Keine polizeilichen Kameraverhüllungen mehr in Hannover. Dafür neue Kameras. Und Streit um stationäre Polizeikameras bei Demos in Köln.

Eine der neuen Polizeikameras der Polizei Hannover.

Jetzt ist es klar – nach drei Monaten Wartezeit hat uns die Polizeidirektion Hannover unsere Presseanfrage zum kleinen Umbau ihrer Videoüberwachungsanlagen beantwortet. Die Polizei hat alle ihre Polizei-Domkameras gegen  neue dreh- und schwenkbare Kameras ausgetauscht. Hintergrund ist die von uns mit-erstrittene Notwendigkeit, Polizei-Domkameras im Zuge von Demonstrationen sonst jedesmal verhüllen lassen zu müssen.

Wie berichtet hatte im Mai 2019 ein Hannoveraner mittels Anfragen an die Polizei in Hannover bundesweit erstmals dafür gesorgt, dass alle von der Polizei Hannover betriebenen und als Dom-Kameras ausgeführten Videoüberwachungskameras spätestens ab September 2019 immer dann polizeilich verhüllt worden sind, wenn eine zuvor angekündigte Demonstration deren Erfassungsbereich passierte. Andere Aktivisten in anderen Städten (z.B. Köln und Frankfurt) zogen bzw. ziehen nach.

Neue Hinweisschilder der Polizei Köln, mit denen sie sich aus der Bredouille der Wahrung von Grundrechten meint ziehen zu können …

In Köln musste allerdings erst gerichtlich nachgeholfen werden und auch scheint sich die Polizei dort aktuell weiter davor zu scheuen, die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und Versammlungsfreiheit ausreichend zu würdigen, da sie die Ansicht vertritt, dass eine besondere Beschilderung der Kameras dafür sorgen könnte, die potentiell einschüchternde Wirkung von nicht abgebauten und nicht verhüllten Polizeikameras auf Demonstratiosteilnehmer*innen aufzuheben. Auch das wird vermutlich erst wieder vor Gericht geklärt werden müssen. Dabei sollte es der Verfassung nach eigentlich genau im Gegenteil die Aufgabe der Polizei sein, die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes zu schützen, anstatt sie faktisch zu torpedieren …

Na jedenfalls: Das Verhüllen der Kameras wurde der Polizei in Hannover schnell zu teuer – unbestätigten Informationen zufolge hat die Polizei für die Verhüllung und anschließende „Enttütung“ ihrer Kameras ein Drittunternehmen beauftragt, das es sich nicht nehmen ließ, für diese Arbeit (oft mittels Hebebühne) jeweils mehrere Tausend Euro Steuergelder abzuschöpfen.

Irgendwann im Februar 2020 fiel uns dann auf, dass eine der Domkameras in Hannover durch eine neue „Stabkamera“ (Jargon des ehemaligen Zuständigen in der Polizeidirektion Hannover) ersetzt worden ist. („Stabkameras“ in diesem Sinne sind gerichtete Überwachungskameras, die ferngesteuert dreh- und schwenkbar befestigt sind.) Eine öffentliche Kommunikation der sonst nicht medienscheuen Polizei Hannover gab es zum teilweisen Austausch bzw. zur Umrüstung des Polizeikameraparks nicht. Möglicherweise handelt es sich dabei auch in technischer Hinsicht um eine Aufrüstung der Videoüberwachung. Unsere Nachfrage in der Sache ergab – und für die mageren Antworten ließ sich die Polizei geschlagene drei Monate Zeit! – dann folgendes:

  • Alle bis Februar 2020 vorhandenen sechs Polizei-Domkameras zur stationären Überwachung des öffentlichen Raums in Hannover wurden durch „Stabkameras“ ersetzt.
  • Die Polizei möchte nichts dazu mitteilen, wie hochwertig die neuen Kameras sind.
  • Ebensowenig schweigt sich die Polizei dazu aus, was der Umbau gekostet hat und beruft sich dabei fragwürdigerweise auf „Geschäftsgeheimnisse“. Eine Begründung, mittels derer man jegliche Form staatlicher Transparenz gänzlich unterbinden könnte.

Bezüglich der Offenheit bzw. Transparenz im Umgang mit der dauerhaften Videoüberwachung des öffentlichen Raums in Hannover scheint die Polizei also bislang weiterhin die alte, menschen- und bürgerrechts-unfreundliche Linie fortzuführen.

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Klage gegen das absolute Demonstrationsverbot Niedersachsens zu Beginn der Corona-Krise wird fortgeführt

Ende März 2020 begann die bundesweite Welle umfangreicher Corona-Allgemeinverfügungen und -Verordnungen, die vielfach ein umfangreiches bis vollständiges Demonstrationsverbot beinhaltet haben. Eine der bundesweit ersten Klagen gegen diese verfassungsrechtlich schwerwiegenden Eingriffe in die Versammlungsfreiheit gab es in Niedersachsen. Dieses Verfahren beinhaltete auch einen Eilantrag (Az. 15 B 1968/20) zur Ermöglichung eines geplanten Protestes am 28.3.2020, der vom Verwaltungsgericht Hannover (in diesem Fall der 15. Kammer) in einem hastigen Verfahren am 27.3.2020 abschlägig beschieden worden ist. Ebenso erging es vielen anderen Klägerinnen und Klägern in den nächsten Tagen und Wochen, bis sich in der zweiten April-Hälfte 2020 allmählich ein Wandel in den Entscheidungen der Gerichte zu diesen fragen entwickelte.

Das Hauptsache-Verfahren der Klage aus Niedersachsen (Az. 15 A 1967/20) ist vom Ausgang des Eilverfahrens unberührt. Vor einem Monat fragte das Verwaltungsgericht Hannover an, ob dieses nicht seitens des Klägers eingestellt oder zurückgezogen werden solle.

Das lehnt der Kläger mit einem Schriftsatz vom 9.6.2020 nun ab.

Damit wird das Verwaltungsgericht Hannover seinen Eilentschluss nun belastbar und in  Ruhe prüfen können und müssen und es wird spannend, ob es sich zu einer Korrektur in der Sache durchringen kann oder einem nur zweieinhalb Wochen später von einer anderen Kammer des gleichen Gerichts getroffenen Entschluss widerspricht. So hatte nämlich die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts in einem anderen Eilverfahren zum Thema Versammlungsfreiheit (Az. 10 B 2232/20) am 16.4.2020 geurteilt:

„Das Verwaltungsgericht Hannover hat dem Eilantrag mit Beschluss vom 16. April 2020 stattgegeben. Nach Auffassung der 10. Kammer kann das Verbot nicht auf die Corona-Verordnung gestützt werden. Die Corona-Verordnung enthalte zwar in § 2 durch die Beschränkung von Zusammenkünften von Personen faktisch ein Versammlungsverbot. Ein solch generelles Versammlungsverbot, das keine Ausnahmen zulasse, sei aber nicht mit der in Art. 8 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit vereinbar.

Mit einer Bestätigung des eigenen Eilentscheids würde das Gericht den Gang zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg ebnen und Klarheit für möglicherweise noch anstehende Pandemiewellen schaffen können.

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„Kritisch bleiben.“ – Ein lesenswerter Beitrag aus Leipzig zu ungerechtfertigten Corona-Einschränkungen und zum Missbrauch dieses Umstands durch Populisten und Rechte.

Die Kritik des Leipziger Aktionsnetzwerks „Leipzig nimmt Platz“ finden wir sehr lesenswert und geben den Beitrag deswegen hier ungekürzt wieder.

Kritisch bleiben.

Zum Umgang mit Einschränkungen und Corona Demos

Nach wie vor vertritt das Aktionsnetzwerk die Meinung, dass es zwingend notwendig ist, die aktuellen Maßnahmen und Einschränkungen der grundgesetzlich garantierten Freiheiten zu diskutieren und einer rechtsstaatlichen Prüfung zu unterziehen. Dies war der Grund, warum wir einen Normenkontrollantrag vor dem Oberverwaltungsgericht angestrengt haben, und dies ist auch der Grund, warum wir die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht weiterführen.

Wir halten unsere Kritik aufrecht, dass die Regelungen innerhalb der sächsischen Corona-Schutz-Verordnung, insbesondere die Versammlungsfreiheit betreffend, in ihrer Systematik grundgesetzwidrig und daher nicht mit der Verfassung zu vereinbaren sind. Das Versammlungsrecht als unmittelbare Grundlage einer pluralistischen Demokratie darf niemals zum Gnadenrecht des Staates werden, auch in Zeiten der Krise nicht. Die Gefahrenabwehr zu Unterbrechung von Infektionsketten ist nicht durch ein pauschales Demonstrationsverbot zu lösen, sondern entlang der grundgesetzlichen Vorgaben über Auflagen, die durch die Schrankenregelung des Grundgesetzes im Sinne des Versammlungsgesetzes gedeckt und daher verhältnismäßig sein müssen.

Der Staat, dessen Macht durch die Bürger*innen legitimiert ist, hat eine Fürsorgepflicht, die spätestens dort endet, wo die Privatsphäre des Einzelnen beginnt. Der Kernbereich der individuellen Lebensführung muss staatlichen Handelns entzogen bleiben, selbst wenn damit das Infektionsrisiko oder andere Gefahren steigen. Dieser Gedanke ist die Grundlage einer freiheitlichen Demokratie, in der die Menschen selbstständig Entscheidungen treffen müssen.

Dabei endet die Freiheit des Einzelnen da, wo die Ausübung dieser Freiheit, die Freiheit anderer gefährdet oder einschränkt. Während einer Pandemie geht es nicht um die Freiheit der Einzelnen, die möglicherweise nicht gefährdet sind – es geht darum, ob die Ausübung dieser Freiheit das Leben anderer gefährdet. Es ist daher weder solidarisch noch rebellisch, Kontaktbeschränkungen zu ignorieren oder so zu tun, als gehe uns die Lage nichts an. Wie ernst oder wie gefährlich eine Pandemie ist, weiß man am Ende und nicht am Anfang. Doch schon jetzt ist zu befürchten, dass insbesondere die Armen stärker betroffen sind als Reiche. Die Ignoranz einiger kann am Ende anderen das Leben kosten.

Die Bewertung, die wir vornehmen, treffen wir nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten mit Verweis auf die Grundrechte. Wir erneuern unsere Forderungen, dass wir mehr denn je einen kritischen Austausch über die Krise, über die Einschränkungen und das weiter so brauchen.

Die derzeitigen Lockerungen geschehen hinsichtlich der Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Leistungen. Eine Gesellschaft, die in der Debatte um die Notbetreuung von Kindern zuerst auf die Verwertung des Humankapitals der Eltern blickt, die in ihrem Reichtum Abstandsregelungen möglich machen kann, während in den Slums des globalen Südens, Armut, Not und Krankheit Menschen töten und der Westen sich in nationalen Egoismen übt, ist moralisch insolvent und bietet keine Grundlage für eine solidarische Zukunft.

Wir benötigen eine Revision des gegenwärtigen Zustandes und die Beantwortung der Frage, ob es wirklich das primäre Ziel sein kann, in einen Zustand der Ausbeutung und Ignoranz zurückzukehren, in eine Gesellschaft, die auf Konkurrenzdruck und Abwertung aufgebaut ist.

Die Zunahme der Zustimmung zu autoritären Einstellungen bestärkt uns in unserer Kritik und Sorge, ebenso wie der Umstand, dass zunehmend Verschwörungsideologien und rechte Gruppen versuchen, den Protest zu okkupieren und damit die notwendige Debatte kontaminieren.

Einmal mehr wird versucht, unter dem Deckmantel „Nicht rechts, nicht links“ die Debatte zu vereinnahmen. Wir unterstellen, dass nicht alle Menschen, die sich diesen Bewegungen anschließen, rechts sind oder zu Verschwörungstheoretiker*innen zählen. Wir glauben, dass es auch viele Menschen und Personen gibt, denen es tatsächlich um die Sache geht und nicht um die Verbreitung von „alternativen“, schnell bei YouTube zusammengeklaubten, Fakten.

Aber auf Veranstaltungen, auf denen antisemitische Chiffren beklatscht werden, die NS-Zeit mit dem Beginn der Corona Krise gleichgesetzt und damit Nationalsozialismus relativiert wird, ist kein Raum für eine kritische Debatte.

Eine Debatte gibt es im Rahmen der Menschenrechte, gibt es im Rahmen davon, dass alle Menschen gleich sind, dass die soziale und kulturelle Teilhabe aller Menschen das Ziel ist. Wer diesen Rahmen verlässt, kann keinen Anspruch erheben, gehört zu werden. Es ist geradezu absurd, dass auf Demonstrationen Menschen sich auf das Grundgesetz berufen, die gleichzeitig dessen Geltung anzweifeln.

Der Aufruf zum kritisch sein, umfasst auch die Teilnahme an solchen Demonstrationen und Versammlungen, auf denen antisemitischen Codizes, Nationalismus oder Ungleichheit das Wort gesprochen wird.

Die oft gehörte Ausrede, das sei doch auch Meinungsfreiheit, akzeptieren wir nicht. Meinungsfreiheit, ist ein Abwehrrecht gegen ein Handeln des Staates. Meinungsfreiheit ist nicht widerspruchslos. Wer den Rahmen der Menschenrechte und des Grundgesetzes verlässt, kann sich gegenüber dem Staat auf seine Meinungsfreiheit berufen, weil das Grundgesetz auch seinen Gegner*innen die gleichen Rechte einräumt, der hat aber keinen Anspruch darauf, gehört zu werden.

Und deswegen sagen wir klar und deutlich: Wir stehen für die Grund- und Menschenrechte. Wir werden unsere Stimmen wann immer erheben, wenn der Staat in diese Rechte eingreift oder Gruppen und Personen diese Rechte in Abrede stellen. Aber wir sind nicht an der Seite derjenigen, die sich auf das Grundgesetz berufen und es nicht schaffen, sich von Verschwörungsmythen oder deutlichen Anzeichen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit abzugrenzen.

Für die Freiheit, für das Leben – kritisch bleiben!

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Viel Licht und noch mehr Schatten: Bundesverfassungsgericht schränkt Geheimdienst-Willkür ein, traut sich aber nicht an deren Grundfesten zu rütteln

Protest am 19.7.2014 beim BND in Schöningen (Niedersachsen) – Eine Welt ohne Geheimdienste ist denkbar!

Das Bundesverfassungsgericht hat am vergangenen Dienstag, den 19.5.2020 ein Urteil zur (Un)Rechtmäßigkeit der nach den Snowden-Enthüllungen bekannt gewordenen und zuletzt – nachträglich legitimierend – in das BND-Gesetz eingegossenen Befugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes („Bundesnachrichtendienst“ – BND) gefällt (BVerfG-Pressemitteilung / Urteil in voller Länge).

Endlich geklärt wurde u.a.: Die Grundrechte, die im Grundgesetz verankert sind, stehen allen Menschen zu. Nicht nur „Deutschen“, nicht nur in Deutschland. Genau das Gegenteil hatten die Geheimdienstler aus Pullach und Berlin immer wieder vehement behauptet und genauso dreist wie absurd vor dem NSA-Untersuchungsausschuss z.B. mittels „Weltraumtheorie“ oder „Funktionsträgertheorie“ postuliert.

Zu Recht freuen sich viele über dieses Urteil und die damit verbundene teilweise Kehrtwende des Gerichts. Doch die Freude verdeckt leider das, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil durchgehen ließ. Um den Blick darauf zu lenken möchten wir auszugsweise aus zwei Beiträgen zum Urteil zitieren und zum Lesen empfehlen.

Schild der „HBW – Hauptstelle für Befragungswesen“, einer Tarnfirma des BND – in diesem Fall der ehemaligen Außenstelle in Hannover – in der Verhöre und Befragungen z.B. von Geflüchteten und Asylsuchenden durchgeführt wurden. Das Schild hängt noch heute …

Das freiheitsfoo hatte sich nach der Absegnung des nun als in Teilen verfassungswidrig etikettierten (und damals von CDU/CSU und SPD und anderen Parteien gefeierten) BND-Reform-Gesetzes in 2016 wie folgt positioniert:

Wir sind der Überzeugung, dass das neue BND-Gesetz schlecht für die Zukunft unserer Gesellschaft und schlecht für unser Zusammenleben ist. Mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte mitsamt aller bislang öffentlich gewordenen Fehlentwicklungen und zu verurteilenden Handlungen unkontrollierbarer Geheimdienste in Deutschland und selbst angesichts einiger angeblicher Erfolge der deutschen Spionagebehörden glauben wir, dass Geheimdienste – ganz egal ob man sie nun „Verfassungsschutz“ oder „Nachrichtendienst“ nennt – per se nicht mit einer offenen und freien Gesellschaft zu vereinbaren sind.

Diese Auffassung gilt nach wie vor.

Doch hier die schon angekündigten Leseempfehlungen aus den Beiträgen anderer Menschen und Gruppen:

Patrick Breyer am 20.5.2020:

Das Bundesverfassungsgericht beanstandete heute die konkrete Ausgestaltung von Vorschriften zum verdachtsunabhängigen Abhören und zur Überwachung der Internetkommunikation durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Damit gab das Gericht der Verfassungsbeschwerde der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ und verschiedener ausländischer Journalisten statt, ohne jedoch ein grundsätzliches Zeichen gegen digitale Überwachung zu setzen. Die Beschwerde richtet sich gegen das Ende 2016 reformierte BND-Gesetz, das nun bis spätestens Ende 2021 überarbeitet werden muss.

Der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) warnt vor den Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Massenüberwachung durch den deutschen Auslandsgeheimdienst:

Solche Urteile schaden unserem Kampf gegen Massenüberwachung durch ausländische Geheimdienste wie die NSA, weil diese mit dem Finger auf uns selbst zurück zeigen. Dass der BND nicht im Inland lauschen soll, schützt uns nicht vor dem Überwachungswahn ausländischer Spionagedienste. Mit dem heutigen Urteil segnet das Bundesverfassungsgericht anlasslose Massenüberwachung und flächendeckende monatelange Vorratsdatenspeicherung ab, die der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zuvor für europarechtswidrig erklärt hat – das enttäuscht.

Der BND darf nicht nur Gefahren aufspüren, sondern auch im Auftrag der Bundesregierung aus politischem Interesse Partner, Firmen und Institutionen ausspionieren und sogar als Handlanger ausländischer Dienste tätig werden. Nicht kontrollierbare Versprechen ausländischer Dienste, mit deutschen Daten nicht zu foltern, zu entführen und zu töten, werden unserer Verantwortung nicht gerecht. (…)“

Chaos Computer Club (CCC) am 19.5.2020:

(…) Zwar hat das Gericht durch die Anerkennung der Grundrechte auch für Ausländer einen Pflock für die Menschenrechte eingeschlagen, erlaubt aber eine Weiterführung der bisherigen Massenüberwachung. Verlangt wird jedoch eine stärkere Zielgerichtetheit mit gesetzlicher Neuregelung und einer neuen Kontrollinstanz. (…)

„Leider hat sich das Gericht nicht dazu durchringen können, die globale Überwachungspraxis des BND grundsätzlich zu beenden. Es versucht nur, sie in einen konkreteren rechtlichen Rahmen zu pressen“, fasste Frank Rieger [einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs] zusammen. „Dass Grundrechte prinzipiell für alle Menschen weltweit gelten, ist eine wichtige Entscheidung. Leider wird sie im Urteil durch diverse mögliche Gründe für Grundrechtseinschränkungen deutlich relativiert.“ (…)

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Dokumentiert: Ungleiche Behandlung von Demonstrationen unter Coronakrisen-Bedingungen durch die Polizei Hannover. Einseitige polizeiliche Bevorteilung von Rechtspopulisten und Faktenleugnern?

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freiheitsfoo-Stellungnahme an den Landtag Saarland zu den geplanten neuen Polizeigesetzen: Schwere Grundrechtseinschränkungen für Verdächtige und Gedankenverbrecher, Videoüberwachung ohne Ende, Polizeientscheidungen auf Basis von Computerberechnungen und Algorithmen und ohne menschliche Kontrollinstanz, Staatstrojaner und Lauschangriffe auf Journalisten. Geht’s noch?

Der Innenausschuss des Landtags Saarland hat das freiheitsfoo zur Abgabe einer Stellungnahme für die geplanten neuen Polizeigesetze aufgefordert. Dazu hatten wir bereits im Vorfeld eine Gegenüberstellung der alten zu den neuen Regelungen („Synopse“) erstellt, um diese Gesetzgebung etwas verständlicher und transparenter zu machen. Eine Arbeit, die der Landtag bzw. die schwarz-rote Landesregierung nicht leisten wollte, die aber überhaupt erst ersichtlich und verständlich macht, was mit dem Gesetzesvorhaben konkret beabsichtigt wird.

Nun haben wir die 35 Seiten bzw. inklusive aller Anhänge sogar 226 Seiten starke Stellungnahme fertiggestellt, dem Landtag nach Saarbrücken übermittelt und veröffentlichen sie hiermit:

https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/20200503-freiheitsfoo-Stellungnahme-neue-Polizeigesetze-Saarland-LTDS-16-1180-final-anon.pdf

Am kommenden Donnerstag soll der Innenausschuss des saarländischen Landtags mittels Videokonferenz über den Gesetzentwurf beraten. Vermutlich wird das freiheitsfoo auch daran teilnehmen.

Soweit uns bekannt wurden neben uns u.a. auch noch zur Stellungnahme aufgefordert und eingeladen:

  • LKT (Landkreistag Saarland)
  • SSGT (Saarländischer Städte- und Gemeindetag)
  • BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter)
  • DPolG (Deutsche Polizeigewerkschaft)
  • Unabhängiges Datenschutzzentrum Saarland
  • Fachhochschule für Verwaltung Saarland
  • LPP – Landespolizeipräsidium
  • HWR – Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
  • DAV – Deutscher Anwaltverein
  • ai – Amnesty International
  • CCC – Chaos Computer Club

Eine vollständige Liste aller Eingeladenen will oder darf uns die Landtagsverwaltung nicht beauskunften. Bemerkenswert ist auch, dass einige der Eingeladenen bereits in den Entstehungsprozess des Gesetzentwurfs eingebunden worden sind. Bei dieser Vorzugsbehandlung blieben die Gruppen aus der Zivilgesellschaft allerdings allesamt außen vor.

Die inhaltliche Kritik am Gesetzentwurf ist so umfangreich wie schwerwiegend:

Auch im Saarland soll ein Paradigmenwechsel der Arbeit der Landespolizei, das heißt ihrer Stellung im gesellschaftlichen Gefüge eingeläutet werden. Denn zukünftig darf die saarländische Polizei schon dann einige schwere Grundrechtseingriffe an den Menschen vornehmen, wenn sie tatsachenbasiert lediglich „annimmt“ oder „das individuelle Verhalten dieser Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet“, dass diese Menschen (als Objekte der polizeilichen und polizeiinternen Betrachtung und Bewertung) über die Begehung einer (jeweils bestimmten) Straftat nachsinnen.

Zu diesen Maßnahmen können u.a. zählen:

  • Platzverweise
  • Wohnungsverweise
  • Aufenthaltsverbote
  • Kontaktverbote (!)
  • Elektronische Fußfessel
  • Aufenthaltsgebote (ein euphemistischer Ausdruck für Gefängnis-Zonen im eigenen Heim oder öffentlichen Raum)
  • Observation (verdeckte Beobachtung)
  • verdeckte Videoüberwachung
  • Lauschangriff (Abhören und Aufzeichnen des privat gesprochenen Wortes)
  • Einsatz von bezahlten Informanten und Polizeispitzeln und -spionen
  • Funkzellen- und Bestandsdatenabfragen samt Geo-Positionsdaten, soweit verfügbar
  • Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) samt Staatstrojaner (Software-Verwanzung von Smartphones und Computern)

Damit ist zugleich ein Teil der Neuerungen an technischen Mitteln und Befugnissen für die Polizei im Saarland beschrieben. Das ist aber nicht alles:

Die Zulässigkeit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum soll großzügig bis ins theoretisch (fast) flächendeckende ausgedehnt werden, der Einsatz von BodyCams auch in privaten Wohnungen zulässig sein und ein heimliches („verdecktes“) Scanning von Auto-Kennzeichen wird neu eingeführt. Ein eigener Paragraph ermöglicht/erlaubt zukünftig zudem unter bestimmten Bedingungen rein algorithmenbasierte Entscheidungen mittels Computern/IT-Systemen und ohne menschliches Zutun selbst dann, wenn diese zu einer „nachteiligen Rechtsfolge“ oder zu einer „erheblichen Beeinträchtigung“ für einen Menschen führen kann. Klingt wie dystopische Science-Fiction, ist es aber leider nicht.

Neben dem allen (und noch mehr hier in der Kürze unerwähnten) fiel uns eine besonders heimtückische, weil auf den ersten Blick in ihren Folgen schwer identifizierbare Formulierung im § 41 SPolDVG, einem der beiden neuen Polizeigesetze für das Saarland, auf:

In diesem Paragraphen geht es u.a. um den Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen. Doch für Journalist*innen, Ärzt*innen und Beratungsstellen soll dieser Schutz zukünftig nur noch eingeschränkt gelten. Der Privatsphären- und Telekommunikationsschutz dieser Berufsgruppen soll im Zuge einer „Abwägung“ eingeschränkt werden können. Journalisten und Journalistinnen können sich also im Saarland zukünftig nicht mehr grundsätzlich sicher sein, dass ihre Arbeit und ihre (Tele-)Kommunikation nicht doch von der Polizei abgehört oder mitgeschnitten wird. Das dürfte schwerwiegende Folgen für die Kultur kritischer Medienberichterstattung haben, wenn zum Beispiel im Zuge sensibler Recherchen Whistleblower aus nachvollziehbar guten Gründen vielleicht lieber kein Risiko für ihr Leben und ihre Zukunft mehr eingehen möchten, indem sie sich vertrauensvoll ein eine*n Journalist*in wenden.

Dass das Saarland bereits Ende letzten Jahres den flächendeckenden Einsatz von Taser-Elektroschockern für alle Streifenpolizisten angekündigt hat rundet das fatale Bild des scheinbar sicherheitsfanatischen kleinen Bundeslandes unter einer CDU-SPD-Groko dann nur noch treffend ab.

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Corona-Versammlungsverbote: Verwaltungsgerichte trauen sich endlich (wenn auch nur zaghaft), dem Grundrecht wieder auf die Sprünge zu helfen. Das führt zu Widersprüchen in der Rechtssprechung. Ein Beispiel.

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Quelle: Störfaktor

Langsam, aber nur ganz langsam erhebt sich das Versammlungs-Grundrecht aus der Asche der obrigkeitsstaatlichen Corona-Verordnungen und der unerhört vielfachen Bestätigungen vollständiger oder fast vollständiger Demonstrationsverbote durch die Verwaltungsgerichte in diesem Land. Das führt unweigerlich zu einigen Widersprüchen in der Rechtssprechung, wie das folgende Beispiel dokumentiert.

Mit der plakativen Überschrift „10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover stoppt Versammlungsverbot“ teilt das Verwaltungsgericht Hannover am 16.4.2020 per Pressemitteilung mit:

„Nach Auffassung der 10. Kammer kann das Verbot [der Demonstration in Hildesheim] nicht auf die Corona-Verordnung gestützt werden. Die Corona-Verordnung enthalte zwar in § 2 durch die Beschränkung von Zusammenkünften von Personen faktisch ein Versammlungsverbot. Ein solch generelles Versammlungsverbot, das keine Ausnahmen zulasse, sei aber nicht mit der in Art. 8 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit vereinbar. Bei kleinen Versammlungen bestehe die Möglichkeit, den Gesundheitsschutz durch Beschränkungen der Versammlung zu gewährleisten. So habe die Stadt Hildesheim die Möglichkeit, das Tragen eines Mundschutzes anzuordnen, die Teilnehmerzahl zu begrenzen, Abstandsregelungen zu treffen, dem Versammlungsleiter die Erfassung von Namen und Anschrift der Teilnehmer aufzugeben und ggf. das Versammlungsgelände zu umzäunen.“

Da hat das Verwaltungsgericht Hannover seine Auffassung allerdings radikal geändert. Denn noch drei Wochen zuvor hatte es in einem ähnlich gelagerten Fall, dem Verbot eines Protestes in Hannover mit 5 bis 15 Teilnehmern unter Einhaltung der allgemeinen Corona-Hygienevorschriften, ganz anders geurteilt:

„Ob der Antragsgegner das ihm hinsichtlich der Art und des Umfangs der Maßnahmen eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, indem er im Rahmen der hier streitgegenständlichen Allgemeinverfügung Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum auf höchstens zwei Personen beschränkt und damit Versammlungen zunächst bis zum 18. April 2020 ausgeschlossen hat, muss im vorliegenden Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz hingegen offenbleiben. Eine abschließende Prüfung der dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen ist der Kammer in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Es spricht aber Überwiegendes dafür, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift im Einzelfall – soweit notwendig – auch die Beschränkung von Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum auf höchstens zwei Personen umfassen kann, um das Ausmaß der Folgen einer Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu begrenzen, auch wenn damit erheblich in die Rechte der betroffenen Bürger – insbesondere die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG – eingegriffen wird. (…) Gemessen an diesen Maßstäben überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der sich aus der Allgemeinverfügung ergebenden Beschränkungen.“

Für den Schaden an der Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das vom Verwaltungsgericht bestätigte Verbot der für den 28.3.2020 geplanten Demonstration kann es keine Wiedergutmachung geben, diese Grundrechte wurden durch die richterliche Entscheidung verwirkt.

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Rise of the Police: Baden-Württemberg – Verschärfung des Polizeigesetzes während Corona-Krise (IMI-Analyse 2020/20)

Der freiheitsfoo-Redaktion erscheint es wichtig, einem Beitrag der IMI vom 14.4.2020 zur wenig-öffentlich beachteten erneuten Verschärfung des baden-württembergischen Polizeigesetzes inmitten des Corona-Durcheinanders ein wenig mehr Öffentlichkeit zukommen zu lassen, nachfolgend also diese lesenswerte und wichtige IMI-Analyse wiedergegeben. Ein Online-„Beteiligungsverfahren“ des Landes zur geplanten Gesetzesänderung, das jedoch nicht viel mehr als eine Kommentarfunktion ist und auch noch aus anderen Gründen (siehe Beitrag) keine ernst gemeinte Bürgerbeteiligung sein kann/soll, steht noch bis zum 22.4.2020 zur Verfügung.

 

IMI-Analyse 2020/20

In Baden-Württemberg steht die erneute Verschärfung des Polizeigesetzes an. Gerade jetzt, während der Corona-Krise, soll ein Gesetzesentwurf durchgebracht werden, der sich drastisch von den Ankündigungen der vergangenen Monate unterscheidet. Die Verabschiedung soll einmal mehr weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit passieren. Der Gesetzesentwurf wurde in den letzten Monaten an einigen Stellen grundlegend verändert. Über die zuletzt durchgeführten inhaltlichen Änderungen ist bisher in der Presse weder umfangreich noch differenziert diskutiert worden. Auch deuten Rechtschreibfehler im neuen Gesetzesentwurf auf eine sehr hektische und ungenaue Arbeitsweise hin.

Nach der Verabschiedung des neuen Polizeigesetzes sollen umfangreiche Durchsuchungen von Personen und Sachen im Zusammenhang mit Veranstaltungen und Ansammlungen, der Einsatz von Body Cams in Geschäftsräumen und Wohnungen, sowie grundlegend ausgeweitete Videoüberwachung im öffentlichen Raum ermöglicht werden. Forderungen nach einer Kennzeichnungspflicht, wie sie die Grünen bereits vor Jahren versprachen, sowie unabhängigen Ermittlungsstellen zur Aufklärung von polizeilichem Fehlverhalten bleiben weiterhin ungehört.

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Veröffentlicht: Trickreiche Anweisungen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums an die Landespolizei zur möglichst vollständigen Verhinderung von Demonstrationen

Dass die derzeitige Praxis der Mehrheit von Gerichten und der fast ausschließlichen Gesamtheit der Bundesländer-Corona-Verordnungen, Demonstrationen so gut wie vollständig zu verhindern, ja sogar unter Strafe zu stellen absurd, zumindest aber verfassungsrechtlich in diesme Ausmaß unhaltbar sein wird, das setzt sich als Erkenntnis langsam durch.

Einen weiteren negativen Höhepunkt dieses Trends stellt der am 9.4.2020 mit dem Titel „Einsatzmaßnahmen der Polizei aus Anlass von Versammlungen“ betitelte Eilerlass des nordrhein-westfälischen Innenministeriums dar, den wir hiermit veröffentlichen.

In dem Erlass heißt es – sofern nicht als Zitat gekennzeichnet – sinngemäß:

1.

Alle Demonstrationen sind verboten.

2a.

In Ausnahmefällen davon soll die Polizei Sonderrechte eingeräumt bekommen und bevorzugt gegenüber denjenigen eingebunden werden, die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen. Im Wortlaut:

„Die Kreispolizeibehörden haben im Rahmen der Einbindung der zuständigen Ordnungsbehörden darauf hinzuwirken, dass die Bedingungen, unter denen diese eine Versammlung ausnahmsweise zulassen, mit der Versammlungsbehörde einvernehmlich abgestimmt werden, insbesondere um Wechselwirkungen in der rechtlichen Ausgestaltung und Auswirkungen auf die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung ausreichend berücksichtigen zu können.“

2b.

Das „Vermummungsverbot“ mis- oder unvollständig interpretierend weist das NRW-Innenministerium an, dass seitens der Versammlungsbehörden „keine Schutzmaskenpflicht angeordnet werden sollte.“ Man könnte auch sagen: Pauschale und anlassbefreite Unterstellung einer gewalttätigen Demo geht vor dem Schutz der Gesundheit der Demoteilnehmer.

3.

Im Widerspruch zum Vorgenannten soll die Polizei dafür sorgen, dass die Ordnungsbehörden die Demonstrationen begleiten und „die Einhaltung angeordneter Vorgaben (…) überwachen und bei Nichteinhaltung“ für die Auflösung der Demo sorgen. Eine Art Blockwartfunktion, die man hier dem Ordnungsamt beimisst. In Verbindung mit Punkt 2b scheint es sich hierbei um ein mittelbares „Rezept“ zur erfolgreichen polizeilichen Verhinderung jeder auch im Ausnahmeverfahren geregelten Demonstration zu handeln. Zumindest das Potential für derart willkürliches Polizeihandeln ist somit gegeben.

4.

Das Innenministerium droht implizit damit, die in § 11 (3) definierte Ausnahmeregelung der Corona Schutzverordnung (CoronaSchVO) abzuschaffen (zu lassen), falls sich irgendein (einzelner) Anlass dafür bietet.

Der Erlass dieser „Einsatzmaßnahmen“ ist im Zusammenhang mit den vom NRW-Innenministerium nicht gern gesehenen Demonstrationen gegen die Urananreichungsanlage in Gronau unter dem Motto „Urananreicherung beenden – Atomwaffen ächten“ zu sehen.

Alles in allem kann man konstatieren, dass dieser vom NRW-Innenminister Reul zu verantwortende Erlass ein weiteres Beispiel dafür ist, welche Missachtung das für eine Demokratie maßgebliche Versammlungsgrundrecht derzeit erfährt. Man könnte auch sagen: Mit den Füßen getreten wird.

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Erneut: Polizei handelt unverhältnismäßig im Umgang mit einer Demonstration, gefährdet die Gesundheit der Protestierenden, verleugnet das Opportunitätsprinzip

Zur weiteren Dokumentation zur derzeitigen Praxis fast vollständiger Demonstrationsverbote und der dazugehörigen polizeilichen Durchsetzungspraxis – beides aus unserer Sicht in vielen Fällen völlig unverhältnismäßig und überzogen – nachfolgend die Wiedergabe einer Pressemitteilung des Ermittlungsausschusses Hannover vom 13.4.2020 (Hervorhebungen durch uns):

Pressemitteilung: Infektionsschutz und Meinungsäußerung müssen nicht im Widerspruch stehen

Abschaffung der Versammlungsfreiheit während der Corona-Pandemie

Hannover, Linden. Am 11. April 2020 brachte die Polizei sich, Passant*innen und Demonstrant*innen in Gefahr, als sie eine Protestaktion an der Limmerstraße gewaltsam unterband. Ungefähr 50 Demonstrierende hatten sich gegen 14 Uhr in Zweiergruppen mit Schildern, Plakaten und Transparenten auf der Limmerstraße versammelt. Auf den Schildern waren Slogans wie „Hier ist Platz – griechische Lager evakuieren“, „Keine Profite mit der Miete“ und „Rassismus tötet – auch jetzt“ zu lesen. Die Protestierenden setzten sich dafür ein, dass alle Menschen während der Pandemie – und auch sonst – geschützt werden müssen. „Die Menschen in Moria und alle, die auf ihrer Flucht über das Mittelmeer in Seenot geraten, müssen sofort in Sicherheit gebracht werden – es gibt hier in Deutschland genug Platz und Ressourcen, die allen zur Verfügung stehen müssen“, sagte eine Demonstrantin. Eine weitere Person bemerkte: „Keine zwei Monate nach dem rassistischen Attentat in Hanau gibt es in Celle und bei Oldenburg schon wieder zwei Morde, bei denen ein rassistisches Motiv zu befürchten ist und keiner redet darüber. Da muss ich doch etwas tun.“

Um die Sicherheit aller Teilnehmenden und Umstehenden zu gewährleisten, trugen die Protestierenden Mundschutz, waren maximal zu zweit unterwegs und hielten die empfohlenen Sicherheitsabstände untereinander und gegenüber Passant*innen ein.

Erst durch das Einschreiten der Polizei wurde die Situation für alle Beteiligten gefährlich und ein unnötiges Ansteckungsrisiko mit Corona-Viren produziert. Zwei Polizist*innen setzten nach ca. zehn Minuten eine Person unter Anwendung von körperlicher Gewalt vorübergehend fest. Anschließend kesselten sie weitere 13 Menschen ein, darunter Demonstrant*innen und Passant*innen, die daraufhin sehr nah zusammen standen. Die Polizist*innen selbst trugen keinen Mundschutz und teilweise auch keine Handschuhe. Laut Informationen der HAZ droht einer Person ein Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und den 13 gekesselten Personen werden Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz vorgeworfen. „Uns vorzuwerfen, wir wären unvorsichtig mit den Infektionsschutzmaßnahmen umgegangen, ist absurd. Die Verstöße gegen die Infektionsschutzmaßnahmen wurden von den Polizist*innen begangen, nicht von uns“ bemerkte eine Demonstrant*in. „Wie sollen die Demonstrant*innen denn den Sicherheitsabstand einhalten wenn die Polizei sie so zusammentreibt?“ fragte eine unbeteiligte Passant*in.

Die Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung werden derzeit durch die Maßnahmen zum Infektionsschutz stark eingeschränkt.

Damit ist ein zentrales demokratisches Grundrecht de facto außer Kraft gesetzt. Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Deutschland allerdings nur in äußersten Ausnahmen und dann auch nur in Einzelfallentscheidungen zur Erreichung eines bestimmten Ziels erlaubt: In diesem Fall die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen. „Dass politische Meinungsäußerung, die nicht im Widerspruch zum Infektionsschutz steht, unmöglich gemacht und mit Repression belegt wird, ist nicht hinnehmbar und gefährlich.“ sagte eine Sprecherin des Ermittlungsausschusses Hannover. „Die Aktivist*innen haben an dieser und anderer Stelle gezeigt, dass politische Meinungsäußerung und Aktionen auf der Straße möglich sind, ohne in Konflikt mit dem Infektionsschutz zu geraten.“ ergänzt sie weiter. Bereits am vergangenen Sonntag wurde eine Aktion der Kampagne #leavonoonebehind im Georgengarten ebenfalls unterbunden. Auch in anderen Bundesländern wie z.B. Berlin schreitet die Polizei wiederholt bei Aktionen ein, die sich an alle Sicherheitsbestimmungen halten. Die Polizei durchbricht so immer wieder den Infektionsschutz und bringt so alle Beteiligten in Gefahr.

Ermittlungsausschuss Hannover, 13.04.2020

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