Ströer rüstet auf – zum medialen, politischen und Kommerz-Influencer unter dem Radar der Öffentlichkeit und ohne gesellschaftliche Kontrolle

Die Georgstraße in der Innenstadt-Fußgängerzone von Hannover, mitunter auch als „Ströer-Schilder-Allee“ bezeichnet …

Inwiefern Werbekonzerne wie Ströer und JCDecaux den öffentlichen Raum beherrschen, deren Anblick und Charakter vermarkten und verschandeln, darüber haben wir schon umfangreich berichtet (1/2/3). Aus unserer Sicht handelt es sich dabei um eine ganz besondere und für Menschen und weitere Umwelt schwerwiegende Umweltverschmutzung und -zerstörung, die bislang keine bis wenig öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat. Eine öffentliche Diskussion dazu fehlt gänzlich.

Derzeit rüstet der Ströer-Konzern bundesweit auf – und das in mehrfacher, noch ganz anderer Hinsicht. Diesen Entwicklungsaspekt möchten wir in diesem Beitrag bruchstückhaft zu beleuchten versuchen.

1. Beherrschung des öffentlichen Raums
2. Gewinner der Corona-Krise und Ausbau des Einflusses auf die Gesellschaft via neuer Medien
3. Aufbau einer Influencer-Szene
4. Installierung politischer Beeinflussungsmechanismen
5. Umgang mit Kritik
6. Fazit

Im Detail:

 

1. Beherrschung des öffentlichen Raums

Am Beispiel der jüngsten Hardware im „Stadtmobiliar“ wird deutlich, wie sehr die Dominanz der Kommerzwerbung im (all)gemeinen öffentlichen Raum zunehmt bzw. wuchert.

„1000ster digitaler Screen auf der Straße: Ströer baut Public-Video-Netzwerk weiter aus“

so feierte sich Ströer jüngst selber. Und beschreibt damit den Ausbau des Netzes an Großwand-Digital-Screens, die strategisch ideal an vielbefahrenen Ampelkreuzungen aufgebaut werden. Die dort an roten Ampeln wartenden Fahrzeugführer*innen können sich den angezeigten Slogans und Werbungen nicht entziehen. Ob und wie sehr diese hell leuchtende und sich im Energieverbrauch dem Verbrauch eines 1-Familien-Haushalts annähernden Anzeigetafeln den Verkehr behindern und für Unfälle sorgen, darüber herrscht Uneinigkeit.

Ein neuer gigantischer „Public Video Screen“ in Hannover-Limmer

In Hannover scheint der Konzern die Anzahl seiner „Premium Screens“ derzeit möglicherweise mehr als verdoppeln zu wollen, wie aufmerksame Beobachter meinen feststellen zu können. Öffentlichkeitsarbeit seitens der Landeshauptstadt gibt es dazu – wie gewohnt keine. Eine Antwort auf eine Presseanfrage steht noch aus. In den letzten Jahren hat die hannoversche Verwaltung aktiv verhindert, dass Details über das Geben-und-Nehmen-Spiel zwischen Medienmogul und Stadtverwaltern bekannt wurden. Mit Blick auf die Vergangenheit kann man in Sachen nachhaltigen Ausverkaufs der Stadt bzw. des Stadtbildes allerdings nur Schlimmstes befürchten.

Ströer selber beschreibt das ganz pauschal in seinem aktuellen Geschäftsbericht 2020 wie folgt (Hervorhebungen hier wie in allen folgenden Zitaten durch uns):

„Die Verträge mit Rechtepartnern sehen im Allgemeinen die Zahlung einer festen Pacht vor, während die kommunalen Konzessionsverträge überwiegend umsatzabhängige Pachtzahlungen enthalten, teilweise gesockelt (Mindestpacht) oder gedeckelt (Maximalabgabe). Unvorhergesehene und unverschuldete Ereignisse, wie eine Pandemie, erlauben die flexible Handhabung vieler Abgaben. 2020 konnten die kommunalen und privaten Werberechtskonzessionen, wie auch in den vorangegangenen Jahren, weiter ausgebaut werden.“

„Flexible Handhabung vieler Abgaben“ dank der Pandemie … aha, spannend.

Aus dem Bericht lässt sich für Hannover immerhin entnehmen, dass das für die Vermarktung der Werbung in der Landeshauptstadt zuständige „X-City Marketing Hannover GmbH“ in 2020 rund 11,5 Millionen Euro Umsatz erzielt hat. Diese GmbH gehört je zur Hälfte dem Ströer-Konzern und der dem hannoverschen ÖPNV-Anbieter, der Üstra AG, und diese wiederrum im Wesentlichen der Stadt Hannover. Beide (Ströer und Stadt Hannover) teilen sich also den Reingewinn nach Steuern in Höhe von einer knappen Million Euro.

Da die Stadt selber an den Werbeeinnahmen direkt mitverdient ist auch die Praxis der Vergabe von neuen Standorten zusätzlicher und dauerhaft installierter Werbeanlagen an Ströer kein Wunder. Zwar will die Stadt Hannover auch hierzu keinerlei Auskunft erteilen, doch sind auch so bislang drei Modelle solcher Konzessionsvergaben bekannt geworden:

  • Für die Vergabe neuer Standorte übernahm Ströer einmalig (!) die Aufstellung temporärer Werbeflächen für die zu einer Bundestagswahl anstehenden Parteien.
  • Eine andere Gegenleistung von Ströer (anstelle von Pachtgebühren?) sind Bereitstellung und Betrieb öffentlicher Toiletten.
  • Im Gegenzug zu Errichtung und/oder Reinhaltung von Bus- und Straßenbahnwartehäuschen darf Ströer dort dauerhaft Werbeanlagen integrieren und betreiben.

 

2. Gewinner der Corona-Krise und Ausbau des Einflusses auf die Gesellschaft via neuer Medien

Ströer konnte für 2020 einen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro ausweisen und rechnet für 2021 mit einer weiteren Zunahme des Umsatzes um grob 15% auf etwa 1,6 Milliarden Euro. Dafür spielen vor allem zwei der neuen drei Unternehmenssparten eine besondere Rolle. So steigerte sich der Umsatzerlös der „OOH Media“ im dritten Quartal um satte 25%, die Gewinne der Sparte „DaaS & E-Commerce“ wuchsen im gleich Zeitraum gar um volle 44% an.

Das verlangt einen kurzen Einblick in die Bedeutung dieser ominös bezeichneten Unternehmensbereiche.

I.)

„OOH Media“ steht für „Out-of-Home Media“ und bezeichnet alle Werbeanlagen und -maßnahmen, die sich im öffentlichen Raum befinden bzw. dort stattfinden. Man unterscheidet zwischen „Indoor“ (Einkaufszentren, Bahnhöfe, weiterer ÖPNV) und „Outdoor“. Es gibt vielfältige vertragliche Bindungen mit Städten und Kommunen genau so wie bspw. mit der Deutschen Bahn und dem ECE-Konsumtempel-Konzern.

Mit seiner neuen „OOH+“-Strategie forciert Ströer die Sammlung kunden(bereichs)bezogener Daten und deren „Monetarisierung“. Auszüge aus dem letzten Geschäftsbericht 2020:

„Die Digitalisierung von Außenwerbung basiert auf von Ströer in der Vergangenheit strategisch besetzten Mög­lichkeiten:
• die passenden Standorte/Rechte
• die Ressourcen, auch komplexere Infrastruktur schnell auszubauen
• das Know-how, neue Technologien schnell zu adaptieren und zu monetarisieren
• die Fähigkeit, Inventar in Verbindung mit Daten ­ideal für die unterschiedlichen Kundenbedürfnisse zu paketieren
• den Zugang zu allen relevanten Kundensegmenten durch Vertriebe auf nationaler, aber auch regionaler Ebene
Ströer ist in der Lage, diese bestmöglich zu monetarisieren. Das insgesamt durch die OOH+ Strategie entstandene Angebotsportfolio von Ströer führt zudem zu einer breiteren und tieferen Verzahnung mit den Kunden.

„Verzahnung mit den Kunden“ … nennt sich das euphemistisch.

Und weiter im besten Wirtschaftsmanager-Deutsch:

„In der automatisierten Vermarktung hat sich in den letzten Jahren programmatische Werbung weltweit zunehmend durchgesetzt. Programmatische Inventare werden automatisiert gehandelt. Der zusätzliche Einsatz von Zielgruppen-(Bewegungs-)Daten führt zudem zur Erschließung neuer Kundenpotenziale. Die Mechanik ist in der Online Vermarktung entstanden, in der auf automatisierten Marktplätzen Angebotsinventare (SSP, Supply Side Platform) auf Nachfragemodelle (DSP, Demand Side Platforms) treffen und per Algorithmik in Einklang gebracht werden.

II.)

„DaaS & E-Commerce“ dagegen ist eine Sparte von Ströer, die sich erst nach einer noch frischen Umgestaltung des Konzerns neu gebildet hat. „DaaS“ steht für „Data-as-a-Service“ und repräsentiert das Ströer-eigene Unternehmen „Statista“, während das ebenfalls einverleibte Unternehmen „Asam Beauty“ das zweite Standbein des dritten und besonders ertragreichen Ströer-Segments sind. Der Vorstands-Co-Vorsitzende von Ströer, Christian Schmalzl, erläuterte dazu auf seiner Rede zur Hauptversammlung 2021:

„Eine noch positivere Entwicklung konnten wir bei Asam Beauty beobachten. Asam stellt Pflege- und Schönheitsprodukte her – die Pandemie war in diesem Zusammenhang ein echter Beschleuniger für die digitale Vertriebsplattform der eigenen Produkte. Asam wuchs im vergangenen Jahr um mehr als 25 Prozent – und das, obwohl der traditionelle Einzelhandel, über den wir ebenfalls Asam-Produkte vermarkten, vorübergehend massiv eingeschränkt war. Der elektronische Verkaufskanal via Internet hingegen wuchs um 50 Prozent und die Zahl der Neukunden auf der Plattform hat sich in den letzten zwölf Monaten mehr als verdoppelt.
Asam entwickelt Produktinnovationen in eigenen Produktionsstätten und Laboren in Deutschland und kann damit eine hervorragende Produktqualität und eine hohe Innovationsgeschwindigkeit gewährleisten. Bereits heute ist das Unternehmen die Nummer eins unter den digitalen Plattformen im Bereich Kosmetik mit Eigenmarken in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Der nächste wichtige Schritt ist die weitere Internationalisierung der Marke, welche wir uns für die nahe Zukunft vorgenommen haben.“

Und zu dem Unternehmen mit dem vermeintlich behördlich-neutral klingenden Namen Statista:

„Das Unternehmen stellt Statistiken digital für eine breite Zielgruppe zur Verfügung. Statista hat die Branche durch die eigene Internetplattform für Daten – eine sogenannte Data-as-a-Service-Plattform oder kurz „DaaS“ – verändert. Das Herzstück dieser Plattform sind über eine Million Einzelstatistiken. Sie bieten einen leicht verständlichen Überblick über Daten zu einem bestimmten Thema inklusive transparenter Quellenangaben (wie beispielsweise Statistikämtern oder Forschungs-instituten) und immer stärker auch eigenen Umfragen und Datenerhebungen.
Die Kunden können das Layout an ihre Bedürfnisse anpassen und damit die Statistik direkt in ihre Arbeitsabläufe integrieren. Kunden erwerben ein Abonnement für Teams, Abteilungen und häufig für das gesamte Unternehmen. Mit diesem Abonnement und einer einfachen webbasierten Benutzeroberfläche können die Nutzerinnen und Nutzer von überall aus auf die Informationen zugreifen.
Auch für Statista war das abgelaufene Geschäftsjahr – wie die Jahre zuvor auch – ein besonders wachstumsstarkes. Rund 24 Prozent wuchs das Geschäft 2020, nicht zuletzt, weil wir das Unternehmen fortlaufend internationalisieren. Mit einem konstant schnellen Wachstum in den vergangenen fünf Jahren und mehr als 30 Millionen Portalbesucherinnen und -besuchern pro Monat wurde Statista zum reichweitenstärksten, internationalen Statistik-Anbieter mit Niederlassungen rund um den Globus.

Dass sich Ströer auf diesen Märkten tummelt – und zwar sehr erfolg- und einflußreich! – das dürfte den Allermeisten ebensowenig klar sein wie die der Fakt, dass das vermeintlich neutrale Nachrichtenportal „t-online.de“ ebenfalls Teil des Ströer-Imperiums ist.

Die Corona-Pandemie wurde für Ströer zum Gewinnfaktor. Aus dem Geschäftsbericht:

„Unsere Online-Geschäftsfelder konnten sogar teilweise von der Krise profitieren und mit steigenden Reichweiten pandemiebedingte Umsatzrückgänge zum Teil ausgleichen. So hat unser Ströer-Flaggschiffportal t-online.de seine Reichweite in der Krise zwischenzeitlich um ca. 30 % steigern können und unser Digitalvermarktungsgeschäft seine Stärken bewiesen. Gleichzeitig verzeichnete vor allem das E-Commerce-Geschäft von ASAM beschleunigtes Wachstum und auch Statista zeigte sich von der Covid-19-Krise quasi unbeeindruckt.“

Und ja, auch das Bundesgesundheitsministerium ließ Ströer an der Krise mitverdienen.

 

3. Aufbau einer Influencer-Szene

Ströer will sich mit dem Online-Portal „Watson“ zur „Stimme der jungen Generation“ aufschwingen. Der hippe Watson-Slogan lautet dann auch:

„watson. Deine News. Dein Leben.“

Aus dem aktuellen Geschäftsbericht:

„E-Com: In diesem wichtigen Bereich wurde ein Umsatzwachstum von rund 40 % erzielt. Der Fokus liegt hier insbesondere auf dem Influencer Marketing und der Optimierung des Online Shops hinsichtlich Storytelling und Upsell-Präferenzen.

Und dort an anderer Stelle:

„Zu den eigenen Websites gehören neben t-online.de Special Interest Portale wie Giga.de oder Kino.de. Im Bereich der Direktmandate hat Ströer die Vermarktungskapazität gebündelt und verfügt nun über exklusive Vermarktungsrechte für mehr als 1.000 Websites. (…) Bei der Ströer Media Brands (SMB), und der Ströer Social Publishing GmbH (SSO) werden Portale aus sozialen Netzwerken (v.a. Facebook, neuerdings auch Pinterest) zu einer Vielzahl von Themen betrieben. (…) Auch das Direkt­geschäft mit Kunden, die eigenständig auf der Website einen Zugang kaufen, entwickelte sich sehr gut. Treiber war hier die starke Online-Traffic-Entwicklung, welche unter anderem aus einer großen Nachfrage nach verlässlichen Covid-19-­Daten resultierte.

Auch in diesem Zusammenhang könnte es aus der Sicht von Ströer also heißen: „Danke, Corona!“

 

4. Installierung politischer Beeinflussungsmechanismen

Hierzu ist neben Statista (siehe oben) vor allem das scheinbar seriöse Nachrichtenportal „t-online.de“ zu benennen. „t-online.de“ befindet sich zu 100% im Besitz des Ströer-Konzerns und dieser schreibt darüber im Geschäftsbericht ganz selbstbewusst:

„Tagesanbruch von t-online.de ist das führende ­Morning Briefing der Republik, erreicht an einigen Tagen mehr als 1 Mio. Leser.“

„Morning Briefing der Republik“ … hui. Ist das noch selbstbewusst oder schon selbstversessen?

Der Vorstands-Co-Vorsitzende in seiner Rede zur Hauptversammlung 2021:

„t-online ist heute das führende deutsche Nachrichtenportal und unsere Reichweite liegt noch vor allen anderen Top-Medien wie Focus, Bild, Spiegel oder Welt.“

Dementsprechend hat Ströer im November 2021 ein „Hauptstadtbüro für politische Berichterstattung“ installiert und dafür zwei Journalist*innen ab- bzw. eingestellt: Eine mit beruflichem Hintergrund von der Funke-Mediengruppe und der „Bild am Sonntag“, ein anderer mit vorherigen Stationen beim Stern, Spiegel und Handelsblatt. Die Frage zur politischen Ausrichtung des Ströer-Nachrichtenkanals dürfte damit geklärt sein.

Noch schillernder dann die Ströer-Pressemeldung vom April 2021:

Altkanzler Gerhard Schröder wird Publizist bei t-online. (…) Schröder wird regelmäßig auf t-online zu politischen und gesellschaftlichen Themen Einschätzungen und Analysen vornehmen. Die Beiträge erscheinen auf der Website und in den Apps. Zusätzlich werden die Inhalte auch bundesweit auf Ströer Video Screens im öffentlichen Raum präsentiert.‬ (…) ‬Der Altkanzler erhält für seine publizistische Tätigkeit keine Honorare.‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬‬

Herr Schröder hat das Hartz-IV-Repressionssystem installiert, verantwortet die 2002 eingegangene erweiterte Zusammenarbeit deutscher Geheimdienste mit der NSA und verklärt seinen autoritär regierenden Freund und Finanzier Putin als „lupenreinen Demokraten“. Ob er tatsächlich „keine Honorare erhält“ und dann auch ohne andere Gegenleistungen materieller oder immaterieller Art für Ströer schreibt kann hier nicht geklärt werden.

 

5. Umgang mit Kritik

Kritischen Nachfragen, wie sich das Unternehmen beispielsweise der rechtsextremen AfD bedingungslos als unkritischer Unterstützter zur Verfügung stellt, begegnet der Konzern kurzatmig und eingeschnappt: Man wolle nun gar keine Parteiwerbung mehr schalten. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf das von Ströer in der dazugehörigen Pressemitteilung beschriebene Selbstverständnis zu werfen und zu analysieren (Ströer-Pressemitteilung vom 15.9.2021, hier mal sehr ausführlich zitiert):

„In den vergangenen Jahren hat Ströer zahlreiche Außenwerbekampagnen des gesamten politischen Spektrums zum Aushang gebracht. Neben Buchungen sämtlicher, im Bundestag vertretenen politischen Parteien wie CDU, SPD, CSU, Die Grünen, AfD, FDP und Die Linke anlässlich der Wahlen zum Europäischen Parlament, Bundestagswahlen, Landtagswahlen und Kommunalwahlen, zählten dazu auch Kampagnen, die sowohl deutlich links als auch deutlich rechts der politischen und gesellschaftlichen Mitte anzusiedeln sind. Stellvertretende Beispiele hierfür sind Kampagnen wie „bundestag-nazifrei.de“ und „#GrünerMist“. Insgesamt kam es zu persönlichen Anfeindungen und Drohungen in Richtung der Mitarbeiter:innen des Unternehmens, zu Boykottaufrufen gegen Ströer und Sachbeschädigungen von Firmeneigentum – und zwar aus verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Meinungsrichtungen.

Derzeit liegt uns eine aktuelle Anfrage eines Rechercheverbunds mit 15 Fragen vor. Unter anderem wird nach üblichen Kundenterminen (in diesem Fall mit der AfD) oder Buchungsdetails gefragt. Aus den Fragen ergibt sich die eindeutige Zielrichtung, das Unternehmen Ströer und/oder einzelne Mitarbeiter willkürlich und unzutreffend politisch in die Nähe der AfD zu drängen. Damit ist aus Sicht des Unternehmens die Grenze des Hinnehmbaren endgültig überschritten. Aufgrund dieser gesammelten, negativen Erfahrungen aus dem Wahlkampf zur aktuellen Bundestagswahl hat der Ströer Vorstand beschlossen, keine Aufträge für parteipolitische Werbung mehr entgegenzunehmen.

Ströer ist ein politisch neutrales Unternehmen. Bislang haben die Marktteilnehmer und die Öffentlichkeit diese neutrale Dienstleistungsfunktion eines Außenwerbeunternehmens als konstruktiven Beitrag zur politischen Meinungsbildung und zu einem funktionierenden demokratischen Wahlprozess anerkannt. Auch Ströer hat es bislang als eine gesellschaftliche Verpflichtung angesehen, zur funktionierenden freiheitlich demokratischen Grundordnung durch die Ermöglichung einer parteipolitischen Kommunikation im öffentlichen Raum beizutragen.

Mutmasslich unpolitischer Vandalismus an Ströer-Anlage in der Innenstadt von Hannover

Allerdings wurde mit den öffentlichen Anfeindungen, Aufrufen zur Gewalt gegen das Unternehmen und seine Mitarbeiter:innen und gezielten Diffamierungen aus verschiedenen politischen Richtungen als Folge der entgeltlichen Bereitstellung von Werbeflächen für Wahlkämpfe sehr deutlich eine Grenze überschritten. Ein solches Dienstleistungsangebot ist nur auf der Grundlage eines gesellschaftlichen Konsenses möglich. Dieser gesellschaftliche Konsens ist besonders nach den aktuellen Erfahrungen derzeit nicht gegeben.

Das Unternehmen kann auf dieser Basis seinen Beitrag zur politischen Meinungsbildung nicht mehr gewährleisten und zieht sich vollständig aus der parteipolitischen Werbekommunikation zurück, um Schaden vom Unternehmen und seinen Mitarbeiter:innen abzuwenden. Ströer wird bis zur Bundestagswahl und darüber hinaus jeden Auftrag zu parteipolitischer Werbung jeglichen politischen Spektrums ablehnen. Voraussetzung für die Fortführung der Verbreitung parteipolitischer Werbung durch Ströer ist ein politischer Konsens, der beim von Ströer initiierten Runden Tisch mit den politischen Parteien des Deutschen Bundestages erzielt werden kann. Sollte es wider Erwarten nicht zu einem gemeinsamen Verständnis in Bezug auf die Plakatierung parteipolitischer Werbung kommen, wird Ströer auch darüber hinaus daran festhalten, grundsätzlich keine parteipolitische Werbung mehr auszubringen.

Ströer ist als Vermarkter von Plakatflächen nicht für die jeweiligen Inhalte und Gestaltung der Werbung verantwortlich. Als neutraler Dienstleister wurden bislang alle Aufträge auch im Bereich der parteipolitischen Werbung ausgeführt, soweit keine rechtswidrigen Inhalte vorliegen – auch dann, wenn sie nicht mit den politischen Auffassungen der Entscheidungsträger von Ströer übereinstimmen. Aufgrund der Verpflichtung zur Neutralität wurden sämtliche Plakate ausgehängt, die rechtlich zulässig sind. Eine inhaltliche Zensur wurde und wird nicht ausgeübt.

Als Dienstleister der Außenwerbung muss das Unternehmen unterstellen, dass die Finanzierung von Aufträgen durch die Kunden rechtmäßig erfolgt. Ströer ist weder berechtigt noch organisatorisch in der Lage, sich den Finanzierungsweg und Finanzierungsmodi der Auftragnehmer für Aufträge vorlegen zu lassen und diese zu überprüfen. In Bezug auf parteipolitische Werbung muss das Unternehmen unterstellen, dass die rechtlichen Vorgaben und die Transparenzregeln des Deutschen Bundestages eingehalten werden. Dies ist allein von den zuständigen Stellen zu überprüfen.“

Zusammengefasst:

Kritische Fragen zum Umgang von Ströer mit der Veröffentlichung von rechten Fake News werden abgewehrt – man gibt sich brüskiert: „Damit ist aus Sicht des Unternehmens die Grenze des Hinnehmbaren endgültig überschritten.“

Ströer hat dann kurzerhand einen „Runden Tisch mit den politischen Parteien des Deutschen Bundestages“ initiiert. Dass das möglich ist, das alleine zeigt, welche Wirkmacht der Konzern in der Zentrale der parlamentarischen Demokratiesystems erlangt hat.

Und dann gibt sich das Unternehmen wie folgt recht naiv: „Ströer ist als Vermarkter von Plakatflächen nicht für die jeweiligen Inhalte und Gestaltung der Werbung verantwortlich (…) soweit keine rechtswidrigen Inhalte vorliegen (…)“

Der Bezug auf den Rahmen der „Nicht-Rechtswidrigkeit“ ist schwammig. Fake News zu verbreiten und damit einflussreiche politische Meinungsmache ohne Sachgrundlage zu betreiben („#GrünerMist“) mag formell betrachtet nicht konkret oder eindeutig rechtswidrig sein und dennoch unzulässig und unvertretbar. Eine demokratische Haltung, ein auf der Menschenwürde basierendes Rückgrat kann man Ströer durch das Zulassen und Schalten solcher Werbung jedenfalls nicht anerkennen.

 

6. Fazit

Die bis hierhin aufgeworfenen Entwicklungen stimmen nachdenklich.

Ströer entwickelt sich zu einer Macht im Lande (oder: hat sich bereits entwickelt!), die keiner klassischen Gruppierung zuzuordnen ist und die sich jeglicher demokratischer und gesellschaftlicher Kontrolle und Reglementierung erfolgreich entzieht. Ströer ist mit Entscheidungsträgern in Kommunen, Städten, Ländern und Bund gut vernetzt. Ströer betreibt wirkmächtige meinungsbildende Werkzeuge – t-online und Statista sind nur zwei große davon:

Es ist Zeit für eine breite und kritische Debatte über den Einfluß und die Bedeutung von Ströer und vergleichbar unter dem öffentlichen Radar agierende Unternehmen.

Und fast nebenbei: Viele wünschen sich einen öffentlichen Raum, frei von ungewollter und unausweichlicher Dauerwerbung („Zwangsglotzen“) in unüberschaubarer Zahl.

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