Immer mehr Werbetafeln und -wände, das Auge findet beim Durchqueren der Stadt keine Ruhe mehr, wird ständig und rastlos von Werbebotschaften und -bildern belästigt und beladen. Kein Trend, der nur für Hannover gilt, aber am Beispiel dieser einen Stadt hier bruchstückhaft und kurz beleuchtet werden soll. Im Vordergrund dabei: Intransparenz, Totschweigen und Aussitzen von Stadt und Werbekonzern bei eigentlich gar nicht so besonders kritischen Nachfragen dazu.
Vorgeschichte: Verhökerung des öffentlichen Raums im Gegenzug für kostenlose Parteien-Wahlwerbung in 2009
Schon in 2009 begann die unselige Zusammenarbeit der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover (LHH) mit dem Werbe- und Medien-Konzerngiganten Ströer.
Damals erlaubte die LHH der DSM, einer Tochter der Ströer SE, die dauerhafte Errichtung sieben neuer großflächiger und einnahmeträchtiger Werbeanlagen – im Gegenzug sollte DSM dafür sorgen, dass die Parteien kostenlos Werbung für die Europawahl 2009 machen konnten. Aus dem Protokoll der Sitzung des Stadtbezirksrats Mitte vom 21.9.2009:
„Laut Vertrag zwischen Stadt und DSM stellt die DSM zu Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen an 45 Standorten in Hannover Anschlagtafeln auf. Sie übernimmt die Erstplakatierung auf den Anschlagtafeln, die notwendige laufende Pflege, den Abbau und die Lagerung der Anschlagtafeln. All dies macht die DSM kostenlos. (…) Als Kompensation dafür genehmigt die Stadt der DSM lt. Vertrag die Errichtung und den ganzjährigen Betrieb von sieben doppelseitigen City-Star-Anlagen. (…) Im Vorfeld der Landtagswahl am 27.01.08 wurde der Wunsch der Parteien, weiterhin kostenlos in Hannover werben zu können, an die Verwaltung herangetragen. Er führte zur aktuellen Vereinbarung über die Bereitstellung von Wahlwerbemöglichkeiten bei Allgemeinen Wahlen auf Anschlagtafeln in der Landeshauptstadt Hannover vom Frühjahr 2009. Die Wahlwerbung findet an den bisherigen 45 Standorten statt. Im Gegensatz zur früheren Regelung wird sie nun aber durch dauerhafte Wirtschaftswerbung an sieben anderen Standorten finanziert.“
Soviel zum Thema „kostenlos“ …
Auch später (siehe einen Blogpost aus 2014) wurde noch einmal deutlich, wie weit diese Zusammenarbeit geht:
Während die Polizei (vulgo: „Versammlungsbehörde“) Hannover nämlich gegen Demonstranten bei der Benutzung von Megaphonen einschreitet und diese nachhaltig repressiv behandelt dürfen Konsumpusher Werbetreibende dank eines Vertrags der Stadt Hannover mit Ströer für ihre eigenen, rein konsumorientierten Interessen sehr laut und auch unter Einsatz von Megaphonen die Innenstadt massiv beschallen. So darf Ströer u.a. die zentralen öffentlichen Räume am Steintor, am Schillderdenkmal in der Fußgängerzone, am Lister Platz oder am Platz der Weltausstellung in Eigenregie und ohne weitere Hinzuziehung der Stadt gegen Bares vermieten und daraus Profit schlagen.
Mit anderen Worten: In diesem Zusammenhang geht Wirtschaftsrecht vor Versammlungsfreiheit und die LHH hat wertvolle Bereiche des öffentlichen Lebensraums an einen Medienkonzern verhökert und jede Kontrolle darüber verloren.
Ausgangspunkt für diesen Blogpost 2020
Oktober 2020: Eine neue „Ströer-Mega-Light“-Werbeanlage im Aufbau befindlich.
Das alles ist ein paar Jahre her und von der Sache her nichts Neues. Jedoch fiel im Oktober 2020 der weitere Ausbau von Ströer-Werbetafeln in Hannover auf und damit begann eine neue kleine Odyssee an Presseanfragen und ausweichenden oder gänzlich gar nicht erfolgten Antworten seitens der Stadt und Ströer.
Auf die Fragen, wie viele Werbeanlagen von Ströer in Hannover betrieben werden, wie viele neue Standorte nun hinzugekommen seien und an welchen Stellen diese sich befänden erhielten wir genau gar keine Antwort.
Der Pressesprecher der Stadt Hannover glänzte durch Auskünfte, die bereits bekannt waren und verwies über alles weitere darüber hinaus an die Pressestelle von Ströer. Diese sitzt unsere Presseanfrage vom 27.11.2020 aus – und das trotz inzwischen zahlreicher Nachfragen an und direkter Telefongespräche mit der Ströer-Pressestelle in Köln.
So antwortete der Pressesprecher Hannover auf die Frage, ob die Stadt Hannover nicht beantworten kann oder nicht beantworten darf, an welchen und wie viel Stellen sie der Ströer/DSM-Gruppe erlaubt hat, Werbeanlagen zu errichten und zu betreiben so ausweichend wie flachgründig:
„Zu den Plänen eines Unternehmens sollte sich grundsätzlich das betreffende Unternehmen äußern.“
Nun geht es keineswegs um „Unternehmenspläne“, wie die „Antwort“ des Pressesprechers zu suggerieren versucht, sondern um den Ausverkauf öffenlichen Lebens- und Sichtraums des Ballungsgebiets Hannover. Und dafür ist nun vorrangig niemand anders verantwortlich als die Stadtlenker*innen selber – und nicht der Ströer-Konzern!
Es ist jedenfalls mehr als offensichtlich, dass die Landeshauptstadt in ihrer Koalition mit dem Ströer-Konzern gar keine Informationen zu diesem Thema öffentlich gemacht haben möchte.
An dieser Intransparenz-Strategie scheint auch die neue Oberbürgermeisterschaft unter Bündnis90/DieGrünen nichts geändert zu haben – vielleicht aber auch zu viel verlangt, dass ein neuer OB die Sünden und Wunden der letzten Jahrzehnte in Kürze heilen zu können.
Wie viele Ströer-Werbung gibt es denn nun in Hannover?
Januar 2021 – Es ist vollbracht: Die neue tolle „Mega-Light-Anlage in Hannover-Linden“ ist fertig installiert und in Betrieb genommen.
Ein Blick auf den immerhin öffentlich zugänglichen „Ströer-Kartenassistent“ verrät immerhin:
Ströer betreibt in der Stadt Hannover (und verdient damit viel Geld) rund 90 „City-Star“-Großwerbeflächen-Säulen, weitere ca. 1.200 Großplakat-Werbeflächen, ca. 350 „Mega-Light“-Anlagen, etwa 2.200 ebenso fest installierte „City-Light-Poster“-Werbekästen, 11 moderne Riesen-LED-Leuchtewerbeflächen an vielbefahrenen Straßenknotenpunkten und noch dazu 200 Uhrenwerbe-Standorte sowie grob 350 klassische Litfaßsäulen und weitere 200 „Ganzsäulen“. Das sind alles nur grobe Zahlen, die nur für den Bereich der Stadt Hannover ohne den dazugehörigen Großgraum gelten.
All diese mit so wunderbar hippen Namen versehenen baulichen Anlagen im öffentlichen Raum bezeichnet Ströer verniedlichend als „Stadtmobiliar“. Leider kann man sich auf diese Art „Möbel“ jedoch nicht setzen und nicht ausruhen. Im Gegenteil belästigen die vielfach herausragend beleuchteten oder gar blinkenden Werbetafeln das nach Ruhe und Ausgleich sehnende Auge und Gemüt. Ein Wunder (oder gerade gar kein Wunder!), dass die städtischen „Ordnungs“behörden in den Anlagen keine „Gefahr für die Leichtigkeit des fließenden Verkehr“ meinen erkennen zu können, wo sie sich doch ansonsten mehr als pingelig anstellen.
Wie sich die Anzahl der Ströer-Werbe-Schauplätze in den letzten Jahren entwickelt haben, bleibt uns mangels der Auskunftsfreudigkeit von Stadt und Konzern verborgen. Immerhin können wir anhand von uns vorliegenden Preislisten immerhin soweit – beispielhaft – nachvollziehen:
Die Anzahl der „Mega-Light“-Anlagen hat von 2014 bis 2021 von 70 auf 210 zugenommen, die der „City-Light-Poster“ von 600 auf ca. 2.200, wenn man zur letzteren Zahl den Angaben der interaktiven Ströer-Online-Karte Glauben schenken kann.
Beide Zahlenpaare deuten – grob zusammengefasst – eine Verdreifachung der Werbeanlagen innerhalb von sieben Jahren an. Das ist nichts anderes als eine massive Invasion der Werbeindustrie in unser alltägliches Leben, ein Eindringen in unseren Lebensraum, der die Stadt als Erholungsraum zur absurden Idee werden lässt.
Und nun?
Angesichts der zahlenmäßigen Entwicklung, gepaart mit dem offenbarten Unwillen von Stadt und Konzern, sich zu erläutern und Fakten zu benennen bleibt nur Ratlosigkeit.
„Adbusting“ wird seitens der Geheimdienste sogar schon fast als „Gewaltakt“ deklariert und selber Hand an die Werbetafeln anzulegen ist selbstverständlich verboten.
Bleibt nur der politische Weg: Druck auf die städtischen Gremien ausüben, Fragen stellen, den Wert des öffentlichen Raums erklären, betonen und diesen Raum verteidigen.