Niedersachsen weichgespült: Aus „Studie zu Rechtsextremismus in der Polizei“ wird „Studie zur Polizeipraxis zwischen staatlichem Auftrag und öffentlicher Kritik“

Auf dem Höhepunkt der medialen Berichterstattung über Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei verkündete der niedersächsische Innenminister Pistorius (SPD) im Oktober 2020 eine „Studie zu Rechtsextremismus in der Polizei in Niedersachsen recht schnell“ in Gang bringen zu wollen.

Auf Nachfrage von uns dazu wurde uns nun mitgeteilt, dass „das Institut für Kriminalitäts- und Sicherheitsforschung an der Polizeiakademie Niedersachsen am 15.11.2020 mit der Studie „Polizeipraxis zwischen staatlichem Auftrag und öffentlicher Kritik““ begonnen habe.

Die thematisch markante Umwidmung der Studie wird nicht nur im Namen deutlich, sondern auch am Inhalt der von der Polizeiakademie selber betriebenen Untersuchung:

„Gegenstand der Studie ist die Polizeipraxis in Niedersachsen. Es werden die Herausforderungen alltäglicher Polizeiarbeit, die praktischen Bewältigungsformen und schließlich die daraus entstehenden Risikokonstellationen für – rechtlich und moralisch – problematische und gesellschaftlich unerwünschte Wirkungen polizeilichen Handelns untersucht.“

Die Studie soll ca. 2,5 Jahre dauern.

Interessant nebenbei: Soll das o.g. Institut die Studie doch angeblich schon am 15.11.2020 begonnen haben, wurde das Institut selber erst zum 1.1.2021 gegründet

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Presseinformation des Flüchtlingsrats Niedersachsen: Nächtliche Sammelabschiebung von Hannover nach Afghanistan

[Aufgrund der außerordentlichen Unmenschlichkeit und Schändlichkeit des Vorgangs unter dem niedersächsischen Innenminister Pistorius (SPD) geben wir hier die Presseinformation des Flüchtlingsrats Niedersachsen vom 10.3.2021 wieder. Weitere Hintergründe zur Sache finden sich auf der Seite des Flüchtlingsrats.]

Nächtliche Sammelabschiebung von Hannover nach Afghanistan

Presseinformation, 10. März 2021

Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert sofortigen Abschiebungsstopp

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert die gestrige nächtliche Sammelabschiebung von 26 Menschen nach Afghanistan auf das Schärfste. Für diese insgesamt 37. Sammelabschiebung nach Kabul wurde erstmals der Flughafen Hannover-Langenhagen genutzt.

Sebastian Rose, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:

„Mitten in der Nacht auf einem menschenleeren Flughafen. So schieben Bundesregierung und willfährige Bundesländer weiter nach Afghanistan ab – einem der gefährlichsten Länder der Welt, in dem seit vielen Jahren Krieg und Terror herrschen. Mit der Bereitstellung des Flughafens Hannover-Langenhagen macht sich die niedersächsische Landesregierung zum Erfüllungsgehilfen einer zynischen und menschenverachtenden Politik, und das in der größten Gesundheitskrise dieser Generation!“

Auch Niedersachsen war – nun zum wiederholten Mal – selbst an dieser Sammelabschiebung nach Afghanistan beteiligt und hat mindestens eine Person abgeschoben. Mit der ersten Sammelabschiebung ab Hannover schürt die Landesregierung die ohnehin weit verbreiteten Ängste in der afghanischen Community Niedersachsens. Es entsteht nämlich zunehmend der Eindruck, dass Niedersachsen der harten Haltung anderer Bundesländer wie Bayern oder Sachsen folgt und immer mehr Menschen abschiebt.

Wie schon bei vorherigen Sammelabschiebungen wurden auch jetzt wieder einzelne Abschiebungen erst in letzter Minute von Gerichten gestoppt. So sollte ein homosexueller Mann aus Bayern nach Hannover zur Abschiebung gebracht werden.

Das Flughafengelände und der Flughafen Hannover selbst waren gestern Abend menschenleer und verlassen: ein ideales Szenario für eine geheim gehaltene Abschiebung. Einzig Mannschaftswagen der Bundespolizei waren zu sehen.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert die niedersächsische Landesregierung auf, sich nicht länger an Abschiebungen nach Afghanistan zu beteiligen und auch keine niedersächsischen Flughäfen für solche Abschiebungen zur Verfügung stellen.

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Polizei Göttingen: Von der aus unserer Sicht missglückten polizeilichen Aufarbeitung rechtswidriger, ja fast heimlicher Aufzeichnung einer friedlichen Demonstration durch einen Polizisten. Und erneut: Risiken und Intransparenzen im Zusammenhang mit dem niedersächsischen Polizei-Messenger NIMes.

12.9.2020, Hannover: Ein Polizist aus Göttingen filmt mit einem Smartphone (rechtswidrigerweise) eine friedliche Demonstration. (Video dazu.)

Am 12.9.2020 berichteten wir über die am gleichen Tag in Hannover stattgefundenen Demonstrationen und über in diesem Zusammenhang auffällige, unserer Beurteilung nach rechtswidrige Videoüberwachung der Versammlungen durch die Polizei.

Hervorstechend dabei eine Beobachtung, bei der ein einzeln stehender Polizist in Uniform eine der Demos mit einem Smartphone filmte und auf direkte Ansprache dazu mit uns merkwürdig erscheinenden Begründungen und Ausreden sich zu rechtfertigen versuchte.

Unter anderem tauchte in diesem Zusammenhang – für uns als Redaktion neu – die Existenz und der fragwürdige Betrieb des von der Polizei Niedersachsen von einem lokalen Unternehmen geleasten „Niedersachsen-Messengers (NIMes)“ auf – ein interner digitaler und Ende-zu-Ende verschlüsslter Chat-, Channel- und Kommunikationsraum, exklusiv nutzbar für Polizist*innen, ja sogar (und in übergroßer Mehrzahl) auf deren privaten Smartphones. Dass dieses nicht nur unlösbare Sicherheitsprobleme mit sich bringt sondern die Unkontrollierbarkeit der Nutzung des „police social network“ die Gefahr des Missbrauchs durch (rechts)extreme Teilgruppen der Polizeibehörde mit sich bringt, darüber hatten wir jüngst ausführlich berichtet. Dass die Polizei die mit dem lokalen die Medien beherrschenden Madsack-Konzern verquickte Betreiberfirma der App zudem noch unter der Hand werbefinanziert ist da nur noch eine Randnotiz.

Doch zurück zum Fall des mittels Smartphone die Demonstrant*innen filmenden Polizisten, der – so ergab eine erste Nachfrage – aus Göttingen stammte.

Nach einigen Monaten haben die internen Ermittlungen der polizeilichen Disziplinarbehörde zu diesem Vorgang nun einen Abschluss gefunden. Auf mehrfaches Nachfragen und Nachhaken hin ergibt sich folgendes an Fakten:

  • Ja, der Polizist hat rechtswidrig gehandelt: „Eine Dienstpflichtverletzung konnte festgestellt werden. Eine interne Aufarbeitung hat stattgefunden.“
  • „Interne Aufarbeitung“ bedeutet im Detail folgendes: „Die Vorkommnisse wurden mit dem betreffenden Polizeibeamten erörtert.“ Das klingt nach nicht mehr als einem Gespräch des Beamten mit seinem Vorgesetzten.
  • Das verwendete Smartphone sei sein eigenes, privates Gerät gewesen, so die Polizeidirektion Göttingen uns gegenüber. (Das hat die Polizei allerdings erst auf insistierendes Nachfragen hin beauskunftet.)
  • Zur Frage, ob der Polizist auf seinem Smartphone, mit dem er die Demo gefilmt hat, die NIMes-App installiert hat oder nicht, heißt es: „Ob die NIMes-App auf dem privaten Endgerät installiert ist, kann unsererseits nicht beantwortet werden.“ Das empfinden wir schon als sehr bedenklich, dass die Polizeidirektion Göttingen keine Informationen, keinen Überblick darüber besitzt, welche*r ihrer Beamt*innen auf ihren privaten Smartphones die (für die Polizei nicht kostenlose!) NIMes-App installiert hat.
  • Und zur weiteren Frage, ob es im Zuge der Demonstrationen vom 12.9.2020 zur Übertragung von Bildern, Videos oder Audios via NIMes gekommen ist: „Eine Datenversendung im Zusammenhang mit den Versammlungen am 12. September 2020 über NIMes hat nicht stattgefunden.“ Das ist nun eine hanebüchende und haltlose Behauptung, denn wie das Nds. Innenministerium im anderen Zusammenhang bestätigt hat besitzt die Polizei keinerlei Kontrolle, ja noch nicht einmal eine Ahnung darüber, wer was über die NIMes-Channels und -Chats kommuniziert oder versendet.
  • Nach Angaben der Polizei Göttingen war „der betreffende Polizeibeamte nicht allein sondern in seiner Einheit unter anderem zur Gewährleistung des störungsfreien Verlaufs der Versammlungen eingesetzt.“ Nicht aufklären kann die Polizei den Umstand, dass der Beamte dieser Behauptung zuwider vor Ort alleine unterwegs bzw. am Filmen war. Bei der Demobeobachtung waren keine Kolleg*innen zu sehen, die dem Beamten zugehörig waren oder denen er sich nach Beendigung des Gespräches vor Ort zuwandte oder zustrebte.

Fazit

Die Aufarbeitung des im Rahmen unserer Demonstrationsbeobachtung auffällig gewordenen versammlungsfilmenden Polizisten erfolgte aus unserer Sicht völlig unzureichend, wenn ein Gespräch mit dem Vorgesetzten das Ergebnis eines Disziplinarverfahrens sein soll.

Immerhin hat der Beamte während seiner Arbeit, in voller Polizeimontur mittels privaten Smartphones Videoaufzeichnungen einer friedlichen Versammlung angefertigt und diese – so seine eigene, unbestätigte Behauptung – an seine Frau daheim gesendet. Selbst wenn diese Aussage so weit richtig sein sollte erklärt das nicht sein Verhalten und ist nicht nur ein Missbrauch des Arbeitsverhältnisses sondern ein schwerer Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit der potentiellen Folge gewichtigen Vertrauensverlusts in die Polizeibehörden.

Und daraus folgte eben nicht mehr als eine „Erörterung“?

Weiter zeigt sich an diesem Vorfall, wie riskant und unbeherrschbar die Nutzung der NIMes-App an sich und vor allem auf privaten Smartphones der Polizeikräfte ist. Dem Missbrauch sind Tür und Tor geöffnet. Unzulässige Datentransfers in den Polizeiapparat rein oder Datenflüsse raus aus der Polizeiinterne können nicht kontrolliert, geschweige denn aufgedeckt und geahndet werden. Dazu kommt: Es ist von außen für Bürgerinnen und Bürger nicht ersichtlich, ob ein Polizist mit einem Dienst-Smartphone oder seinem privaten Smartphones hantiert. Und weiter: Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass das private Smartphone niedersächsischer Polizisten und Polizistinnen mit einer behördlichen NIMes-App ausgestattet ist und somit auch jenseits der Dienstzeit zum Daten- und Informationssender und -empfänger werden kann. Von all den anderen Kritikpunkten am NIMes-Konstrukt ganz zu schweigen …

Schließlich bleibt ein ungutes Gefühl bei der ungeklärten Frage, welche polizeiliche Aufgabe der beobachtete (und beobachtende) Polizeibeamte im Zuge der Demonstrationen eigentlich hatte. Ganz offensichtlich alleine und ohne Partner*in agierend, was nach Aussage der Polizeidirektion Göttingen eigentlich nicht sein kann. Im Gespräch vor Ort zudem alles andere als unbescholten oder uninformiert daherkommend, verwendete der Polizist doch Begriffe wie „Übersichtsaufnahmen, die keine Identifizierung von Personen zulassen würden“ wie selbstverständlich. Die Polizei hat uns gegenüber nichts beigetragen, diese Frage zu klären oder hierzu mehr Transparenz zu bieten.

Vertrauensbildende Maßnahmen gehen anders!

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IN EIGENER SACHE UND WICHTIG: Neue freiheitsfoo-Mailingliste

Ab heute gibt es eine neue Mailingliste (ML) für das freiheitsfoo. Die „alte“ Mailingliste ist leider „gestorben“ und wird nicht mehr verwendet, kann auch gar nicht mehr benutzt werden.

Alle, die beim freiheitsfoo via Mailingliste (weiter oder neu) mitmachen möchten müssen sich leider neu einmalig bei der neuen ML anmelden.

Wie das geht, findet ihr auf unserer Seite zur Mailingliste beschrieben.

Oder in kurz: Einfach eine E-Mail an die im Bild angegebene Mailadresse senden, die Rückmeldung bestätigen und fertig.

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JCDecaux, Ströer und Co. – Vom kommunal verhökerten und polizeilich verteidigten Recht zum Schreibzugriff auf unsere Gedanken. Oder: Von der Verschmutzung des schönen Lebens durch Werbekonzerne und deren Zwangsglotzen

[Ein Wutschrei Gastbeitrag]

Gegen die Vereinnahmung der Städte durch JCDecaux und Co. – gegen aggressive Außenwerbeanlagen

„Konsumenten sind wie Kakerlaken – du besprühst sie und besprühst sie und nach einer Weile werden sie immun“ [0]

Wer kennt sie nicht …

Die Ströer-Allee, nein, pardon: die Georgstraße in der Innenstadt von Hannover.

… trotzdem wird erstaunlich wenig darüber geredet.

Hier die Sicht eines (empfindlichen) Betroffenen, der lange Zeit hatte, über etwas nachzudenken, das in zu vielen Städten seit zu vielen Jahren passiert:

Der nachfolgende Text enthält einiges an aufgestauter Verbitterung. Ich hoffe, es ist auch etwas Sinnvolles darunter. Ich kann es nach der jahrelangen Dauerzermürbung bei jedem Schritt nach draußen nicht mehr 100% garantieren. Aber es muss einfach mal raus.

Mit diesem Artikel (oder Pamphlet) wende ich mich in erster Linie an alle, die von dem Problem ebenfalls betroffen sind und die extreme Außenwerbung in Städten nicht länger hinnehmen wollen. Ich möchte die Frage nach der Legitimität aufwerfen – sowohl die des Betreibens von Werbeanlagen in dieser Form als auch die subversiver Aktionen – und auch meine eigene Meinung dazu kundtun und erläutern. Ich möchte ein Schlaglicht auf einige Aspekte werfen, die ich an dem System JCDecaux* besonders problematisch finde. Ich möchte Betroffene anregen, sich zu organisieren und dagegenzustellen, so wie es in Frankreich schon sehr viel stärker geschieht [14, 15].

(* möglicherweise Branchenprimus, in meiner Stadt besonders stark vertreten, „kann gut mit Entscheidern“, daher stellvertretend als Namensgeber gewählt)

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Der Messengerdienst „NIMes“ der niedersächsischen Polizei – eine über die Datenschutzbedenken der LfD Niedersachsen hinausgehende Kritik: Hohes Missbrauchspotential durch rechte Gruppen und Strömungen in der Polizei durch Unkontrollierbarkeit privater Verbreitung und der Nutzung der Polizei-App

12.9.2020, Hannover: Ein Polizist aus Göttingen filmt mit einem Smartphone (rechtswidrigerweise) eine friedliche Demonstration.

Ein paar Schlagzeilen aus jüngerer Zeit (eine fast beliebige Auswahl von noch viel mehr!):

19.9.2020: Mecklenburg-Vorpommern – Polizisten wegen rechtsextremer Chats suspendiert

29.10.2020: Hessen – 77 Verfahren nach rechtsradikalen Verdachtsfällen bei der Polizei

2.12.2020: Rechte in Polizei und Sicherheitsbehörden – Die dunkle Macht der Chats

14.12.2020: Nun mehr als 200 Verdachtsfälle – NRW-Skandal um rechtsextreme Polizisten-Chats weitet sich aus

29.12.2020: Rechtsextreme Chats? Erneut Durchsuchungen bei Polizisten [Osnabrück, Niedersachsen]

2.1.2021: Verdacht auf rechtsextreme Aussagen – Fast 50 Disziplinarverfahren bei Berliner Polizei

5.1.2021: Polizei mahnt Kollegen: Vorsicht bei privaten Chats

Aber unverständlicher- und verstörenderweise auch:

9.2.2021: Rechtsextreme Chats bei Polizei? Straf-Ermittlungen gestoppt [Osnabrück, Niedersachsen]

„Einzelfälle“?

Nach monate- bis jahrelanger Auseinandersetzung titelte die Niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte (LfD) in einer Pressemitteilung gestern nun (Hervorhebungen durch uns):

LfD Niedersachsen beanstandet Polizei-Messenger NIMes wegen Einsatz auf privaten Geräten

Die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen hat gegenüber dem Niedersächsischen Innenministerium eine Beanstandung des polizeilichen Messengers NIMes ausgesprochen. Die LfD bemängelt vor allem, dass der Messenger auf privaten mobilen Endgeräten der Polizistinnen und Polizisten betrieben wird. Dieser Ansatz des „Bring your own device“ (BYOD) bringt Risiken und Gefährdungen mit sich, denen die Polizei bislang nur mit unzureichenden Sicherungsmaßnahmen begegnet. (…) „Durch den BYOD-Ansatz ist im laufenden Betrieb eine unüberschaubare Kombination von verschiedenen Geräten, Betriebssystemen, sonstiger Software und Konfigurationen im Einsatz“, kritisiert Barbara Thiel. „Gleichzeitig ist der jeweilige Anwender dafür verantwortlich, sein privates Endgerät vor Schadprogrammen zu schützen. Das wird dem Schutzbedarf der bedrohten Daten in keiner Weise gerecht.“ Die Übertragung von Text-, Bild-, Ton- und Standortdaten kann theoretisch jederzeit durch Schadsoftware angegriffen werden, ohne dass Dienstherr oder Anwender es bemerken. Ein privates Endgerät mit NIMes ist so vom Grundsatz nicht wesentlich besser geschützt als jedes herkömmliche Smartphone mit halbwegs aktuellem Betriebssystem. Zwar führt die Polizei bei NIMes-Anwendern anlasslose Kontrollen durch, doch auch diese helfen durch das BYOD-Prinzip nicht weiter, da private Geräte explizit davon ausgenommen sind. (…) Verbieten kann die LfD Niedersachsen der Polizei den Einsatz von NIMes auf privaten mobilen Endgeräten nicht, da ihr dafür die nötigen Befugnisse fehlen. Zur nun ausgesprochenen Beanstandung ist das Innenministerium gemäß der gesetzlichen Vorgabe zur Stellungnahme aufgefordert worden.

Das ist eine inhaltlich sehr beschränkte und aus unserer Sicht eingeengte Kritik. Dem haben wir noch einiges an brisanten Bedenken hinzuzufügen, hatten dazu Ende 2020 recherchiert und nachgefragt.

Aufgrund der Aktualität hier nun die zusätzliche Kritik am NIMes-Projekt stichpunkthaft und in aller Kürze:

  • „NIMes“ ist ein Messenger-Dienst, der von dem Unternehmen „stashcat GmbH“ programmiert und vertrieben wird. Diese gehört zur „heinekingmedia GmbH“ und die wiederrum zum Madsack-Konzern, der organisatorisch und personell vielfach mit der Landeshauptstadt Hannover und dem Land Niedersachsen und seiner Landespolitik verquickt und verstrickt ist. Jenseits des „BILD“-Blättchens betreibt Madsack u.a. ein Zeitungsmonopol für Hannover (Hannoversche Allgemeine Zeitung und Neue Presse) und beweist sich in diesem Zusammenhang des öfteren als unkritischer Polizeiticker-Wiederkäuer.
  • „Stashcat“ hat ein „hübsches“ Werbevideo für seine Polizei-Anwendung produziert. Tatkräftig unterstützt von der Polizei Niedersachsen. So erfolgten die Dreharbeiten am 23.1.2019 auf dem Gelände der Zentralen Polizeidirektion an der Tannenbergallee in Hannover, auch wirkten einige Polizist*innen in dem Film als Darsteller mit. Hochrangige Polizisten und der CDU-Innenpolitiker und Landtagsabgeordnete Adasch stellten sich als wohlwollend äußernde „Experten“ zur Verfügung. Und das alles für lau: „Die Firma stashcat GmbH stellte für alle Beteiligten Snacks und Getränke bereit. Darüber hinaus wurden der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen Nutzungsrechte an dem Video (zur internen Verwendung) eingeräumt.“ Oh, wie nett! Das könnte man auch als Subvention durch die Hintertür bewerten.
  • Es gibt eine Reihe an Sicherheitsmeldungen zu stashcat/NIMes. Stashcat bewertet dies durchweg als „unkritisch“. Andere IT-Kundige sehen das ganz anders. Darauf angesprochen reagiert das Nds. Innenministerium ausweichend bzw. will keine eigene Stellungnahme abgeben. Das ist selbstkommentierend.
  • Auf NIMes sind wir übrigens überhaupt erst aufmerksam geworden, als wir einen Polizeibeamten aus Göttingen am 12.9.2020 dabei erwischt haben, wie dieser rechtswidrigerweise während seiner Arbeit mit einem Smartphone Aufzeichnungen von einer friedlich verlaufenden Demonstration angefertigt hat (Video). Bald tauchte die Frage auf, ob es sich dabei tatsächlich um sein eigenes oder um ein Polizei-Smartphone handelte und ob er möglicherweise in diesem Kontext die NIMes-App verwendet hat. Die Antworten auf diese Vorgänge sind bis dato übrigens alle noch offen.
  • Die Polizei Niedersachsen betreibt derzeit ca. 470 Tablets und 1.630 Smartphones (Typ: Sony Xperia X Smartphones (Suzu) und Sony Z 3 Compact Tablets). Insgesamt sollen es mal 5.000 Devices werden. Die Polizei-Geräte lassen sich von außen nicht ohne weiteres als Polizeieigentum erkennen, es kann also von außen nicht unterschieden werden, ob ein*e Polizist*in ein eigenes oder ein Behörden-Smartphone in den Händen hält und nutzt.
  • Mit Stand September 2020 sind zehn Polizei-Smartphones und vier Polizei-Tablets abhanden gekommen. Erst nach Bekanntwerden und Meldung des Verlusts können die Geräte gegen den rechtswidrigen Zugriff auf Polizeidaten via NIMes gesperrt werden. Ein Detail, das noch viel mehr Aufmerksamkeit verdiente, worum es hier aber nicht gehen soll.
  • Aber: NIMes kann und darf (so jedenfalls die Meinung des Innenministeriums) auch auf den privaten Smartphones und Tablets der Polizisten und Polizistinnen per App betrieben und genutzt werden! Die NIMes-App ist nach Angaben des Innenministeriums auf rund 20.800 (!) privaten Geräten installiert – Stand 15.9.2020. Das ist eine gegenüber der ca. 2.100 Polizeigeräten enorm viel und darf als exessive Nutzung interpretiert werden.
  • Wer die Erlaubnis zur Einrichtung von NIMes auf seinem eigenen Smartphone erhalten hat kann auf bis zu zwei weiteren Geräten (hoffentlich eigenen!) diese App ebenfalls installieren!

So weit, so bedenklich. Doch es kommt noch schlimmer:

  • Mit NIMes kann man Textnachrichten, Fotos und Videos teilen.
  • Es können „Channels“ eingerichtet werden – und das von jede*m, die/der die NIMes-App auf seinem Gerät installiert hat!
  • Derzeit gibt es ca. 5.000 (!) Channels innerhalb von NIMes.
  • Die Channels sind unmoderiert, sie werden auch nicht von polizeiinternen Instanzen kontrolliert, ja es gibt noch nicht einmal die technische Möglichkeit dazu!
  • Auf die Frage, wie dann gesichert werden kann, dass die Channels nur zu dienstlichen Zwecken genutzt werden heißt es ziemlich lapidar und wirkarm: „Dies wird organisatorisch im Rahmen der Akzeptanz der Benutzervereinbarung durch die Nutzenden sichergestellt.“ Freiwillige Selbstkontrolle also.
  • Über den Inhalt, geschweige denn dem Wortlaut der dazugehörigen Dienstvereinbarung hüllt man sich trotz Nachhakens in Schweigen. Als Begründung für die Geheimhaltung schiebt man das „Personalvertretungsgesetz“ vor.
  • Auch die Datenschutzfolgeabschätzung will man noch nicht einmal teilgeschwärzt öffentlich werden lassen.
  • Neben „Channels“ erlaubt NIMes auch die Einrichtung eigener (dienstlicher, technisch möglich aber auch privater!) Chats. Auch die Einrichtung eines solchen geschlossenen Chats ist durch jede*n Nutzer*in möglich. Und auch hier: „Chats als auch Channel können nur durch die jeweiligen Teilnehmer eingesehen werden.“ Und schlimmer noch: „Die Anzahl der bestehenden Chats ist nicht auswertbar.“

Unser Fazit:

Mit NIMes hat die Polizei Niedersachsen ein digitales Kommunikationsmittel bereitgestellt (und bezahlt dafür schätzungsweise rund 80.000 Euro pro Monat alleine nur an laufender Software-Nutzungsgebühr!), über dessen Nutzung (oder Missbrauch) es die Kontrolle verloren hat, ja niemals Kontrolle hatte.

Die Sorge, dass dieses von staatlicher Seite alimentierte und geschützte und in Zusammenarbeit mit verstrickter Privatwirtschaft betriebene Kommunikationswesen für beispielsweise rechte Gruppen (hoffentlich: Splittergruppen) innerhalb der Polizeibehörden für eigene Zwecke missbraucht wird, ist groß.

Das wirft jenseits der berechtigten datenschutz-juristisch begründeten Kritik der LfD Niedersachsen viele Fragen auf, die eine weitere Nutzung von NIMes nicht nur unzulässig, sondern unerträglich werden lässt.

Wer wie das Innenministerium auf fachliche Fragen rund um IT-Sicherheitsfragen naiv und blauäugig meint antworten zu können und zudem die Risiken des Missbrauchs dieser digitalen Werkzeuge ganz auszublenden vermag, dem sollte man dieses Instrument besser aus der Hand nehmen!

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In eigener Sache: freiheitsfoo-Mailingliste ist aktuell „außer Betrieb“ – „Reparatur“ oder Ersatz ist in Arbeit.

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Im Gefahrenrausch

[Ein Gastbeitrag eines Menschen aus der Polizei.]

1947 noch kein Problem: Schlittschuhlaufen ohne vorherige polizeiliche Erlaubniserteilung. Offensichtlich angstfrei. (Bild 183-2005-0825-510 des Bundesarchivs, CC-BY-SA 3.0)

Es war mal wieder so weit: Der Winter zeigte sich von der eher extremeren Seite, es wurde („bitter“) kalt und zwar gleich so sehr, dass die Wasserflächen von Seen und Tümpeln gefroren. Schon sind sie da, die Schlagzeilen und Warnungen vor dem Betreten der Eisflächen. Selbstverständlich verbunden mit den allerschönsten Schreckensszenarien, die dem Einbrechen ins Eis folgen können. Schon Wilhelm Busch hat sich in seiner Geschichte „Der Eispeter“ der damit offenbar verbundenen Urängste in Wort und Bild eindrucksvoll angenommen. Alle Warnungen schlägt er aus, der Eispeter. Mit bloßer Unvernunft schnallt er sich die Schlittschuhe unter, um Spaß auf dem Eis zu haben. Prompt und wie im Grunde gar nicht anders zu erwarten, bricht er ein und kann von den unerschrockenen, sich selbst den enormen Gefahren der Natur aussetzenden Helfern nur noch als Eiszapfen geborgen werden. Schreckliches Leid bringt er mit seinem Hedonismus über die Familie, denn nach dem Auftauen am heimischen Ofen bleibt nichts übrig vom Eispeter als ein dampfender Brei, der mit der Suppenkelle aufgenommen, in einen Topf gefüllt gut eingemacht zur Mahnung und Warnung nur noch im Vorratsschrank beim Käse und bei Gurken zu verwahren ist. Praktisch in direkter Linie vom Eispeter setzt dann auch die hannoversche Neue Presse an und titelt am Montag danach für die Region Hannover im Brustton der Entrüstung „Trotz Verbot: Alle heiß auf Eis“. Im Text ist von der lieben (und in diesem Fall vergeblichen) Mühe der Polizei zu lesen, „die Menschen vom Eis zu holen“.

Wie steht es eigentlich heutzutage um unseren medial inszenierten Gefahrenfokus im Verhältnis zur Realität am Ende des Tages, könnte man doch nun ex post einmal fragen. Und dann könnte man natürlich exemplarisch auch fragen, woher die Polizei die Auffassung nimmt, auf der Grundlage medialer Panikmache eine Art Selbstermächtigung zur selektiven Gefahrenabwehr zu haben – denn mögliche Gefahren von Freizeitbetätigungen sind nun nicht nur auf dem Eis bekannt, sondern ganz im Gegenteil auch ohne die Einmischung und ein Zutun der Polizei ebenso gegeben wie vorstellbar. Klar: Die Behörden warnten einmal mehr, die Eisflächen seien nicht tragfähig und „mit dreizehn Zentimetern zeigte sich das Eis auf dem Maschsee noch weit entfernt von einer behördlichen Freigabe“. Das kann einer Behörde Grund genug für Gefahrenhinweise sein, um möglicherweise massenhaft auftretender Unvernunft und in deren Folge ebenso massenhaft auftretenden Einbrüchen ins Eis mit einer dann zu besorgenden Überforderung der Rettungsdienste – ja am Ende am Beispiel vom Eispeter der massenhaften Verflüssigung von Eingefrorenen zu Brei von vornherein wirksam entgegenzutreten. Aber ein generelles „Verbot“ (den Maschsee mal ausgenommen) eine öffentliche Wasserfläche zu betreten, so sie denn zugefroren ist, gibt es gar nicht. Kann ein abstraktes Gefahrenkonstrukt also Grund genug dafür sein, dass die Polizei ihren Machtapparat aufrödelt, mit Lautsprecherdurchsagen um Gewässer dödelt und Weisungen erteilt, die Eisflächen unverzüglich zu verlassen? Am Ende gibt es offenbar nur deswegen keine durchgreifend problemlösenden Platzverweise (also konkrete weitreichende Eingriffe der Polizei in Grundrechte), weil angesichts der Menge an Menschen in frischer Luft und auf dem Eis deren Durchsetzung wohl nicht gelingen konnte.

Im allgegenwärtigen Gefahrenrausch werden die Grenzen zwischen abstrakter Gefahrenabwehr auf der einen Seite und unmittelbaren Eingriffen der Polizei in Grund- und Freiheitsrechte zur Abwehr vermeintlich konkreter Gefahren auf der anderen zunehmend außer Kraft gesetzt. Insoweit durften wir im Winterwunderland dieses Wochenendes einmal mehr erleben, wie Gefahrenprognosen im Einklang mit medial aufgeblasenen Horrorszenarien mit den gegebenen Realitäten am Ende des Tages gar nichts zu tun haben. An sich nicht so problematisch, würde die Polizei nicht zunehmend diese Schieflage in ihrem Sinne für vermeintlich unabweisbaren Handlungsbedarf reklamieren und die Politik dem entsprechend immer mehr und weitergehende Befugnisse, zusätzliches Personal, Aufrüstung und Bewaffnung der Polizei fordern und durchsetzen. Insoweit war das Winterwunderland dieses Wochenendes exemplarisch für den Stand der Dinge. Die Mechanismen der Detektion von Gefahren haben sich in nur wenigen Jahren grundlegend gewandelt. Der Bedeutungszuwachs des Sicherheitsgedankens ist enorm. Die „Gefahr“ selbst ist praktisch viral gegangen und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und doch trotzten am vergangenen Wochenende Tausende der vermeintlichen Lebensgefahr und gingen überall in der Region aufs Eis. Tatsächlich wird von massenhaften Einbrüchen ins Eis in der Region Hanover am vergangenen Wochenende nichts berichtet. Nicht ein einziger Eispeter ist offenbar konkret zu beklagen. Die Prognose möglicher Gefahren und die Realität fallen also zum wiederholten male diametral auseinander. Wo Menschen erste vorsichtige Schritte aufs Eis wagen und tatsächlich erleben, dass es trägt, verhallen offenbar die Warnungen trotz aller möglichen und gleichwohl denkbaren Gefahren schnell. Jedenfalls ist hier erneut bei der Betrachtung ex post gar kein Schaden im prognostizierten Rahmen eingetreten. Eigentlich Grund genug nicht nur zur formalen Rückschau, sondern vor allem ein Grund, die gegebene Realität in künftige Bewertungen der Gefahr maßgeblich einzubeziehen. Offensichtlich ist auch im Sinne wirksamer Gefahrenabwehr der Bedarf für ein allzeit polizeilich betreutes Leben nicht in dem Ausmaß gegeben und erforderlich, wie sich das die Polizei gern in ihre Bücher schreibt. Eigentlich ein schönes Lehrstück in Sachen doppelter Buchführung und eine Steilvorlage für mehr Mißtrauen gegenüber dem unablässigen Gefahrenrausch in den wir ebenso unablässig politisch/polizeilich/medial versetzt werden. Die Wirkung im betreffenden Rauschzustand stellt sich nämlich tatsächlich nicht in immer mehr Geretteten, sondern in immer weniger Freiheiten ein.

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Bundesverfassungsgericht will Verfassungsbeschwerde gegen „Section Control“ nicht behandeln – begründet das aber nicht.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) trieb und treibt das Pilotprojekt der „Section Control“-Durchschnittsgeschwindigkeits-Meßanlage voran und möchte diese gerne vielfach und bundesweit im Einsatz sehen. Bei diesem Konzept werden alle (sic!) die Straße befahrenden Fahrzeuge mittels automatisiertem KFZ-Kennzeichen-Scanner mindestens zwischenzeitlich erfasst und identifiziert, ja sogar zwei mal pro Abschnittskontroll-Anlage.

Gegen diese Methode, die trotz dürftigster Statistik von den Technikfetischisten als „effektiv“ bewertet und damit beworben wird, laufen zwei Gerichtsverfahren von durch die Pilotanlage betroffenen Autofahrern. Während die als zweites eingereichte Klage in die Warteschleife gelenkt wurde fand das erste Verfahren nun ein unbefriedigendes Ende:

Die im Oktober 2020 eingereichte und inhaltlich ordentlich erstellte Verfassungsbeschwerde (wir berichteten am 5.1.2021 darüber und veröffentlichten die Beschwerde im Volltext) wurde – wie jetzt erst bekannt wurde – gemäß Beschluss vom 11.1.2021 nicht zur Entscheidung angenommen.

Begründung: keine.

Damit setzen die Richter*innen aus Karlsruhe eine unrühmliche Mode fort, substantiierte und relevante Verfassungsbeschwerden ohne irgendeine Begründung nicht behandeln zu wollen. Die hier bereits einmal formulierte Kritik, wonach die Entscheidung des Gerichts über Annahme oder Nichtannahme möglicherweise damit zusammenhängen mag, ob eine Verfassungsbeschwerde Medienöffentlichkeit mit sich zieht oder nicht, sei hier im Ansatz wiederholt.

Die Realität ist also: Ein „Jedermann-Recht“ zur Einreichung einer Verfassungsbeschwerde ist nicht mit dem Jedermann-Recht auf inhaltliche Behandlung und Auseinandersetzung verbunden. Zumindest wird dieses nicht deutlich bzw. dem Bundesverfassungsgericht mangelt es an Transparenz und Offenheit, dieses inhaltlich zu kommunizieren.

Mehr Vertrauen in das Gericht und die Gerichtsbarkeit gedeiht dadurch nicht …

Ob das zweite Verfahren angesichts dieser Situation nun fortgeführt wird ist derzeit noch unentschieden.

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Schein und Sein – Von den Widersprüchlichkeiten polizeilichen Selbstverständnisses im Zuge des „Safer Internet Day“

Finde den Fehler – Screenshot des Internetauftritts der Polizeidirektion Hannover.

Seit 2008 gibt es den u.a. von der EU mit-initiierten „Safer Internet Day“. Auch die Polizeidirektion Hannover beteiligt sich an dem diesjährig am heutigen 9.2.2021 stattfindenden Aktionstag und beschreibt dessen Ziel wie folgt:

„Ziel dieses Tages ist es unter anderem, die Sensibilität für das Thema „Sicheres Internet“ zu fördern und Menschen aller Altersgruppen dazu zu bewegen, der Sicherheit im Internet mehr Aufmerksamkeit zu schenken.“

Nun – die Polizeidirektion könnte ihre Glaubwürdigkeit stärken, wenn Sie mit Blick auf ihre Vorbildfunktion voranschreiten würde und ihre Präsenz auf Facebook, Twitter und Instagram endlich aufgeben würde.

Das würde auch gut zu dem Schwerpunktthema des Jahres 2021 passen, denn das lautet:

„Wem glaube ich? Meinungsbildung zwischen Fakt und Fake“

Denn dass die Polizeien ihre Facebook-Profile zuweilen rechtswidrig genutzt haben oder ihre Twitter-Accounts auch mal zur umstrittenen Verbreitung von Unwahrheiten und Unterstellungen (neudeutsch: „Fake News“) missbraucht haben, das ist nichts neues.

Dass aber auch die Forderung zur bewussten Entziehung der Unterstützung von Facebook und Co. keine spinnerte Meinung ist belegt der folgende Auszug aus dem 25. Tätigkeitsbericht der Niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten 2019. Dort heißt es auszugsweise auf den Seiten 165 ff. (Hervorhebungen durch uns):

Fanpages – Landesregierung setzt EuGH-Urteil nicht um

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2018 zur gemeinsamen Verantwortlichkeit des Betreibers einer Fanpage und des Unternehmens Facebook war für den Datenschutz sehr wichtig. Allerdings führt selbst ein Urteil des EuGH offensichtlich nicht unmittelbar dazu, dass Verantwortliche in der Praxis Konsequenzen ziehen. (…)

Öffentliche Stellen haben Vorbildfunktion

Die Entscheidung des EuGH gilt gleichermaßen für öffentliche wie für nicht-öffentliche Stellen, die eine Fanpage bei Facebook betreiben. Allerdings vertrete ich die Auffassung, dass die öffentlichen Stellen in besonderer Weise an die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften gebunden sind. Sie haben eine Vertrauensstellung gegenüber der Gesellschaft zu erfüllen und sollten eine Vorbildfunktion ausüben.

Daher informierte ich zunächst mit Schreiben vom 21. Juni 2018 die Staatskanzlei und alle niedersächsischen Ministerien über die Entscheidung des EuGH. Das Schreiben enthielt die klare Aufforderung, bestehende Fanpages (unverzüglich) zu deaktivieren. Auf dieses Schreiben erhielt ich keine Reaktion. (…)

Landesregierung handelt bewusst datenschutzwidrig

Auf ein weiteres Schreiben an die betroffenen Stellen, das ich Ende Mai 2019 versandt habe, erhielt ich schließlich Anfang Juli 2019 eine schriftliche Stellungnahme der Staatskanzlei im Namen der gesamten Landesregierung. Darin wird bestätigt, dass das Unternehmen Facebook hinter den Vorgaben der DS-GVO zurückbleibt und weitere Maßnahmen zur Herstellung der Rechtskonformität notwendig seien.

Es sei dennoch in einer Gesamtabwägung zwischen dem Verstoß gegen die DS-GVO durch den Betrieb von Fanpages durch Teile der Landesregierung einerseits und der „Wahrnehmung des Informationsauftrags und der notwendigen Öffentlichkeitsarbeit in Zeiten der Politikverdrossenheit andererseits“ bewusst entschieden worden, die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram weiterhin zu nutzen. Zudem weist die Staatskanzlei darauf hin, dass es auch darum ginge, „den Bürgerinnen und Bürgern in Niedersachsen zu zeigen, dass Politikerinnen und Politiker ganz normale Menschen mit Schwächen und Stärken sind und mitunter auch mal schräge Dinge tun.“ Die Landesregierung handelt somit bewusst und gewollt datenschutzwidrig.

Der Abwägungsentscheidung der Staatskanzlei kann ich nicht zustimmen. Das Verhalten der Landesregierung bestätigt und festigt die Vormachtstellung des Unternehmens Facebook in seinem datenschutzwidrigen Geschäftsgebaren. Solange sich nicht einmal die staatlichen Stellen aus dem sozialen Netzwerk zurückziehen, wird kein Änderungsdruck auf das Unternehmen ausgeübt. Gerade diese müssen als Vorbild wirken, an dem sich u.a. Wirtschaftsunternehmen orientieren können.

Durchsetzung des EuGH-Urteils wird erschwert

Durch den fortgesetzten Betrieb der Fanpages der Landesregierung fühlen sich die Unternehmen unter Umständen darin bestätigt, ebenfalls nicht auf die Nutzung von Facebook zu verzichten. Letztlich verhält sich die Landesregierung nicht nur datenschutzwidrig, sondern bewirkt zudem, dass mir die Rechtsdurchsetzung der EuGH-Entscheidung auch im nicht-öffentlichen Bereich gegenüber Unternehmen, Handwerk, Freiberuflern und Vereinen erheblich erschwert wird. (…)

Bonmot zum Schluß:

Auf den Hinweisschildern der Polizei Hannover zu ihrer Videoüberwachung des öffentlichen Raums wird stets auf folgende URL verwiesen:

www.polizei-hannover.de

Wer versucht, mittels TOR-Browser diese Seite aufzurufen, scheitert. Auch das kein Zeichen dafür, dass es die Polizei Hannover ernst damit meint, „Medienkompetenz“ fördern zu wollen. Auch das ist immerhin ein öffentlich erklärtes Ziel des „Safer Internet Day“.

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