Rise of the Police: Gesetzentwurf für das neue Polizeigesetz Niedersachsens kryptisch und unlesbar, Innenministerium verweigert weitere Aufklärung – wir veröffentlichen zusammen mit Digitalcourage Braunschweig eine übersichtliche Gegenüberstellung der alten und der geplanten neuen Regelungen

„Ticking Tonfa“, GIF-Animation dieser Seite, einer russischen Hotline für festgenommene Demonstranten entnommen: https://ovdinfo.org/

Wie verhindert man Kritik und Protest an einem neuen Gesetz? Indem man den Gesetzentwurf so verfasst, dass ihn so gut wie niemand verstehen und interpretieren kann.

Nach diesem Schema scheint die in Niedersachsen seit letztem Jahr von SPD und CDU geführte Landesregierung zu verfahren, um ein neues Niedersächsisches Polizeigesetz (NPOG) erfolgreich verabschieden zu können.

Haben wir noch im Januar eine Gegenüberstellung (Synopse) des bisherigen Polizeigesetzes (mit dem unhandlichen Kürzel NdsSOG) zum damaligen Stand des NPOG-Gesetzentwurfs vom 19.1.2018 leaken können, hat die Regierung nun einen Gesetzentwurf veröffentlicht (LT-DS 18/850), der beim Lesen (falls man ihn überhaupt als „lesbar“ bewerten möchte) auf keinster Weise klarmacht, welche Änderungen da nun tatsächlich vorgenommen werden sollen.

Das niedersächsische Innenministerium verweigert uns die Herausgabe jeglicher weiteren Dokumente aus dem Gesetzgebungsverfahren, welche möglicherweise für den Bürger in leichter verständlicherer Form das Wesen und den genauen Gehalt des neuen Polizeigesetzes vor Augen führen könnten. Dass es eine der aus dem Januar stammenden Synopse auch zum aktuellen Stand des Gesetzentwurfs gibt, ist sehr wahrscheinlich. Aber die wird eben nun einfach unter Verschluss gehalten. Genaues weiß man nicht, denn das nds. Innenministerium verweigert uns selbst auf die Fragen die Antwort, ob es denn so eine neue Synapse gibt oder nicht.

Gemeinsam mit der Braunschweiger Ortsgruppe von „Digitalcourage“ haben wir uns also selber an die Arbeit gemacht und eine solche Synopse erstellt!

Aus der Synopse wird nicht nur deutlich, dass die Polizei zum Verfolger von Gedankenverbrechen ausgebaut werden und mehr denn je geheimdienstlich und verdeckt agieren können soll und dadurch das aus historischen Erfahrungen heraus postulierte Trennungsgebot weiter zersetzt. Es wird auch deutlich, dass die „Große Koalition“ Niedersachsens keine Scheu hat, selbst nach der ersten Kritik aus dem Januar noch eins draufzusetzen und weitere verschärfende Elemente neu in den Gesetzentwurf eingeführt hat.

Ein paar Beispiele:

  • Die zulässigen Anwendungsfälle zum Einsatz der elektronischen Fußfessel werden ausgeweitet, die in diesem Zusammenhang erfassten sehr sensiblen Daten des „Gefesselten“ werden nicht mehr als besonders sicherungswürdig bewertet. (§ 17c Abs. 1 und 3)
  • Die Videoüberwachung von Gefangenen wird nicht nur eingeführt, sondern deren Begründungskatalog inhaltlich wesentlich erweitert – persönlichkeitsrechtlich höchst fragwürdig. (§ 20 Abs. 4)
  • Der Zeitraum richterlich begründeter Untersuchungshaft für unbestimmte Fälle wird von vier auf sechs Tage erhöht. (§ 21)
  • Deutliche Reduzierung der Bedingungen, unter denen die Polizei Aufzeichnungen privat oder gewerblich betriebener Videoüberwachungskameras die Herausgabe dieser Daten erzwingen kann. (§ 32a Abs. 1)
  • Erleichterung der Bedingungen, unter denen eine Telekommunikations-Überwachung (Abhören von Telefon, Abfangen von E-Mails, Mitlauschen und -lesen von Chats und Messenger-Nachrichten) zulässig sein soll. (§ 33a Abs. 1)
  • Ebensolche Erleichterungen der Bedingungen, unter denen der große Lauschangriff auf Wohnungen (Abhören mittels Wanzen & Co.) zulässig sein soll. (§ 35a Abs. 1)
  • Einfügung einer Ausschlussklausel, nach der der Einsatz von verdeckt, also heimlich agierenden Polizeispitzeln unter bestimmten, möglicherweise dehnbaren Bedingungen nicht mehr durch einen Richter genehmigt werden muss. (§ 36 Abs. 2)
  • Streichung der sinnvollen Klausel, wonach Menschen, die bereits bekundet haben, aus einer kriminellen Szene aussteigen zu wollen und ein entsprechendes Ausstiegs-Angebot der Behörden angenommen haben, grundsätzlich nicht mehr als Polizeispitzel angeworben oder eingesetzt werden dürfen. (§ 36 Abs. 5)
  • Gänzliche Streichung von Regularien und Bedingungen, die zur „Führung“ von Polizeispitzeln angedacht gewesen sind. (§ 36 Abs. 6)
  • Ebenso vollständige Streichung der Vorgabe, dass Polizeispitzel, die im Verdacht stehen, im Zuge ihrer Spitzeltätigkeit eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ begangen zu haben, nicht weiter als Spitzel eingesetzt („in Anspruch genommen“) werden dürfen. (§ 36 Abs. 7)
  • Einfügung der neuen Erlaubnis für die Polizei, Polizeispitzel im Einzelfall sogar ohne (vorherige) richterliche Genehmigung einsetzen zu dürfen. (§ 36a Abs. 4)
  • Es soll zukünftig nicht (mehr) festgehalten werden, ob Rasterfahndungen zu einem Ergebnis geführt haben oder nicht. (§ 48 Abs. 1)
  • Der Einsatz von Tasern (Elektroschocker-Pistolen bzw. im euphemistischen Behördendeutsch als „Elektroimpulsgerät“ bezeichnet) werden nicht nur ausdrücklich erlaubt, Taser sollen sogar durch eine Neuordnung der Reihenfolge polizeilicher Waffen als erstes einzusetzendes Mittel noch vor dem Schlagstock definiert. (§ 69 Abs. 4)
  • Hilfspolizisten soll – anders als zunächst geplant – nun doch gesetzlich das Knüppeln mit dem Polizeischlagstock (in bestimmten Situationen) erlaubt werden. (§69 Abs. 8 und § 95)

Nochmals zur ausdrücklichen Klarstellung:

Die vorgenannten Punkten betreffen ausschließlich die zusätzlichen Verschlechterungen/Verschärfungen, die im jetzigen Gesetzentwurf gegenüber dem internen Entwurf vom 19.1.2018 eingebracht worden sind!

Die Aufzählung ist nicht vollständig und berücksichtigt vor allem nicht die viel umfassendere Kritik am Grundgerüst des NPOG-Entwurfs – hierzu ist eine deutlich umfangreichere Detailkritik notwendig.

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