Kritik an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit „vorsorglicher Demonstrationsverbote“

Am 31.1.2022 hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag abgelehnt, mit dem ein „präventives Demonstrationsverbot“ der Stadt Freiburg gekippt werden sollte. Juristischer Ausgangspunkt war das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 24.1.2022, das die Sachlage wie folgt beschreibt:

„Die Stadt Freiburg hatte mit der genannten Allgemeinverfügung „alle mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf der Gemarkung der Stadt Freiburg i. Br. unabhängig vom Wochentag und unabhängig davon, ob einmalig oder wiederkehrend stattfindend“ untersagt, diesbezüglich die sofortige Vollziehung angeordnet und bei Zuwiderhandlung unmittelbaren Zwang angedroht.“

Wie schon geschrieben: Die Richter*innen des Bundesverfassungsgericht bestätigten die Haltung, dass ein solches Versammlungsverbot zulässig sei und verweisen dabei insbesondere auf die Erfahrungen, die mit den Antragstellern und den Akteuren aus der Bewegung der Corona-Maßnahmen-Kritiker und der Corona-Leugner rund um die als „Spaziergänge“ verklärten Versammlungen gesammelt worden sind (Originaltext siehe Randnummer 9 des Eilverfahrens-Beschlusses):

  • Es sei „naheliegend, dass die Nichtanmeldung der „Montagsspaziergänge“ offensichtlich den Zweck hätte, vorbeugende Auflagen zu umgehen und zu vermeiden, Verantwortliche und eine hinreichende Anzahl von Ordnern zu benennen, die dann für die Einhaltung zuvor erlassenen Auflagen“ zu sorgen hätten.
  • Man könne weiter „annehmen, dass diejenigen Personen, die zu solchen „Spaziergängen“ aufriefen oder daran teilzunehmen würden, überwiegend nicht dazu bereit seien, die dem Infektionsschutz dienenden Auflagen, wie insbesondere das Tragen von Masken oder das Einhalten von Abständen, zu beachten.“
  • Das alles beruhe auf Erfahrungen, die man in Freiburg zuvor mit den „Montagsspaziergängen“ gewonnen habe.

Das ist soweit nachvollziehbar. Doch davon unabhängig halten wir das Versammlungsverbot in seiner oben beschriebenen Form für zu pauschal und für zu unbestimmt und damit für unverhältnismäßig.

Zur Unbestimmtheit:

Das Verbot betrifft „alle mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen“. Das ist unbestimmt, weil das „Im-Zusammenhang-Stehen“ eine sehr weit reichende Auslegung durch die Versammlungs- und Polizeibehörden ermöglicht. So ist denkbar, dass diese Behörden mit Verweis auf diese Formulierung auch sämtlichen Gegenprotest, der sich – gut vorstellbar – viel eher als echte Spontanversammlung im Sinne des Brokdorf-Beschlusses erweist, darunter verstehen oder meinen verstehen zu dürfen und diese mit Verweis auf den Beschluss auflösen und ein Nichtbefolgen der Auflösung entsprechend verfolgen und ahnden.

Zur Pauschalität:

Es scheint der Verwaltung Freiburg wie auch der bisher bemühten Gerichtsbareit egal zu sein, ob sich an einer solchen Versammlung zwei oder zweitausend Menschen beteiligen. Das ist aber von Relevanz, wenn es um die Abwägung Versammlungsfreiheit und „Bevölkerungsschutz“ im Zuge der Pandemie-Bekämpfung geht. Das Versammlungsverbot der Freiburger Allgemeinverfügung sieht hier keine Differenzierungen und auch keine Ausnahmetatbestände vor, es ist pauschal, um nicht von „total“ zu sprechen. Einer der konkreten Situation angemessenen Anforderung zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Versammlungsverbots wird die Regelung nicht gerecht.

Mit der – aus unserer Sicht – so beschriebenen Grobheit der richterlichen Urteilssprüche besteht die Gefahr, dass sich der vorgestrige Beschluss des Eilverfahrens zu einem Knüppel in der Hand der Polizeibehörden entwickelt, der Spontanversammlungen – möglicherweise über alle Corona-Themen hinaus! – erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen könnte.

Die Entscheidung aus Karlsruhe fällen die Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts einer Entscheidung zur Hauptsache (irgendwann) vorbehaltlich. Daszu heißt es in der Randnummer 7 des Beschlusses:

„Ob es mit Bedeutung und Tragweite des Art. 8 GG unter bestimmten Voraussetzungen vereinbar sein kann, präventiv ein Versammlungsverbot durch Allgemeinverfügung für eine prinzipiell unbestimmte Vielzahl von Versammlungen im Stadtgebiet zu erlassen, die mit Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ im Zusammenhang stehen, ist eine verfassungsrechtlich offene Frage, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.“

Das Problem dabei: Das Hauptsacheverfahren mag in weiter zeitlicher Ferne liegen (siehe Beispiel Hannover). Alle bis dahin verfügten Demonstrationsverbote lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Die Verwehrung der Versammlungsfreiheit und ihr Schaden sind irreparabel.

Und doch tragen auch diejenigen, die bislang unter Nichtbeachtung bzw. Nicht-Respektierung der Schutzmaßnahmen die – wenn auch untragbare – Allgemeinverfügung in Freiburg begründet haben, eine Mitverantwortung, boten sie den Behörden und der Gerichtsbarkeit mit ihrem intoleranten und unsolidarischen Verhalten eine Steilvorlage, die nun entsprechend ausgenutzt wurde.

Alle Akteure zusammen haben der Versammlungsfreiheit und -praxis in ganz Deutschland und über die Corona-Thematik weit hinaus einen Bärendienst erwiesen.

Dieser jüngste Beschluss aus Karlsruhe stellt einen weiteren Meilenstein in der Corona-Geschichte der Verwässerung des Versammlungsgrundrechts dar. Clemens Arzt hat diese junge Entwicklung in seinem lesenswerten Beitrag „Versammlungsfreiheit unter Druck – Verwaltungsgerichtlicher Schutz des Art. 8 GG in der Corona-Pandemie“ vom 12.1.2022 aufgearbeitet und fasst sie wie folgt treffend zusammen:

„Die durch Art. 8 GG garantierte Versammlungsfreiheit steht in Deutschland seit Beginn der Pandemie unter erheblichem Druck. Versammlungsbehörden und Polizei haben neue Maßstäbe für Beschränkungen des Grundrechts entwickelt, die in anderen gesellschaftlichen Krisen aus dem Baukasten geholt und erneut angewandt werden könnten. Die Exekutive schuf sich durch Verordnungen und Allgemeinverfügungen rechtliche Instrumente, um Versammlungen grundsätzlich und nicht nur im Einzelfall zu verbieten. Das über Jahrzehnte gefestigte Prinzip der Versammlungsfreundlichkeit wurde durch vielfältige Akte der Verwaltung beseitigt und über Monate hinweg die Versammlungsfreiheit – entgegen dem verfassungsrechtlich geforderten Grundsatz „in dubio pro libertate“ – durch Totalverbote oder einen im Versammlungsrecht nicht vorgesehenen Erlaubnisvorbehalt suspendiert. Dies alles ohne verfassungsmäßige und parlamentarisch abgesicherte Rechtsgrundlage. Die Verwaltungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht brauchten Wochen und Monate, um sich in der Pandemie ihrer Rolle zu vergegenwärtigen und stellten insbesondere zu Beginn der Pandemie die staatliche Schutzpflicht für die Gesundheit fast ausnahmslos über die Versammlungsfreiheit. Wie die Exekutive hier durch selbst geschaffenes materielles Gesetz die Versammlungsfreiheit zum Teil vollständig ausgehebelt oder einem Genehmigungserfordernis unterworfen hat, steht der Wesensgehaltsgarantie und dem grundrechtlichen Anspruch auf Erlaubnisfreiheit im Versammlungsrecht diametral entgegen.“

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