Neues aus Mali: Zwei der führenden Mali-Putsch-Militär-Offiziere wurden von der Bundeswehr in Deutschland ausgebildet [Update]

Malisches Militär im September 2019. (Bildquelle mit weiteren Informationen)

Über Fragen der Zusammenhangs des Mali-Militärputsches mit der EU-Ausbildungsmission malischen Militärs unter jahrelanger aktiver deutscher Beteiligung haben wir – ergänzt durch inzwischen zwei Updates – am 20.8.2020 berichtet.

In einem Tagesschau-Beitrag vom 26.8.2020 wird die „Bundesverteidigungsministerin“ Annegret Kramp-Karrenbauer nun wie folgt lapidar zitiert:

„Dass einige der führenden Köpfe der Putschisten auch Ausbildung in Deutschland und in Frankreich genossen haben, das ist bekannt.“

Uns zumindest war das bis dato nicht bekannt, wir haben also beim „Verteidigungsministerium“ nachgefragt, was es damit auf sich hat, hieß es doch noch eine Woche zuvor ganz offiziell auf der Bundespressekonferenz von Seiten eines Sprechers des Ministeriums:

„Wir haben keine Hinweise dazu, dass Teile der putschenden Soldaten Malis von der Bundeswehr ausgebildet worden sind.“

Auf erneutes Nachhaken hin teilte uns ein Sprecher des „Verteidigungsministeriums“ nun heute telefonisch mit:

  • Zwei der im Zuge des Mali-Militärputsches öffentlich auftretenden Militärs haben als junge Offiziere eine Ausbildung durch die Bundeswehr in Deutschland erfahren.
  • Offizier 1: Studiun an einer der beiden Bundeswehr-Universitäten in Deutschland (Hamburg/München) von 1997-2004. Die relativ lange Studienzeit ergab sich durch Zeiten des Nicht-Aufenthalts in Deutschlands dieses Offiziers.
  • Offizier 2: 4-5wöchige Ausbildung an einer Bundeswehr-Truppenschule zum Kompaniechef in 2008.
  • Einer dieser beiden Offiziere nahm zudem in 2016 an einem „einige Wochen“ dauernden Seminar im George-C.-Marshall-Center teil. (Dieses „Europäische Zentrum für Sicherheitsstudien“ wird gemeinsam von „Bundeswehr“ und US-Armee betrieben. Standort ist eine ehemalige von der Wehrmacht errichtete Kaserne in Garmisch Partenkirchen in Bayern.)

Gut zu wissen.

Die mittelbare und unmittelbare Beteiligung der Bundeswehr am Mali-Militärputsch (im Rahmen der EUTM-Mali und MINUSMA) sowie die Hintergründe der Ausbildung putschenden Militärs durch die Bundeswehr in Deutschland gehören unserer Ansicht nach breit und öffentlich diskutiert.

 

[UPDATE 2.9.2020]

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat bereits vor fünf Tagen ähnliche Informationen erhalten. Nachzulesen hier.

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Videoüberwachung im ÖPNV der Stadt Hannover: 340.000 Euro jährliche Betriebskosten, aber keinerlei sachliche Hinweise für präventive Wirkung und null Belege für eine Unterstützung bei der Aufklärung von Straftaten mittels der tausendfachen stetigen und allgegenwärtigen Fahrgast-Kameraüberwachung

Einer der 186 Haltestellen-Überwachungskameras der üstra AG

Am 27.8.2020 fand in Hannover die alljährliche Hauptversammlung der üstra AG, dem ÖPNV-Dienstleister der niedersächsischen Landeshauptstadt und ihrer Umgebung statt. Diese Hauptversammlung fand aus Corona-Gründen – wie auch alle anderen AG-Hauptversammlungen seit dem März 2020 – „dank“ einer eiligst durchgeführten Gesetzesänderung durch die Bundesregierung als so genannte „virtuelle Hauptversammlung“ statt. Diese Corona-begründete Änderung im Aktionärsgesetz ermöglicht und erlaubt es den AG’s erst- und hoffentlich ein- und letztmalig, die zwingend durchzuführenden Hauptversammlungen ohne persönliche Präsenz der Aktienbesitzer und unter massiver Aussetzung essentieller Aktionärs-Frage- und Rederechte durchzuführen. Doch dazu in einem eigenen späteren Blogbeitrag mehr.

Wie üblich wurden auf der üstra-AG u.a. auch Daten über den Umfang und den Sinn des Einsatzes von Videoüberwachungstechnik im ÖPNV abgefragt. Alle wesentlichen Fragen und die dazu erteilten Antworten haben wir ausführlich dokumentiert.

Hier nur in aller stichpunkthaften Kürze einige uns wichtig erscheinende Details aus dem umfangreichen Frage-Antwort-Katalog:

  • Die üstra hat in 2019 600 Straftaten registriert, also im Schnitt ca. 1,6 Straftaten pro Tag. Knapp ein Drittel davon sind „verbale Übergriffe“, weitere 20% sind Vandalismus (durchschnittlich also alle drei Tage ein solcher Vorfall) sowie 9% Graffiti (ein Graffiti pro Woche).
  • Neben 231 stationären Kameras betreibt die üstra weitere, mengenmäßig in die Tausende gehende Kameras in ihren Bussen und Bahnen.
  • Rein technisch hat die Polizeidirektion Hannover die Möglichkeit, in Echtzeit auf die Bilder jeder der 231 stationären Kameras in Echtzeit zugreifen zu können.
  • 2019 wurde 541 mal auf Aufzeichnungen von Überwachungskameras in Bussen und Bahnen zugegriffen, in knapp der Hälfte der Fälle wurden die Daten der Polizei ausgehändigt bzw. von diesen abgerufen/angefordert.
  • Allerdings kam es auch 25 mal vor, dass dabei festgestellt worden ist, dass die Kameras defekt waren oder aus anderen Gründen keine verwertbaren Daten liefern konnten. Das sind rund 5%. Anders ausgedrückt: In einem von 21 Fällen war das der Fall. In 2018 war es sogar so, dass in einem von 12 Fällen die Kameraaufzeichnungen aus irgendeinem der genannten Gründe nicht verwertbar oder aufgrund eines Defektes gar nicht vorhanden waren.
  • Die üstra bezahlt jährlich 340.000 Euro für den Betrieb und die Instandhaltung der Videoüberwachungsanlagen.
  • Gleichwohl kann die üstra nichts darüber aussagen und keine Belege zu der Frage liefern, ob die Videoüberwachung in auch nur einem Fall zur Aufklärung von Straftaten hat helfen können.
  • Und auch kann Sie weder auf eigene Evaluationen noch auf Studien oder wissenschaftliche Untersuchungen Dritter verweisen, die belegen könnten, dass die Videoüberwachung eine präventive, also straftatsverhindernde Wirkung aufweist.
  • In 2019 hat die üstra-Konzerntochter protec eine neue „Einsatzleitstelle für Sicherheit und Sauberkeit“ am Hauptbahnhof eröffnet. Heikel dabei: Die protec-Mitarbeiter*innen haben von dort aus nicht nur Zugriff auf die Bilder sämtlicher stationärer üstra-Überwachungskameras, sie können diese auch hinsichtlich der Ausrichtung und des Zooms fernsteuern. Die üstra meint das mittels eines „Dienstleistungsvertrags in Sachen Auftragsdatenverarbeitung“ rechtlich absichern zu können.
  • Als Bonmot zum Schluß ein Zitat aus dem üstra-Jahresabschluss-2019 (Seite 20):
    „Die Risiken im Risikofeld Informationstechnik werden als gering bewertet.“
    Auch auf Nachfrage hin wollte sich der Vorstand der üstra AG dazu nicht etwas vorsichtiger oder selbstkritischer geben und beharrte auf diese selbstbewusste, um nicht zu sagen, selbstherrliche Beurteilung …
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Militärputsch in Mali – Welche Rolle spielt(e) die „Bundeswehr“ dabei? [2 UPDATES]

Auszüge aus der Bundeswehr-Selbstdarstellung der EUTM-Mali-Beteiligung. Quellen (von oben nach unten): „VIP-Transporter“, „Ausbildung“, „Scharfschussübung“ – Alle Bilder (c) Bundeswehr et al.

Am Dienstag, den 18.8.2020 wurde bekannt, dass das Militär des westafrikanischen Mali den gewählten Präsidenten festgenommen und seine Absetzung erwirkt hat. Die Berichterstattung spricht deswegen weitgehend von einem „Militärputsch„.

Seit 2013 betreibt die Europäische Union (EU) in Mali eine so genannte „militärische Ausbildungsmission„. Auch die deutsche Armee – merkwürdigerweise immer noch ungenau und verklärend als „Bundeswehr“ bezeichnet, so wie sich das dazugehörige Ministerium auch immer noch euphemistisch als „Verteidigungsministerium“ empfiehlt – also auch die deutsche Armee ist seit 2013 als Teil der EU-Militärmission in Mali und „ertüchtigt“ die dortigen Militärs. (Darüber hinaus sind deutsche Soldat*innen auch als Teil der UN-Mission MINUSMA in Mali tätig.)

In einem comic-artig gestalteten „Erklärstück“-Video aus 2015 beschreibt die deutsche Armee ihre Arbeit in Mali (ausschnittsweise) wie folgt:

Diese [Ausbildungs-]Mission heißt European Union Training Mission in Mali (EUTM Mali) und soll das malische Militär soweit ausbilden, dass es zukünftig selbst für eine Stabilisierung des Landes sorgen kann. (…) Felix [das Comic-Maskottchen im Armee-Erklärvideo] und seine Truppe bilden die malischen Pioniere aus, trainieren die malische Infanterie und vermitteln Wissen im Bereich Logistik (…)“

Dass das malische Militär von der EU (und der „Bundeswehr“) ausgebildet worden ist, „selber für eine Stabilisierung des Landes zu sorgen“ scheinen hochrangige Militärs nun wörtlich genommen und diese Anleitung in einen Militärputsch umgesetzt zu haben.

Nun muss kritisch hinterfragt, aufgedeckt und öffentlich diskutiert werden, welche Bedeutung die von der deutschen Armee seit sieben Jahren durchgeführte Unterstützung des Militärs an dem Militärputsch hat.

Zum Beispiel

  • Kann es sein, dass nach siebenjähriger intensiver Zusammenarbeit hochrangiger Militärs aus Mali mit ebenso hochrangigen Militärs aus der EU und Deutschland (die „Bundeswehr“ stellte in 2018 den „Mission Commander“ der EUTM Mali!) keine Ahnung der europäischen Militärs von den Plänen der malischen Militärführung für einen Militärputsch gab?
  • Und wäre so ein Militärputsch auch ohne die vorherige „Ertüchtigung in Sachen Logistik“ möglich und denkbar gewesen?

Wir haben beim Auswärtigen Amt und beim „Bundesverteidigungsministerium“ nachgefragt, ob es im Vorfeld des Putsches Anzeichen für diese gewaltsame Machtübernahme durch das malische Militär gab. Wir werden deren Antworten diesem Blogbeitrag als Update hinzufügen, sobald bzw. sofern es gehaltvolle Antworten aus Berlin geben sollte.

Gute Hintergrunds-Informationen zum diesem medial derzeit noch äußerst mager beleuchteten Kapitel gibt es bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI), aber auch in einem taz-Beitrag.

 

[UPDATE NR.1 – 25.8.2020]

Wir haben nun (wenn auch beim Auswärtigen Amt erst auf erneutes Nachhaken) klare Antworten erhalten.

Sowohl das „Verteidigungsministerium“ als auch das Auswärtige Amt bestreiten, im Vorfeld Hinweise oder Anzeichen zum bevorstehenden Militärputsch in Mali erhalten/wahrgenommen zu haben.

Die zukünftige Geschichtsschreibung wird diese Behauptungen hoffentlich bestätigen können. Hiermit seien nun also die Stellungnahmen der beiden Behörden dokumentiert.

 

[UPDATE NR.2 – 26.8.2020]

Die neuen Militär-Putschisten Malis haben angekündigt, mindestens drei Jahre lang an der Macht bleiben zu wollen.

Und während das deutsche Militär noch am 19.8.2020 erklären ließ, man „habe keine Hinweise dazu, dass Teile der putschenden Soldaten Malis von der „Bundeswehr“ ausgebildet worden seien“ teilt die deutsche Bundes“verteidigungs“ministerin heute nun kehrtwendend mit:

Kramp-Karrenbauer bestätigte zudem: „Dass einige der führenden Köpfe der Putschisten auch Ausbildung in Deutschland und in Frankreich genossen haben, das ist bekannt.“

Ah, also doch? Wir haben nun erneut im Ministerium dazu nachgefragt.

Zugleich versucht man auf EU-Ebene sämtliche Mitverantwortung am Militärputsch abzustreiten:

[EU-Außenbeauftragter] Borrell wies dennoch jede Mitverantwortung der EU für den Staatsstreich in dem afrikanischen Land Mitte August zurück. „Wir bilden Soldaten nicht zu Putschisten aus“, erklärte er. „90 Prozent der malischen Armee sind von unserer Mission ausgebildet worden, aber die vier prominentesten Anführer (des Putsches) sind nicht von unserer Mission trainiert worden – sie wurden in Russland und in den USA ausgebildet.“ Details nannte er nicht.

Das klingt wenig vertrauenswürdig.

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Über den Populismus im Zuge der Ankündigung zu umfangreicher und „hoch auflösender“ Videoüberwachung in Stuttgart und zum Stand der Dinge der Umsetzung

Mitte Juli 2020 (18./19.7.) kam es in Frankfurt/Main wochenends zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und anderen Menschen. Die Diskussion um Ursachen dafür kochte hoch, gab es doch nur wenige Wochen zuvor ähnliche erscheinende Vorfälle in Stuttgart.

Wen man auch zu diesem Thema befragte – fast jede*r hatte eine andere Erzählung und Perspektive sowie Erklärmodelle im Fokus, entsprechend aufgeregt, wenig fruchtbar und zerfasert war dann auch die gesamte mediale Behandlung der Thematik.

An einem Beispiel soll hier dokumentiert werden, wie ein Akteur der Polizeigewerkschaften die Gelegenheit dazu nutzte, sich für mehr „hochauflösende Videoüberwachung“ einzusetzen, die die Stadt Stuttgart nur wenige Tage später beschloss.

Andererseits ist nach der äußerst medienwirksamen und in Teilen populistisch wirkenden Ankündigung, „bald“ rund 30 Polizeikameras zur Überwachung des öffentlichen Raumes installieren zu wollen – und das für immerhin eine Million Euro Steuergelder – nur wenig bis gar nichts passiert. Das berichtet uns der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte auf Nachfrage. Es herrscht allgemeine rechtliche wie sachliche Unklarheit in vielerlei Hinsicht.

Im Einzelnen:

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freiheitsfoo ist Partner von Tails

Tails ist ein auf offener Software basierendes Betriebssystem, das bspw. mittels USB-Stick auf beinahe jedem Rechner gestartet werden kann. Die Besonderheit: Tails ist besonders dafür ausgelegt, sich möglichst anonym und die eigene Privatsphäre schützend im Internet zu bewegen, zu mailen und auch sonstige Alltagsarbeiten am Rechner mittels des umfangreich mitgelieferten Softwarepakets zu erledigen.

Das war schon 2014 Grund für uns bei freiheitsfoo, Tails zu bewerben und bekannter zu machen, denn die Menschen hinter diesem Software-Projekt zeichnen sich durch Integrität, Zuverlässigkeit und nicht zuletzt Freundlichkeit aus.

Nun haben sich einige Menschen vom freiheitsfoo dafür eingesetzt, die Menschen hinter Tails auch finanziell etwas zu unterstützen, so dass wir uns für ein Jahr lang als Partner von Tails bezeichnen dürfen.

Darüber freuen wir uns sehr.

Unsere Unterstützung verstehen wir auch als politisches Signal und Stellungnahme. Repressiv wirkende und menschenverachtende Überwachung elektronischer Kommunikation durch staatliche und privatwirtschaftliche (kapitalistisch getriebene) Stellen nimmt stetig zu. In diktatorischen und autoritären Staaten. Und genau so auch bei uns.

Probiert Tails, nutzt es!

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Von einer fragwürdigen Aufenthaltsverbotspraxis und unerlaubt duzenden Polizisten im Zuge der Kontrolle eines schwarzen Menschen in Hannover

In Hannover wurde durch ein Mitglied der freiheitsfoo-Redaktion vor einigen Tagen folgende Situation zufällig beobachtet:

Am Abend des 24.6.2020 wurde in Hannover-Linden ein dunkelhäutiger Mann von fünf Polizeibeamt*innen (drei davon in ziviler Kleidung) festgehalten und kontrolliert. Nach einer Identitätsfeststellung wurde dem Mann ein temporäres Aufenthaltsverbot nach § 17 NPOG erteilt. Begründet wurde diese verbal damit, dass sich der Passant bei einer nur kurze Zeit vorher stattgefundenen Polizeikontrollfahrt angeblich einen vor der Polizei fliehenden Eindruck erweckt haben soll. Der festgehaltene Mann dementierte das und erklärte, dass er soeben erst von der Arbeit käme und auf dem Weg nach Hause sei. Das ließ der wortführende Polizeibeamte in Uniform nicht gelten und behauptete, er habe ihn aber wiedererkannt. Während der Maßnahme wurde der Festgehaltene vom wortführenden Polizeibeamten geduzt, andersherum allerdings nicht.

Zur weitergehenden Erläuterung: Die Polizeimaßnahme fand an einem wenig belebten Ort an einem Fußweg eines Flusses statt, der für den Handel mit als Drogen klassifizierten Stoffen bekannt ist.

Wir haben zu dem Vorgang eine Presseanfrage an die Polizeidirektion Hannover gestellt, die erfreulicherweise umgehend beantwortet wurde.

Im Fokus unserer Nachfragen standen im Wesentlichen zwei Punkte:

1. Warum wurde der Betroffene vom Polizeibeamten geduzt?

2. Wie hätte sich der Betroffene gegen die aus seiner Sicht unzulässige Erteilung eines Aufenthaltsverbots wehren können bzw. warum gab es keine Rechtsbehelfsbelehrung?

Ad 1. antwortet die Polizei u.a.:

Im konkret vorliegenden Beispiel war der Betroffene den eingesetzten Beamten aus vergangenen Verfahren persönlich bekannt und man hat sich während Maßnahmen gegenseitig geduzt, was offensichtlich beiderseits nicht als despektierlich empfunden wurde. Der Betroffene hat gegenüber den eingesetzten Beamten nicht geäußert, dass er sich an deren Umgangston stört.

Ad 2. heißt es dann:

Das Ergreifen eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs ist nicht von einer Rechtsbehelfsbelehrung abhängig. (…) Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs hingegen innerhalb eines Jahres zulässig (…). Der Betroffene hätte also ein Jahr Zeit, sich rechtlich beraten zu lassen. Eine Pflicht zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung sieht das Gesetz nur bei schriftlichen Bescheiden vor (§ 37 Abs. 6 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)).

Unser Fazit zu diesem Vorgang:

Die Antworten der Polizeidirektion Hannover erscheinen uns lebensfremd und bürokratisch abgehoben, ja borniert.

1. Es ist überhaupt nicht „offensichtlich“ gewesen, dass der von der Polizeimaßnahme Betroffene das ungefragte Geduzt-Werden als „nicht despektierlich“ empfunden hat. Wer die Situation erlebt hat oder sich einen Eindruck davon im Geiste machen kann (fünf robust auftretende, bewaffnete Polizist*innen gegenüber einem einzelnen Schwarzen abends an einer von Passanten nur sehr wenig frequentierten Stelle eines Fußwegs an einem Fluß), der erkennt, dass die Vorhaltung, der Betroffene hätte ja „äußern können, dass er sich an diesem Umgangston stört“ völlig abgehoben und realitätsfern ist. Der Betroffene wirkte auf den Zeugen eher eingeschüchtert, was so eine verbale Intervention nahezu verunmöglicht. Und einen nachvollziehbaren Grund dafür, warum ein Polizist ungefragt mit dem Duzen anfängt, gibt es faktisch nicht.

2. Auch die Ausführungen der Polizei dazu, dass der Betroffene ja „ein Jahr Zeit gehabt hätte, sich rechtlich beraten zu lassen“ zeugt von der Eingebildetheit der Behörde. Woher soll der Betroffene, dessen Heimatsprache das Deutsche nicht ist, von den zitierten Rechtsverordnungen denn wissen geschweige denn eine*n Anwalt/Anwältin bezahlen? Vor allem: Und was würde das denn überhaupt nützen, wenn das mit sofortiger Wirkung verhängte Aufenthaltsverbot dann bereits abgelaufen ist?

Den im Raum stehenden mitschwingenden Vorwurf einer – im schlimmsten Fall sogar möglicherweise rassistisch begründeten – Ungleichbehandlung durch die Polizeikräfte begegnet die Polizeidirektion Hannover aus unserer Sicht mit diesen auf tönernen Füßen stehenden und formal wirkenden Antworten nur sehr unbefriedigend.

Eine klare Ansage, dass Polizist*innen ihr Gegenüber nicht einfach duzen dürfen und nicht duzen sollen, vermissen wir sehr. Stattdessen wird die fragwürdige dokumentierte Handlung sogar noch mittels haltloser Behauptungen zu rechtfertigen versucht.

Menschen, denen man ein Aufenthaltsverbot erteilt, gehört dieses schriftlich begründet und bestätigt – und zwar inklusive einer leicht verständlichen Rechtsbehelfsbelehrung. Nur so kann Rechtssicherheit entstehen. Das niedersächsische Polizeigesetz NPOG sieht eine Pflicht zu so einer Verschriftlichung/Dokumentation polizeilichen Handelns nicht vor – ein weiterer Konstruktionsfehler des umstrittenen Gesetzes. Der Polizeidirektion Hannover scheint es nicht am Herzen zu liegen, in eigener Initiative für mehr Transparenz in und Vertrauen zur Arbeit ihrer Beamt*innen zu sorgen.

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Zeitzeichen, 20

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

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Lüneburgs Oberbürgermeister verordnet in herrschaftlicher Manier die Schließung eines alternativen Wohnprojekts

Dass alternative Wohnprojekte nicht für alle Menschen eine Lebensvariante sind – geschenkt. Dass aber ein Oberbürgermeister allen sachlichen Gründen zuwider in Großherrenart die Schließung eines solchen, inhaltlich sehr wohl überzeugenden und zukunftsweisenden Gemeinschaftsprojekts erzwingt und dabei persönlich getriebene Agitation betreibt und behördlich praktizieren lässt, dass stößt bitter auf.

Zeit, sich mit den Menschen zu solidarisieren, die sich konkret und praktisch für eine andere, lebenswertere Welt einsetzen und dabei an verstaubten Normen kratzen, die keine Zukunft haben können.

Hintergründe zu allem sind nachlesbar auf den Internetseiten des Wohnprojekts Unfug. Besonders „lesenswert“ die Auszüge aus der „Akte Unfug“, die einen tiefen Einblick in bürokratisches Treiben und Handeln dieser Tage gibt.

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Keine polizeilichen Kameraverhüllungen mehr in Hannover. Dafür neue Kameras. Und Streit um stationäre Polizeikameras bei Demos in Köln.

Eine der neuen Polizeikameras der Polizei Hannover.

Jetzt ist es klar – nach drei Monaten Wartezeit hat uns die Polizeidirektion Hannover unsere Presseanfrage zum kleinen Umbau ihrer Videoüberwachungsanlagen beantwortet. Die Polizei hat alle ihre Polizei-Domkameras gegen  neue dreh- und schwenkbare Kameras ausgetauscht. Hintergrund ist die von uns mit-erstrittene Notwendigkeit, Polizei-Domkameras im Zuge von Demonstrationen sonst jedesmal verhüllen lassen zu müssen.

Wie berichtet hatte im Mai 2019 ein Hannoveraner mittels Anfragen an die Polizei in Hannover bundesweit erstmals dafür gesorgt, dass alle von der Polizei Hannover betriebenen und als Dom-Kameras ausgeführten Videoüberwachungskameras spätestens ab September 2019 immer dann polizeilich verhüllt worden sind, wenn eine zuvor angekündigte Demonstration deren Erfassungsbereich passierte. Andere Aktivisten in anderen Städten (z.B. Köln und Frankfurt) zogen bzw. ziehen nach.

Neue Hinweisschilder der Polizei Köln, mit denen sie sich aus der Bredouille der Wahrung von Grundrechten meint ziehen zu können …

In Köln musste allerdings erst gerichtlich nachgeholfen werden und auch scheint sich die Polizei dort aktuell weiter davor zu scheuen, die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und Versammlungsfreiheit ausreichend zu würdigen, da sie die Ansicht vertritt, dass eine besondere Beschilderung der Kameras dafür sorgen könnte, die potentiell einschüchternde Wirkung von nicht abgebauten und nicht verhüllten Polizeikameras auf Demonstratiosteilnehmer*innen aufzuheben. Auch das wird vermutlich erst wieder vor Gericht geklärt werden müssen. Dabei sollte es der Verfassung nach eigentlich genau im Gegenteil die Aufgabe der Polizei sein, die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes zu schützen, anstatt sie faktisch zu torpedieren …

Na jedenfalls: Das Verhüllen der Kameras wurde der Polizei in Hannover schnell zu teuer – unbestätigten Informationen zufolge hat die Polizei für die Verhüllung und anschließende „Enttütung“ ihrer Kameras ein Drittunternehmen beauftragt, das es sich nicht nehmen ließ, für diese Arbeit (oft mittels Hebebühne) jeweils mehrere Tausend Euro Steuergelder abzuschöpfen.

Irgendwann im Februar 2020 fiel uns dann auf, dass eine der Domkameras in Hannover durch eine neue „Stabkamera“ (Jargon des ehemaligen Zuständigen in der Polizeidirektion Hannover) ersetzt worden ist. („Stabkameras“ in diesem Sinne sind gerichtete Überwachungskameras, die ferngesteuert dreh- und schwenkbar befestigt sind.) Eine öffentliche Kommunikation der sonst nicht medienscheuen Polizei Hannover gab es zum teilweisen Austausch bzw. zur Umrüstung des Polizeikameraparks nicht. Möglicherweise handelt es sich dabei auch in technischer Hinsicht um eine Aufrüstung der Videoüberwachung. Unsere Nachfrage in der Sache ergab – und für die mageren Antworten ließ sich die Polizei geschlagene drei Monate Zeit! – dann folgendes:

  • Alle bis Februar 2020 vorhandenen sechs Polizei-Domkameras zur stationären Überwachung des öffentlichen Raums in Hannover wurden durch „Stabkameras“ ersetzt.
  • Die Polizei möchte nichts dazu mitteilen, wie hochwertig die neuen Kameras sind.
  • Ebensowenig schweigt sich die Polizei dazu aus, was der Umbau gekostet hat und beruft sich dabei fragwürdigerweise auf „Geschäftsgeheimnisse“. Eine Begründung, mittels derer man jegliche Form staatlicher Transparenz gänzlich unterbinden könnte.

Bezüglich der Offenheit bzw. Transparenz im Umgang mit der dauerhaften Videoüberwachung des öffentlichen Raums in Hannover scheint die Polizei also bislang weiterhin die alte, menschen- und bürgerrechts-unfreundliche Linie fortzuführen.

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Klage gegen das absolute Demonstrationsverbot Niedersachsens zu Beginn der Corona-Krise wird fortgeführt

Ende März 2020 begann die bundesweite Welle umfangreicher Corona-Allgemeinverfügungen und -Verordnungen, die vielfach ein umfangreiches bis vollständiges Demonstrationsverbot beinhaltet haben. Eine der bundesweit ersten Klagen gegen diese verfassungsrechtlich schwerwiegenden Eingriffe in die Versammlungsfreiheit gab es in Niedersachsen. Dieses Verfahren beinhaltete auch einen Eilantrag (Az. 15 B 1968/20) zur Ermöglichung eines geplanten Protestes am 28.3.2020, der vom Verwaltungsgericht Hannover (in diesem Fall der 15. Kammer) in einem hastigen Verfahren am 27.3.2020 abschlägig beschieden worden ist. Ebenso erging es vielen anderen Klägerinnen und Klägern in den nächsten Tagen und Wochen, bis sich in der zweiten April-Hälfte 2020 allmählich ein Wandel in den Entscheidungen der Gerichte zu diesen fragen entwickelte.

Das Hauptsache-Verfahren der Klage aus Niedersachsen (Az. 15 A 1967/20) ist vom Ausgang des Eilverfahrens unberührt. Vor einem Monat fragte das Verwaltungsgericht Hannover an, ob dieses nicht seitens des Klägers eingestellt oder zurückgezogen werden solle.

Das lehnt der Kläger mit einem Schriftsatz vom 9.6.2020 nun ab.

Damit wird das Verwaltungsgericht Hannover seinen Eilentschluss nun belastbar und in  Ruhe prüfen können und müssen und es wird spannend, ob es sich zu einer Korrektur in der Sache durchringen kann oder einem nur zweieinhalb Wochen später von einer anderen Kammer des gleichen Gerichts getroffenen Entschluss widerspricht. So hatte nämlich die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts in einem anderen Eilverfahren zum Thema Versammlungsfreiheit (Az. 10 B 2232/20) am 16.4.2020 geurteilt:

„Das Verwaltungsgericht Hannover hat dem Eilantrag mit Beschluss vom 16. April 2020 stattgegeben. Nach Auffassung der 10. Kammer kann das Verbot nicht auf die Corona-Verordnung gestützt werden. Die Corona-Verordnung enthalte zwar in § 2 durch die Beschränkung von Zusammenkünften von Personen faktisch ein Versammlungsverbot. Ein solch generelles Versammlungsverbot, das keine Ausnahmen zulasse, sei aber nicht mit der in Art. 8 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit vereinbar.

Mit einer Bestätigung des eigenen Eilentscheids würde das Gericht den Gang zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg ebnen und Klarheit für möglicherweise noch anstehende Pandemiewellen schaffen können.

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