freiheitsfoo-Stellungnahme an den Landtag Saarland zu den geplanten neuen Polizeigesetzen: Schwere Grundrechtseinschränkungen für Verdächtige und Gedankenverbrecher, Videoüberwachung ohne Ende, Polizeientscheidungen auf Basis von Computerberechnungen und Algorithmen und ohne menschliche Kontrollinstanz, Staatstrojaner und Lauschangriffe auf Journalisten. Geht’s noch?

Der Innenausschuss des Landtags Saarland hat das freiheitsfoo zur Abgabe einer Stellungnahme für die geplanten neuen Polizeigesetze aufgefordert. Dazu hatten wir bereits im Vorfeld eine Gegenüberstellung der alten zu den neuen Regelungen („Synopse“) erstellt, um diese Gesetzgebung etwas verständlicher und transparenter zu machen. Eine Arbeit, die der Landtag bzw. die schwarz-rote Landesregierung nicht leisten wollte, die aber überhaupt erst ersichtlich und verständlich macht, was mit dem Gesetzesvorhaben konkret beabsichtigt wird.

Nun haben wir die 35 Seiten bzw. inklusive aller Anhänge sogar 226 Seiten starke Stellungnahme fertiggestellt, dem Landtag nach Saarbrücken übermittelt und veröffentlichen sie hiermit:

https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/20200503-freiheitsfoo-Stellungnahme-neue-Polizeigesetze-Saarland-LTDS-16-1180-final-anon.pdf

Am kommenden Donnerstag soll der Innenausschuss des saarländischen Landtags mittels Videokonferenz über den Gesetzentwurf beraten. Vermutlich wird das freiheitsfoo auch daran teilnehmen.

Soweit uns bekannt wurden neben uns u.a. auch noch zur Stellungnahme aufgefordert und eingeladen:

  • LKT (Landkreistag Saarland)
  • SSGT (Saarländischer Städte- und Gemeindetag)
  • BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter)
  • DPolG (Deutsche Polizeigewerkschaft)
  • Unabhängiges Datenschutzzentrum Saarland
  • Fachhochschule für Verwaltung Saarland
  • LPP – Landespolizeipräsidium
  • HWR – Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
  • DAV – Deutscher Anwaltverein
  • ai – Amnesty International
  • CCC – Chaos Computer Club

Eine vollständige Liste aller Eingeladenen will oder darf uns die Landtagsverwaltung nicht beauskunften. Bemerkenswert ist auch, dass einige der Eingeladenen bereits in den Entstehungsprozess des Gesetzentwurfs eingebunden worden sind. Bei dieser Vorzugsbehandlung blieben die Gruppen aus der Zivilgesellschaft allerdings allesamt außen vor.

Die inhaltliche Kritik am Gesetzentwurf ist so umfangreich wie schwerwiegend:

Auch im Saarland soll ein Paradigmenwechsel der Arbeit der Landespolizei, das heißt ihrer Stellung im gesellschaftlichen Gefüge eingeläutet werden. Denn zukünftig darf die saarländische Polizei schon dann einige schwere Grundrechtseingriffe an den Menschen vornehmen, wenn sie tatsachenbasiert lediglich „annimmt“ oder „das individuelle Verhalten dieser Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet“, dass diese Menschen (als Objekte der polizeilichen und polizeiinternen Betrachtung und Bewertung) über die Begehung einer (jeweils bestimmten) Straftat nachsinnen.

Zu diesen Maßnahmen können u.a. zählen:

  • Platzverweise
  • Wohnungsverweise
  • Aufenthaltsverbote
  • Kontaktverbote (!)
  • Elektronische Fußfessel
  • Aufenthaltsgebote (ein euphemistischer Ausdruck für Gefängnis-Zonen im eigenen Heim oder öffentlichen Raum)
  • Observation (verdeckte Beobachtung)
  • verdeckte Videoüberwachung
  • Lauschangriff (Abhören und Aufzeichnen des privat gesprochenen Wortes)
  • Einsatz von bezahlten Informanten und Polizeispitzeln und -spionen
  • Funkzellen- und Bestandsdatenabfragen samt Geo-Positionsdaten, soweit verfügbar
  • Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) samt Staatstrojaner (Software-Verwanzung von Smartphones und Computern)

Damit ist zugleich ein Teil der Neuerungen an technischen Mitteln und Befugnissen für die Polizei im Saarland beschrieben. Das ist aber nicht alles:

Die Zulässigkeit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum soll großzügig bis ins theoretisch (fast) flächendeckende ausgedehnt werden, der Einsatz von BodyCams auch in privaten Wohnungen zulässig sein und ein heimliches („verdecktes“) Scanning von Auto-Kennzeichen wird neu eingeführt. Ein eigener Paragraph ermöglicht/erlaubt zukünftig zudem unter bestimmten Bedingungen rein algorithmenbasierte Entscheidungen mittels Computern/IT-Systemen und ohne menschliches Zutun selbst dann, wenn diese zu einer „nachteiligen Rechtsfolge“ oder zu einer „erheblichen Beeinträchtigung“ für einen Menschen führen kann. Klingt wie dystopische Science-Fiction, ist es aber leider nicht.

Neben dem allen (und noch mehr hier in der Kürze unerwähnten) fiel uns eine besonders heimtückische, weil auf den ersten Blick in ihren Folgen schwer identifizierbare Formulierung im § 41 SPolDVG, einem der beiden neuen Polizeigesetze für das Saarland, auf:

In diesem Paragraphen geht es u.a. um den Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen. Doch für Journalist*innen, Ärzt*innen und Beratungsstellen soll dieser Schutz zukünftig nur noch eingeschränkt gelten. Der Privatsphären- und Telekommunikationsschutz dieser Berufsgruppen soll im Zuge einer „Abwägung“ eingeschränkt werden können. Journalisten und Journalistinnen können sich also im Saarland zukünftig nicht mehr grundsätzlich sicher sein, dass ihre Arbeit und ihre (Tele-)Kommunikation nicht doch von der Polizei abgehört oder mitgeschnitten wird. Das dürfte schwerwiegende Folgen für die Kultur kritischer Medienberichterstattung haben, wenn zum Beispiel im Zuge sensibler Recherchen Whistleblower aus nachvollziehbar guten Gründen vielleicht lieber kein Risiko für ihr Leben und ihre Zukunft mehr eingehen möchten, indem sie sich vertrauensvoll ein eine*n Journalist*in wenden.

Dass das Saarland bereits Ende letzten Jahres den flächendeckenden Einsatz von Taser-Elektroschockern für alle Streifenpolizisten angekündigt hat rundet das fatale Bild des scheinbar sicherheitsfanatischen kleinen Bundeslandes unter einer CDU-SPD-Groko dann nur noch treffend ab.

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Corona-Versammlungsverbote: Verwaltungsgerichte trauen sich endlich (wenn auch nur zaghaft), dem Grundrecht wieder auf die Sprünge zu helfen. Das führt zu Widersprüchen in der Rechtssprechung. Ein Beispiel.

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Quelle: Störfaktor

Langsam, aber nur ganz langsam erhebt sich das Versammlungs-Grundrecht aus der Asche der obrigkeitsstaatlichen Corona-Verordnungen und der unerhört vielfachen Bestätigungen vollständiger oder fast vollständiger Demonstrationsverbote durch die Verwaltungsgerichte in diesem Land. Das führt unweigerlich zu einigen Widersprüchen in der Rechtssprechung, wie das folgende Beispiel dokumentiert.

Mit der plakativen Überschrift „10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover stoppt Versammlungsverbot“ teilt das Verwaltungsgericht Hannover am 16.4.2020 per Pressemitteilung mit:

„Nach Auffassung der 10. Kammer kann das Verbot [der Demonstration in Hildesheim] nicht auf die Corona-Verordnung gestützt werden. Die Corona-Verordnung enthalte zwar in § 2 durch die Beschränkung von Zusammenkünften von Personen faktisch ein Versammlungsverbot. Ein solch generelles Versammlungsverbot, das keine Ausnahmen zulasse, sei aber nicht mit der in Art. 8 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit vereinbar. Bei kleinen Versammlungen bestehe die Möglichkeit, den Gesundheitsschutz durch Beschränkungen der Versammlung zu gewährleisten. So habe die Stadt Hildesheim die Möglichkeit, das Tragen eines Mundschutzes anzuordnen, die Teilnehmerzahl zu begrenzen, Abstandsregelungen zu treffen, dem Versammlungsleiter die Erfassung von Namen und Anschrift der Teilnehmer aufzugeben und ggf. das Versammlungsgelände zu umzäunen.“

Da hat das Verwaltungsgericht Hannover seine Auffassung allerdings radikal geändert. Denn noch drei Wochen zuvor hatte es in einem ähnlich gelagerten Fall, dem Verbot eines Protestes in Hannover mit 5 bis 15 Teilnehmern unter Einhaltung der allgemeinen Corona-Hygienevorschriften, ganz anders geurteilt:

„Ob der Antragsgegner das ihm hinsichtlich der Art und des Umfangs der Maßnahmen eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, indem er im Rahmen der hier streitgegenständlichen Allgemeinverfügung Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum auf höchstens zwei Personen beschränkt und damit Versammlungen zunächst bis zum 18. April 2020 ausgeschlossen hat, muss im vorliegenden Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz hingegen offenbleiben. Eine abschließende Prüfung der dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen ist der Kammer in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Es spricht aber Überwiegendes dafür, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift im Einzelfall – soweit notwendig – auch die Beschränkung von Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum auf höchstens zwei Personen umfassen kann, um das Ausmaß der Folgen einer Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu begrenzen, auch wenn damit erheblich in die Rechte der betroffenen Bürger – insbesondere die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG – eingegriffen wird. (…) Gemessen an diesen Maßstäben überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der sich aus der Allgemeinverfügung ergebenden Beschränkungen.“

Für den Schaden an der Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das vom Verwaltungsgericht bestätigte Verbot der für den 28.3.2020 geplanten Demonstration kann es keine Wiedergutmachung geben, diese Grundrechte wurden durch die richterliche Entscheidung verwirkt.

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Rise of the Police: Baden-Württemberg – Verschärfung des Polizeigesetzes während Corona-Krise (IMI-Analyse 2020/20)

Der freiheitsfoo-Redaktion erscheint es wichtig, einem Beitrag der IMI vom 14.4.2020 zur wenig-öffentlich beachteten erneuten Verschärfung des baden-württembergischen Polizeigesetzes inmitten des Corona-Durcheinanders ein wenig mehr Öffentlichkeit zukommen zu lassen, nachfolgend also diese lesenswerte und wichtige IMI-Analyse wiedergegeben. Ein Online-„Beteiligungsverfahren“ des Landes zur geplanten Gesetzesänderung, das jedoch nicht viel mehr als eine Kommentarfunktion ist und auch noch aus anderen Gründen (siehe Beitrag) keine ernst gemeinte Bürgerbeteiligung sein kann/soll, steht noch bis zum 22.4.2020 zur Verfügung.

 

IMI-Analyse 2020/20

In Baden-Württemberg steht die erneute Verschärfung des Polizeigesetzes an. Gerade jetzt, während der Corona-Krise, soll ein Gesetzesentwurf durchgebracht werden, der sich drastisch von den Ankündigungen der vergangenen Monate unterscheidet. Die Verabschiedung soll einmal mehr weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit passieren. Der Gesetzesentwurf wurde in den letzten Monaten an einigen Stellen grundlegend verändert. Über die zuletzt durchgeführten inhaltlichen Änderungen ist bisher in der Presse weder umfangreich noch differenziert diskutiert worden. Auch deuten Rechtschreibfehler im neuen Gesetzesentwurf auf eine sehr hektische und ungenaue Arbeitsweise hin.

Nach der Verabschiedung des neuen Polizeigesetzes sollen umfangreiche Durchsuchungen von Personen und Sachen im Zusammenhang mit Veranstaltungen und Ansammlungen, der Einsatz von Body Cams in Geschäftsräumen und Wohnungen, sowie grundlegend ausgeweitete Videoüberwachung im öffentlichen Raum ermöglicht werden. Forderungen nach einer Kennzeichnungspflicht, wie sie die Grünen bereits vor Jahren versprachen, sowie unabhängigen Ermittlungsstellen zur Aufklärung von polizeilichem Fehlverhalten bleiben weiterhin ungehört.

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Veröffentlicht: Trickreiche Anweisungen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums an die Landespolizei zur möglichst vollständigen Verhinderung von Demonstrationen

Dass die derzeitige Praxis der Mehrheit von Gerichten und der fast ausschließlichen Gesamtheit der Bundesländer-Corona-Verordnungen, Demonstrationen so gut wie vollständig zu verhindern, ja sogar unter Strafe zu stellen absurd, zumindest aber verfassungsrechtlich in diesme Ausmaß unhaltbar sein wird, das setzt sich als Erkenntnis langsam durch.

Einen weiteren negativen Höhepunkt dieses Trends stellt der am 9.4.2020 mit dem Titel „Einsatzmaßnahmen der Polizei aus Anlass von Versammlungen“ betitelte Eilerlass des nordrhein-westfälischen Innenministeriums dar, den wir hiermit veröffentlichen.

In dem Erlass heißt es – sofern nicht als Zitat gekennzeichnet – sinngemäß:

1.

Alle Demonstrationen sind verboten.

2a.

In Ausnahmefällen davon soll die Polizei Sonderrechte eingeräumt bekommen und bevorzugt gegenüber denjenigen eingebunden werden, die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen. Im Wortlaut:

„Die Kreispolizeibehörden haben im Rahmen der Einbindung der zuständigen Ordnungsbehörden darauf hinzuwirken, dass die Bedingungen, unter denen diese eine Versammlung ausnahmsweise zulassen, mit der Versammlungsbehörde einvernehmlich abgestimmt werden, insbesondere um Wechselwirkungen in der rechtlichen Ausgestaltung und Auswirkungen auf die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung ausreichend berücksichtigen zu können.“

2b.

Das „Vermummungsverbot“ mis- oder unvollständig interpretierend weist das NRW-Innenministerium an, dass seitens der Versammlungsbehörden „keine Schutzmaskenpflicht angeordnet werden sollte.“ Man könnte auch sagen: Pauschale und anlassbefreite Unterstellung einer gewalttätigen Demo geht vor dem Schutz der Gesundheit der Demoteilnehmer.

3.

Im Widerspruch zum Vorgenannten soll die Polizei dafür sorgen, dass die Ordnungsbehörden die Demonstrationen begleiten und „die Einhaltung angeordneter Vorgaben (…) überwachen und bei Nichteinhaltung“ für die Auflösung der Demo sorgen. Eine Art Blockwartfunktion, die man hier dem Ordnungsamt beimisst. In Verbindung mit Punkt 2b scheint es sich hierbei um ein mittelbares „Rezept“ zur erfolgreichen polizeilichen Verhinderung jeder auch im Ausnahmeverfahren geregelten Demonstration zu handeln. Zumindest das Potential für derart willkürliches Polizeihandeln ist somit gegeben.

4.

Das Innenministerium droht implizit damit, die in § 11 (3) definierte Ausnahmeregelung der Corona Schutzverordnung (CoronaSchVO) abzuschaffen (zu lassen), falls sich irgendein (einzelner) Anlass dafür bietet.

Der Erlass dieser „Einsatzmaßnahmen“ ist im Zusammenhang mit den vom NRW-Innenministerium nicht gern gesehenen Demonstrationen gegen die Urananreichungsanlage in Gronau unter dem Motto „Urananreicherung beenden – Atomwaffen ächten“ zu sehen.

Alles in allem kann man konstatieren, dass dieser vom NRW-Innenminister Reul zu verantwortende Erlass ein weiteres Beispiel dafür ist, welche Missachtung das für eine Demokratie maßgebliche Versammlungsgrundrecht derzeit erfährt. Man könnte auch sagen: Mit den Füßen getreten wird.

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Erneut: Polizei handelt unverhältnismäßig im Umgang mit einer Demonstration, gefährdet die Gesundheit der Protestierenden, verleugnet das Opportunitätsprinzip

Zur weiteren Dokumentation zur derzeitigen Praxis fast vollständiger Demonstrationsverbote und der dazugehörigen polizeilichen Durchsetzungspraxis – beides aus unserer Sicht in vielen Fällen völlig unverhältnismäßig und überzogen – nachfolgend die Wiedergabe einer Pressemitteilung des Ermittlungsausschusses Hannover vom 13.4.2020 (Hervorhebungen durch uns):

Pressemitteilung: Infektionsschutz und Meinungsäußerung müssen nicht im Widerspruch stehen

Abschaffung der Versammlungsfreiheit während der Corona-Pandemie

Hannover, Linden. Am 11. April 2020 brachte die Polizei sich, Passant*innen und Demonstrant*innen in Gefahr, als sie eine Protestaktion an der Limmerstraße gewaltsam unterband. Ungefähr 50 Demonstrierende hatten sich gegen 14 Uhr in Zweiergruppen mit Schildern, Plakaten und Transparenten auf der Limmerstraße versammelt. Auf den Schildern waren Slogans wie „Hier ist Platz – griechische Lager evakuieren“, „Keine Profite mit der Miete“ und „Rassismus tötet – auch jetzt“ zu lesen. Die Protestierenden setzten sich dafür ein, dass alle Menschen während der Pandemie – und auch sonst – geschützt werden müssen. „Die Menschen in Moria und alle, die auf ihrer Flucht über das Mittelmeer in Seenot geraten, müssen sofort in Sicherheit gebracht werden – es gibt hier in Deutschland genug Platz und Ressourcen, die allen zur Verfügung stehen müssen“, sagte eine Demonstrantin. Eine weitere Person bemerkte: „Keine zwei Monate nach dem rassistischen Attentat in Hanau gibt es in Celle und bei Oldenburg schon wieder zwei Morde, bei denen ein rassistisches Motiv zu befürchten ist und keiner redet darüber. Da muss ich doch etwas tun.“

Um die Sicherheit aller Teilnehmenden und Umstehenden zu gewährleisten, trugen die Protestierenden Mundschutz, waren maximal zu zweit unterwegs und hielten die empfohlenen Sicherheitsabstände untereinander und gegenüber Passant*innen ein.

Erst durch das Einschreiten der Polizei wurde die Situation für alle Beteiligten gefährlich und ein unnötiges Ansteckungsrisiko mit Corona-Viren produziert. Zwei Polizist*innen setzten nach ca. zehn Minuten eine Person unter Anwendung von körperlicher Gewalt vorübergehend fest. Anschließend kesselten sie weitere 13 Menschen ein, darunter Demonstrant*innen und Passant*innen, die daraufhin sehr nah zusammen standen. Die Polizist*innen selbst trugen keinen Mundschutz und teilweise auch keine Handschuhe. Laut Informationen der HAZ droht einer Person ein Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und den 13 gekesselten Personen werden Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz vorgeworfen. „Uns vorzuwerfen, wir wären unvorsichtig mit den Infektionsschutzmaßnahmen umgegangen, ist absurd. Die Verstöße gegen die Infektionsschutzmaßnahmen wurden von den Polizist*innen begangen, nicht von uns“ bemerkte eine Demonstrant*in. „Wie sollen die Demonstrant*innen denn den Sicherheitsabstand einhalten wenn die Polizei sie so zusammentreibt?“ fragte eine unbeteiligte Passant*in.

Die Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung werden derzeit durch die Maßnahmen zum Infektionsschutz stark eingeschränkt.

Damit ist ein zentrales demokratisches Grundrecht de facto außer Kraft gesetzt. Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Deutschland allerdings nur in äußersten Ausnahmen und dann auch nur in Einzelfallentscheidungen zur Erreichung eines bestimmten Ziels erlaubt: In diesem Fall die Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen. „Dass politische Meinungsäußerung, die nicht im Widerspruch zum Infektionsschutz steht, unmöglich gemacht und mit Repression belegt wird, ist nicht hinnehmbar und gefährlich.“ sagte eine Sprecherin des Ermittlungsausschusses Hannover. „Die Aktivist*innen haben an dieser und anderer Stelle gezeigt, dass politische Meinungsäußerung und Aktionen auf der Straße möglich sind, ohne in Konflikt mit dem Infektionsschutz zu geraten.“ ergänzt sie weiter. Bereits am vergangenen Sonntag wurde eine Aktion der Kampagne #leavonoonebehind im Georgengarten ebenfalls unterbunden. Auch in anderen Bundesländern wie z.B. Berlin schreitet die Polizei wiederholt bei Aktionen ein, die sich an alle Sicherheitsbestimmungen halten. Die Polizei durchbricht so immer wieder den Infektionsschutz und bringt so alle Beteiligten in Gefahr.

Ermittlungsausschuss Hannover, 13.04.2020

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Brandbrief universitärer Extremismusforschung: Polizei Bayern verletzt Forschungsfreiheit eklatant und begräbt die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes

Titelbild des Buches „Der Minister und der Terrorist“ aus dem Jahr 1980

Angesichts der aus unserer Sicht großen Brisanz und Bedeutung des Vorganges rezitieren wir hier einen Brandbrief aus der universitären Forschung an die bayrischen „Sicherheitsbehörden“:

Verteidigt die Forschungsfreiheit – Wir verurteilen die Beschlagnahme von Forschungsdaten!

Am 31. Januar 2020 durchsuchten Beamte des Bayerischen Landeskriminalamtes das Universitätsbüro eines Hochschullehrers, der ein Forschungsprojekt zum Thema „Radikalisierung im Strafvollzug“ durchführt. Dabei beschlagnahmten sie – abgesehen von einer wissenschaftlichen Publikation – die Kopie der Audio-Aufzeichnung eines Interviews mit einem Strafgefangenen sowie eine Liste mit den Namen aller im Zuge des Forschungsprojekts interviewten Gefangenen.

Wir protestieren auf das Schärfste gegen diese Maßnahmen. Sie verletzen die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit des Hochschullehrers (s. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG).

Der vom Oberlandesgericht München ausgestellte Durchsuchungsbeschluss lässt nicht erkennen, dass dieses hohe Gut bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen überhaupt berücksichtigt wurde. Die Maßnahmen dienten nicht der Verhütung einer bevorstehenden Straftat, sondern wurden mit Ermittlungen gegen den Gefangenen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung begründet. Ein solches Vorgehen der Sicherheitsbehörden ist aus wissenschaftlicher Sicht inakzeptabel. Die Achtung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes ist für Forschung von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, Interviews mit Personen zu führen, die mutmaßlich oder erwiesenermaßen Straftaten begangen haben. Das gilt nicht nur für die Radikalisierungsforschung, sondern für jede Form von empirischer Forschung im Bereich der Kriminologie und ihrer Bezugswissenschaften.

Der Schaden, der dadurch angerichtet wird, ist absehbar groß. Ohne wissenschaftliche Forschung wird es keine verlässlichen und belastbaren Erkenntnisse zu den Ursachen strafbarer Verhaltensweisen sowie zu ihrer Prävention und Behandlung geben! Das ist nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

Wir fordern die Sicherheitsbehörden dazu auf, die Forschungsfreiheit der Wissenschaft zu achten und alle Eingriffe in dieses Grundrecht zu unterlassen, soweit sie nicht unmittelbar der Abwendung bevorstehender schwerer Straftaten dienen. Soweit das erforderlich sein sollte, rufen wir den Gesetzgeber auf, per Gesetz sicherzustellen, dass die Freiheit der Forschung gewährleistet ist.

Für den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbund „Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ)“

  • Deutsche Hochschule der Polizei, Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention
  • Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Psychologie, Abteilung für Forschungssynthese, Intervention und Evaluation sowie Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration
  • Georg-August-Universität Göttingen, Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie
  • Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V.
  • Leibniz Universität Hannover, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie
  • Universität Greifswald, Lehrstuhl für Gesundheit und Prävention
  • Universität Greifswald, Lehrstuhl für Kriminologie, Strafrecht, Strafprozessrecht und vergleichende Strafrechtswissenschaften
  • Universität zu Köln, Institut für Kriminologie
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Groteske Auflösungen von Demonstrationen, Polizisten gefährden die Gesundheit von Versammlungsteilnehmern

Corona-Ausnahmezustand: Einkaufen in Blumenläden erlaubt, Demonstrieren verboten. (Unterstes Bild von Jannis Große, entnommen einem lesenswerten Bericht einer polizeilich verhinderten Demo in Hamburg)

Bundesweit mehrt sich der Widerstand gegen die zumeist vollständigen und ausnahmslosen Versammlungsverbote im Zuge der Corona-Verordnungen. Während die meisten Richter und Richterinnen noch immer nicht die fatalen Folgewirkungen ihrer Eilentscheidungen zu verstehen scheinen, gibt es hier und da erfolgreiche Akte des Wiederbelebens des Versammlungsgrundrechts (Beispiele Flensburg, Lüneburg, Münster). Einen Überblick zu behalten fällt schwer und von daher zitieren wir lediglich beispielhaft nachfolgend eine Nachschau der Göttinger „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ zu dem polizeilichen Vorgehen gegen eine Versammlung am 5.4.2020 in Göttingen:

Nachschau auf die polizeilichen Auflösungen der Aktion „Spuren hinterlassen“ am 5. 4. 2020 in Göttingen und bundesweit

Die Ereignisse am 5. 4. 2020 in Göttingen, machen uns mit zunehmendem zeitlichem Abstand immer fassungsloser: Zum Zeitpunkt der Anordnung zur Auflösung der Demonstration befanden sich auf der gesamtem Fläche zwischen der Bushaltestelle vor dem Neuen Rathaus und dem Bauzaun an den Wasserspielen 8 Polizisten und 20 weitere Personen. Auf dem gegenüberliegenden Gehweg bis zum Fußgängerüberweg an der Keplerstraße befanden sich 5 Polizisten und ca. 15 weitere Personen (in jedem Supermarkt ist aktuell die Personendichte weitaus höher). Zu den wenigen Situationen mit geringeren Abständen als 1,5 m, z.B. am Fußgängerüberweg zum Neuen Rathaus, kam es erst durch die Räumungsanordnung der Polizei.

Diese argumentierte in der Presse und auch gegenüber unserem von der ersten Personalienfeststellung dieses Tages betroffenem Mitglied, es sei für sie selbst ungefährlich, einen geringeren Abstand einzuhalten, da sie im Moment in festen Besetzungen im Einsatz seien. Abgesehen von einer offenkundig völlig falschen Einschätzung des Infektionsrisikos innerhalb des Polizeipersonals offenbart dies, dass sie den Kern der Kritik nicht verstanden haben: Durch das drastische Unterschreiten des Mindestabstandes zu einigen, gegen die sie Maßnahmen durchführten, gefährdeten sie diese Personen und ihre Angehörigen. Die wiederholt deutlich ausgesprochene Aufforderung unseres Mitglieds auf den Mindestabstand zu achten, wurde ignoriert – selbst nach dem Hinweis, dass er in einem Haushalt mit einer Risikoperson lebe.

Dieses Personen gefährdende Verhalten ist im Hinblick auf die Begründung der Räumungsanordnung, der Mindestabstand sei nicht eingehalten worden, völlig unangemessen.

In der Gesamtschau wirft das die Frage auf, worum es bei der Auflösung der gestrigen Aktion tatsächlich ging. Stellt man die grotesken Vorgänge in Göttingen in einen bundesweiten Zusammenhang, stellt sich die Frage noch drängender: Von der Kleinstadt bis zur Hauptstadt wurden jedwede Versammlungen in diesem Kontext entweder von vorherein oder im weiteren Ablauf unterbunden.

Wir sehen auch einen starken Zusammenhang zwischen der aktuellen de-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Versammlung und der extrem menschenrechtsmissachtenden Abschottungspolitik der EU. Wir alle erleben in diesen Tagen, dass Grund- und Menschenrechte über Bord geworfen werden. Die Begründungen für das Außerkraftsetzen der Versammlungsfreiheit sind hochgradig demokratiefeindlich. Die Abschottungspolitik ist rassistisch bzw. nationalistisch motiviert.

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Zeitzeichen, 19

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

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Leak aus Handlungsanweisungen für die Polizei Göttingen: „Soziales Herumlungern an Bahnhöfen“ soll mit bis zu 25.000 Euro Bußgeld geahndet werden. [Update]

Jetzt verboten und bis zu 2.500 Euro teuer: „Soziales Herumlungern“ am Bahnhof, hier ein Beispiel für „Abhängen“ am Hauptbahnhof Hannover

Ein uns zugegangener Ausschnitt einem Dokument der Polizeidirektion Göttingen, das beschreiben soll, was im Zuge der Corona-Grundrechtsbeschneidungen nun verboten und zu ahnden sei:

Gruppenbildungen d.h. Zusammentreffen von mehr als zwei Personen, die nicht einem Hausstand angehören.

a) in der Öffentlichkeit und in öffentlich zugänglichen, geschlossenen Räumen z.B. Picknick, Grillen, soziales Herumlungern an Bahnhöfen Verstoß gegen Allgemeinverfügung, § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG Geldbuße bis maximal 25.000 EURO

b) in privaten Wohnungen und nicht-öffentlich zugänglichen Räumen z.B. private Feiern, ständige Besuche über „ein absolut nötiges Minimum“ hinaus. Verstoß gegen Allgemeinverfügung, § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG Geldbuße bis maximal 25.000 EURO

Besuche, d.h. private Besuche in nicht-öffentlich zugänglichen Räumen.

Zulässig sind Besuche bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen und die Wahrnehmung des Sorgerechts.

Wir fragen uns, was denn unter „sozialem Herumlungern zu verstehen ist. Diese Begrifflichkeit ist derart unbestimmt, dass willkürlichem polizeilichen Handeln Tür und Tor geöffnet werden. Ein sachlicher Freibrief für Racial Profiling und vernebelt rassistisch unterlegtes repressives Handeln der mit dem „staatlichen Gewaltmonopol“ betrauten Polizei.

Hinterfragenswürdig auch, wie die Praxis der polizeilichen Kontrolle und Ahndung angeblich untersagte Besuche in Privatwohnungen aussehen kann – selbst wenn die Grundlage für diese Regelung nach einigem Durcheinander und Hin-und-Her in der Niedersächsischen Landesregierung nun in Teilen zurückgezogen bzw. abgemildert werden soll.

Die Schwammigkeit und Wortwahl dieser Vorgaben erzeugen Unsicherheit, ja wecken Erinnerungen an düstere Zeiten deutscher Geschichte und können so kein Vertrauen gegenüber der Polizei und dem sie anweisenden Innenministerium aufbauen.

Abhängen wird verboten, Schlendern ist Luxus.

 

[Update 8.4.2020, 13:38 Uhr]

Trotz mehrfachen Nachfragens ist die Polizeidirektion Göttingen nicht bereit oder in der Lage, auf unsere Frage zur Bestimmung/Definition des „Sozialen Herumlungerns“ in den von ihr an die Polizeikräfte ausgehändigten Handlungsanweisungen einzugehen.

Stattdessen erklärt die Polizei uns gegenüber – von uns als euphemistisch empfunden – folgendes:

„Zu Unklarheiten bzgl. der Begrifflichkeit „Herumlungern“ ist es bei den eingesetzten Beamten/-innen nicht gekommen.“

Ach. Unsere Kritik bleibt also substantiell bestehen.

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Leak zum polizeilichen Abruf personenbezogener Daten von den Gesundheitsämtern Niedersachsens: Neuer Rechtfertigungsentwurf beruft sich nun auf „Notstands“-Paragraphen

In den letzten Tagen wurde Stück für Stück bekannt, dass die Landespolizeien einiger Bundesländer sich das Recht ausnehmen, besonders geschützte, unter das Arztgeheimnis fallende personenbezogene Gesundheitsdaten von den Gesundheitsämtern der Städte und Kommunen abzufragen und in Polizeidatenbanken einzupflegen.

Auch in Niedersachsen war (oder ist!) dieses der Fall. Nachdem die Landesdatenschutzbeauftragte Niedersachsens von der Sache erfuhr (und ihr fälschlicherweise seitens des nds. Innenministeriums zugeschrieben worden war, in den Vorgang involviert gewesen zu sein!) untersagte Sie am letzten Freitag, den 3.4.2020 den Gesundheitsämtern des Bundeslandes, weitere personenbezogene Daten an die Polizei zu übermitteln. Dieses sei „unverhältnismäßig und verstoße gegen den Datenschutz“.

Uns wurde nun ein Textausschnitt aus einem Dokument vorgelegt, das unseren Informationen zufolge zur parlamentarischen Rechtfertigung der Wiederaufnahme (oder dem Weiterbetrieb) dieser Datentransfers dienen soll.

In dem Dokument wird erneut – wie bereits bekannt – der § 41 NPOG des niedersächsischen Landespolizeigesetzes (Datenübertragung zum Zwecke der Gefahrenabwehr) zur Rechtfertigung bemüht und nun aber ergänzend – und das ist neu – mit dem Verweis auf § 34 StGB argumentiert. Beim §34 StGB handelt es sich um die Definition des „Rechtfertigenden Notstands“.

Es ist aus unserer Sicht mehr als fraglich, ob die Benennung eines solchen Rechtfertigungsgrundes bei nüchterner Betrachtung zulässig sein kann. Genau genommen erlaubt sich die Polizei damit die Begehung einer Straftat (der Abgriff von im Zuge der Verschwiegenheitspflicht fallenden Gesundheitsdaten), „um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden“. Klingt zwar nicht unplausibel, ist seitens des Gesetzgebers allerdings nicht für Fälle wie diese hier gedacht, in denen die Datenübertragungen alles andere als im Zuge eines akuten „Notstands“ sondern vielmehr kalkuliert und vorhersehbar geplant vonstatten gehen.

Es scheint, als nutze die Polizei diesen Notstandsparagraphen, um sich selber einen Freibrief zur Begehung von Straftaten auszustellen.

Der Wortlaut des uns vorliegenden Textausschnittes im Gesamten:

„(…) ist insoweit in Ihrer Funktion als Gefahrenabwehrbehörde betroffen mit der Zwecksetzung, die Ausbreitung des Corona-Virus zu bekämpfen.

Die Übermittlung der Quarantänestatusdaten von den unteren Gesundheitsbehorden an die Polizei erfolgt auf der Grundlage des § 41 Satz 1 NPOG in Verbindung mit § 30 Abs. 3 Satz 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Erst durch die Übermittlung der Daten an die ortsansässige Polizeibehörde wird diese in die Lage versetzt, sich vor einer Infizierung im Dienst zu schützen. Darüber hinaus wird der Polizei die Möglichkeit gegeben, die Regelungen des IfSG anzuwenden, indem sie prüfen kann, ob das Kontaktverbot einer in Quarantäne befindlichen Person auch eingehalten wird.

Schließlich kommt als Rechtfertigungsgrund für die Behörde, die die Quarantäne anordnet und den Quarantänestatus an die Polizei meldet, der rechtfertigende Notstand gern. § 34 StGB in Betracht, und zwar deshalb, weil das Offenbaren des Geheimnisses einziges Mittel zum Schutz erheblich höherwertiger Interessen ist. Die Zwecksetzung der Meldung liegt in der Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus. Dies betrifft auch den Zweck des Eigenschutzes der Polizeibediensteten, um die weitere Ausbreitung des Corona-Virus auf die Polizeibediensteten zu verhindern. Diese Interessen sind damit eindeutig höher zu bewerten als das Privatgeheimnis des Patienten.

Im Übrigen werden die Daten, wenn die Quarantänezeit abgelaufen ist, bei der Polizei (…)“

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