Krudes Verständnis von informationeller Selbstbestimmung und Versammlungsfreiheit beim Niedersächsischen Innenministerium

Vor einigen Wochen wurde öffentlich, dass die niedersächsische Polizei rechtswidrigerweise und „massenhaft“ Dateneinträge über friedliche Demonstrationen, deren Anmelder und Teilnehmer angelegt hatte. Dank der Intervention der Niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten (LfD) wurde dem nun weitgehend Einhalt geboten.

Nachdem sich das Niedersächsische Innenministerium über ein dreiviertel Jahr stumm gestellt hatte gegenüber den Nachfragen der LfD zu nicht erfolgter Kooperation und nicht erfolgter Löschung rechtswidriger Polizeieinträge bei der Polizeidirektion Lüneburg, scheint nun Bewegung in die Sache gekommen zu sein. Das jedenfalls ist der Beantwortung einer Kleinen Anfrage im Niedersächsischen Landtag zu entnehmen.

Zugleich offenbart die Antwort des Ministeriums eine versammlungsfeindliche Einstellung der dort verantwortlichen Menschen. In der Beantwortung heißt es wörtlich:

„Die Prüfung der Thematik im Ministerium für Inneres und Sport unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften im Versammlungsrecht, im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht und im Datenschutzrecht führte zu der Auffassung, dass die Frage, inwieweit persönliche Daten von Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern bei friedlich verlaufenden Demonstrationen gespeichert werden dürfen und zu welchem Zeitpunkt diese wieder zu löschen sind, nicht allgemein beantwortet werden kann.“

Dass diese Haltung des SPD-geführten Ministeriums nicht mit dem Grundgesetz und dem dort verfassten Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung (abgeleitet aus Art. 1+2) und Versammlungsfreiheit (Art. 8) zu vereinbaren ist, lässt sich leicht direkt durch die Zitierung des Bundesverfassungsgerichts und dessen Volkszählungsurteil ableiten. In dessen Urteil vom 15.12.1983 heißt es ebenfalls wortwortlich zitiert (Randnummer 154):

„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“

Der Widerspruch zwischen beiden Aussagen ist offensichtlich.

Auf unsere diesbezügliche Presseanfrage an die LfD von vor 10 Tagen, wie man dort die Aussage des Innenministeriums bewerte, haben wir bis heute noch keine Antwort erhalten.

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