Fragwürdiges Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover: Polizei darf ohne richterliche Genehmigung tagelang heimlich Jugendzentren überwachen und alle Besucher fotografieren

Heute verhandelte, wie (wenn auch im Detail falsch) angekündigt, das Verwaltungsgericht Hannover über die Frage, ob die heimliche Observation samt Aufnahme zahlreicher Fotos des Eingangsbereiches und des Innengeschehens im Unabhängigen Jugendzentrum in der Kornstraße Hannover („UJZ Korn„) zulässig war oder nicht.

Bei dem heutigen Termin handelte es sich um die zweite mündliche Verhandlung nach einer bereits am 14.6.2017 erfolgten Behandlung der Streitsache, in der zwei Personen aus dem UJZ Korn gegen die für die Observation verantwortliche Polizeidirektion Hannover Klage eingelegt hatten (Az. 10 A 4036/16 und 10 A 1242/17). Wir haben bei der heutigen Verhandlung dabei.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen:

Die fünfköpfige Richterschaft hielt es für das Beste, die Klage abzuweisen und noch nicht einmal die Berufung gegen diese Auffassung zuzulassen. Eine recht offensichtlich waghalsige und vermutlich in späterer Zeit vor höheren Instanzen zu korrigierende Entscheidung.

Warum?

Heimlich haben Polizeibeamte mindestens drei Tage lang (eventuell länger, das wird seitens der Polizei nicht verraten) aus einer gegenüber des UJZ Korn liegenden Wohnung den Eingangsbereich sowie ein Besprechungszimmer im Jugendzentrum observiert und zahlreiche Fotos von Menschen gemacht. Bekannt ist bislang nur, dass rund 200 Bildaufnahmen des Geschehens vor und in dem Jugendzentrum angefertigt und polizeilich archiviert worden sind. Auch die Frage, ob es eventuell noch mehr Bilder oder gar Videoüberwachungsaufzeichnungen gibt, bleibt ungeklärt, weil die Polizei hierzu keine Angaben machen möchte.

Für diese Überwachung gab es keine richterliche Anordnung. Aufgrund der polizeieigenen Auffassung, im Zuge des Gefahrenabwehrrechtes tätig gewesen zu sein, ist dieses formell auch nicht notwendig.

Umsomehr stellt sich die Frage, ob die Polizei derlei Observationen in einem solchen Umfang und an in einem solchen Kontext durchführen darf oder nicht.

Die Meinung einer Vertreterin der Polizei Hannover war dazu klar: Es handele sich doch nur um „klassische Aufklärungsarbeit der Polizei, um grundlegendes polizeiliches Handwerkszeug, um Schauen, Lage ermitteln und um das Erstellen von Lagebildern.“

Seitens der Kläger wurde dagegen gehalten, dass es sich bei dem UJZ Korn um ein vielfältiges und reichhaltig genutztes Zentrum sozialen Engagements und zivilgesellschaftlicher Vernetzung handele. Viele Gruppen und sozial wie politisch engagierte Menschen treffen sich dort und auf viele Menschen und Gruppen wirkt das Wissen, dass die Polizei grundsätzlich jederzeit wieder ohne den mutmasslichen Schutz einer richterlichen Einzelfallabwägung und -genehmigung überwache und filme, wer dort alles ein- und ausgeht, sehr abschreckend. Es geht also um eine faktische, starke Einschränkung von Grundrechten zivilgesellschaftlich aktiver Menschen.

Diese Gesichtspunkte wollten die Richter bei der Abwägung der Urteilsfällung allerdings als nicht wichtig oder nur als untergeordnet bewerten. Eine mutmasslich sachlich wie fachlich falsche Entscheidung. Mit dieser sorgten die Richter bemerkenswerterweise zugleich dafür, dass zwei geladene und vor Ort bereitstehende Überwacher der Polizei Hannover nicht mündlich aussagen mussten. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Dass die Klagenden und ihr Rechtsbeistand dieses Urteil nicht auf sich beruhen lassen werden scheint sicher, hätte dieses doch eine massive Verschiebung der Rechtsinterpretation polizeilicher Überwachungspraxis zur Folge: Dann dürfte die Polizei derlei heimliche Überwachungsaktionen nämlich ohne vorherige richterliche Überprüfung in Eigenregie durchführen und sich bei allem zudem in der Sicherheit wiegen, dass die Überwachten vor Gericht kein Recht hätten, die Begründetheit der Observation wenigstens im Nachhinein durch ein Gericht überprüfen zu lassen.

Dass die Vertreterin der Polizei Hannover genau dieses mündlich verlangt und als Selbstverständlichkeit darstellte war dann immerhin einem der Richter zuviel der polizeilichen Selbstherrlichkeit. Er wies die Polizistin in eigener Ansprache deutlich darauf hin, dass auch der BGH erst in diesem Jahr klargestellt hat, dass die Höhe der Eingriffsschwelle von so genannten Vorfeldermittlungen richterlich überprüfbar sein muss.

Nur, dass die im Endeffekt bezüglich einer tatsächlichen Straftat ergebnis- und erfolglose heimliche Überwachung des einzigen Eingangs eines Jugendzentrums mit mannigfaltiger Nutzung eben einen erheblich freiheitsbeschränkenden Einfluss auf alle ein- und ausgehenden Besucher des UJZ Korn hat oder zumindest potentiell haben kann, das konnte oder wollte der gleiche Richter nicht erkennen und verstehen. Vielleicht wird ein höheres Gericht die Richter einer anderen Ansicht belehren müssen.

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