
Vor Sitzungsbeginn
Am 15.12.2017 fand im Innenausschuss des Nds. Landtags eine etwa einstündige Unterrichtung durch die Polizei über den Verlauf der Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag am 1./2.12.2017 in Hannover statt. Wir waren im öffentlichen Teil der Sitzung dabei, um diese zu protokollieren, weil der Nds. Landtag solcherlei Transparenzarbeit leider nicht leisten möchte.
Besonders hervorzuheben bleibt, dass die Unterrichtung und anschließende Fragerunde im Innenausschuss außerordentlich stark von der polizeilichen Sichtweise geprägt gewesen ist. Andere Stimmen seitens der Protestierenden, seitens der Polizeigewalt-Opfer oder seitens unabhängiger Demonstrationsbeobachter wurden nicht gehört, deren Aspekte kamen so gut wie gar nicht vor.
Dass die Demonstrationen „weitgehend“ friedlich verlaufen sind, schrieb der Innenausschuss alleinig der Polizei, nicht aber den eigentlich dafür verantwortlichenden Protestierenden zu. Eine Haltung mit starker Schräglage bzw. Einäugigkeit.
Seitens der Polizei gab es insgesamt lediglich zwei kleinmütige selbstkritische Anmerkungen:
Zum einen wurde (zurecht) kritisiert, dass ein NRW-Polizeiführer einem parlamentarischen Demonstrationsordner die Nennung seines Namens verweigert hat – etwas, was wir selber im Zuge unserer Demonstrationsbeobachtungen mehrfach erleben mussten. (Übrigens haben Polizeibeamte immer die Pflicht, auf direkte Ansprache hin ihren Namen oder eine zur Identifizierung taugliche Personalnummer mitzuteilen, sofern es die aktuelle Situation zulässt – das ist kein Sonderrecht, das nur Parlamentarier für sich in Anspruch nehmen dürfen!)

Symbolbild aus dem Nds. Landtag vom Tag der IA-Sitzung
Zum anderen teilte der Einsatzleiter der Polizei (und erst auf Nachfrage) hin mit, dass es nicht richtig gewesen sei, dass drei friedlich mittels Stahlpyramide Blockierende ohne Vorwarnung durch rund 10 Polizisten massiv angegangen worden sind und Ihnen Polizeigewalt angetan worden ist: „Einsatzleiter war ein Polizist der Polizeidirektion Hannover und der hat die Lage offenbar falsch erfasst.“ Mehr hatte die Polizei zu Ihrer Entschuldigung nicht zu sagen, obwohl diese Form von Blockaden nach eigenen Angaben im Ausschuss ausdrücklich als zulässig anerkannt worden sind.
Ebenso bemerkenswert in diesem Zusammenhang und auf Nachfrage, wer den doppelten offenen Beinbruch des einen Demonstrierenden zu verantworten habe: „Weder der Verletzte noch die Polizeibeamten können sich erinnern, wie das passiert ist.“ o_O
Neben der Tatsache, dass alle (!) Fraktionen des Landtags der Polizei ein „herzliches Dankeschön“ haben zukommen lassen und dieser einen „sehr besonnenen Einsatz“ meinten attestieren zu können (ohne in größter Mehrheit überhaupt selber die Vorgänge erlebt zu haben!) bleibt dem Zuhörer ein bitterer Geschmack nach Beendigung der Sitzung zurück, weil in der „Diskussion“ zum umstrittenen Einsatz der Blockadenräumung an der Kreuzung Gneisenaustraße/Schackstraße lediglich der Einsatz des Wasserwerfers (relativ breit) besprochen wurde, aber inhaltlich gar nicht, dass vor und nach dem WaWe-Einsatz brutale und völlig unverhältnismäßige Polizeigewalt angewendet wurde: Friedliche Protestierende wurden von der Polizei geschlagen, getreten und geprügelt. Das interessierte im Innenausschuss (außer einer zaghaften Nachfrage einer Grünen-Abgeordneten) niemand. Die faktische Ausblendung eines Teils der Demonstrations- und Polizeigewalt-Realität am 2.12.2017.
Auf die Frage, ob eine Räumung der Kreuzung überhaupt notwendig gewesen sei, kamen die Polizeivertreter aus unserer Sicht ein wenig ins Schwimmen: Zuerst begründete man dies zweierlei. Es ginge um die Ermöglichung des Zugangs für AfD-Bundesparteitag-Teilnehmer und außerdem um die Freihaltung von Flucht- und Rettungswegen.
Nachdem ein Grünen-Abgeordneter explizit darauf hingewiesen hat, dass die AfD-Parteitagsbesucher seitens der intensiven Unterstützung durch die Polizei sehr einfach und störungsfrei um die Blockade herum geführt worden sind, die Blockade also gar nicht „effektiv gewesen sei“, zog sich die Polizei auf die Begründung der Freihaltung der Schackstraße als Flucht-(?) und Rettungsweg zurück.
Nun aber machte die schon vorgenannte Grünen-Abgeordnete darauf aufmerksam, dass Ihrem eigenen Erlebnis zufolge allerdings die Clausewitz als Rettungsweg frei gewesen sei.
Daraufhin stellten die Polizeivertreter dann die Behauptung auf, dass das zu einem anderen Zeitpunkt gewesen sein müsste. Und daraufhin wagte niemand mehr im Innenausschuss mehr, weiter nachzufragen … oder wollte es lieber nicht so genau wissen, ob die brutale Räumung der Blockade tatsächlich verhältnismäßig gewesen ist oder nicht.

Solidaritätsbekundung in Hannover
Und ach ja: Das Wegtragen der Demonstranten sei ja übrigens (auf Nachfrage hin) keine Alternative gewesen. Dafür habe man nicht genügend Polizeibeamte gehabt. Wer die Situation vor Ort selber miterlebt hat, kann über diese Argumentation nur lachen.
Und zuletzt auch noch sehr bedrückend, dass keiner der anwesenden Parlamentierer*innen einen Blick für die versammlungsrechtlich heiklen bis unzulässigen, überbordenden, entwürdigenden und abschreckenden Personenkontrollen von anreisenden Demonstranten angesprochen oder kritisiert hat …
Die gesamte stichpunktartige Mitschrift der Sitzung von heute findet sich auf unserer Wiki-Seite zum Thema, aber auch nachfolgend aufgelistet:
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