Rise of the Police: Deutsche Polizeigewerkschaft lehrt die Polizisten, das Strafgesetzbuch zu missbrauchen – Dokumentation möglicherweise rechtswidrigen polizeilichen Handelns soll als Straftat bewertet und entsprechend gehandelt werden – ein weiterer Schlag gegen die Versammlungsfreiheit

Public-Domain-Illustration von Carlos Latuff aus den Mubarak-Zeiten Ägyptens.

Niemand lässt sich gerne durch Unbekannte fotografieren oder filmen. Das gilt auch für Polizisten und für diese gilt der Schutz des Persönlichkeitsrechts genau so wie für andere Menschen.

Und doch gibt es einen Unterschied: Polizeiliches Handeln ist – so die aktuelle Rechtssprechung – grundsätzlich ein zeitgeschichtliches Ereignis. Und wenn ein Mensch/Bürger als Zeuge oder Betroffener polizeilichen Handelns den Eindruck hat, dass die Polizei rechtswidrig handelt, so hat er das Recht, dieses zu dokumentieren, um gegebenenfalls später vor Gericht Beweise für solch eine Behauptung in der Hand zu haben. (Immer vorausgesetzt, dass die Person diese Aufnahmen nicht offensichtlich und tatsachenbehaftet mit der Absicht anfertigt, um einzelne Polizisten identifizierbar bspw. an den „Internet-Pranger“ zu stellen oder diese sonstwie unzulässig zu verwenden.)

Erfreulicherweise – so muss man mittlerweise leider sagen – sieht die aktuelle Rechtssprechung das genau so und entsprechend lässt sich der § 33 des Kunsturhebergesetzes (KUG) nicht dazu missbrauchen, ein derart berechtigtes Anfertigen von Filmen und Fotos von fragwürdigen Polizeieinsätzen als Straftat zu bewerten.

Sehr zum Leidwesen derjenigen Polizisten in den Polizeien, die es nicht mögen, wenn man ihr Handeln kritisch dokumentiert oder gar deren Rechtsverstöße aufzeichnet.

An dieser Stelle tritt die hinreichend bekannte Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) auf die Bühne. In der Ausgabe vom Juni 2016 ihres Gewerkschafts-Blatts „Polizeispiegel“ findet sich (ab Seite 17 im PDF-Dokument) eine Quasi-Anleitung, wie filmscheue Polizeibeamten und -beamtinnen mittels eines mehr als fragwürdigen Verweises auf den § 201 des Strafgesetzbuches (StGB) kritische Berichterstattung oder Dokumentation rechtswidrigen polizeilichen Handelns unterdrücken können und den Betroffenen unmittelbar sogar deren Foto- und Filmapparate oder Smartphones entwenden dürfen – notfalls auch mit Gewalt …  jedenfalls nach Ansicht der DPolG.

Beim § 201 StGB geht es um die „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“. In diesem Gesetz heißt es auszugsweise:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt (…) Der Versuch ist strafbar. Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden.“

Der beabsichtigte Sinn dieser Straftatbestand ist der Schutz der Kommunikationsphäre und die Gewährleistung der Unbefangenheit der persönlichen Aussprache. Dass das schwerlich auf eine Auseinandersetzung zwischen der staatlichen Exekutiven in Form der Polizei auf der einen und den Bürgern/Menschen auf der anderen Seite anwendbar ist, muss kaum erklärt werden. So heißt es im Paragraphen dann auch ebenfalls:

„Die Tat (…) ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.“

Der Autor des o.g. Beitrags im DPolG-Heft, ein Polizeikommissar aus Wiesbaden, sieht das jedoch ganz anders und möchte den § 201 StGB dazu einsetzen, unbeliebte Aufnahmen von Polizeieinsätzen u.U. unter Androhung oder Einsatz massiver Polizeigewalt zu unterbinden, die Aufzeichnungshardware zu beschlagnahmen oder gar Führerscheinbesitzern damit zu drohen, dass diese ihrer Führerscheinprüfung wiederholen müssten.

In seinem „Fazit“ schreibt der DPolG-Kommissar dann entsprechend (und mit unverkennbar populistischem Einschlag in Form einer pauschalen Unterstellung erster Güte):

„In Zeiten, in denen fast jeder ein Smartphone bei sich hat und viele Personen Datenschutz für sich selbst zwar einfordern, aber Polizeibeamten nicht zugestehen wollen, ist vor allem der § 201 StGB ein sehr hilfreiches, aber kaum genutztes Werkzeug mit vielen Handlungsmöglichkeiten. Die Kenntnis der Vorschrift lohnt sich also auf jeden Fall!“

Das nicht als mehr oder minder offene Aufforderung zum Missbrauch des § 201 StGB zu verstehen, fällt schwer.

Und die Agitation der Populisten trägt Früchte: Uns erreichen inzwischen immer häufiger vereinzelte Berichte oder Informationen darüber, wie Polizeibeamte bei umstrittenen Maßnahmen oder im Zuge von Demonstrationen die Dokumentation möglicherweise unerlaubten Polizeihandelns wie z.B. brutaler Polizeigewalt mittels Verweises auf den § 201 StGB erfolgreich unterbinden. Mal schon alleine durch das Androhen von schweren Konsequenzen für die Filmenden, falls diese damit fortfahren, mal durch mutmasslich – für die Polizei – erfolgreiche verlaufende Strafverfahren in diesem Zusammenhang.

Mutmasslich deswegen, weil uns die Polizei bislang noch keine konkreten Angaben auf unsere Nachfragen von vor zwei Wochen machen konnte oder wollte. Die Antwort – falls es denn überhaupt inhaltlich etwas gehaltvolles gibt – soll zudem noch mindestens drei weitere Wochen benötigen, aus Urlaubsgründen, wie man uns in einem persönlichen Gespräch vor wenigen Tagen mitteilte.

Es wäre völlig unverständlich und ein schlimmes Fanal für Menschen- und Bürgerrechte und ein demokratisches Gemeinwesen, falls sich Staatsanwaltschaften und Gerichte tatsächlich dazu hinreißen ließen, denjenigen auf die Finger zu schlagen, die sich um die Dokumentation und Aufklärung potentiell strafrechtlich relevanten Verhaltens einzelner Polizeibeamter bemühen!

Wir werden versuchen, an diesem Thema und den Entwicklungen dazu dran zu bleiben und weiter darüber berichten.

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