Polizei verschweigt den Einsatz eines Taser-Elektroschockers bei einem Polizeieinsatz in Garbsen bei Hannover, bei dem ein Mann „gesichert“ wurde und anschließend verstorben ist und erklärt die Beantwortung dringender Fragen von öffentlichem Interesse als „geheimhaltungsbedürftig“

Mensch, von einem Taser-Elektroschocker getroffen

Am 1.10.2021 rückt ein „Spezialeinsatzkommando (SEK)“ der niedersächsischen Polizei an, um einen offensichtlich verwirrten Menschen in einem Wohngebiet in Garbsen nahe Hannover zu überwältigen. Am Abend desselben Tages verstirbt der Mensch in einem Krankenhaus.

Warum und woran stirbt der 39jährige Mann nach seiner „Sicherung“? Dazu gibt bis heute, acht Tage später, noch immer keine Auskunft und keine öffentlichen Informationen.

So weit, so schlimm.

Schlimmer ist, dass die Polizei Hannover in ihrer Pressemitteilung zur Sache nicht mitteilen wollte oder mochte, dass die hochgerüsteten Polizisten den nun Verstorbenen zuvor mit einem Taser-Eletroschocker-Pistole beschossen haben. (Die Neusprech-Vokabel für den Elektroschocker lautet: „Distanzelektroimpulsgerät“. Oder abgekürzt noch einmal realitätsfremder: DEIG.) Taser stehen im gut begründeten Verdacht, bei Menschen mit Herzproblemen, mit psychischen Einschränkungen oder unter Einfluß von Alkohol, Rauschmitteln und bestimmten Medikamenten den Tod herbeiführen zu können.

Warum es die Polizei nicht für wichtig erachtete, die Verwendung des Tasers bei diesem tödlich ausgehenden Polizeieinsatz zu erwähnen, bleibt unklar. Dazu äußert sich die Behörde nicht. Die Nutzung eines Tasers wurde erst vier Tage später durch die aktive Nachfrage der HAZ öffentlich. (Dafür darf man der sonst sehr polizeifreundlich agierenden Zeitung danken!)

Klar ist dagegen, dass das Landespolizeipräsidium im Innenministerium in Hannover nun mauert und presserechtlich fragwürdig die Auskunft auf wichtige Fragen verweigert:

Wie viele Taser hat das „SEK“ im Einsatz? Wie häufig setzte es diese Waffe bislang ein? Und wie oft wurden dabei Menschen nachhaltig verletzt oder gar getötet?

Die Antworten auf diese Fragen seien allesamt „geheimhaltungsbedürftig“, findet das niedersächsische Innenministerium. Selbst nach ausdrücklichem Hinweis auf ein dringendes öffentliches Interesse an der Beantwortung dieser Fragen beharrt das Ministerium auf seiner Geheimhaltungsstrategie. Es geht nicht mal auf unseren Hinweis ein, dass die Beantwortung dieser Fragen in keiner erkennbaren Weise die Arbeit des SEK behindern oder beeinträchtigen könnte.

Warum sich die Polizei Niedersachsen derart mürrisch und schmallippig gibt bleibt alleine ihr Geheimnis. Andere Bundesländer haben mit der Beantwortung dieser Fragen gar keine Probleme. Wir können über die Gründe dieser Haltung also nur mutmassen:

Gibt es etwas zu verbergen, das die Bürger*innen besser nicht erfahren sollten? Gab es weitere Taser-Einsätze mit Todesfolgen in Niedersachsen? Werden wir als polizeiarbeitkritischer Blog wieder einmal anders, also schlechter oder gar nicht beauskunftet als andere, polizeifreundlicher eingestellte Medienkonzerne? Alles Spekulation, angefeuert durch die begründungsfreie Auskunftsverweigerungshaltung der Behörde.

Derweil stellen sich weitere Fragen an die Staatsanwaltschaft Hannover, die diese aber Medienberichten zufolge nicht beantworten möchte:

  • Welchen metallischen Gegenstand hielt der nun gestorbene Mann tatsächlich in seiner einen Hand?
  • Gab/gibt es polizeiunabhängige Zeug*innen vom Geschehen?
  • Was genau passierte beim Eintreffen des SEK und wie war der weitere Ablauf nach dem „Tasern“?
  • War ein Krankenwagen schon vor Ort oder musste der erst gerufen werden und wie lange dauerte es bis zu medizinischen Erstversorgung, wie lange, bis der Mensch im Krankenhaus (in welchem) eintraf?
  • Wie geht es den SEK-Leuten jetzt? Gab/gibt es eine seelsorgerische Betreuung der eingesetzten Beamten und der Angehörigen des Toten?
  • Gab es Anzeichen dafür, dass der nun tote Mann evtl. Drogen oder Alkohol zu sich genommen hatte oder unter einer psychischen „Erkrankung“ litt?
  • Hat man im zeitlichen Vorfeld vor dem SEK-„Zugriff“ versucht, weitere Informationen über den Betroffenen zu erhalten, also nicht nur polizeiliche, sondern auch medizinische und psychische? Anderen Medienberichten zufolge hätte die Polizei dafür drei Stunden Zeit gehabt.
  • Was für einen sozialen und kulturellen Jintergrund hatte der Verstorbene, um was für ein Wohngebiet handelt es sich bei seiner Wohnanschrift?

Das alles ist bedauerlich und schürt Vorbehalte gegen Polizei und Staatsanwaltschaft und ihre Verhältnisse zur Öffentlichkeit und zu den Bürger*innen Niedersachsens, die doch (formell) ihre Mandatgeber*innen sind.

Solange es keine unabhängige und nüchterne Untersuchung des tödlich verlaufenden Polizeieinsatzes in Garbsen gibt bleibt unklar, ob der Taser-Elektroschocker für den Tod des Menschen (mit)verantwortlich ist. Schon jetzt ist aber deutlich geworden: Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei im Zusammenhang mit dieser euphemistisch als „nicht-tödlich“ bezeichneten Waffe muss sich verändern. Taser gehören verboten. Solange das Verbot nicht verhängt wird, gehört eine Veröffentlichungspflicht von Tasereinsätzen zum Mindesten einer demokratisch ausgerichteten Polizei.

Wir haben derweil versucht, die (bekannt gewordenen) Polizeieinsätze in Deutschland von Tasern mit Todesfolgen zu sammeln und aufzulisten.

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Schmerzen eines „getaserten“ Menschen

Bedrückend bleibt, wie wenig andere journalistische Medien über die Wirkung eines Tasereinsatzes zu wissen scheinen. Taser-Pistolen haben das Zeug, als Folterinstrument missbraucht zu werden, wenn nach dem Verschießen der Elektroden mehrfach Stromstöße erteilt werden können. Und die wirken deutlich anders, nämlich schmerzhafter, brutaler und vor allem menschlich entwürdigender, als es andere Berichterstattende nüchtern beschreiben.

Einige Beispiele verharmlosender Berichterstattung:

  • NDR: „Ein Taser verursacht eine kurzzeitige Lähmung im Nervensystem. Aus den Geräten fliegen Pfeilelektroden in den Körper des Angreifers. An daran befestigten Kabeln werden anschließend Stromimpulse abgegeben.“
  • HAZ: „Die Stromstöße [eines Tasers] machen den Getroffenen bewegungs- und damit handlungsunfähig.
  • „RND“: „Die Elektroschockpistole kann eine Person in bis zu sieben Metern Entfernung außer Gefecht setzen, indem sie zwei Widerhaken mit Drähten verschießt. Elektroschocks mit 50.000 Volt gelangen durch diese Drähte in den Körper.“

Bleibt nur noch – fast anekdotisch – anzumerken, dass die Polizeien Deutschland immer häufiger Taser-Waffen einsetzen (im ersten Halbjahr 2021 mehr Taser­einsätze als im gesamten Jahr 2020, so melden selbst konservative Medien) und dass der Einsatz von Taserwaffen nicht zu weniger Einsätzen von Schusswaffen führt. Das alles wurde von uns und anderen Kritikern im Zuge der Einführung eines neuen Polizeigesetzes für Niedersachsen („NPOG“) detailliert kritisiert und im Anhörungsverfahren betont … und diese Kritik wurde von den Befürwortern der Taserwaffen (CDU, SPD, AfD und inzwischen sogar Bündnis90/Grüne. Die nds. FDP hat sich um Taser bislang nicht positionieren wollen.) stets als Schwarzmalerei niedergemacht und öffentlich abgewertet.

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