JCDecaux, Ströer und Co. – Vom kommunal verhökerten und polizeilich verteidigten Recht zum Schreibzugriff auf unsere Gedanken. Oder: Von der Verschmutzung des schönen Lebens durch Werbekonzerne und deren Zwangsglotzen

[Ein Wutschrei Gastbeitrag]

Gegen die Vereinnahmung der Städte durch JCDecaux und Co. – gegen aggressive Außenwerbeanlagen

„Konsumenten sind wie Kakerlaken – du besprühst sie und besprühst sie und nach einer Weile werden sie immun“ [0]

Wer kennt sie nicht …

Die Ströer-Allee, nein, pardon: die Georgstraße in der Innenstadt von Hannover.

… trotzdem wird erstaunlich wenig darüber geredet.

Hier die Sicht eines (empfindlichen) Betroffenen, der lange Zeit hatte, über etwas nachzudenken, das in zu vielen Städten seit zu vielen Jahren passiert:

Der nachfolgende Text enthält einiges an aufgestauter Verbitterung. Ich hoffe, es ist auch etwas Sinnvolles darunter. Ich kann es nach der jahrelangen Dauerzermürbung bei jedem Schritt nach draußen nicht mehr 100% garantieren. Aber es muss einfach mal raus.

Mit diesem Artikel (oder Pamphlet) wende ich mich in erster Linie an alle, die von dem Problem ebenfalls betroffen sind und die extreme Außenwerbung in Städten nicht länger hinnehmen wollen. Ich möchte die Frage nach der Legitimität aufwerfen – sowohl die des Betreibens von Werbeanlagen in dieser Form als auch die subversiver Aktionen – und auch meine eigene Meinung dazu kundtun und erläutern. Ich möchte ein Schlaglicht auf einige Aspekte werfen, die ich an dem System JCDecaux* besonders problematisch finde. Ich möchte Betroffene anregen, sich zu organisieren und dagegenzustellen, so wie es in Frankreich schon sehr viel stärker geschieht [14, 15].

(* möglicherweise Branchenprimus, in meiner Stadt besonders stark vertreten, „kann gut mit Entscheidern“, daher stellvertretend als Namensgeber gewählt)

Die Gleichgültigkeit

Es macht mir Sorgen, wie Werbekonzerne wie Wall JCDecaux, DSM/Stroer, ClearChannel usw. den öffentlichen Raum [19] vereinnahmen: als einseitiges Vehikel zur gedanklichen Gleichschaltung. Es macht mich fertig, wie wenige Menschen sich das überhaupt bewusst machen. Und das Zappeln der Werbung auf jedem Weg durch die Stadt macht mir das Leben schier zur Hölle.

Einerseits erachte ich die Privatisierung des öffentlichen Raumes (ach nein, des ganzen Lebens), darunter eben dessen Vereinnahmung durch Konsumwerbung, als eine gesellschaftlich sehr bedenkliche Entwicklung. Sie schränkt die freie Entfaltung der Menschen ein zugunsten von Regeln, die von Unternehmen gemacht werden.

Andererseits erfahre ich konkret und persönlich die Dauerbelästigung durch sogenannte „Plakatwechsler“ und auch durch die neueren, ultragrellen LED-Anlagen, seit dieses Phänomen Überhand genommen hat, als eine schwer (an manchen Tagen gar nicht) erträgliche Beeinträchtigung des täglichen Lebens. Selbst von ansonsten vernünftigen Zeitgenossen ernte ich im Dialog meist nur ganz maue Antworten, die mich bisweilen für das Leiden selbst verantwortlich machen wollen. Bis auf einige Ausnahmen kommt Abwiegelung, Resignation und leider nicht selten auch Folgendes:

„Du kannst ja woanders hingucken, wenn es dich stört“.

Davon abgesehen, dass ich es kaum in Ordnung finden kann, mir von einem Werbekonzern in der eigenen Stadt vorschreiben lassen zu müssen, wo ich hingucken darf – egal ob hin oder weg – denke ich: Hoppla, woher kommt der Impuls, einem Konzern umsonst argumentativ zur Hilfe zu springen? Hat der nicht eigene Anwälte? Diese „instinktive“ zynische Antwort ist aber dennoch einer näheren Betrachtung wert, weil sie so häufig kommt. Mag ja wirklich sein, dass manche unempfindlich sind. Schön für sie. Aber das ist ja, als ob …

Als ob die Belange eines Konzerns irgendwie schutzwürdiger wären als ein Mensch.

Dieser Eindruck einer selektiven Gleichgültigkeit, die irgendwie mit dem Anschein der Legalität und Respektabilität zusammenhängt, verstärkt sich, wenn manche Zeitgenossen sich einerseits gern über Graffiti echauffieren [1], womöglich sogar unabhängig vom ästhetischen Urteil über das betreffende Werk selbst, andererseits aber kein Problem mit großflächiger, enorm störender „legaler“ Werbung haben.

Nun, vielleicht bin ich einfach irgendwie unnormal? Das würde ich nie abstreiten.

Aber es betrifft doch nahezu alle.

Als ob auch all die netten und herzensguten Menschen, die nichts damit zu tun haben wollen*, Tag für Tag Scheiße ins Hirn geblasen bekommen durch JCDecaux, Stroeer und wie sie alle heißen, ebenfalls egal wären.

* da kenne ich dann doch einige – allenfalls sind die Anlagen subjektiv egal, aber tatsächliche Fans habe ich noch nicht getroffen …

Alles, um bloß keinen Konzern für sein übergriffiges Tun zu kritisieren und die Illusion der nicht korrupten Verwaltung und der Normalität aufrechtzuerhalten.

Diese Konzerne „dürften“ das ja, weil sie die Nutzung der Flächen (eigentlich: unsere Aufmerksamkeit, den Schreibzugriff auf unsere Gedanken) ja „gekauft“ haben. Und es bringe ja „Geld“. Auch das bekomme ich bisweilen zu hören. Durch diesen Anstrich der Legalität und Respektabilität wird der tagtägliche Missbrauch durch amoralische Konzerne offenbar für Viele zum nicht weiter hinterfragbaren „Recht“.

Jo. Super Argument.

Nur um die Ungeheuerlichkeit einmal zu verdeutlichen: mit der gleichen Berechtigung könnte sich ein Konzern von der Stadt wohl auch das „Recht“ kaufen, das Trinkwasser absichtlich mit Arsen zu vergiften, wenn sich das als konsumfördernd herausstellen sollte. Und die Verwaltung kann sich dann auf die Schultern klopfen, was für ein tolles Standortmarketing sie gemacht hat und wieviele tausend Euro das einbringt. Was für ein hanebüchenes „Argument“, um massiv gesundheits- und umweltschädliche Lichtverschmutzung [17] schönzureden.

Ob der Straßenverkehr durch die absichtliche Ablenkung noch unsicherer wird, als er es im Autoland Deutschland ohnehin schon ist [2]? Wir wissen es nicht, vom Konzern wird es pauschal abgestritten [3] und die Behörden interessiert es folglich nicht (vielleicht wäre da mal eine IFG-Anfrage nach Unfallursachen oder -ortsstatistiken sinnvoll?)

Das Geld fehlt derweil trotzdem an allen Ecken und Enden, in allen Bereichen auf die es wirklich ankommt – das brauche ich ja hier kaum alles auflisten.

Also doch kein Wundermittel.

Nun, Geld ist virtuell, aber die Verschmutzung ist real: die hochgezüchtete Außenwerbung ist eine absichtliche Verschmutzung, die nur dazu dient, den Verstand zu vernebeln und den Impuls zum Kauf unnötiger Dinge mit Gewalt im Bewusstsein zu verankern.

Gewalt?

Bilder haben eine Wirkung. Das ständige Eintrichtern von ungewollten Bildern ist eine Form von Gewalt. Es geht darum, die eigenen Gedanken permanent zu stören und zu ersetzen. Die ständige Überflutung durch störende Reize macht etwas mit einem. Auch wenn der Effekt sich unmerklich aufbaut, auch wenn nicht jedes einzelne Bild für sich genommen furchtbar ist – irgendwann kann man einfach nicht mehr.

Ein häufiger Einwand ist: „Ich nehme das gar nicht wahr“. Wenn das so ist, dann freue ich mich tatsächlich ein wenig für diejenigen, die so einen perfekt angepassten Wahrnehmungsfilter haben. Aber auch eine unbewusste, unterschwellige Manipulation ist nicht in Ordnung. Möchte man das wirklich?

Wenn das gar keine Wirkung hätte, würde man es ja vermutlich lassen. Dann wäre es keine Multi-Milliardenindustrie. Ob es exakt die gegenüber Werbekunden behauptete Wirkung hat, ist gar nicht der Punkt, aber auch nicht uninteressant. Was ist etwa davon zu halten, dass die regierenden Parteien offenbar kein Problem damit haben, auch Kinder tagtäglich dieser Gehirnwäsche, die sie zu Konsumrobotern machen soll, auszusetzen und dann z.B. auch noch Tabakwerbung weiter zulassen, obwohl dieser besonders üble Spezialfall seit Jahren immer wieder auf der Tagesordnung steht?

Sich bisweilen emotional auf Kinder- und Jugendschutz zu berufen, nur um im nächstem Moment zu beschließen, dass es in Ordnung ist, Kinder auf dem Schulweg tagein, tagaus (Tabak-)Werbung auszusetzen, scheint für die Politik keinen Widerspruch darzustellen. Weil es „Geld“ bringt. Andererseits, wirklich verwunderlich ist das nicht: wir erinnern uns hoffentlich noch an die „harten Bilder, die man aushalten muss“, wie deren damaliger Innenminister das Sterben, auch von Kindern, an den EU-Außengrenzen nannte. Zurücktreten musste er dafür nicht.

Im Gegensatz zur Gewalt der Werbung steht die friedliche Aktionsform des Adbusting, deren Kriminalisierung und Verfolgung mit völlig unangemessenen Mitteln für mich eine missbräuchliche Verwendung polizeilicher Mittel und moralisch gesehen ein Unding ist. Die beteiligten Institutionen haben offenbar jedes Maß verloren. Wenn da keine Entschuldigung und Neuausrichtung kommt, geht ihnen einfach nur noch mehr Legitimität flöten.

„Sachbeschädigung“ ist i.A. keine Gewalt. Die politischen Anschuldigungen, über die im CILIP-Artikel [4] und anderswo, z.B. in der aktuellen „Datenschleuder“ des CCC, berichtet wird, sind deplaziert und lassen tief blicken. Die rechtsextremen Abgründe in deutschen Polizeibehörden lassen offenbar grüßen.

Was für „Straftaten“ bitte?

Die Berichte über die Verfolgung dieser Aktionen als „Straftaten“ [22], mit dem kompletten Arsenal der Strafverfolgung, sind auf mehreren Ebenen verstörend. Erstens ist dies ein weiteres Beispiel dafür, dass der Staat, der so etwas veranlasst, eine Ordnung der Dinge vertritt, in der Sachen über Menschen stehen, und die Interessen von Unternehmen, ganz gleich wie schädlich (solange sie noch nicht als illegal erkannt wurden), die Belange von Menschen, die nicht in diesem Rahmen handeln, übertrumpfen. Der Staat wirkt als Erfüllungsgehilfe der Unternehmen, setzt seine Behörden mit aller Macht gegen die ein, die sich dem fragwürdigen Tun in den Weg stellen. Und es sei nochmals daran erinnert, dass in diesem Fall das „sich in den Weg stellen“ ohne Gewalt geschieht.

Durch die friedlichen Protestaktionen erleidet niemand einen Schaden. Es entstehen keine Schäden an tatsächlich schützenswerten Gütern. Es werden lediglich die Interessen eines wirtschaftlich-politischen Komplexes gestört. Der reibungslose Ablauf einer (in diesem Fall staatlichen, es hätte aber auch eine kommerzielle sein können) Desinformationskampagne ist in Gefahr. Irgendwelche Wichtigtuer fühlen sich auf den Schlips getreten. Das ist die Gesamtsumme der „Schädigung“. Es ist eben nicht so, dass hier aus Jux und Tollerei irgendetwas total Lebenswichtiges beschädigt, entwendet oder zerstört würde. Es geht um ein paar Plakate, die ohnehin ausgetauscht werden. Der einzige Terrorist ist hier der Staat, der keine Skrupel hat, Menschen dafür zu verfolgen wie für ein Kapitalverbrechen (leider kein Witz: offenbar wurde DNA-Spuren nachgeschnüffelt) und mit großem Aufwand zu drangsalieren.

Und ihnen vielleicht sogar das Leben zu ruinieren. Für etwas das, wenn man mal die vermeintlichen Totschlagargumente rund ums Eigentum außen vor lässt, im Wesentlichen auch eine Meinungsbekundung ist. Wenn man die Kampagne selbst ebenfalls als solche bewerten möchte und nicht als eine bösartige Form von Propaganda – selbst dann wird dadurch nur etwas Fairness wiederhergestellt, indem eben nicht nur diejenigen reden und die Wahrnehmung bestimmen dürfen, die dafür zahlen (in diesem Fall mit unseren eigenen Steuergeldern).

Nicht nur ist die Reaktion selbst an den rein formaljuristisch möglicherweise konstruierbaren Tatbeständen gemessen komplett unverhältnismäßig, es wird auch der Kontext nicht richtig bewertet und Ursache und Wirkung verwechselt: zuerst war die Propaganda da, für Staat oder Konsum. Flächendeckend. Dann kam die subversive Aktion, notwendigerweise punktuell, als friedliche und kreative Gegenwehr gegen einen groß angelegten Angriff.

Widerspruchslos hinzunehmende Bilder sind kein wichtiger Informationskanal, sorry.

Ich beschreibe im Zusammenhang mit den Vorgängen rund um die Bundeswehrplakate eine Werbekampagne als „Desinformationskampagne“. In diesem Fall ist damit die Selbstdarstellung des Militärs gemeint, das sich schon seit einiger Zeit der Dienste einer Marketingagentur bedient, um sich moderner und attraktiver darzustellen. In einem anderen Fall kann das aber auch Werbung für eine Zigarettenmarke oder eine „smarte“ Überwachungswanze fürs Wohnzimmer sein: all das braucht kein Mensch.

Es kann sich auch um ein x-beliebiges normales Produkt handeln, denn auch da sollte eigentlich gelten: wer Produktinformationen benötigt, soll sich einen Katalog holen, Testberichte lesen oder was auch immer. Der schlechteste Ratgeber jedenfalls ist derjenige, der es verkaufen will. Schon deshalb kann das Ganze keine „Entscheidungshilfe für mündige Bürger“ sein, wie Vertreter gewisser Parteien sich manchmal entblöden zu sagen. Den Charakter einer Kunstausstellung hat das Ganze im Übrigen auch nicht – es geht eben gerade nicht darum, zum Nachdenken anzuregen. Die Bilder sollen passiv rezipiert werden und eine kalkulierte Wirkung erzielen.

Es geht eben nicht nur darum, ein Produkt in einem bestimmten Licht darzustellen – was ohne Gegendarstellungsrecht und unabhängige Bewertung schon einmal problematisch wäre – sondern es geht darum, „das Mindshare von Marken zu steigern“. Auch gegen den erklärten Willen dieser Minds, deren „Shares“ da lustig verhökert werden.

Werbung vs. Meinungsbildung

Wenn wir eine Werbekampagne eine Desinformationskampagne nennen, ist das die zweite Ebene, auf der das staatliche Vorgehen gegen Einzelpersonen indiskutabel ist. Sich als Hilfssherriff dieser tollen und offenbar systemrelevanten Branche (die sogar im Lockdown noch bemerkenswert agil beim Putzen und Instandhalten ihrer Anlagen ist) zu betätigen, ist unter aller Kanone: es handelt sich bei der Kampagne ja nicht um ein harmloses Angebot, etwas auf eine bestimmte Weise zu sehen. Vielmehr handelt es sich um Propaganda. Die Polizei wird hier im Endeffekt eingesetzt, um sicherzustellen, dass die Werbeaussagen genauso rezipiert werden, wie sie eingetrichtert werden.

Wo leben wir denn bitte? Etwa in einem Staat, in dem die öffentliche Wahrnehmung einer Institution, einer Behörde, einer Marke oder eines Produktes von diesem selbst widerspruchsfrei vorgegeben werden kann? Wollen wir das? Klingt irgendwie nach Diktatur. Und tatsächlich, was hier mit Gewalt und Terror durchgesetzt wird, ist das genaue Gegenteil davon, wie ich bisher davon verstanden habe, dass Meinungsbildung in einer Demokratie funktionieren sollte.

Das K.O.-Argument „Sachbeschädigung“ als Ausdruck einer fragwürdigen Wertehierarchie

Wir haben es hier also einerseits mit einem System zu tun, dessen Wertehierarchie Eigentum konsequent über Menschen stellt: was bitte ist „Sachbeschädigung“ oder „Vandalismus“ an einigen Plexiglasscheiben, Bildschirmen oder Plakaten, die dort gar nicht stehen bräuchten und hinter denen eine hochgerüstete, milliardenschwere Industrie steht, gemessen am systematischen Vandalismus am Geiste von Millionen Menschen, einem Raubbau an der Aufmerksamkeit, mit dem Ziel in die Gedanken der Menschen einzugreifen, unter billigender Inkaufnahme von psychischen Schäden durch diese unablässige, optimierte Zermürbung?

Es ist ein System, das meint, ohne Gehirnwäsche und widerspruchslos hinzunehmende Propaganda nicht bestehen zu können. Ich gebe zu, dass es sich um vergleichsweise milde Formen dieser Übel handelt – wenn auch vor allem deshalb, weil die Skala der menschlichen Grausamkeit nach oben offen ist. Dass diese Kategorien, Propaganda und Gehirnwäsche, aber prinzipiell auf die moderne Massenwerbung anwendbar sind, ist schwer zu bestreiten:

Denn wäre dem nicht so, dann würde wirksame und kreative Gegenrede gegen eine konzertierte, einseitige Massenkampagne wohl kaum zum Gegenstand behördlicher Repression geraten, sondern würde im Gegenteil sogar gefördert und gelobt werden!

Widerspruch ist legitim und demokratisch.

Adbusting-Gruppen haben deshalb meine allerhöchste Anerkennung. Sie nehmen das nicht hin. Sie sind mitnichten kriminell, sondern leisten legitimen, gewaltfreien, wertvollen Widerstand gegen eine massive Maschinerie der einseitigen Kommunikation, die in einer Demokratie nichts verloren hat. Sie sagen „nein“ zum Inhalt, der da vermittelt wird – und lenken zugleich die Aufmerksamkeit auf die unfaire Art, wie diese Vermittlung vonstatten geht: letztendlich in einer rücksichtslosen, gleichgeschalteten Einbahnstraße, in der derjenige mit dem meisten Geld republikweit die Parameter der Gehirnwäsche einstellen darf.

Idealerweise sollte es nicht riskant sein, der Unterwerfung der Gesellschaft unter diese Maschinerie zu widersprechen und es sollte nicht als zweifelhaft gelten, ob man den Aussagen der Werbung wirksam, also durch Veränderung oder Unkenntlichmachung, widersprechen darf.

Ich finde: man darf. Man muss: Sachen und Eigentum sind nicht heilig, gerade wenn sie gegen Menschen und gegen die demokratische Meinungsbildung eingesetzt werden. Adbusting ist legitim: macht nicht die Möglichkeit zum Widerspruch das Wesen der Demokratie aus? Die Belange von Konzernen müssen dahinter zurückstecken, sie sind schlicht das vergleichsweise weniger schützenswerte Gut. Wer konsequent Eigentum über Menschen stellt und die Belange von Konzernen über die freie Meinungsbildung stellt, steht meines Erachtens der Diktatur näher als der Demokratie.

Aber betrachten wir es einmal von der anderen Seite: ist denn das Handeln dieser Konzerne, und das von Stadt und Baubehörden etc. in dieser Form überhaupt legal? Das halte ich nicht für eine ausgemachte Sache.

Gewerbsmäßige und systematische Nötigung

Nach meinem Dafürhalten ist das System JCDecaux gewerbsmäßige Nötigung – es geht darum, eben auch diejenigen zu zwingen, Werbung zu glotzen, die gar nicht freiwillig Werbung glotzen. Nicht im Web, und selbstverständlich auch nicht im realen Dasein. Das sind keine „City Lights“ und es ist definitiv keine „Stadtmöblierung“ [16]. Ich empfehle stattdessen, die Anlagen „Zwangsglotzen“ zu nennen. Ich wundere mich, dass das Ganze noch nicht vor Gericht gekommen ist. Auch wenn das eine hohe Hürde ist – ansonsten hätte ich es in den letzten 10 Jahren gewiss schon versucht! – so ist der Kreis der Geschädigten doch enorm groß und dass es sich auch im juristischen Sinne erkennbar um Nötigung handeln dürfte, liegt für mich auf der Hand. Eine fachkundige Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Klage wäre sehr willkommen.

Ist es Zufall, dass die Anlagen hinter Ampeln und am Straßenrand montiert sind, wo man auf die Umgebung achtgeben muss um keinen Unfall zu verursachen? Die Unternehmen werden ja kaum argumentieren können, die Dinger anzusehen sei für die, die sie sehen können, freiwillig. Ansonsten bräuchten sie die massiven Teile ja nicht für viel Geld aufzustellen, sondern könnten sich auf das Online-Geschäft beschränken – das ebenfalls massiv kritikwürdig ist, wo es aber immerhin wirksame Adblocker gibt. Und dass der Sinn und Zweck der Art der Aufstellung und Ausstattung ist, möglichst auch gegen den Willen der Betroffenen den Blick zu fangen, liegt auf der Hand – in die Perfektionierung dieser wahrhaftigen Ölbohrplattformen für die Erschließung unserer Aufmerksamkeit ist jede Menge Forschungs- und Entwicklungsarbeit geflossen. Wo man sie lässt, würden sie auch akustische Dauerbeschallung [5] mit ohrwurmfähigen Werbejingles und dummen, falschen Werbeaussagen einbauen.

Wichtiger Teil des modernen Lebens oder mafiöser Komplex?

Das sind sie also, die „wissenswerten Nachrichten“ mit angeblich so großem Mehrwert für die Stadtbevölkerung, mit denen die Werbeglotzen die nächste Generation von Großformat-Screens an die Leute, besser: an die Kommunalverwaltungen zu bringen versuchen. (Hier der Link zum Film mit selbstherrlich daherkommenden Herren der Ströer Media SE.) Beachte: „Statista“ und „T-Online“ sind Tochterunternehmen von Ströer, also keinesfalls unabhängig, geschweige denn neutral.

Das Drama hat noch eine weitere Seite: die Verwaltung lässt es geschehen, stellt Gehwege zur Verfügung und erlaubt die „Nutzung“ von Gebäuden. Wer lässt so etwas zu? Wir hatten mal danach gefragt, über fragdenstaat.de, bei Hamburg, und die Abstimmungsergebnisse und Verträge zugesendet bekommen [6].

Die Aufmerksamkeitshehler [18] haben sich gekonnt an Politik und Verwaltung herangemacht [3].

Menschen in verantwortlichen Positionen haben beschlossen, dass das in Ordnung geht.

Setzt das Denken aus, sobald Geld ins Spiel kommt? Erlischt dann der Funke der Empathie? Ist Verantwortung nur ein leeres Wort? Es scheint so. Dass sie ihren Irrtum von alleine erkennen, ist unwahrscheinlich – wir werden auch hier Druck auf die Politik ausüben müssen, damit sich etwas ändert. Der durchsetzungsstarken Werbebranche die Stirn zu bieten, erfordert vor allem eines: Mut – und ich finde, den darf man von der gewählten Vertretung auch erwarten.

Ich bin das Thema eigentlich leid. Ich möchte mich nicht mehr darüber aufregen, es mag sogar wie eine Ablenkung von wichtigen Problemen erscheinen. Allerdings hoffe ich, herausgearbeitet zu haben, wieviele Verknüpfungen zu anderen Misständen darin zusammenlaufen, und wie inakzeptabel das Ganze auf vielen Ebenen ist. Und es nutzt schließlich auch nichts, sich dadurch auf Dauer die Kraft nehmen zu lassen – ich werde nun mal damit belästigt und leide trotz einiger Ausweichstrategien unvermindert stark unter dem direkten Effekt, und das Leiden wird durch das Bewusstsein um die Niederträchtigkeit, den fehlenden Nutzen und das Ausmaß noch einmal verstärkt. Es nicht nur selbst zu erfahren, sondern auch zu wissen, wie viele andere dem wehrlos ausgesetzt sind, ist kräftezehrend.

Andere mögen sich medienwirksam über Windkraftanlagen aufregen, die anscheinend die Landschaft verschandeln – doch haben diese zumindest den Zweck, relativ sauber Strom zu produzieren. Die Zwangsglotzen dagegen entbehren jeglicher nachvollziehbarer Rechtfertigung, die man irgendwie gutheißen könnte. Kurzum: sie sind unnötig.

Niedere Beweggründe: Wichtigtuerei, Machtausübung und Gier

Was sind das für Menschen, die so etwas tun? Die Motivation der Werbeindustrie würde ich jedenfalls unter „niedere Beweggründe“ einordnen, wenn sie auch teilweise versuchen, sich eine wichtige Funktion zuzuschreiben. Man könne ja so gut Gesellschaftssteuerung über diese Dinger betreiben. Leute zum individuellen Umweltschutz und zum zivilisierten Verhalten anhalten und so. Während eines von den neuen, obszön grell beleuchteten, Displays für seinen hirnlos wiederholten Bilderfundus soviel Strom verbraucht wie mehrere Einfamilienhäuser [7].

Stichhaltig ist diese Argumentation nicht. Dass gelegentlich mal etwas Witziges oder eine richtige Aussage über diese Maschinerie verbreitet wird, rechtfertigt noch lange nicht deren Betrieb und sollte uns nicht blenden. Diese Unternehmen wollen sich bloß selbst zu einem normalen, ja notwendigen Teil des Lebens erklären, indem sie sich eine wichtige Funktion innerhalb der Wirtschaft andichten und dann noch behaupten, sie könnten ja irgendwie einen wertvollen Beitrag auf dem Weg in die schöne neue Welt leisten – genau wie die allgegenwärtigen Überwachungskameras, die gelegentlich im Einzelfall eine nützliche Verwendung haben mögen, aber dadurch noch lange nicht zu einer legitimen oder notwendigen Infrastruktur werden.

Außerdem ist es Makulatur – es sind nicht die Anzeigen mit den Verhaltensappellen, die den Umsatz bringen. Es geht ums Geschäft: ein Geschäft mit unseren Gedanken; und wie das Vorgehen gegen „Vandalismus“ beweist, geht es um blanke Machtausübung.

Überkonsum vs. Umweltschutz

Aus Umweltschutzgründen spricht vieles gegen eine Eskalation der Werbung. Es ist so platt und offensichtlich, dass ich mich fast scheue, diesen Satz zu schreiben, aber: der Sinn und Zweck von Konsumwerbung ist letztendlich nichts anderes als das weitere Antreiben der Konsumspirale. Alles Übrige, wir Menschen eingeschlossen, sind bei diesem Unterfangen nur Kollateralschäden.

Ich sehe daher in einer Einschränkung von Werbung auf ein erträgliches Maß eine Maßnahme, die viel bewirken könnte beim Ausstieg aus der Konsumgesellschaft, beim Schonen natürlicher Ressourcen – und beim Schonen der Menschen, die sich für die Produktion überflüssiger Wegwerfwaren abrackern und gar keine Zeit mehr zum Nachdenken haben, während die Erde deshalb abbrennt.

Ist das also möglicherweise ein wichtiger Hebel, möglicherweise sogar der Elefant im Raum der Klimaschutzlösungen? Ich nehme es stark an.

Dass diesem Punkt hier nicht so viel Platz eingeräumt wird, bedeutet gewiss nicht, dass er, auch aus meiner subjektiven Sicht, weniger wichtig wäre. Im Gegenteil, sollte nicht dieser Punkt allein genügen? Wir können zwar lange über Klimaziele diskutieren, aber solange das Konsumklima weiter angeheizt wird, unter anderem durch Werbung, wird auch der Verbrauch nicht sinken.

Die Zukunft des öffentlichen Raums?

Alle mir bekannten Argumente dafür, diese Unternehmen doch bitte weiter gewähren zu lassen, sind falsch. Das sensorische Dauerfeuer gegen die Menschen ist eine der Sachen, die beendet werden müssen, damit Städte wieder lebenswert werden können, damit sie wieder Städte genannt werden können. Und nicht Werbeflächen. Pah. Von wegen „Für Städte. Für Menschen“. Wer über gute Stadtentwicklung streitet, muss dringend hinterfragen, ob es schlau und gerecht ist, das Recht auf die Gestaltung des Raumes, in dem Menschen täglich leben, in die Hand von Konzernen und Startups zu legen. Gleiches gilt im Übrigen für Digitalisierung und „Smart City“-Konzepte, bei denen der öffentliche Raum nicht nur zum widerspruchslosen Eintrichtern von Gedanken missbraucht wird, sondern auch um diejenigen, die sich in ihm aufhalten, notfalls gegen ihren Willen auf Schritt und Tritt zu vermessen und mittels der Daten automatisiert bevormunden und steuern zu können.

Wenn das die Städte der Zukunft sein sollen – wenn an dieser Vereinnahmung der urbanen Umgebung durch teils sehr schlecht legitimierte Wirtschaftsinteressen nicht gerüttelt werden darf, nur weil irgendein Schnickschnack der Verwaltung rechnerisch Ersparnisse zu bringen scheint – ist jede Diskussion über Stadtentwicklung unvollständig und im Grunde müßig.

Ich warte sozusagen nur darauf, dass Hamburg in „JCDecaux / DSM Stroeer Hamburg“ umbenannt wird. Das Stadtbild ist bestimmt durch eine tumbe, grässliche, überflüssige Infrastruktur des Geistesvandalismus, der mentalen Kolonisierung durch Marken, die sich verharmlosend „Außenwerbung“ oder schick „Out of Home“ nennt. Pietäts- und unterschiedslos durchdringt sie alle Bereiche des Lebens: Hamburg hat kein Problem damit, an den Bushaltestellen vorm Universitätsklinikum und sogar direkt am Vorplatz, auf und ab zappelnde Dating-, Vaping- oder Deowerbung zuzulassen. Das ist für mich der perfekte Ausdruck einer hirn- und herzlosen Konsumgesellschaft.

Und nun doch ein kurzes, knappes Ende:

Meine wichtigsten Fragen an die Stadt würden sich nicht ums Geld drehen. Die Beträge sind relativ überschaubar – selbst 508 Millionen [8] sind über 15 Jahre gerechnet in Hamburg pro Jahr immer noch ca. 20 Euro pro Einwohner, wären problemlos über Steuern zu beschaffen und selbst wenn es mehr wäre … manche Güter dürfen einfach zu keinem Preis verkäuflich sein. Und schon gar nicht gegen den Willen der Betroffenen. Da gilt es, erstmal das Wertegrüst neu zu justieren.

Meine Fragen würden vielmehr – wie bei so vielen Vorgängen in diesem System – darauf abzielen, ob sich ein Gewissen wachrütteln lässt:

Inwiefern wollen Sie argumentieren, dass dadurch die Stadt in irgendeiner Weise besser wird?

und

Wie wäre es stattdessen mit Bäumen, wie in Grenoble[9]?

Ich verfolge in Deutschland z.B. mit Spannung die Initiative „Berlin Werbefrei“ [10] und hoffe, einmal die Energie zu finden, das auch in HH durchzuziehen. Unterstützen würde ich es jedenfalls sofort, wenn jemand den Anfang machen würde.

Kann nichts versprechen. Aber notwendig ist es. Es gibt zu viele gute Gründe, das abzustellen, und keinen, es weiter hinzunehmen [21].

Menschen sind wichtiger als Dinge.
Leben ist wichtiger als Konsum.

PS

Was sind denn nun eigentlich die Forderungen?

Ich appelliere noch einmal an alle, sich das nicht länger bieten zu lassen und mit Nachdruck einzugreifen. Am besten geeignet ist sicherlich die kommunale Ebene, auf der letztendlich die Genehmigungen erteilt oder verwehrt werden. Lasst euch auch nicht einreden, die Anlagen seien irgendwie sakrosankt und zu respektieren [20].

Von Politik und Verwaltung erwarte ich ein schärferes Problembewusstsein und eine strengere Regulierung von Werbung im öffentlichen Raum [11]. Wie konnte es zu den Genehmigungen kommen, trotz Vorsorgeprinzips und offenkundig zu erwartender Folgen für Mensch und Natur?

Von Politik und Verwaltung erwarte ich ferner, keine Güter mehr zu verschachern, die ihnen nicht gehören (wie etwa unsere Aufmerksamkeit).

Von der Gesetzgebung erwarte ich aus den dargelegten Gründen eine ausdrückliche Dekriminalisierung des Adbustings, auf welche Weise auch immer; außerdem ein umfassendes Verbot [11] aggressiver Licht- und Tonwerbung an allen Orten, deren Besuch für die Teilnahme am öffentlichen Leben unerlässlich ist. Es ist nicht einzusehen, warum z.B. unaufdringliche Litfass-Säulen für Bekanntmachungen und lokale Angebote nicht ausreichen sollen.

Von der Polizei (und erst recht von „Terrorabwehrzentren“) erwarte ich, die Verfolgung von Adbusting, Beschädigungen an Werbeanlagen und anderen gewaltfreien Bagatelldelikten im Rahmen des gesetzlich Möglichen zu unterlassen bzw. niedrig zu priorisieren und sich stattdessen der Bekämpfung ernster Kriminalität zu widmen. Wie wäre es erstmal mit der Entfernung umstürzlerischer Rechtsterroristen aus den eigenen Reihen?

Von der Werbeindustrie erwarte ich gar nichts. Anstand kennt sie nicht, freiwillig wird sie nicht zurückweichen.

 

Quellenangaben

[0] https://www.theguardian.com/books/2019/aug/11/no-logo-naomi-klein-20-years-on-interview Consumers, marketing executive David Lubars told Klein in No Logo, in a moment of perfect candour, „are like roaches – you spray them and spray them and they get immune after a while.“ – bezieht sich auf das Buch von Naomi Klein, „NO LOGO“.

[1] https://taz.de/Staatsschutz-ermittelt-wegen-Graffitis/!5740943/

[2] zum Vergleich: was möglich ist, wenn man Verkehrsunfälle wirklich reduzieren will – https://www.theguardian.com/world/2020/mar/16/how-helsinki-and-oslo-cut-pedestrian-deaths-to-zero

[3] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/chef-des-aussenwerbers-jcdecaux-wir-wissen-wie-man-mit-entscheidungstraegern-umgeht/14932246-all.html

[4] http://www.cilip.de/2020/10/23/beklebte-werbeplakate-als-terrorismus-adbusting-polizei-und-geheimdienste/ und https://ds.ccc.de/pdfs/ds101.pdf

[5] Siehe voriger Artikel https://freiheitsfoo.de/2021/01/20/hannover-in-der-hand-von-stroeer/ – der Spruch aus [0] sowie die Erfahrungen machen deutlich: die kriegerische Metapher ist keinesfalls überzogen; die Werbebranche ist niederträchtig, kennt keine moralischen oder ethischen Grenzen und eskaliert mit „Neuromarketing“, also der Optimierung ihrer Wirkung durch Erkennenisse aus neuropsychologischen Experimenten, und ständigen Grenzverschiebungen ihren Angriff auf die Sinne und über dieses Einfallstor ihren Eroberungsfeldzug in die innere Welt der Menschen. Je jünger diese sind, wenn sie zuerst mit Werbung konfrontiert werden, umso besser fürs Geschäft. Sie tritt auf, wo immer sie eine „captive audience“, ein gefangenes Publikum, finden oder einfangen kann. Weitere Beispiele: https://www.technologyreview.com/s/602662/ubers-ad-toting-drones-are-heckling-drivers-stuck-in-traffic/ Auch eine Konvergenz mit Überwachungstechnologien wird erprobt, z.B. mit der Speicherung von Gerätekennungen und sogar mit Kameras, die dann möglichst noch die Blicke der ahnungslosen Passanten mit automatisierter Emotionsunterstellung analysieren, oder das Hinschauen erkennen um es datenbasiert optimieren zu können, oder um personalisiertes Tracking und Profiling zu betreiben.

Ob das im Einzelnen noch legal ist, ist den Konzernen in der realen Welt genauso egal wie im Internet – Grenzen werden ausgetestet und das einzige Kriterium für die Realisierung ist, ob es unterm Strich (abzüglich aller Bußgelder) Profit bringt. „Amazon Echo“, „Smartphones“ und ähnliche Späße sind ebenfalls im Grenzgebiet zwischen Werbung und Überwachung zuhause. Das Ganze am Ende noch als Dienstleistung an allerhand „Sicherheits“-Behörden zu verkaufen, ist für die Betreiber in Zeiten der automatisierten Strafverfolgung nicht etwa eine gewagte Idee, sondern eine kleine Selbstverständlichkeit – man zeigt sich erkenntlich, eine Hand wäscht die andere. Zu diesen Themen ist schon viel geschrieben worden, hier ist in Zukunft noch mehr zu erwarten, falls wir es nicht kollektiv schaffen, diesem Treiben endlich einen Riegel vorzuschieben. Und dazu ist eben der erste Schritt, es in toto als illegitim und als ein offensives, übergriffiges Verhalten oder System zu erkennen.

[6] https://fragdenstaat.de/anfrage/vertrage-und-zulassigkeitsprufung-zu-auenwerbungsanlagen-auf-offentlichem-grund/

weitere Anfragen: https://fragdenstaat.de/anfragen/?q=werbeanlagen&status=&jurisdiction=&campaign=&category=&publicbody=&tag=&user=

[7] https://antipub.org/la-mairie-de-paris-sapprete-a-tomber-dans-le-panneau-de-jcdecaux/#consommation

[8] https://www.abendblatt.de/hamburg/article107339079/Werbung-in-der-Stadt-Hamburg-kassiert-508-Millionen-Euro.html (

[9] https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/france/11250670/Grenoble-to-replace-street-advertising-with-trees-and-community-spaces.html

[10] https://berlin-werbefrei.de/

[11] Wie es bei Werbeanrufen schon lange der Fall ist. https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Verbraucher/UnerlaubteTelefonwerbung/unerlaubtetelefonwerbung-node.html

Obwohl es hierzulande und weltweit signifikant wenig beachtet wird, kümmern sich Betroffene mancherorts intensiv um das Thema (es gab 2020 sogar schon eine Online-Konferenz zu werbefreien Städten!):

[12] https://adfreecities.org.uk/bristol/ und

[13] http://brandalism.ch/take-action/ (etwas zu professionalisiert? Diese Gruppe zielt jedenfalls mit täuschend echten Austauschplakaten darauf, den Aussagen der Kampagnen zu begegnen. Eine sinnvolle Art, mit Werbelügen umzugehen!)

Besonders in Frankreich gibt es mehr, breiteren und öffentlichkeitswirksameren Widerstand, der auch international wahrgenommen wird:

[14] https://www.theguardian.com/cities/2019/dec/23/advertising-breaks-your-spirit-the-french-cities-trying-to-ban-public-adverts siehe auch https://antipub.org/ für aktuelle Meldungen (in Französisch). Es wäre sicher nicht falsch, sich mehr international zu vernetzen.

… vielleicht weil das französische Wort «pollution» all die schädlichen Effekte der Anlagen gut beschreibt (pollution visuelle / mentale, pollution de l’environnement) und ein entsprechender Oberbegriff im Deutschen fehlt?

[15] Siehe z.B. hier: https://www.bastamag.net/Ecrans-publicitaires-numeriques und https://antipub.org/appel-a-mobilisation-nationale-stop-pub-videos-3-fevrier-2018/

[16] http://www.devianzen.de/2014/04/26/stadtmoeblierung-oder-vom-ausverkauf-des-oeffentlichen-raums/

[17] Zum Thema Lichtverschmutzung:
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/lichtverschmutzung-und-ihre-fatalen-folgen-fuer-tiere/7024 und https://www.bund-sh.de/stadtnatur/lichtverschmutzung/ und https://www.wien.gv.at/umweltschutz/lichtverschmutzung.html (Wien hat das Thema auf dem Plan?) und https://berlin-werbefrei.de/lichtverschmutzung/ mit wissenschaftlichen Quellen.

[18] Quelle für die Begriffs-Idee: das Buch von Tim Wu https://www.nytimes.com/2016/11/03/books/review-attention-merchants-tim-wu.html

[19] Begriffsdefinition „öffentlicher Raum“: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentlicher_Raum – bemerke die einfallsreichen Vorschläge unter „Nutzung“.

[20] Die, die sie betreiben, respektieren uns schließlich auch nicht.

[21] Auch das beliebte Argument, durch eine starke Einschränkung der (Werbe-)wirtschaft würden möglicherweise „Arbeitsplätze gefährdet“, kann nicht ernsthaft vertreten werden – ist denn jeder Job per se schützenswert? Ich denke, da gibt es nocht genug andere Beispiele, bei denen das zweifelhaft ist.
Herumzufahren und aufzupassen, dass die Zwangsglotzen ja immer auf Hochglanz poliert sind und ja nicht beklebt oder verändert werden, ist keine gesellschaftlich wichtige Aufgabe. Ebensowenig die Herstellung der Produkte, für die da auf Biegen und Brechen durch die massenhafte Einpflanzung künstlicher Bedürfnisse ein Markt geschaffen werden soll.
Schützenswert sind die Menschen, die diese Jobs – aus Perspektivlosigkeit – ausführen. Es ist ja nicht so, als ob es nicht genug sinnvolle Aufgaben gäbe, die diesen Menschen ebenfalls einen Job und auch eine Perspektive verschaffen könnten, ohne dabei auf den Gehirnen von Millionen herumtrampeln zu müssen.

[22] Die Sache mit den Bundeswehrplakaten war leider nicht der einzige Vorfall dieser Art. Beim G20-Debakel in Hamburg wurde bekanntlich keine Mühe gescheut, unliebsamen Protestformen – im Sinne eines „Festivals der Demokratie“ mit Xi Jinping, Erdoğan und Trump – mit allen Mitteln „moderner Polizeiarbeit“ zu begegnen.
Ich freute mich nebenbei bemerkt, auf der großen Demo am Samstag, die später in einem von der Polizei herbeigeführten Chaos enden sollte, handgemalte Protestplakate in den „Schaukästen“ am Rande der Demoroute zu erblicken.
Monate später las ich in der Ankündigung eines Vortrags von einem ungeheuerlichen Vorgang, der sich im Rahmen dieser „modernen Polizeiarbeit“ zutrug.
https://18.re-publica.com/de/session/bild-getwittert-tatverdacht
Es ging um Anlagen am Hauptbahnhof, in die Plakate „durch eine unbefugte Person eingebracht“ worden waren.
Oh mein Gott! Plakate eingebracht! Das dürfen doch nur Befugte! Schwerste Kriminalität! Da muss doch das Bundeskriminalamt aktiv werden!
Und so war es wohl auch: es wurde Äußerungen im Internet hinterhergeschnüffelt, in denen sich jemand mit einem Schnappschuss zu einer kreativen Adbusting-Aktion in Berlin (!) geäußert hatte.
Verknüpft wurden diese mit der Auswertung von Videodaten vom Hamburger Hauptbahnhof, um einen „Tatverdacht“ zu konstruieren (die betreffende Person hatte übrigens ein Alibi, sie war zur „Tat“-Zeit in Berlin).
Dies ist nicht nur ein Beispiel für die verkehrte Werteordnung, die ich in diesem Artikel anprangere.
Es ist auch ein Vorgeschmack auf die Art von Polizeiarbeit, für die die ganze Überwachungstechnik zunehmend verwendet werden wird.
In diesem Fall: jemand gerät wegen einer nicht strafbaren und auch nicht fragwürdigen Äußerung ins Visier einer polizeilichen Ermittlung, die selbst wiederum eine Dienstleistung zur Wahrung der fragwürdigen Interessen eines Privatunternehmens ist.
Das ist einer der Effekte, vor denen wir immer gewarnt haben, wenn wir uns gegen Massenüberwachung gewendet haben: irgendwann würde der gewaltige technologische Überbau zu diffusen Zwecken genutzt werden.
Kameras haben keinen belegbaren Nutzen als Instrument zur Kriminalitätsprävention.
https://freiheitsfoo.de/2016/04/12/verkehrsminister-fuer-flaechendeckende-videoueberwachung-oepnv/
Aber auf Knopfdruck Personen wegen Bagatellen verdächtigen – am Ende noch präventiv – und damit den Handlungsspielraum im Alltag immer weiter einschränken, das geht prima. Es ist technisch möglich, auch einen Tatverdacht automatisch zu generieren – rechnen wir schon einmal damit, in den nächsten Jahren automatisiert gerastert und automatisiert verdächtigt zu werden.
Das technologische Spielzeug steht bei solcher Polizeiarbeit im Vordergrund und die Frage, wieviel Technik-Einsatz in welchem Fall angemessen ist, rückt völlig in den Hintergrund. Der Aufwand geht herunter, im Endeffekt wird man die Mittel maximal nutzen wollen.
Und zwar für jedweden Zweck, der sich irgendwie mit dem Gesetz begründen lässt – egal, wie schwach die Begründung oder wie weit hergeholt die Interpretation ist.

Wir sind Menschen, die Anlagen dagegen sind bloß Sachen – Sachen, und das möchte ich unterstreichen, die dort zu dem einzigen Zweck aufgestellt wurden, auf uns einzuwirken: in schädigender Weise, und keinesfalls einvernehmlich. Es handelt sich dabei also mitnichten um einen wertvollen Beitrag zur städtischen Infrastruktur, sondern ganz im Gegenteil um einen frechen Versuch, etwas der Lebensqualität Abträgliches als einen positiven Beitrag darzustellen. Ich erinnere mich etwa, dass Bushaltestellen sehr wohl auch vor und ohne JCDecaux möglich waren – egal, wie oft wider alle Vernunft und Erfahrung behauptet wird, ohne diesen „Beitrag“ seien sie nicht zu finanzieren.

Es ist daher, meiner unmaßgeblichen Meinung nach, auch nicht unbedingt unsere moralische Pflicht oder Aufgabe, sie pfleglich zu behandeln.

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