
Bildquelle: Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Bilddatei-Signatur: 410_P1_DGH_079. (Mit Dank an das Institut für die Genehmigung zur Bildverwendung!) Gestaltet wurde das Plakat von der Werkstatt „Demokratische Graphik Hamburg“.
Am 28. Januar 1972 beschlossen die die Ministerpräsidenten der damaligen west-deutschen Bundesländer den so genannten „Radikalenerlass“. Der daraus resultierende „Runderlass zur Beschäftigung von rechts- und linksradikalen Personen im öffentlichen Dienst“ vom 18. Februar 1972 – morgen vor 45 Jahren! – hatte für viele hundert Menschen zur Folge, dass Sie Ihren Beruf nicht oder nicht mehr ausüben durften. Berufsverbote kannte man bereits aus der Zeit des nationalsozialistisch geprägten Deutschlands.
Die westdeutsche Nachkriegs-Berufsverbots-Ära (auch in der ehemaligen DDR gab es eine politisch ausgerichtete Berufsverbotspraxis) dauerte bundesweit bis 1985 als Saarland als erstes Bundesland den Radikalenerlass aufhob. Bis 1991 hatten alle Bundesländer gleichgezogen. Bayern war das letzte Bundesland in dieser Reihe, ersetzte den Erlass allerdings durch eine in Teilen nicht minder fragwürdige zwangsweise schriftliche Befragung jedes Bewerbers für den öffentlichen Dienst im „Freistaat“.
Der Landtag in Niedersachsen schickt sich seit einigen Jahren gegen parteipolitische und persönliche Widerstände innerhalb von CDU und FDP an, die unrühmliche, undemokratische und verfassungswidrige Geschichte der politischen Berufsverbote aufzuarbeiten und die davon zu Unrecht schwer beeinträchtigten Menschen wenigstens formell zu rehabilitieren. Damit betritt der Landtag bundesweit Neuland, umso mehr kann man diesem Bemühen Achtung zollen.
Nachfolgend ein von uns schriftlich geführtes Interview mit Matthias Wietzer, dem 12 Jahre lang verboten worden ist, trotz erfolgreichen Lehramtsstudiums und mit „gut“ bewertetem Vorbereitungsdienst als Lehrer zu arbeiten. Fünf Gerichtsprozesse und fünf Jahre Arbeitslosigkeit waren (u.a.!) die Folge. Matthias Wietzer hat sich scheinbar nicht verbittern lassen. In jahrzehntelanger Arbeit und meistens ohne öffentliche Anerkennung hat er zusammen mit anderen an der Aufarbeitung dieses beschämenden Teils der deutschen Geschichte mitgewirkt und den politischen Erfolg in Niedersachsen mit begründet.
Der daran anschließende Text des Theologen, Schriftstellers und Sozialisten Helmut Gollwitzer rundet diesen Blogbeitrag ab. In einem Brief an den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt, an den damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und an die Ministerpräsidenten und Innenminister der damaligen Bundesländer erläutern drei Mitglieder einer ökumenischen Gruppe aus West-Berlin kurz und prägnant, worum es beim Radikalenerlass geht und wer davon getroffen werden sollte. Der Text entstammt dem 1972 bei Pahl-Rugenstein erschienenen Lese- und Arbeitsbuch „Wortlaut und Kritik der verfassungswidrigen Januarbeschlüsse. Materialien für Studenten, Beamte, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst.“