Rot-Schwarz Niedersachsen will neues Landesdatenschutz eilig und ohne viel Öffentlichkeit durchboxen: Polizeien und Staatsanwaltschaften sollen in wesentlichen Bereichen von lästiger Datenschutzkontrolle befreit werden – Thilo Weichert und Landesdatenschutzbehörde: Europarechts- und verfassungswidrig, handwerkliche Mängel, Aushebelung des Bürgerrechtsschutzes!

In Niedersachsen schickt sich die rot-schwarze Landesregierung gerade an, das Niedersächsische Datenschutzgesetz (NDSG) an die Rahmenbedingungen der ab 25.5.2018 gültigen EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) in großer Hektik anzupassen (Gesetzentwurf entsprechend LT-DS 18/548). Heute tagte dazu der Innenausschuss des Landtags – wollte sich für das Thema aber nicht mehr als eine Stunde Zeit nehmen.

So trugen denn heute auch nur die Landesdatenschutzbeauftragte und die Vertreter von Städten und Kommunen vor, weitere Stellungnahmen wurden schriftlich eingeholt. Wie in Niedersachsen leider immer noch üblich wird nicht veröffentlicht, wer alles zu einer solchen angefragt wurde und wie deren Meinung zum Gesetzentwurf im Einzelnen denn ist.

In diesem Fall mit einer Ausnahme: Thilo Weichert hat als Teil des „Netzwerk Datenschutzexpertise“ eine Stellungnahme einreichen dürfen und diese öffentlich gemacht. Darin verurteilt er den Gesetzentwurf klar als „europarechts- und verfassungswidrig.“ Wir möchten aus der dazugehörigen Pressemitteilung zitieren:

Besonders dreist ist ein Gesetzesvorschlag der schwarz-roten Koalitionspartner in Niedersachsen, wo versteckt in einem § 57 Abs. 3 die Datenschutzkontrolle „erst nach Abschluss des Strafverfahrens“ zulässig sein soll und selbst für die „Strafvollstreckung“ ausgeschlossen sein soll. Damit nicht genug: In einem § 1 Abs. 2 des Regierungsentwurfs wird die Anwendung des gesamten Gesetzes nicht nur für unabhängige Gerichte, sondern auch für „Behörden der Staatsanwaltschaft“ ausgenommen, soweit sie nicht Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Zudem ermöglicht § 57 Abs. 5 der Datenschutzaufsicht in diesem Bereich nur eine zahnlose Beanstandung, obwohl das Europarecht „wirksame Abhilfebefugnisse“ verlangt.

Diese Regelungen, würden sie Gesetz, hätten zur Folge, dass strafrechtliche Ermittlungen in Niedersachsen vollständig von einer unabhängigen Datenschutzkontrolle ausgenommen würden – nach Ansicht des Netzwerks Datenschutzexpertise ein evidenter Grundrechtsverstoß: In Art. 8 Abs. 3 Europäischer Grundrechte-Charta heißt es zum Datenschutz: „Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.“ Das Bundesverfassungsgericht hat auf die besondere Wichtigkeit eines „wirksamen aufsichtlichen Kontrollregimes“ insbesondere bei gravierenden und heimlichen hoheitlichen Eingriffen, wie sie bei strafrechtlichen Ermittlungen die Regel sind, hingewiesen (…). Im Gutachten des Netzwerks Datenschutzexpertise werden eine Vielzahl weiterer Defizite des Gesetzentwurfes benannt, u. a. das vollständige Fehlen von Garantien für die Betroffenen bei sensitiven Anwendungen wie Abrufverfahren, gemeinsamer Datenverarbeitung oder automatisierten Entscheidungen, eine unzeitgemäße Forschungsregelung, der Verzicht auf die Festlegung von Prüffristen bei der Datenlöschung oder die weitgehende Zulassung von Einwilligungen im justiziellen Zwangsbereich.

Thilo Weichert vom Netzwerk: „Ist Schwarz-Rot von allen rechtsstaatlichen Geistern verlassen? Seit zwei Jahren weiß das Land, dass das Datenschutzrecht anzupassen ist. Einen Monat vor Toresschluss soll nun ein Gesetz durchgeboxt werden, das nicht nur handwerkliche Mängel aufweist, sondern den Bürgerrechtsschutz aushebelt. Strafrechtliche Ermittlungen dürfen sich nicht im rechtsfreien Raum abspielen. Es ist nun Aufgabe des Parlaments und der demokratischen Öffentlichkeit dafür zu sorgen, dass unsere rechtsstaatlichen Garantien bewahrt werden. Es wäre eine Zumutung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, wenn es hier wieder bemüht werden müsste. Es besteht nur bedingt Zeitdruck. Es ist besser ein Gesetz diskutiert und reflektiert später zu verabschieden, als ein bürgerrechtlich katastrophales Gesetz sofort in Kraft zu setzen.“

Auch die Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel (CDU – sic!) hat bereits in einer Veröffentlichung vom 28.3.2018 scharfe Kritik geübt:

Der Gesetzentwurf weise „erhebliche Mängel“ auf, senke das bisherige Dateschutzniveau und setze zudem „die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung nur unzureichend um.“

In der heutigen Anhörung bewertete sie die vorgesehenen neuen Regelungen zur Zulässigkeit von Videoüberwachung beispielsweise als Grundlage zum Ausbau flächendeckender Videoüberwachung und bezeichnete den dazugehörigen Absatz als „Gummiparagraphen“.

[Zur weiteren Info hier ein NDR-Fernsehbericht zur heutigen Innenausschuss-Sitzung.]

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Jetzt noch schnell vor Inkrafttreten der EU-DSGVO nutzen – das „Jedermanns“-Recht auf Einsicht in Verfahrensverzeichnisse von Videoüberwachungsanlagen!

Beispiel für die Erteilung einer Auskunft aus dem Verfahrensverzeichnis einer Videoüberwachungsanlage. (Hier: HRG Hannover)

Entsprechend des (noch gültigen) Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) hat „jedermann“ das Recht, bei den Betreibern von Videoüberwachungsanlagen Einsicht in das dazugehörige, notwendige Verfahrensverzeichnis zu nehmen. Die Pflicht, entsprechende Auskunft zu erteilen gilt zumindest uneingeschränkt für alle Überwachungskameras, die entsprechend des BDSG betrieben werden. Das sind alle privaten und gewerblichen Betreiber von Überwachungskameras sowie die Bundesbehörden, für die keine besonderen Regelungen diesbezüglich gelten.

Die verpflichtend zu erteilenden Auskünfte beinhalten bspw. Angaben zum Zweck der Überwachung, zum Kreis der davon betroffenen Menschen, die Empfänger bzw. Nutzer der Bilder oder Bildaufzeichnungen sowie die Benennung der Aufbewahrungsdauer der Aufzeichnungen.

Wir haben dieses Recht ca. 2015/2016 für uns entdeckt und in verschiedenen Zusammenhängen in Anspruch genommen. Einige Dokumentation dazu (nicht alle!) findet sich auf unserer Wikiseite zu diesem Thema.

Eher zufällig und aufgrund unserer (und vermutlich nicht nur unserer!) Unkenntnis über die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) fällt dieses Jedermann-Recht mit deren Inkrafttreten am 25.5.2018 (bzw. des BDSG-neu) formell weg!

Es soll (theoretisch) aber dadurch kompensiert werden, dass die Betreiber von Videoüberwachung diese so umfassend kennzeichnen, dass die ansonsten im Verfahrensverzeichnis vermerkten Angaben (u.a. Betreiber, Aufzeichnungsdauer etc.) auf den Hinweisschildern zur Videoüberwachung enthalten sind.

Wer sich bislang mit der Praxis in der Umsetzung der zuvor schon (wenn auch anders) gesetzlich verankerten Kennzeichnungspflicht beschäftigt hat, der hat an der Realitätstauglichkeit der neuen Regelungen große Zweifel.

Aus diesem Grund rufen wir dazu auf, die Zeit bis zum 25. Mai 2018 dazu zu nutzen, das bis dahin noch bestehende Recht auf Auskunft so weidlich zu nutzen und zu genießen, wie möglich!

Das Recht kann auch anonym wahrgenommen werden, sofern das technisch-praktisch durchführbar ist – es besteht keine Pflicht zur persönlichen Identifizierung des Auskunftsersuchenden. Davon unabhängig kann ein solcher Antrag zur Einsichtnahme in das Verfahrensverzeichnis formlos mündlich, papierschriftlich oder per E-Mail erfolgen.

Wir haben einen einfachen, allgemeingültigen Antragstext entworfen und stellen ihn hiermit zur Verfügung. Der Text ist zudem auch als Textdatei, als OpenOffice-Dokument sowie als PDF-Dokument verfügbar.

Gerne veröffentlichen wir anonymisierte Fassungen entsprechender Auskünfte durch die Betreiber von Videoüberwachungsanlagen.

Hier unser einfacher Textentwurf:

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Ab 1.7.2018 gilt die LKW-Maut auf allen Bundesstraßen – TollCollect deutet an, die dazugehörige Überwachungsinfrastruktur nicht rechtzeitig fertigstellen zu können

Gestern ging es durch die Medien: Die Bundesregierung erwartet rund 3,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen pro Jahr durch Ausweitung der LKW-Mautpflicht auf nun ausnahmslos alle Bundesstraßen ab dem 1.7.2018.

Um die Einhaltung der Mautzahlungen zu überwachen werden unter anderem bundesweit 600 Stück Überwachungssäulen installiert – nichts anderes als moderne, hochgerüstete KFZ-Kennzeichen-Scanner, die bis zu zwei Fahrspuren in einer Fahrtrichtung überwachen können. Wir haben über Technik und Design der Anlagen bereits im Oktober 2017 ausführlich berichtet.

Damals hatte das Konsortium gerade mal 16 Probe-Exemplare der Überwachungssäulen installiert (je eine pro Bundesland) und testete diese ausgiebig. Und damals wie auch heute möchte TollCollect keinerlei Angaben dazu machen, wie viele der 600 Kennzeichen-Scanner bislang errichtet und in praxistauglich in Betrieb genommen worden sind.

Wir haben weiter gefragt, ob denn TollCollect davon ausgeht, dass alle 600 Säulen bis zum 1.7.2018 errichtet und in Betrieb genommen worden sind. Und erhielten als Antwort:

Selbst wenn nicht alle Kontrollsäulen bis zum 1. 7. 2018 aufgebaut sein sollten, ist die Kontrollfähigkeit gegeben. Die Kontrolle der Lkw-Maut wird bundesweit sichergestellt. Hierbei stellen die Kontrollsäulen lediglich einen Bestandteil des Kontrollmix dar, der sowohl aus automatischer Kontrolle über Säulen auf den Bundesstraßen und Kontrollbrücken auf den Autobahnen, als auch stationärer und mobiler Kontrolle sowie Betriebskontrolle durch die Mitarbeiter des Bundesamtes für Güterverkehr besteht. Durch das Zusammenspiel dieser Kontrollarten wird – wie in den vergangen 13 Jahren auch – eine wirkungsvolle Kontrolle der Lkw-Maut gewährleistet.“

Wir deuten diese Antwort als klares Signal, dass es TollCollect nicht gelingen wird, die Überwachungsinfrastruktur rechtzeitig errichten und nutzen zu können.

Ob zum 1. Juli nur wenige zehn Überwachungssäulen stehen und funktionieren werden (oder noch weniger?) oder ob es einige hundert sein werden, dazu will sich das Konsortium nicht äußern.

Im November 2017 hatte TollCollect überraschend alle regionalen Pressekonferenzen zur Einführung der LKW-Maut auf allen Bundesstraßen abgeblasen. Diese werden nun in den letzten drei Monaten vor Inkrafttreten der Ausweitung nachgeholt. Wir haben uns zu der Pressekonferenz am 7. Juni in Hannover angemeldet und werden weiter nachfragen.

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Veröffentlicht: Eine Auflistung der im Zuge des PKK-Verbots strafrechtlich verbotenen „Kennzeichen“

Über die Absurdität des Kennzeichenverbots und dessen willkürlicher, zumindest aber unbestimmter Auslegung, haben wir neulich erst berichtet.

Das Bundesinnenministerium (BMI) will erklärtermaßen nicht öffentlich machen, welche und wie viel Kennzeichen im Detail verboten sind, obwohl deren Benutzung weitreichende strafrechtliche und repressive Konsequenzen haben kann und Versammlungs- und Meinungsfreiheit deutlich einschränken.

Uns ist eine Auflistung verbotener Kennzeichen samt deren Abbildungen zugegangen, die wir hiermit veröffentlichen (siehe rechts), um somit der faktisch bestehenden Rechtsunsicherheit vorzubeugen.

Übrigens hat das BMI einen aktuellen Antrag gemäß Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zur Veröffentlichung der Inhalte der beiden Rundschreiben zur „Konkretisierung“ des Kennzeichenverbots im Zuge des PKK-Vereinsverbot bislang unbeantwortet gelassen, obwohl die Ein-Monats-Frist zur Erledigung solcher Anträge bereits abgelaufen ist.

Und das noch: Das unten folgende Bild ist nicht verboten. Es handelt sich eindeutig um die Flagge von Französisch Guyana, steht also zweifelsfrei nicht in Verbindung mit dem PKK-Verbot.

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Ein möglicherweise dreckiger Deal: Demonstrationsrechtzersetzung in Deutschland mittels schwammigen „Kennzeichenverbots“ gegen die Freilassung von Deniz Yücel in der Türkei

Ratespaß mit der Polizei: Welche der Abbildungen sind (nach Meinung des BMI) illegal bzw. als straftatbewerter Verstoß gegen das Vereinsgesetz zu bewerten? (Die vier Bilder stammen alle aus Hannover, u.a. aus der Polizeiinspektion Mitte.)

Am 16.2.2018 wurde Deniz Yücel aus der Haft entlassen. Und das ist für sich genommen gut so.

Am 29.1.2018, also rund zweieinhalb Wochen vorher, hat das Bundesinnenministerium (BMI) ein Rundschreiben an alle dem Bund und der Bundesländer zugehörigen Polizeien, Justiz- und Innenministerien, Gerichten und Versammlungsbehörden versendet, wonach es grundsätzlich verboten ist, öffentlich Bilder von Herrn Öcalan zu präsentieren:

„Abbildungen des PKK-Führers Öcalan sind generell PKK-Kennzeichen und verboten.“

Man kann dieses ministerielle Entscheidung je nach Sichtweise entweder als Folge eines OVG-Münster-Urteils vom 3.11.2017 bewerten (so versucht das BMI sein Handeln zu rechtfertigen) oder aber als politisches Nachgeben auf das diplomatische Drängen des türkischen Präsidenten Erdogan, in Deutschland PKK-Sympathisanten und Kritiker des türkischen Autokraten stärker zu unterdrücken als zuvor. Und im Gegenzug dafür den prominenten politischen Gefangenen Deniz Yücel freizulassen.

In einem ersten, vorhergehenden Rundschreiben zum so genannten „Kennzeichenverbot“, datierend vom 2.3.2017, hatte das BMI bereits das Präsentieren bestimmter Symbole und Abzeichen verboten, was nach Meinung des Ministeriums als Unterstützung der in Deutschland verbotenen PKK zu interpretieren sei. Welche Bilder und Symbole das im Einzelnen sind, will das BMI allerdings nicht verraten …

Nachfolgend ein paar Gedanken und Informationen dazu:

1. Inwiefern unterscheiden sich der neue BMI-Runderlass vom Urteil des OVG Münster?

2. Was steht in den Rundschreiben drin? Welche Bilder und Symbole darf man öffentlich zeigen und welche nicht?

3. Welche praktische Folgen haben die beiden geheim gehaltenen BMI-Runderlasse zu den „Kennzeichenverboten“ im Zuge PKK-Vereinsverbot für Versammlungs- und Meinungsfreiheit?

4. Vereinsgesetz in Verbindung mit „Kennzeichenverbot“ als verfassungswidriges politisches Repressionsinstrument bzw. die Eröffnung einer neuen Spielwiese für Polizeien, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Versammlungsbehörden.

Im Detail:

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Polizei setzt bei Newroz-Demonstration in Hannover unzulässig Videoüberwachung ein

Einer der beiden Polizei-Kamerawagen aus Wuppertal am 17.3.2018 in Hannover-Linden.

Am 17.3.2018 kam es in Hannover zu einer im Vorfeld vieldiskutierten Demonstration im Zuge des kurdischen Neujahrsfestes „Newroz“. Ja die Polizei Hannover hatte diese Versammlung sogar zunächst verboten, was vom Verwaltungsgericht Hannover dann als rechtswidrig verurteilt und rückgängig gemacht worden war.

Der Start einer der beiden Teil-Demonstrationen, die sich später in der Innenstadt Hannovers zusammengefunden haben, war am Küchengartenplatz in Hannover-Linden.

Dort stellte eine im Auftrage der Polizei Hannover agierende Polizeihundertschaft aus Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) zwei Überwachungskamera-Fahrzeuge mit ausgefahrenen bzw. bereits fertig aufmontierten Kameramasten auf. (Siehe auch die von uns dazu erzeugte Bilderstrecke.)

Für in Sachen polizeilicher Videoüberwachung nicht-sachkundige und diese Kamerawagen nicht aus direkter Nähe inspizierende Demonstrationsteilnehmer war nicht ersichtlich, ob die Kameras in Betrieb waren oder nicht.

Damit brach die Polizei geltendes Recht.

Erst im September 2015 hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Hannover aus 2014 bestätigt, wonach so eine Praxis eine unzulässig einschüchternde Wirkung auf (potentielle) Demoteilnehmer haben kann. Eine Polizeikamera also erst dann ausgefahren oder von einer Abdeckung befreit werden darf, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte für Straftaten im Zusammenhang mit der Versammlung gibt.

Gab es solche Gründe?

Der Einsatzleiter der Polizei Hannover antwortete uns auf Nachfrage dazu:

„Zu diesem Zeitpunkt hatte ich als verantwortlicher Polizeiführer bereits den Einsatz der Videotechnik frei gegeben. Aus der Versammlung heraus wurden Straftaten nach dem Vereinsgesetz begangen.“

Klingt eindeutig. Ist es aber nicht. Denn damit widerspricht der Einsatzleiter seinen eigenen Mitarbeitern, die wir persönlich vor Ort zur Sache befragt hatten:

Sowohl den Kommunikationspolizisten der Polizei Hannover als auch der Besatzung des Kamerawagens der Polizeieinheit aus Wuppertal war von einem Verstoß gegen das Vereinsgesetz nichts bekannt. Im Gegenteil beteuerten uns diese Polizeibeamten und -beamtinnen ausdrücklich, dass die Demonstration am Küchengartenplatz bislang friedlich und ohne Störungen der Probleme verlaufen seien!

Auch die Demoanmelder und -leiter wussten nichts von irgendwelchen Verstößen gegen das Vereinsgesetz, die das Ausfahren der Polizeikameras hätten rechtfertigen können.

Diesen harten Widerspruch zwischen der Behauptung des Einsatzleiters und den vor Ort tätigen Polizeibeamten konnte uns ersterer leider nicht auflösen – er antwortete uns auf eine entsprechende Nachfrage hin derart, die uns jedenfalls völlig unerklärlich ist und die Frage leider nicht aufklärt.

Dementsprechend möchten wir der interessierten Öffentlichkeit und der Polizei Hannover hiermit noch einmal die wichtigen Aussagen aus dem Urteil des OVG Lüneburg vom 24.9.2015 (Az. 11 LC 215 / 14) in Erinnerung rufen oder gar zum erstmaligen Lesen anbieten:

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Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch die Stadt Düsseldorf: Die Pressestelle stellt sich zu Detailfragen stumm. Der Datenschutzbeauftragte schweigt. Wir veröffentlichen eine Karte mit den Standorten.

Seit dem 1. Oktober 2017, also seit nunmehr fast genau einem halben Jahr versuchen wir mittels Presseanfragen von der Stadt Düsseldorf in Erfahrung zu bringen, ob und in welchem Umfang diese den öffentlichen Raum der Stadt mittels Videokameras überwacht.

Das Ergebnis der bisherigen Recherchearbeit im mühsamen Umgang mit der Pressestelle der Stadt Düsseldorf in Stichworten:

  • Es gibt mindestens 46 stadteigene Überwachungskameras. Vermutlich aber deutlich mehr, weil uns die Pressestelle verschwiegen hat, dass an den von Ihr benannten Standorten mitunter weit mehr als nur eine einzelne Kamera installiert worden sind!
  • Im 2008 wurden die ersten Kameras installiert, der Ausbau erfolgt seither sukzessive und soll andauern.
  • Alleine die Anschaffungskosten je Kamera betragen ca. 11.000 Euro. Die Kosten für Installation, Infrastruktur, ggf. Kameramasten, Leitungsverlegung, laufenden Betrieb und Wartung nicht inbegriffen.
  • Die Wartung und Instandhaltung der Überwachungskameras kostet der Stadt Düsseldorf pro Jahr rund 160.000 Euro.
  • Die uns gegenüber benannte Rechtsgrundlage („Wahrnehmung der Pflichten als Straßenbaulastträger“) ist genau so pauschal wie rechtlich fragwürdig. Entsprechende Nachfragen dazu werden uns nicht mehr beantwortet.
  • Die rechtlich notwendige Kennzeichnung der Kameras war – zumindest zum Zeitpunkt unserer Nachfrage – nicht vorhanden. Diese „werde noch erfolgen“ …

Auch wenn die uns zugänglich gemachte Auflistung der Kamerastandorte in nicht unwesentlichen Teilen entweder fehlerhaft oder äußerst ungenau war (und die Stadt Düsseldorf auch die Nachfragen hierzu nicht beantworten möchte), haben wir so weit wie möglich eine Karte erstellt, aus der der Umfang und die Positionen der Überwachungskameras hervorgehen (siehe Bild rechts).

Außerdem haben wir der Landesdatenschutzbehörde von Nordrhein-Westfalen eine Beschwerde zukommen lassen, weil der Datenschutzbeauftragte das Jedermann-Recht auf Auskunftsersuchen zu Teilen des Verfahrensverzeichnisses der Videoüberwachung bislang wortlos ignoriert.

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Der neue Bundesinnenminister propagiert in seiner Antrittsrede das Musterpolizeigesetz. Und weitet nebenbei den geplanten Einsatz von Videoüberwachung mit Gesichtserkennung auf bundesweite Verfolgung von Alltagsdelikten aus.

Bildausschnitt aus dem Bundestagsvideo zur Antrittsrede des Bundesinnenministers Seehofer am 23.3.2018.

Zum Musterpolizeigesetz haben wir hier bereits ein paar mal berichtet (Juli 2017, September 2017, Oktober 2017). Auch der neue Bundesinnenminister Seehofer treibt dieses Projekt, das möglichst ohne öffentliche oder kritische Begleitung durchgeführt werden soll, öffentlich voran.

In seiner Antrittsrede am 23.3.2018 im Bundestag (Text / Audio und Video) sagte er (Videoausschnitt):

„Wir werden auch Schluss machen mit ungleicher Sicherheit, abhängig von Längen- und Breitengraden, indem wir ein Musterpolizeigesetz für ganz Deutschland schaffen.“

Wenn dieses so wie der derzeitige Entwurf des bayrischen Polizeigesetzes ausfallen sollte, so wie es heise dem Herrn Seehofer zuspricht, dann sind die deutschen Länder- und Bundespolizeien auf dem besten Wege zu einer neuen Geheimen Staatspolizei – zumindest, was deren Befugnisse und Ausrichtung betrifft. Kein Wunder dann also, dass man im dafür eingerichteten Arbeitskreis der Innenministerkonferenz keine zivilgesellschaftliche Begleitung wünscht geschweige denn eine parlamentarisch legitimierte Vorgehensweise zur Erarbeitung eines solchen Entwurfs beschreitet.

Dass Herr Seehofer in seiner Antrittsrede ebenfalls die Marschrichtung eines „starken Staates“ unter der einseitigen bzw. halbblinden Losung

„immer nach der Maxime ‚Vorfahrt für die Sicherheit'“

vorgibt, ist da fast nur eine zusätzliche Randnotiz.

Bemerkenswerter ist da schon, was der Bundesinnenminister zu seinen Plänen des bundesweiten Einsatzes von Videoüberwachung in Kombination mit automatisierter Gesichts- bzw. Identitätserkennung der von den Kameras erfassten, sich im öffentlichen Raum bewegenden Menschen sagt:

„Ich werde dafür eintreten, dass die intelligente Videotechnik weiter ausgebaut wird. Jeder, der sich daran stößt, möge sich in die Opfer eines Überfalls in einem U-Bahnhof oder in einer Fußgängerzone hineinversetzen und dann erneut abwägen: Wir wollen nicht wissen, wer wann in welchem Supermarkt einkauft. Wir wollen wissen, wer dealt, wer zuschlägt, wer stiehlt oder wer einbricht und dann unmissverständliche Konsequenzen ziehen.“

Das offenbart, dass die bislang vorgegebenen Beteuerungen von Bundesregierung und BMI unter Herrn de Maiziere, automatisierte Gesichtserkennung solle „nur“ zur Identifizierung von Terroristen oder (so genannten) „Gefährdern“ dienen, nichts als Augenwischerei im Dienste der altbekannten Salamitaktik gewesen sind. Manche Menschen würden auch sagen: Lügen.

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„Rise of the police“ in Bayern – und vom geöffneten Faß der Diskriminierung mittels DNA-Analyse

Von der „Biogeographie“ (Achtung: semantische Neubesetzung eines bislang von Flora- und Faunawissenschaft geprägten wissenschaftlichen Begriffes) zur Theorie von „Gemeinschaftsunfähigen“ à la Siegfried Koller ist es mitunter nicht sehr weit.

Vor kurzem berichteten wir über die geplanten massiven Ausweitungen polizeilicher Befugnisse und ihrer technischen Ausstattung in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen.

Diese Entwicklung starker Entgrenzung der Polizei bzw. Vermengung polizeilichen und geheimdienstlichen Handelns zeichnet sich aber bundesweit ab. Auch das bayrische Polizeigesetz wird derzeit „reformiert“, sein Entwurf zeichnet sich durch besonders menschen-, menschenrechts- und verfassungsfeindliche Tendenzen aus. Insgesamt erhält man den Eindruck, als wetteiferten die Bundesländer um die härteste Linie. Oder geht es darum, dem derzeit öffentlichkeitsscheu hinter verschlossenen Türen verhandelten Musterpolizeigesetz möglichst weit vorauszueifern?

Wie auch immer: Zu den in Bayern geplanten Verschärfungen hat Christiane Schulzki-Haddouti einen lesenswerten Beitrag auf heise verfasst. Wir werden hier an dieser Stelle nur zu den darin enthaltenen Ausweitungen zur DNA-Analyse berichten und zitieren nachfolgend die Stellungnahme des Gen-ethischen Netzwerks e.V., mit dem zusammen wir bereits vor knapp einem Jahr auf die Bestrebungen so genannter „Sicherheitspolitiker“ zur Sache hingewiesen haben, damals noch als Blaupause im Bundesrat verhandelt.

Ebenfalls zur geplanten DNA-Analyse-Befugnis-Erweiterung lesenswert: Die Stellungnahme des Netzwerks Datenschutzexpertise bzw. deren Pressemitteilung vom 21.3.2018. Der Verfasser der Stellungnahme, Thilo Weichert, deklariert das Vorhaben aus Bayern klar als „verfassungs- und europarechtswidrig“:

„Der Entwurf geht von falschen faktischen Voraussetzungen aus. Erlaubt würden ungeeignete und unverhältnismäßige Maßnahmen mit einem hohen Diskriminierungsrisiko, ohne dass Schutzvorkehrungen vorgesehen sind. Zudem fehlt eine Gesetzgebungskompetenz für Bayern.“

Hier aber nun die Pressemitteilung des Gen-ethischen Netzwerks, ebenfalls vom 21.3.2018:

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Eine stenografische Kurzgeschichte über Frau Bärs „Datenschutz wie im 18. Jahrhundert“

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