Rise of the Police: Das neue Polizeigesetz für Schleswig-Holstein – Veröffentlichung einer Gegenüberstellung bisheriger zu den neuen, erweiterten Polizeibefugnissen

Schleswig-Holstein bekommt ein neues Polizeigesetz (das dort im Landesverwaltungsgesetz versteckt ist). Wie nicht anders zu erwarten, sollen auch hier die Befugnisse der Polizei und deren Hilfskräfte drastisch ausgeweitet werden – dieses Mal unter Beteiligung der Grünen und der FDP, die gemeinsam mit der CDU Schleswig-Holstein regieren.

Aufgenommen wird eine generalpräventive Klausel, die der Polizei ermächtigt Gefahren für bedeutende Rechtsgüter oder die Umwelt (was auch immer das genau sein soll) abzuwehren. Wie bei anderen Polizeigesetzen auch, ist schon hier die deutliche Vorverlagerung der polizeilichen Eingriffsschwelle zu sehen. Konkret wird das an der Möglichkeit Meldeauflagen und Aufenthaltsgebote zu verhängen, wobei beliebig scharfe Meldeauflagen schon möglich sind bei einer bloßen Annahme, dass eine Person eine auch kleinere Straftat begehen könnte. So kann die Polizei auch ohne richterlichen Beschluss eine Person faktisch für zwei Wochen zwingen, ihren Wohnort nicht zu verlassen – mit zustimmender Richter*in auch unbegrenzt.

Spezialkräfte bekommen Taser, die Polizei darf auch auf Kinder schießen, Sprengmittel gegen Menschen benutzen, Personen leichter fesseln und das Innenministerium darf per Verordnung festlegen, wer Gewalt anwenden darf. So wird mit dem Gesetz auch ein gewalttätiger Staat gerechtfertigt.

Auch die Überwachung wird ausgebaut: Die Polizei bekommt Bodycams, die Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung und -unterbrechung, Wohnraumüberwachung, Observation, für den Einsatz verdeckter Ermittler*innen und zur Speicherung in polizeilichen Datenbanken werden überarbeitet und verschärft bzw. neu eingeführt. Dieses Gesetz ist kein Erfolg für die Bürgerrechte, anders als FDP und Grüne es zu verkaufen versuchen. Auch wenn der Staatstrojaner es noch nicht hinein geschafft hat, ist das Gesetz eindeutig ein Entwurf der Sicherheitsbehörden und schränkt zahlreiche Freiheiten weiter ein – die Bürgerrechte verlieren auf der ganzen Linie!

[Dieses ist ein Gastbeitrag von engagierten Menschen, die zugleich mit ihrer noch in Arbeit befindlichen Detailkritik eine übersichtliche Gegenüberstellung des bisherigen Gesetzes zum geplanten neuen Gesetz erarbeitet haben. Wir dürfen an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung diese Synopse veröffentlichen. Danke dafür und für die aufwendige Arbeit, die in der Erstellung dieser Gegenüberstellung steckt – eine Arbeit, deren Erledigung wir eigentlich vom Gesetzgeber und nicht von ehrenamtlichen Aktivist*innen erwarten …]

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Solidarität mit Journalisten, die Angriffen und Einschüchterungsversuchen durch Nazis und Rechte ausgesetzt sind

Als Ausdruck der Solidarität der freiheitsfoo-Redaktion mit den von Nazi-Anfeindungen und -Bedrohungen betroffenen Journalisten, insbesondere mit Blick auf die für den kommen Samstag in Hannover angekündigte Versammlung, die eine offensichtliche Einschüchterung einiger dieser Journalisten bewirken soll, übernehmen wir hier einen Beitrag von netzwerk recherche vom 15.11.2019:

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Verfassungsrechtliche Flickschusterei in Niedersachsen – SPD und CDU planen Änderungen im noch frischen Nds. Polizeigesetz NPOG – Stellungnahme des freiheitsfoo dazu

Das erst im Frühjahr 2019 verabschiedete und in Kraft getretene neue – und sehr umstrittene – Polizeigesetz Niedersachsens („NPOG“) soll nach Willen der Niedersächsischen Landesregierung (Groko aus SPD und CDU) nachgebessert werden (siehe dazu die Landtags-Drucksache 18/4852).

Doch trotz der vielfachen und breiten Kritik und ebenso schwerwiegenden verfassungs- wie menschenrechtlichen Bedenken will die Landesregierung lediglich an zwei Stellen nachbessern: Zum einen sollen die Regelungen zu (mehr oder weniger) anlaßlosen Identitätskontrollen wie auch zum anderen die gesetzlich festgeschriebenen Randbedingungen zur Durchführung polizeilichen KFZ-Kennzeichen-Scannings nun so geändert werden, dass sie den noch recht frischen Urteilssprüchen des Bundesverfassungsgerichts genügen.

Noch bis kurz vor NPOG-Verabschiedung hatte die Landesregierung mit Bezug auf die Kennzeichen-Scanning-Gesetzgebung die Meinung vertreten, dass keinerlei Nachbesserung nötig sei.

Wie auch immer: Die verfassungsrechtliche Kritik an allen anderen wunden Punkten des NPOG wollen SPD und CDU auch weiterhin nicht wahrhaben, ignorieren diese. Das taten die Groko-Parteien schon immer, ja sogar direkt im Anschluss an die vorgebrachte massive Kritik des landtagseigenen Gesetzgebungs- und Beratungsdienst (GBD) am 16.8.2018. Dessen Kritik und juristische Expertise führte zu einer späteren Fast-Neufassung des Gesetzentwurfs. Dennoch schwang sich der CDU-Innenpolitiker Lechner damals zu der irrationalen und ebenso absurden wie frechen Behauptung auf:

„Grundsätzlich fühlen wir uns mit unserem Gesetzentwurf bestätigt.“

[Kurzer Filmclip dazu]

Das freiheitsfoo wurde neben 11 anderen Gruppen und Personen zur Abgabe einer Stellungnahme zu den geplanten Gesetzesänderungen aufgefordert. Aufgrund unserer Sorge und Erfahrungen, dass derartige Stellungnahmen als (partei)politisches Feigenblatt missbraucht werden (können) haben wir uns entschlossen, in unserer Stellungnahme breiter als gewünscht Stellung zu beziehen.

Soweit uns bekannt, will der Innenausschuss des Nds. Landtags bislang auf eine mündliche Anhörung zum Gesetzgebungsverfahren verzichten.

Nachfolgend dokumentiert unsere Stellungnahme (auch als pdf-Dokument verfügbar):

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Wolf-Dieter Narr ist tot

Wolf-Dieter Narr war nahezu das genaue Gegenteil dessen, was man gemeinhin als Phrasendrescher oder Dummschwätzer bezeichnet.

Wer mit ihm sprach, wer mit ihm schrieb, der merkte das schnell. Seine Mitteilungen waren kompakt und schnörkellos. Seine Beiträge auf großer Erfahrung, breiter Kenntnis und Erkenntnis beruhend. In der Kommunikation war er direkt, schonungslos ehrlich und war zugleich menschenfreundlich und mit der nötigen Selbstironie ausgestattet. Eben jenes Maß an Spott über sich selber, das einen Austausch mit so einem gescheiten Menschen nicht unerträglich werden sondern – ganz im Gegenteil – zum bereichernden Vergnügen geraten lässt. Wohl auch mit Blick auf sein Alter und seinen Gesundheitszustand verweigerte sich Narr allen kurzlebigen oder oberflächlichen, aktionistisch geprägten Strömungen und Bewegungen – und scheute sich nicht davor, dieses klar mitzuteilen.

Wolf-Dieter Narr ist am letzten Samstag gestorben.

Mit ihm ein Mensch großer inhaltlicher Tiefe und menschlicher Güte, so dass ihn diejenigen vermissen werden, die mit ihm zu tun haben durften oder seine Beiträge zum Politischen verfolgt haben.

Das Feld der Nachrufe sei anderen, kompetenteren überlassen. Wir möchten hier lediglich auf Wolf-Dieter Narr als einen außergewöhnlichen Menschen und auf sein Wirken hinweisen. Auf den Seiten einiger seiner Weggfährten gibt es eine umfangreiche Übersicht über seine Beiträge der letzten Jahrzehnte und einiges davon ist online in den bereits veröffentlichten CILIP-Ausgaben in Gänze nachzulesen – den Aktiven und Engagierten hier wie dort bei dieser Gelegenheit vielen Dank für deren Arbeit!

Jeder Beitrag von Wolf-Dieter Narr hat das Potential, anregend und erweiternd zu wirken – aufklärerisch im besten Sinne. Narrs Texte möchten wir als Lektürenempfehlung für jede*n geneigte*n Leser*in dieses Blogbeitrags ans Herz legen.

Das umfangreiche Themenspektrum seiner Arbeit auszubreiten steht uns nicht zu, wir möchten aber insbesondere auf die wertvollen Beiträge Narrs zur Demonstrationswirklichkeit in Deutschland hinweisen und auf seine kritische Einstellung zu Begriffen wie „Wehrhafte Demokratie“, „Innere Sicherheit“ und „Freiheitlich-demokratische Grundordnung“, die er im Kontext der Geschichte Deutschlands wie kaum ein anderer einzuordnen und zu kommentieren wusste.

Die nachfolgenden Ausschnitte aus öffentlichen Beiträgen Wolf-Dieter Narrs können nichts anderes als Bruchstücke seines Denkens wiederspiegeln.

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Zeitzeichen, 16

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

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Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein weist Polizei und Versammlungsbehörde Flensburg zurecht: Verbot von Kreidespray war rechtswidrig, Polizei darf nicht alleine aufgrund von Vermutungen die Versammlungsfreiheit beschränken

Haben nach Meinung von Polizei und Versammlungsbehörde Flensburgs auf Demos nichts zu suchen: Kreidebilder

Wer in Deutschland demonstrieren möchte, muss dieses – wenn nicht tatsächlich spontan – in aller Regel bei einer Behörde vorher ankündigen – bei der Versammlungsbehörde.

Nicht problematisch genug, dass die Versammlungsbehörde in einigen Großstädten Deutschlands gleich in den Polizeiapparat integriert ist und somit Gefahr einer fehlenden nüchtern-sachlichen Distanz zwischen Polizeiinteressen und den Bedürfnissen der Demonstrierenden läuft: Mit Beginn jeder Demonstration geht die Vollstreckungs- und Durchsetzungsgewalt in Sachen der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit häufig in die Hände der örtlichen Polizei über. Oft genug führt das dazu, dass die Polizei dann ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellt, die manchmal für die Polizeimenschen eher unbequemen Ansprüche der Durchsetzung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit dagegen hintenan. (Siehe ein aktuelles Beispiel aus Hannover z.B. hier.)

Das ist ein schwerer rechtlicher Konstruktionsfehler der Demonstrationspraxis in Deutschland.

Nachfolgend dokumentieren wir ein weiteres Beispiel einer solchen polizeilichen Verbots- bzw. Beschränkungsentscheidung im Zusammenhang mit einer Demonstration, die einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten konnte.

Der Sachzusammenhang:

Am 12.3.2018 fand in Flensburg eine Demonstration mit dem Titel „Solidarisierung mit Afrin, gegen die Bombardierung“ statt. Nachdem zwei Demonstrierende mit Kreidespray den Schriftzug „no war“ auf den Bürgersteig vor einem Einkaufszentrum geschrieben haben intervenierte die Polizei, sprach einen vor Ort zuständigen Vertreter der Versammlungsbehörde an und forderte ihn dazu auf, die Nutzung von Kreidespray grundsätzlich für die gesamte Demonstration zu verbieten. Dieser zeigte wenig versammlungsrechtliches Rückgrat und folgte den „Empfehlungen“ der Polizei anstandslos.

So sorgte die Polizei kurzerhand dafür, dass den Demonstrierenden die Verwendung von Kreidespray zum Ausdruck ihrer Meinung verboten wurde. (Anmerkung: Die Verwendung von Kreide und Kreidespray im öffentlichen Raum ist ansonsten in der Regel zulässig und erlaubt, solange keine bleibenden „Schäden“ entstehen oder die Meinungsäußerungen nach geltenden Gesetzen strafbar sind.) Das von Polizei und Versammlungsbehörde so gemeinsam verhängte Verbot beruhte auf keinerlei tatsächlichen Grundlagen, vielmehr stand ihm die unbegründete Unterstellung der Polizei Pate, dass die Demonstrierenden doch möglicherweise Lackspraydosen versteckt haben könnten und diese später unzulässigerweise benutzen wollten. Das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein entschied zurecht:

Das von der Polizei initiierte Kreidespray-Verbot war eindeutig rechtswidrig.

Dass der erzielte Gerichtsentscheid die von der Polizei angeordnete und durchgesetzte Grundrechtsverletzung nicht wieder gut machen kann und nur dank des beharrlichen und anstrengenden (und nicht kostenrisikofreien!) Einsatzes der Demonstranten erstritten wurde, ist an sich selber bereits ein Skandal – und leider kein Einzelfall.

Wir zitieren aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein (Az. 3 A 77/18) vom 25.9.2019:

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Erfolg vor Gericht: Polizei beschlagnahmt rechtswidrig das Smartphone einer kritischen Demonstrantin, nachdem diese eine fragwürdige Handlung der Polizei gefilmt hat

Public-Domain-Illustration von Carlos Latuff aus den Mubarak-Zeiten Ägyptens.

Im Frühjahr 2018 haben wir darüber berichtet, wie die – nicht unumstrittene – Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ihre Mitglieder dazu auffordert, einen eigentlich für ganz andere Situationen eingerichteten Strafgesetzbuchparagraphen (§ 201 StGB – „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“) dahingehend zu missbrauchen, das einigen Polizisten unangenehme Dokumentieren polizeilichen Handelns durch kritische Bürger*innen und Demonstrationsbeobachter*innen effektiv zu verhindern.

Seither hat die Polizei beschämenderweise in einigen Fällen von dieser Neuinterpretation der „Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes“ Gebrauch gemacht. Einer dieser Vorgänge wurde nun vor dem Landgericht verhandelt und der Polizei klar beschieden, unrechtmäßig das Smartphone einer Demonstrantin weggenommen und einbehalten zu haben.

Aus der Pressemitteilung des Anwalts Nils Spörkel vom 26.9.2019 zu diesem Verfahren:

„Am 20.07.2019 kam es in Kassel im Umfeld der Gegendemonstration zu einer Beschlagnahme eines Mobiltelefons, mit dem eine Personalienfeststellung gefilmt worden sein soll. (…) Der Beschuldigten wurde ein Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild sowie eine Verletzung des vertraulich gesprochenen Wortes vorgeworfen.

Einen Anfangsverdacht wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz lehnte bereits das Amtsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab. Das Landgericht hat nun klargestellt, dass in dem Sachverhalt keinerlei strafbares Verhalten der Beschuldigten erkennbar war.

Denn, so das Landgericht, ist vertrauliches, also nichtöffentlich gesprochenes Wort dann nicht gegeben, wenn – wie hier – faktisch die Öffentlichkeit gegeben war, wenn also Dritte jederzeit Kenntnis von dem Gespräch nehmen konnten. Hier waren nicht nur die Beschuldigte und der Betroffene der Personalienfeststellung anwesend, sondern in unmittelbarer Nähe auch zwei weitere von Maßnahmen betroffene Personen sowie ein halbes Dutzend Passanten. Mehr als 50 Demonstranten befanden sich im weiteren Umkreis von wenigen Metern. (…)

Der Göttinger Rechtsanwalt Nils Spörkel kommentierte die Entscheidung wie folgt: ‚Seit Jahren beobachten kritische Rechtsanwälte mit Sorge eine Tendenz der Polizei, bei einer Beobachtung und Dokumentation ihrer Maßnahmen durch den Bürger repressiv einzugreifen. Das vertrauliche Wort stellt hier nur die jüngste einer Reihe von Ideen dar, mit denen polizeiliches Handeln unbeobachtet und damit unüberprüfbar bleiben soll.‘ (…)“

Wir möchten neben der Pressemitteilung von Nils Spörkel auch das vom 25.9.2019 gezeichnete Urteil des Landgerichts Kassel (Az. 1622 Js 30357/19 und 2 Qs 111/19) veröffentlichen und auf einen weiteren Punkt der Entscheidungsbegründung des Gerichtes hinweisen. Darin geht es um die besondere Bedeutung des Smartphones für (leider) viele Menschen und um die daraus folgende Unverhältnismäßigkeit der Beschlagnahme und Vorenthaltung des Smartphones der klagenden Frau:

„Überdies wäre die Beschlagnahme, insbesondere soweit sie unter dem Gesichtspunkt der Beweissicherung durchgeführt wird, inzwischen – bei unterstelltem Verdacht nach § 201 StGB – auch als unverhältnismäßig zu erachten. Das iPhone und vergleichbare Gegenstände anderer Hersteller, also das Smartphone generell, gehört heute für eine große Mehrzahl von Menschen zu deren zentralen Besitzgegenständen, die im Alltagsleben von überaus großer Bedeutung sind. Über dieses Gerät wickeln viele Menschen, zu denen nach ihrem eigenen Vorbringen auch die Beschuldigte gehört, große Teile ihrer Kommunikation und vielfältige Alltagsgeschäfte im weiteren Sinne ab: Überdies ist es ein – sei es als Ergebnis gezielter Sammelbemühungen, etwa von Fotos, oder als rein faktischer Zustand – zentraler Sammelpunkt einer Unmenge von nicht selten durchaus privaten Daten und Informationen über den Inhaber des Geräts und – selten-bedacht – auch über sein gesamtes soziales Umfeld. Unabhängig von der Bewertung dieses in vielerlei Hinsicht durchaus problematischen Phänomens dürfte sich heutzutage jedenfalls unstreitig feststellen lassen, dass es in ausgeprägter Weise existiert. Diese extrem hohe Bedeutung des Smartphones im täglichen Leben ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten.“

Neben der Freude über die richterliche Klarstellung, dass die Polizei in diesem Fall einer Demonstrantin ihr Smartphone zu Unrecht weggenommen und weggeschlossen hat lässt einen das Verfahren aber auch etwas unzufrieden zurück:

Richterlicherseite wurde nicht erwähnt und „gewürdigt“, dass solcherlei polizeiliches Verhalten nicht nur außerordentlich einschüchternd und freiheitsbeschneidend wirkt sondern – vor allem – eine mutmassliche Motivation der Polizisten bei ihrer Beschlagnahme birgt: Nämlich der Wunsch, möglichst frei von kritischer Dokumentation so handeln zu können, wie sie es für richtig hält – was nicht unbedingt das sein muss, was erlaubt oder geboten ist …

Mindestens genau so bedauerlich ist es, welche Hürden der Klägerin auf dem gerichtlichen Weg bis zu diesem Urteil hin aufgebaut worden sind. Ein rechtsstaatliches Trauerspiel in dieser Hinsicht.

Eine kritische Beobachtung und Dokumentation polizeilichen Handelns durch Bürger muss – bei aller Rücksichtnahme auf die Persönlichkeitsrechte von Polizisten und Polizistinnen – uneingeschränkt möglich sein, darf nicht den amtlich anerkannten „Pressevertretern“ vorbehalten bleiben, wenn man nicht gänzlich die grundlegende Idee vom Bürger und von der Bürgerin als Souverän zur Farce verkommen lassen will. Wenn Polizeigewerkschaften unverhohlen zum Missbrauch des Strafgesetzbuches aufrufen, um eine effektive Kontrolle polizeilichen Verhaltens zu unterbinden, so ist das eine Schande für die Verantwortlichen in der Gewerkschaft und für diejenigen, die diesen Ratschlag aufgreifen und praktisch anwenden.

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Alexa, Siri, Echo und Co.: Allgegenwärtige Wohnzimmerwanzen privater Unternehmen mit garantiertem Zugriff auf die Daten durch den Staat – Bundesregierung stellt sich dumm und ignoriert bundesverfassungsgerichtliche Feststellungen

Aus der Antwort der Bundesregierung zu einer Kleinen Anfrage in Sachen (fast) allgegenwärtiger und ständiger Wohnraumüberwachung durch „Sprachassistenzsysteme“ wie Alexa, Echo etc. (Bundestags-Drucksache 19/11478 vom 10.7.2019, Seite 5):

Frage: Inwieweit ist die Bundesregierung der Ansicht, dass durch Zunahme der Möglichkeiten der Überwachung die Bürgerinnen und Bürger ein „diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“ entwickeln könnten (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08 – Rn. 1 – 345)?

Antwort: Die Bundesregierung ist nicht dieser Ansicht.

Um die unerhörte Dreistigkeit dieser „Ansicht“ im Detail vor Augen zu führen sei das Bundesverfassungsgericht aus seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 2.3.2010 im Absatz 212 zitiert. Dort heißt es auszugsweise:

„(…) Besonderes Gewicht bekommt die Speicherung der Telekommunikationsdaten weiterhin dadurch, dass sie selbst und die vorgesehene Verwendung der gespeicherten Daten von den Betroffenen unmittelbar nicht bemerkt werden, zugleich aber Verbindungen erfassen, die unter Vertraulichkeitserwartungen aufgenommen werden. Hierdurch ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.

Wer annimmt, dass das Wissen um die Möglichkeit des staatlichen/polizeilichen Abgreifens von gespeicherten Alexa-/Echo-/u.a.-Daten nicht ebenso ein diffuses Gefühl des ständigen Abgehörtwerdens erweckt wie das einer staatlichen Vorratsdatenspeicherung, der versteht den Sachzustand nicht oder will ihn (aus welchen Gründen auch immer) absichtlich – also in vollem Bewusstsein anderer Erkenntnis – ignorieren.

Hintergrund:

Andere Wanzen sind doch auch verboten …

Im Vorfeld der letzten Innenministerkonferenz (IMK) im Juni 2019 wurde bekannt, dass die Innenminister des Bundes und der Länder über den Wunsch von Polizeien und Geheimdiensten zum Zugriff auf die Audio-Mitschnitte der „Sprachassistenten“ diskutieren und regeln wollten. Das wurde nach Bekanntwerden dieser Pläne dann öffentlich heftig dementiert.

Nach Abflauen der öffentlichen Erregung und Beendigung der IMK vertrat die Bundesregierung dann in der o.g. Antwort zur Kleinen Anfrage dann der Einfachheit halber die Ansicht, dass gar kein zusätzlicher gesetzlicher Rahmen benötigt wird, um diese Sprachaufzeichnungen durch staatlichen Stellen abgreifen zu können. Im Behördendeutsch lautet das im Original dann so (Seite 2 der BT-DS 19/11478):

„Bei den beschriebenen vernetzten Geräten wie den intelligenten Sprachassistenten (z. B. Alexa) oder auch smarten Haushaltsgeräten handelt es sich nicht um eine Geräteklasse, die von der bisherigen Gesetzgebung nicht umfasst ist. Die in der Kleinen Anfrage bezeichneten Geräte stellen vielmehr lediglich eine Form des informationstechnischen Systems dar, für die zum jetzigen Zeitpunkt kein spezifischer strafprozessualer Regelungsbedarf ersichtlich ist. Da die bestehenden gesetzlichen Regelungen technikneutral und geräteunabhängig formuliert sind, erfassen sie diese Geräteklasse bereits.“

Da machen sich die Innenminister also einen schlanken Schuh und erledigen das rechtliche Problem (aus ihrer Sicht) einfach und schnell …

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Neu und (bislang) nur in dieser Stadt: Polizei Hannover verhüllt eigene Kameras zu jeder angemeldeten Demonstration!

Auch wenn man der hannoverschen Polizei und Versammlungsbehörde nicht unbedingt eine liberale Praxis im Umgang mit der Versammlungsfreiheit attestieren mag – in einer neuen Entscheidung präsentiert sich die Polizeidirektion Hannover als bundesweiten Vorreiter in Sachen praktischen Schutzes der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, denn:

Ab sofort verhüllt die Polizei Hannover jede ihrer Domkameras, an der eine angemeldete Demonstration vorbeiläuft!

Das ist aufwendig und teuer, aber zugleich nötig und wichtig, um den Demonstrationsteilnehmern zu signalisieren, dass Sie bei der Ausübung ihrer Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht von den Polizeikameras gefilmt und aufgezeichnet werden. Dass das rechtlich geboten ist, haben die Gerichte Deutschlands in vielfachen Verfahren einmütig manifestiert.

Jahrelang hat sich die Polizei dieser Notwendigkeit verweigert: Auf Forderungen der ehemaligen hannoverschen Ortsgruppe des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung („AK Vorrat Hannover„) – einem der Ausgangspunkte des freiheitsfoos – hatte die Polizei Hannover am 10.5.2010 immerhin damit begonnen, alle Polizeikameras zur Überwachung des öffentlichen Raums immer dann grundsätzlich wegzuschwenken, wenn eine zuvor angekündigte Demonstration durch den Erfassungsbereich der Kameras läuft:
Auch dahingehend hat die Polizei Hannover damals einen Meilenstein gesetzt und war bundesweit die erste Behörde, die derart zum Schutz der Demonstrationsfreiheit beigetragen hat.

Seit dieser Verhaltensänderung hat sich in Hannover einiges getan.

Aufgrund eines Gerichtsverfahrens betreibt die Polizei in der Landeshauptstadt derzeit nur noch 23 von ehemals 79 Überwachungskameras. Alle anderen waren entsprechend der richterlichen Auffassung nicht mit geltendem Recht zu vereinbaren und wurden deswegen – folgerichtig – entweder abgebaut oder an die Landesverkehrsbehörde Niedersachsen verkauft abgegeben. Sieben weitere Kameras werden derzeit „nur“ noch temporär im Zuge von Großveranstaltungen betrieben und genutzt.

(Randnotiz: Das Verfahren zu dem allen schwelt derweil immer noch vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg und wird auf Grundlage der neuen Regeln des frisch „reformierten“ Polizeigesetzes für Niedersachsen – NPOG – bald weiter verhandelt.)

Was inzwischen aber auch noch passiert ist: Die Polizei hat in einem öffentlichkeitsscheuem Vorgang einige ihrer bislang schwenkbaren Kameras aus nicht nachvollziehbaren Gründen (siehe dazu hier die Frage und Antwort Nr. 3) gegen Domkameras ausgetauscht. Bei den Domkameras ist von außen nicht ersichtlich, wohin diese ausgerichtet sind … und deswegen müssen diese Domkameras nun bei jeder Demonstration, die deren Erfassungsbereich kreuzt aufwendig abgedeckt bzw. verhüllt werden: Die Polizei beauftragt dazu eine Unternehmen, das vor der Demonstration mit einer Hebebühne einen Müllsack über die Kameras stülpt und befestigt und in einem zweiten Arbeitsvorgang erneut mit Hebebühne anrückt, um die Mülltüte wieder zu entfernen.

Bild-Beispiele für die polizeieigene Verhüllung ihrer Kameras finden sich auf unserer Wikiseite zu diesem Themenkomplex.

Die Polizeidirektion Hannover hat die Verhüllung zunächst eher widerwillig vorgenommen und dann auch nur in den (bislang vier dokumentierten) Fällen, in dem ein potentieller Demoteilnehmer im Vorfeld der Versammlung auf seine Teilnahme hingewiesen und zur Verhüllung der Domkameras aufgefordert hatte.

Erst auf mehrfache explizite Nachfrage mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass es doch nicht hinzunehmen sei, dass ein Einzelner in jedem Fall zunächst der Polizei rechtzeitig im Vorfeld ankündigen/melden muss, dass er an einer bestimmten Demonstration teilzunehmen beabsichtigt um zu bewirken, dass die Domkameras dann vertütet werden, also erst auf mehrfaches Nachhaken hat sich die Behörde nun zu dem hier veröffentlichten Entschluss durchringen können. Und doch: Immerhin!

Unklar ist derzeit noch, seit wann die Polizei aufgrund der im Raum stehenden Drohung eines gerichtlichen Verfahrens damit begonnen hat, bei jeder „fristgerecht angezeigten“ Demonstration Mülltüten über ihre Domkameras zu stülpen und – vor allem – was das den Steuerzahler jeweils und insgesamt kostet.

Dass die Polizei in ihrer Mitteilung noch davon spricht, dass sie „derzeit“ diese Praxis ausübt zeigt, dass sich die Polizeidirektion verbal-formell noch ein Hintertürchen offen lässt, einen Rückzieher von ihrer derzeitigen Haltung also nicht ausdrücklich ausschließt. Dann würde sie sich allerdings einem gerichtlichen Verfahren ausgesetzt sehen, dessen Ausgang bundesweit iudikativen Präzedenzcharakter haben dürfte. Genau das scheint die Polizei Hannover „derzeit“ zu scheuen …

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Beitrag des freiheitsfoo zum EU-Konsultationsverfahren über eine Richtlinie zum Einsatz von Videoüberwachung

Die EU-Datenschutzbehörde hat eine Richtlinie entworfen, die genauere Vorgaben für den Einsatz von Videoüberwachungssystemen und die dazugehörige Verarbeitung personenbezogener Daten machen soll. Das ganze versteht sich als detaillierte Ausgestaltung und Konkretisierung der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) eben in Bezug auf Videoüberwachung.

Zu dieser Richtlinie („Guidelines 3/2019 on processing of personal data through video devices„) gab es eine „public consultation“, also die Gelegenheit zur Stellungnahme durch die allgemeine Öffentlichkeit. Diese Chance haben wir genutzt und so – dank der engagierten Arbeit eines Menschen im freiheitsfoo – einige Anmerkungen verfasst, die wir hiermit nachfolgend veröffentlichen.

Leider verfährt das gesamte Konsultationsverfahren in englischer Sprache, so dass wir auch unsere Eingabe englischsprachig verfasst haben:

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