Die niedersächsische Polizei rüstet auf. Mit Polizeipanzerwagen. Heimlich und möglichst unter Vermeidung aller medialen Öffentlichkeit und bei zugleich bevorteilender Informationserteilung gegenüber polizeifreundlichen Medien. Ebenso fragwürdig ist die Vergabepraxis im Innenministerium Niedersachsens.
Doch zunächst ein Überblick:
Was bisher geschah
- Juni 2021: Im öffentlichen Straßenraum Hannovers wird ein neuer Polizeipanzerwagen gesichtet und fotografiert. Wir fragen beim Nds. Innenministerium nach und erhalten nur zögerlich und bruchstückhaft Antwort. Man versucht uns auf später zu vertrösten.
- 6.7.2021: Weitergehende Fragen werden ignoriert oder bewusst irreführend schein-beantwortet bzw. es erfolgt gar keine Antwort mehr aus dem Innenministerium.
- 9.7.2021: Wir verbloggen unsere Erkenntnisse und versenden eine Pressemitteilung an die Medien.
- 28.7.2021: Die taz berichtet dazu.
- 16.8.2021: Nun berichtet auch die hannoversche „HAZ“, ein tendentiell sich als Sprachrohr der Polizei-Pressestelle verstehendes Blatt des Madsack-Konzerns und stellt sich als exklusive Geheimnislüfter dar. Der HAZ gegenüber hat die Polize weitere Informationen herausgegeben, die sie uns gegenüber zuvor verweigert hatte.
- 17.8.2021: Wir fragen deswegen erneut bei der Pressestelle des Nds. Innenministeriums nach. Erneut will man uns keine der bereits veröffentlichten Erkenntnisse bestätigen und sitzt unsere darauf folgende Presseanfrage einfach aus. Mehrfaches Nachfragen bleibt unbeantwortet.
Und jetzt?
Wir möchten an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt unserer Recherche über drei uns wichtig erscheinende Punkte zur Anschaffung der – man beachte den Terminus! – „Offensivfahrzeuge“ berichten:
- Neues zum bereits angeschafften Polizeipanzerwagen Enok der bayrischen Firma ACS inklusive einem fragwürdigen Auftragsvergabeverfahren
- Informationen über ein zweites, in der Anschaffung befindliches Polizeipanzerfahrzeug, ein bis zu 20t schwerer Mannschaftstransporter mit der Klassifizierung „gepanzertes Kampffahrzeug“
- Über die Nichtbeantwortung von Presseanfragen und die Bevorteilung polizeifreundlicher Medien
Auf gehts:
1. Neues zum bereits angeschafften Polizeipanzerwagen Enok der bayrischen Firma ACS inklusive einem fragwürdigen Auftragsvergabeverfahren
In Stichworten:
- Kosten des ACS Enok angeblich 830.000 Euro. In der öffentlich verfügbaren Ausschreibung ist jedoch von 797.300 Euro die Rede. Die Differenz der gut 32.000 Euro bleibt ungeklärt.
- Einsatz des Fahrzeugs seit April 2020. Das bedeutet eine Verheimlichung der Existenz dieses Fahrzeugs gegenüber der Öffentlichkeit über 16 Monate hinweg! Möglicherweise ist die jetzige „Öffentlichkeitsarbeit“ auch nur der zufälligen Entdeckung und Bekanntmachung via freiheitsfoo-Blog geschuldet … Die HAZ schreibt: „Eigentlich sollte die Anschaffung des Panzerwagen geheim bleiben.“
- Der Polizeipanzerwagen wurde bereits mehrfach vom SEK eingesetzt. Zuletzt (Stand August 2021) beim Besuch des Bundespräsidenten im Harz.
- Amtliches Kennzeichen: H-NM 350. (Entnommen der unverpixelten Bildveröffentlichung der HAZ. Unsere vorherigen Bilder hatten wir entsprechend anonymisiert.)
- Fahrzeug ohne fernbedienbare Waffenstation, aber mit der Möglichkeit, „gefahrlos von drinnen nach draußen zu feuern“.
- Was uns nicht beantwortet werden will: Wie viele Einsätze hatte der Wagen bislang? Und vor allem wird auch unsere Frage nach Belegen oder Statistiken zu der Behauptung ausgesessen, wonach „die Anzahl von Einsatzlagen, in denen Polizeikräfte gegen bewaffnete und gefährliche Gewalttäter (z. B. in politisch und/oder rechtsradikal motivierte Morden, Terroranschlägen oder Amoklagen) vorgehen müssen, stetig steigen“.
- Was man der HAZ, nicht aber uns gegenüber beauskunften wollte und will: Die Möglichkeit zum geschützten Beschuss aus dem Inneren des Wagens heraus. Und dass es einen Pressetermin zur Veröffentlichung des Enoks am 16.8.2021 gegeben hat, der dann aber kurzfristig und begründungslos wieder abgesagt worden ist.
- Bemerkenswert: Es gab nur ein einziges Angebot zur Ausschreibung. Das der Firma ACS. Und obwohl es andere Hersteller und Produkte zu solchen Panzerfahrzeugen gibt (bspw. Achleitner HMV Survivor, Rheinmetall Survivor R, Welp Toyota, Eagle IV, Carl Friedrichs Mercedes Benz/Toyota/VW, Stoof). Das erweckt den Eindruck, als sei die Ausschreibung von vornherein auf ACS zugeschnitten worden. Im Vergabeportal heißt es: „Nach intensiver Marktrecherche konnte ein entsprechendes Fahrzeug der Firma ACS ausgemacht werden. (…) Es konnte kein weiterer adäquater Anbieter eines solchen Fahrzeugs ermittelt werden.“ Jede Kauffrau und jeder Kaufmann weiss: Es bedarf mindestens zwei, besser drei Angebote, um in ein ordentliches Verhandlungsverfahren eintreten zu können. In diesem Fall war der Zuschlag an ACS klar, nachdem diese Firma – warum auch immer – als einziges ein Angebot unterbreitet hatte. Hier bedarf es parlamentarischer Aufklärungsarbeit!
2. Informationen über ein zweites, in der Anschaffung befindliches Polizeipanzerfahrzeug, ein bis zu 20t schwerer Mannschaftstransporter mit der Klassifizierung „gepanzertes Kampffahrzeug“
Immerhin hat uns der nun erneut schweigsame Mitarbeiter aus dem Nds. Innenministerium mitgeteilt, dass man derzeit einen weiteren, zweiten neuen Polizeipanzerwagen für Niedersachsen anschafft. Aus den öffentlich zugänglichen Informationen eines Portals für europaweite Ausschreibungen konnten wir entnehmen, worum es sich dabei handelt. Auch hier stichpunktartig:
- Es geht um ein „ballistisch geschütztes Offensiv-Fahrzeug für die Nutzung durch Organisationseinheiten der Polizei Niedersachsen.“
- Zweiachsiges LKW-Fahrgestell mit Allradantrieb
- Aufbau für den ergonomischen Transport von mindestens 10 Personen/Einsatzkräften + Besatzung in entsprechender persönlicher Schutzausrüstung
- In Fahrtrichtung gesehen, jeweils 2 Türen links und rechts, sowie eine Tür am Heck für den Personenzugang
- Technisch zulässige Gesamtmasse bis 20t.
- „Der (Haupt-) Einsatzraum umfasst das gesamte Land Niedersachsen. Das bedeutet, dass der potentielle Einsatzraum sich nicht nur auf urbane Gebiete beschränkt, sondern auch anspruchsvolle, zum Teil nicht befestigte Gelände einschließt. Niedriggewässer müssen daher durchfahren werden können, weite Lehm-, Sand- und Geröllböden mit wenigen Erhöhungen müssen durchfahren werden können. (…) Dies bedingt eine möglichst hohe Wattiefe und Steigfähigkeit des Fahrzeugs (…)“
- Klassifizierung: Mannschaftstransportwagen, gepanzertes Kampffahrzeug
- Option auf den Einkauf eines weiteren, zweiten baugleichen Fahrzeugs innerhalb von 3 Jahren.
- Geschätzter Wert: 1,16 Mio Euro
- Dem Portal zufolge ist der Auftrag bis dato noch nicht vergeben worden.
3. Über die Nichtbeantwortung von Presseanfragen und die Bevorteilung polizeifreundlicher Medien
Wie bereits oben beschrieben: Den Journalisten des Madsack-Konzerns wurden Informationen zuteil, die man uns zuvor und sogar auch noch hinterher zu beauskunften verweigert. Hier werden journalistische Medien ungleich behandelt. Auch erhielten wir trotz unserer dem Innenministerium wohl bekannten Öffentlichkeitsarbeit zum Thema keine Einladung zu der dann plötzlich abgesagten Pressekonferenz am 16.8.2021.
Diese Ungleichbehandlung zu unserem Nachteil (und zum Nachteil der allgemeinen Öffentlichkeit!) prangern wir hiermit an und fordern das Nds. Innenministerium auf, unsere sachbezogenen Presseanfragen zu beantworten, zumindest aber uns eine Rückmeldung zu erteilen.