Ein fiktiver Blick in die Zukunft: Bürger- und Menschenrechtspolitik der sich anbahnenden Ampel-Bundesregierung [UPDATE]

 

Achtung, Ampel!

Am 4.9.2021, ca. drei Wochen vor der Bundestagswahl, haben wir die Wahlprogramme einiger Parteien hinsichtlich ihrer Aussagen zu bestimmten „bürgerrechtlichen“ Themen analysiert und in einer übersichtlichen Zusammenfassung auf einer Seite zum Vergleich veröffentlicht.

Die Wahl ist inzwischen vergangen. Es bahnt sich – aus heutiger Sicht – eine Bundesregierung in Form einer Ampel-Koalition aus SPD (28% der Sitze im kommenden Bundestag), GRÜNEN (16%) und FDP (12,5%) an. Damit ist die Zeit reif, einen Blick in die Glaskugel zu wagen und zu überlegen, wie sich diese Regierungskoalition im kommenden Koalitionsvertrag zu den von uns ausgewählten Themen positionieren und wie sie den dann konkret umsetzen wird.

Diese nun folgende Prognose ist selbstverständlich völlig subjektiv und (zunächst einmal) fiktiv. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern sie sich mit der Realität decken wird. In mancherlei Hinsicht mag man sich wünschen, das sich die Prognose im Nachhinein statt zu realistisch lieber zu pessimistisch darstellen wird …

Neben der nun folgenden fiktionalen Vorausschau auf die Bundespolitik der nächsten vier Jahre haben wir die u.a. zugrundeliegenden Stellungnahmen aus Wahlprogrammen erneut in einem 1seitigen Dokument zusammengefasst.

PROGNOSE

Videoüberwachung

Kein Rückbau des kranken de-Maizierschen „Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes“. Beibehaltung des Status Quo. Keine gesetzliche Verankerung der Zulässigkeit automatisierter biometrischer Identifizierungsmaßnahmen bspw. via Gesichtserkennung. Aber Verankerung oder Duldung automatisierter Verhaltenserkennung und -auswertung von Individuen und Menschengruppen.

Versammlungsfreiheit

Keine Stellungnahme zum [Versammlungsgrundrecht] und keine faktische Aufwertung des Versammlungsgrundrechts.

Staatstrojaner

Beibehaltung des Status Quo, also der Zulässigkeit des Einsatzes von Staatstrojanern bei Bundespolizeien, Zoll und Geheimdiensten. Möglicherweise Einführung einer zeitlichen Beschränkung der Zulässigkeiten in Zusammenhang mit einer [symbolischen] Evaluationsformel und phrasiger Vorgabe, das Grundrecht auf Gewährleistung von Gewährleistung und Integrität von IT-Systeme zu achten.

Geheimdienste

Keine Abschaffung von GTAZ, GETZ und weiteren gemeinsamen Arbeitszentren von Geheimdiensten und Polizeien. Kosmetische Reformen zum Inlandsgeheimdienst [„Verfassungsschutz“] und zur parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste.

Vorratsdatenspeicherung

Rücknahme oder Beschneidung der zuletzt 2015 gesetzlich neu verankerten Vorratsdatenspeicherung, deren Umsetzung zwischendurch gerichtlich gestoppt worden ist. Dieser Schritt wird dann vermutlich als politischer Erfolg von GRÜNEN und FDP gefeiert werden.

Polizei

Mehr Polizei, d.h. höhere Gehälter, mehr Polizist*innen, mehr und bessere technische Ausrüstung, Zubilligung weiterer Befugnisse, keine Abkehr von der Besserstellung von Polizist*innen durch das in 2017 eingeführte Polizei-Sonderstrafrecht des StGB. Mehr Zusammenarbeit [und Datenaustausch] mit den Geheimdiensten, dem Trennungsgebot zuwider laufend. Engagement für den Ausbau von Europol zum „EU-FBI“, obwohl das die EU-Verträge nicht zulassen.

Frontex

Keine Abschaffung von Frontex und keine Verabschiedung von der EU-Festungs-Politik. Bemühung um Aufarbeitung von Pushbacks [, da sich diese aufgrund der umfangreichen medialen Beweisführung von NGOs und anderen inzwischen nicht mehr verleugnen lassen].

 

[UPDATE 15.10.2021]

Nur drei Tage nach unserem Blogbeitrag veröffentlichen SPD, GRÜNE und FDP ein 12seitiges Dokument mit dem Namen „Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP“.

Zwar sind die darin versammelten Standpunkte und Haltungen sehr schwammig und dehnbar, aber insgesamt scheint der pessimistische Tenor unseres „Zukunftsblicks“ nicht ganz falsch gewesen zu sein. Beispielhaft zitiert hier der Ausschnitt zum Thema „Sicherheit und Polizei“:

„Wir wollen unser sicheres Land noch sicherer machen. Jede und jeder in Deutschland soll sich sicher fühlen – ob auf der Straße, zu Hause oder im Netz. Dafür kommt es vor allem auf mehr präventive Sicherheit an. Dazu brauchen wir motivierte, gut ausgebildete und ausgestattete Polizistinnen und Polizisten. Ihre Präsenz und Bürgernähe macht sie für uns zu einem unerlässlichen Partner. Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit sind die Maßstäbe, nach denen sie ihren Dienst für alle tun. Wir wollen dafür sorgen, dass sie die verdiente Anerkennung und den Respekt für ihre wichtige Arbeit erfahren.“

Verlangen nach totaler gefühlter Sicherheit, der Begriff der „präventiven Sicherheit“, eine „Bürgernähe“, von der manchmal nichts zu spüren ist, ein zuletzt nicht nur durch die Corona-Pandemie begründete stark erhöhte und zugleich distanzierte Präsenz von Polizei im öffentlichen Raum, die manche*n gar nicht wohler fühlen lässt, mehr Befugnisse und Aus- oder Aufrüstung, die Aufzählung von Maßstäben für Polizeiarbeit, die obrigkeitsstaatlich von einem Wunsch zu einer (Schein-)Realität deklariert werden, die unredliche und unhinterfragte Rede vom „unerlässlichen Partner“ und dann das erneute Gerede von „verdienter Anerkennung und Respekt“. Etwas, was man ebenfalls nicht von oben herab verordnen kann, sondern das erarbeitet und mit Vertrauen langfristig (wieder-)gewonnen werden muss. Und dass dann auch überhaupt längst nicht nur oder bevorzugt für :eute bei der Polizei gelten darf. Es stinkt nach weiterer Bevorteilung der Polizei gegenüber anderen Teilen oder dem „Rest“ der Gesellschaft.

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