem Katholikentag präsent (a.) durch den Militär-Gottesdienst, (b.) durch Bundeswehr-Vertreter*innen auf der „Kirchenmeile“ und (c.) bei Podiumsdiskussionen. Unsere Meinung: Dialog ist gut, aber die starke Bundeswehr-Präsenz auf dem Katholikentag geht über Dialog weit hinaus in den Bereich von Image-Werbung, Kontaktpflege und Militär-Rechtfertigung.
(5.) Alle Organisationen und Gruppen, die unter diesem Offenen Brief stehen, unterstützen die Forderungen. Aber manche dieser Organisationen und Gruppen sind – laut den eigenen Grundsätzen – an keine Religion gebunden und können deshalb die christlichen Argumente des Briefes nicht teilen.
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Ab sofort auf Lager und kostenfrei zu haben: „BITTE KEINE WERBUNG!“-Klebebänder

Wir haben bereits des öfteren über die grassierende Verschmutzung des öffentlichen Raums durch aufdringliche, unausweichliche und mannigfaltige Werbeplakate, -banner, -displays und neuerdings vermehrt energiefressende Mega-Bildschirmen inklusive nur vermeintlich unpolitischer Botschaften berichtet. [Beispiele? Hier: 1/2/3/4]

Nun bieten wir allen, die ihren Unmut über diese Form der Umwelt- und Lebensverschmutzung zum Ausdruck bringen wollen ein frisch für uns gedrucktes Klebeband an.

Darauf steht:

„BITTE KEINE WERBUNG!“

Es handelt sich um ein Papierklebeband mit umweltverträglichen Klebemittel, 50 mm breit und je Rolle 50 m lang. (Verarbeitungshinweise)

Diese Rollen können kostenfrei von uns angefordert werden – einfach eine Mail an das freiheitsfoo und darin mitteilen, wie viele der Rollen an welche Postanschrift versendet werden sollen.

Die Anwendungsmöglichkeiten für das Klebeband sind vielfältig.

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Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerde zur Volkszählung 2022 (Zensus 2022) nicht zur Entscheidung angenommen

Wir veröffentlichen hiermit den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu der seit August 2019 anhängigen Verfassungsbeschwerde gegen eine umfangreiche, nicht anonymisierte Meldedaten-Zusammenziehung im Zuge der inzwischen auf dieses Jahr 2022 verschobenen Volkszählung („Zensus“) [1].

Die Karlsruher Richter*innen bleiben mit der Begründung der unanfechtbaren Entscheidung schmallippig und inhaltlich fragwürdig:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde mangels Beschreitens des fachgerichtlichen Rechtswegs unzulässig ist. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.“

Hintergrund

Die fünf Beschwerdeführer hatten sich, unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), im Januar 2019 gegen den § 9a des Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 mit einem Eilantrag an das BVerfG gewendet [2].

Mittels dieses im Dezember 2018 kurzfristig vom Bundestag hinzugefügten Paragraphen wurde die Zusammenziehung umfangreicher Meldedatensätze aller Einwohner Deutschlands am zum Stichtag 13. Januar 2019 beschlossen und genehmigt. Die sensible Zusammenziehung und Zusammenfügung der Daten wurde lediglich mit dem Test der für den Zensus erarbeiteten Software-Komponenten begründet. Dieses Vorgehen widerspricht nach Auffassung der Beschwerdeführer grundsätzlich von den Anforderungen an Datensparsamkeit und Verhältnismäßigkeit, insbesondere, da es sich nur um einen Test der Software handeln sollte.

Per Eilentscheid des BVerfG im Januar 2019 wurde der Antrag jedoch zurückgewiesen und damit zunächst die Rechtsstaatlichkeit der Zensusvorbereitung bestätigt. Die Richter und Richterinnen des BVerfG hatten in ihrem Eilentscheid ungewöhnlich offen mitgeteilt, dass sie die Skepsis teilen und (implizit) die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde angeregt.

Die fünf Beschwerdeführer legten zusammen mit der GFF im August 2019 eine ausführlich begründete Verfassungsbeschwerde gegen das Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 ein. Sie prangerten ihre Grundrechtsverstöße durch die Erstellung einer solchen vollständigen und nicht anonymisierten Einwohner-Datenbank der BRD an. Dass solch eine nicht anonymisierte Einwohner-Datenbank mehr als heikel ist und ein lohnenswertes Ziel für Datenräuber darstellt beweist der erfolgreiche Angriff auf die Infrastruktur der Zensus-IT in 2021 [3].

Diese Risiken und die Frage der Verhältnismäßigkeit der Volkszählungs-Maßnahmen wollen die Karlsruher Richter nun nicht weiter beleuchten und verhandeln und verweisen in der dürren Ablehnung der Verfassungsbeschwerde vom 20.1.2022 auf das Subsidiaritäts-Prinzip. Man wirft den Beschwerdeführern also vor, sich mit ihrer Beschwerde nicht erst an niederrangigere Gerichte gewendet zu haben.

Fragwürdige Begründung

Diese Ablehnungsbegründung ist mindestens merkwürdig, wenn nicht fragwürdig.

Zum einen hatten die Richter in ihrer vorausgegangenen Ablehnung [5] zum Eilantrag [4] zur Verfassungsbeschwerde selber mitgeteilt, dass …

„… diese Fragen näherer Aufklärung bedürfen und vorliegend nicht in der für das Eilverfahren gebotenen Kürze der Zeit geklärt werden können.“

So etwas kann als offensichtliche Aufforderung zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde interpretiert werden, wie sie dann auch erfolgte.

Zum anderen hat das Gericht noch Ende 2021 den federführenden Anwalt der Beschwerdeführer dazu aufgefordert, das Festhalten an der Verfassungsbeschwerde zu begründen, nachdem der Zensus – mit dankbarem Verweis auf Corona [6] – um ein Jahr verschoben wurde.

Mit Blick auf die jetzt vorgetragene Begründung zur Ablehnung der Beschwerde hätte sich diese Nachfrage als obsolet, ja als unsinnig erwiesen.

Da der Bescheid aus Karlsruhe unanfechtbar ist wird die jetzige Volkszählung (und auch alle folgenden) von den erhobenen Bedenken unberührt fortgesetzt und durchgeführt werden können.

Einen öffentlichen Diskurs zur Hinterfragung der Notwendigkeit und des Umfangs (auch der Kosten) des Zensus gibt es nicht. Derweil versuchen die dafür verantwortlichen Stellen diesen auch gar nicht erst entstehen zu lassen und vermeiden in vorgefertigten Textbausteinen zu Medienberichten über den Zensus ebendieses Wort so weit wie irgend möglich [7].

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ÖPNV Hannover – Privater „Sicherheitsdienst“ jetzt mit Teleskop-Stahl-Schlagstöcken: „Ein kleiner Stock für Deeskalation und Sicherheit“

Juni 2019: Eine Protec-Mitarbeiterin mit Schäferhund vertreibt einen Obdachlosen vom Hauptbahnhof Hannover: „Aufstehen! Jetzt aber!“

Die „Protec Service GmbH“ ist ein „Sicherheitsunternehmen“ in Hannover, indirekt über den ÖPNV-Hauptdienstleister, die üstra AG mehrheitlich im Besitz der Stadt/Region Hannover befindlich. Die Protec patroulliert in Bussen und Bahnen und ihren Haltestellen in der Landeshauptstadt, hat aber auch noch andere „Kunden“. (Um die intransparente und sehr merkwürdige ehemalige Teilauslagerung der Protec an die neue „Primetec“ unter dem Hannover-96-Chef Martin Kind in 2012 soll es hier nicht gehen. Dazu mehr hier (Frage 14) und hier.)

Nun teilt die üstra in einem Blogbeitrag (Achtung: Der Link ist via Tor nicht abrufbar!) mit, dass die „U-Bahn-Wachen“ nun anstelle eines Tonfa-Schlagstocks nun mit einem Teleskop-Schlagstock aus Stahl ausgerüstet werden. Wenig objektiv wirbt der üstra-Beitrag für den Wechsel und begründet den Wechsel zum Stahl-Schlagstock auf frag- und merkwürdige bis widersprüchliche Weise. Vor allem verharmlost und verniedlicht der Autor diese Waffe mehrfach, auch die Verwendung des euphemistischen Begriffs „Einsatzstock, kurz, ausziehbar“ samt Abkürzung „EKA“ trägt zur Verschleierung der Gefährlichkeit des Teleskop-Schlagstocks bei.

Dazu ein Auszug aus dem üstra-Beitrag (Hervorhebungen durch uns):

„Der neue „EKA“: Ein kleiner Stock für Deeskalation und Sicherheit bei der protec. Seit über 20 Jahren sorgen sie 24/7 für Ordnung im ÜSTRA Stadtbahnnetz: Die protec U-Bahnwachen. Und seit dem Jahr 2000 je her ihr Begleitutensil im Arbeitsalltag: Der Einsatzmehrzweckstock mit dem offiziellen Namen Tonfa. Doch da nicht nur der fünfsilbige Begriff – Ein-Satz-Mehr-Zweck-Stock – ziemlich sperrig ist, sondern auch das Gerät an und für sich, gibt’s für die U-Bahnwachen ab sofort ein neues Einsatzmittel: Den EKA. Das steht für: Einsatzstock, kurz, ausziehbar. Und der Name ist Programm. (…) Mit einer Länge von 60 Zentimetern baumelte der Stock überpräsent, wenn nicht sogar etwas martialisch, an der Hüfte der Wachen. Während der Patrouille muss der Einsatzmehrzweckstock wahrscheinlich tausendfach gegen die Oberschenkel der U-Bahnwachen geprallt sein. (…) Doch damit ist jetzt Schluss! Denn, der neue EKA ist da. Der knackige Name ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben der drei Charakteristika: Einsatzstock, kurz, ausziehbar. Das bedeutet: Der Stock stört null Komma null im Streifendienst, ist im Ernstfall trotzdem im Handumdrehen einsatzbereit und wirkt deeskalierend auf alle Fahrgäste, da er schlichtweg kaum zu sehen ist. (…) Mehr Sicherheit für alle (…) Und so werden die protec U-Bahnwachen, wie bereits seit über 20 Jahren, auch weiterhin für Sicherheit und Ordnung im ÜSTRA Stadtbahnnetz sorgen. Allerdings gehen die Streifen jetzt nicht mehr „am Stock“, sondern patrouillieren mit dem handlichen EKA – inklusive deeskalierender Wirkung.

Die Begründung für den Wechsel auf den Stahl-Schlagstock: Er sei weniger sperrig. o_O

Und anders als sonst vorgehalten, soll plötzlich das Tragen einer sichtbaren Waffe (Tonfa) einschüchternd und präventiv wirken sondern nun die Unauffälligkeit des Teleskop-Schlagstocks „deeskalierend“ wirken. Die Erklärung für diese Behauptung bleibt uns der Autor schuldig. Dass die „Unauffälligkeit“ der Waffe solche eine Wirkung entfaltet ist jedenfalls blanker Unsinn.

Eine nüchternere Darstellung wäre wünschenswert gewesen. So muss sich die üstra den Vorwurf gefallen lassen, der Aufrüstung privater „Sicherheitskräfte“ unnötig Vorschub zu leisten.

August 2016: „Festhalten“ eines Menschen durch zwei Protec-Mitarbeiter am Hauptbahnhof Hannover. Man beachte die kleine Blutlache rechts vom am Boden „fixierten“ Menschen …

Die zunehmende Übertragung hoheitlicher Aufgaben an private „Sicherheitunternehmen“ ist eine seit vielen Jahren andauernde bedenkliche Entwicklung. Weil Bahnhöfe und Haltestellen sowie die Straßenbahnen und Busse selber formell als Privatbesitz und somit als „halb-öffentlicher Raum“ gelten (auch wenn bei genauerem Hinsehen die Kommune der „Besitzer des Raums“ ist) meint man, dort mit privaten, häufig schlecht bezahlten „Sicherheitspersonal“ ausgedehnte Interpretationen des Jedermann-Rechts praktizieren zu können. Nach außen hin ist für den Durchschnitts-Passanten eine Unterscheidung zwischen privatem Sicherheitspersonal und Polizei nicht mehr möglich. Und Erfahrungen aus Hannover belegen, dass Teile des Protec-Personals das gesamte Repertoire von racial profiling bis zum Missbrauch des ihm anvertrauten Monopols zur „Umsetzung des Hausrechts“ beherrschen. Nun mit erweitertem Waffenarsenal.

Auch scheint es so (das aber ist sachlich unklar), dass anders als zuvor nun alle oder fast alle protec-Mitarbeiter*innen mit dem Schlagstock ausgerüstet werden, wohingegen der Tonfa zuvor nur punktuell mitgeführt wurde.

Alles in allem: Keine gute Entwicklung.

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Thyssenkrupp als großer Gewinner der von der letzten Bundesregierung auf letzten Drücker genehmigten Rüstungsexporte

Die Thyssen Krupp AG hielt am vergangenen Freitag ihre diesjährige Hauptversammlung ab. Wie seit Corona gewohnt: Ohne zugelassene Präsenz der Aktionär*innen, während in Fußballstadien inzwischen wieder tausendweise Menschen strömen dürfen … Auch die Live-Zuschaltung von Fragen oder Redebeiträgen kritischer Aktionär*innen wurde untersagt. Doch

das nur nebenbei.

Im Zuge der Beantwortung der von 150 von 14 Aktionär*innen zuvor eingereichten Fragen kam unter anderem heraus:

  • Thyssen Krupp ist der große Profiteur der kurz vor Amtsübergabe der alten CDU/CSU-SPD-Bundesregierung am 8.12.2021 noch genehmigten Rüstungsexporte. Diese erlaubte sich, noch schnell den Export von „drei Kriegsschiffen und 16 Luftabwehrsystemen“ freizugeben. Thyssen Kruppp Marine Systems (TKMS) darf deswegen drei Fregatten für Ägypten (!) bauen und liefern. (Mutmasslich ging der Auftrag der Luftabwehrsysteme an die Rheinmetall AG.)
  • Für Brasilien werden vier Fregatten gefertigt. Dafür hat man eigens eine Werft in Brasilien aufgekauft, modernisiert diese und will dort dann auch „Dienstleistungen für benachbarte Länder“ anbieten.
  • Thyssen Krupp kann oder will nicht ausschließen, dass die neuen für Israel, Norwegen und Deutschland zu bauenden U-Boote mit atomaren Waffen bestückt werden können.
  • Thyssen Krupp baut derzeit (unter anderem!) vier U-Boote der Klasse 218 „für ein Land in Asien, dessen Name nicht genannt werden darf“. (Vermutlich Singapur)
  • Auch stellt der Konzern derzeit sechs (!) U-Boote der Klasse 214 für die Türkei her, wobei diese „nur“ als „Bausätze“ geliefert und in türkischen Werften zusammengebaut werden.
  • Man stelle Unterwasserdrohnen her, die aber hauptsächlich zur gegen Seeminen und zur „Informationsgewinnung“ eingesetzt werden.
  • Die neue modulare Drohnenbaureihe „MUM“, mit 13,2 Millionen Euro durch die Bundesregierung gefördert, soll angeblich nicht militärische Nutzung erfahren. Die MUM-Drohnen sollen mit der aus der U-Boot-Fertigung bekannten Brennstoffzellen-Antriebs-Technologie ausgestattet werden.
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