Schwarz-Grün Schleswig-Holstein will Vorratsdatenspeicherung neu im Polizeigesetz verankern – Stellungnahme von uns und anderen dazu

Ausschnitt einer Stadtkarte mit einem Fadenkreuz neben einem Smartphone mit sensiblen persönlichen Daten.Durch Urteile des Bundesverfassungsgericht wurden einige Teile des Landespolizeigesetzes Schleswig-Holstein (heißt dort: „Landesverwaltungsgesetz (LVwG)“) außer Kraft gesetzt – die jüngsten Entscheidungen aus Karlsruhe zu verfassungswidrigen Teilen des Landespolizeigesetzes von Mecklenburg-Vorpommern (Pressemitteilung/Entscheidungstext 9.12.2022) und zur Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Grundlagen polizeilichen Einsatzes von Data-Mining (BVerfG-Pressemitteilung/Entscheidungstext 16.2.2023) noch gar nicht berücksichtigt.

Dem will die schleswig-holsteinische Landesregierung aus CDU und Grünen mit einer Gesetzesänderung (LT-DS 20/376) begegnen und der Polizei damit möglichst weitreichende Befugnisse zur Erlangung von Vorratsdaten erteilen. Denn darum geht es: um die Möglichkeit zur Praktizierung der Vorratsdatenspeicherung personenbezogener und sensibler Kommunikationsdaten („VDS“). Verklausuliert heißt der Gesetzentwurf dann auch: „Gesetz zur Wiedereinführung der Verkehrsdatenerhebung. Letztere ist eine der Neusprech-Entwicklungen zur Verharmlosung dessen, was Vorratsdatenspeicherung bedeutet. Es geht aber weiterhin auch um Funkzellenabfragen und die Abfrage von Standortdaten von Handy- und Smartphone-Nutzern.

Wir vom freiheitsfoo wurden neben anderen Gruppen und Menschen vom Landtag dazu eingeladen, eine schriftliche Stellungnahme zum Entwurf einzureichen. Von 35 Eingeladenen haben bis dato neun eine mehr oder minder fundierte Stellungnahme abgegeben. Ob es auch eine mündliche Anhörung zum Gesetzentwurf geben wird und wer dazu eingeladen wird, auf diese Frage erhielten wir keine Antwort. Vorgeschlagen zum Einreichen einer schriftlichen Stellungnahme hat uns übrigens die SPD. Diejenige SPD, die in Schleswig-Holstein derzeit die Oppositionsrolle bekleidet und sich darin nicht zu schade ist, möglichst potentielle Kritiker der VDS einzuladen, während sie auf Bundesebene – und das nicht erst in jüngster Zeit – eben trotz aller Urteile des EuGH zur Sache für ebendiese votiert und lobbyiert.

Doch egal – einige Menschen vom freiheitsfoo haben im Einverständnis mit der gesamten Gruppe eine lesenswerte Stellungnahme erarbeitet, die wir hier als Plaintext veröffentlichen und die eine klare Stellung bezieht:

 

Hannover, den 8. Februar 2023

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Wiedereinführung der Verkehrsdatenerhe­bung in § 185a LvwG, Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 20/376

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Menschen vom freiheitsfoo bedanken sich, zum vorliegenden Gesetzentwurf Stellung nehmen zu können. Leider haben wir nur wenig Hoffnung, dass unsere Worte auf offene Ohren stoßen werden, wollen aber die Hoffnung nicht aufgeben.

Inhalt

      • Grundsätzliches
      • Überwachung: mehr immer – weniger nimmer
      • Alles halb so schlimm
      • Änderungen, die bürgerrechtlich wünschenswert gewesen wären
      • Zur Speicherdauer – Das 7-Tage-Phantasma
      • Standortdaten: unzureichend geschützt
      • Funkzellenabfragen: nicht unbedingt verhältnismäßig

Grundsätzliches

Die geplanten Befugnisse weiten erneut die Überwachungsmöglichkeiten der Polizei aus. Ganz grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Landesregierung gut beraten wäre, stattdessen im Rahmen einer Überwachgungsgesamtrechnung die Maßnahmen aus den letzten Änderungen auf den Prüfstand zu stellen und bürgerrechtsfreundlich zu überarbeiten bzw. teilweise wieder abzuschaffen. So schaffen beispielsweise die Erstellung polizeilicher Lagebilder und die auf der Grundlage durchgeführten Kontrollen zusätzliche Diskriminierungen auf Grund von Wohn- und Aufenthaltsorten, oft verbunden mit einer rassistischen Komponente. Die Erstellung von personen- und ermittlungsunterstützenden Hinweisen führt ebenfalls zu Stigmatisierungen beim Umgang mit der Polizei. Statt hier Kontroll- und Überwachungsbefugnisse weiter aufzubauen wäre es angemessen, angesichts sinkender Kriminalität, die Befugnisse zurück zu bauen.

Ähnliches gilt beim Einsatz des polizeilichen Tasers, der zu immer mehr Todesfällen in Deutschland führt und der in Schleswig-Holstein nun eingesetzt wird, und zwar nicht nur von Spezialkräften, sondern vermutlich bald fläckendeckend. Die Ankündigung der Grünen, er würde Leben retten, weil er als Alternative zur Schusswaffe eingesetzt werden könnte, wird durch die Dienstanweisung widerlegt. Dort heißt es explizit, dass Distanzelektroimpulsgeräte nicht als Alternative zu Schusswaffen eingesetzt werden darf. Auch diese Waffe wird also zu mehr statt weniger Toten durch Polizeieinsätze führen.

Im Sinne aller Menschen, die als polizeiliches Gegenüber ebenfalls Rechte haben sollten, gäbe es also vielfältigen Handlungsbedarf zum Überarbeiten des LVwG. Neue Überwachungsbefugnisse einzuführen gehört nicht dazu.

Überwachung: mehr immer – weniger nimmer

Die konkret geplanten Änderungen am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgesetz stellen erneut eine Ausweitung der Befugnisse der Polizei dar. Die Ausweitung erfolgt erneut in einem Zeitraum niedrigster Kriminalitätsraten im Land. Ohne die gut 8.700 Fälle von Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen, die einem einzelnen Tatverdächtigen zur Last gelegt werden, wäre 2021 erneut ein Tiefststand in der Kriminalstatistik erreicht worden – so, wie in den Jahren davor. Schleswig Holstein scheint kein Sicherheitsproblem zu haben. Trotzdem sollen die Befugnisse erneut ausgeweitet werden. Warum eigentlich?

Diesmal handelt es sich um den Zugriff auf Verkehrsdaten. Jene Daten also, deren Speicherdauer und -befugnis die höchsten Gerichte in Deutschland und Europa immer wieder beschäftigt. Dies vor allem deshalb, weil von politischer Seite – trotz eindeutiger Ansagen etwa des EUGH – immer wieder versucht wird, die Daten der Menschen so lange wie möglich zu speichern und sie insbesondere den Überwachungsbehörden und der Polizei so ungehindert wie möglich auszuliefern.

Die Erhebung von Verkehrsdaten mag auf den ersten Blick harmlos wirken. Ein paar Metadaten, ein paar Funkzellenkoordinaten – was kann da schon schiefgehen? Doch ist der Zugriff auf sie ein erheblicher Grundrechtseingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung respektive in die in der EU-Grundrechtecharta verbrieften Rechte auf Achtung des Familien- und Privatlebens sowie auf den Schutz personenbezogener Daten (Art. 7, 8).

Alles halb so schlimm?

Der Gesetzentwurf wird suggestiv auch damit begründet, dass in der vergangenen Gesetzesänderung von 2021, Befugnisse für die Polizei gestrichen worden seien, die das BVerfG gar nicht moniert habe – so als sei dies ein schlimmer Fehler. Folgen wir der Gesetzesbegründung dieses Entwurfs von Anfang 2019, so ist dieser Umstand damals durchaus bekannt gewesen. Dort heißt es:

„Von einer Anpassung der polizeilichen Befugnis an die aktuelle Fassung des Telekommunikationsgesetzes wird abgesehen. Aufgrund aktueller gerichtlicher Verfahren sind Entscheidungen über die verfassungsrechtliche und europarechtliche Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung abzuwarten.“ (LVwGPORÄndG-E m. Stand v. 5.11.2019, Begründung § 185a)

Mit anderen Worten: es bestanden Bedenken, ob die obersten Gerichte bei solchen Befugnissen mitgehen würden. Und dies in einem Entwurf, der sich ansonsten keinesfalls schüchtern bei der Ausweitung von Befugnissen für die Polizei gibt.

Wir stellen fest, dass die Fehlverweisung in § 185a (auf § 113a TKG) seit dem ersten Urteil des BVerG zur Vorratsdatenspeicherung vom März 2010 existierte. Am 2.3.2010 erklärte das Gericht § 113a TKG für nichtig. Erst neun Jahre später, 2019, erwägt der Landtag, die Befugnisse der Polizei auch im Wortlaut des Landesrechts entsprechend einzuschränken (faktisch waren sie durch die Gerichtsentscheidung bereits eingeschränkt). Gleichzeitig dauerte es nach dem Urteil des EUGH zur deutschen Vorratsdatenspeicherung vom 20. September 2022 dann aber nur wenige Wochen, bis ein erster Entwurf zur Ausweitung der Befugnisse vorlag.

Diese Asymmetrie ist für uns Anlass zur Sorge.

Änderungen, die bürgerrechtlich wünschenswert gewesen wären

Die Asymmetrie zeigt sich auch in ausbleibenden Änderungen an § 185a. Es wäre bürgerrechtlich wünschenswert gewesen, etwa die Eingriffsvoraussetzungen aus Absatz 1 anzuheben. Während diese in Satz 1 mit

„Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“

eigentlich eindeutig festgelegt werden, erweitert Satz 2 diese Definition dadurch, dass die „dringende Gefahr“ auch daraus bestehen könne, dass „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person […] eine Straftat gemäß §§ 89a, 89b, 129a oder 129b des Strafgesetzbuchs begehen“ oder auch „deren individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet“ solch eine Straftat zu begehen.

Durch diese Doppeldefinition wird unklar, ob auf andere, eigentlich erforderliche Merkmale der „dringenden Gefahr“ unter den Voraussetzungen des Satz 2 verzichtet werden kann – was eine Schwächung der „dringenden Gefahr“ sowohl in Hinsicht auf Konkretion als auch auf zeitliche Nähe bedeuten würde. Der Doppelcharakter wird zusätzlich dadurch betont, dass die Gefahrenumstände aus Satz 2 auf andere und nur teilweise überlappende Deliktbereiche gerichtet sind, als die in Satz 1.

Aus unserer Sicht wird durch § 185a Absatz 1 Satz 2 die Definition der „dringenden Gefahr“ zur weit ins Gefahrenvorfeld verlagerten Voraussetzung. Die „dringende Gefahr“ wird zur höchst problematischen „drohenden Gefahr“, ohne jedoch so benannt zu werden.

Eine derart abweichende Definition „dringender Gefahr“ erfüllt aus unserer Sicht mithin nicht mehr die grundgesetzlichen Ansprüche an die gebotene Normenklarheit. Statt einer konkreten Gefahr reicht die Annahme einer „konkrete Wahrscheinlichkeit“ um verdächtig zu werden. Mit der Vorverlagerung der Gefahrenabwehr ins Vorfeld der Gefahr wird ein Paradigmenwechsel zementiert, den wir für höchst gefährlich halten und ablehnen.

Da tut es auch nichts zur Sache, dass die vorgebliche „Angleichung“ an § 51 Abs. 1 Nr. 1 BKAG schon wegen der unterschiedlichen Bezüge der Vorfeldstraftaten auch juristisch heikel erscheint. Während § 51 Abs. 1 Nr. 1 BKAG sich allein auf Straftaten nach § 129a Abs. 1 und 2 StGB bezieht, bezieht sich § 185a LVwG auf die §§ 89a, 89b, 129a und 129b StGB. Das heißt, dass nach dem LVwG – im Gegensatz zum BKAG – schon der Verdacht auf eine möglicherweise zukünftig stattfindende untergeordnete Vorfeldstraftat ohne realen Schaden zu TKÜ-Maßnahmen führen kann.

Das BVerfG hat tatsächlich einen ähnlichen Bezug in seiner jüngst veröffentlichchten Entscheidung zum verschärften Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern als „Grundrechtsverletzung durch eine zu weit gehende Verlagerung der Gefahrenabwehr ins Vorfeld von Gefahren“ (BvR 1345/21 Rn. 50) beurteilt und ihn im SOG-MV für nichtig erklärt.

Es kann aus unserer Sicht daher auch nicht davon die Rede sein, dass (wie in der Begründung behauptet wird) hier die „dringende Gefahr“ als solche, als Substitut und Verschärfung der „gegenwärtigen Gefahr“ wirke. Vielmehr haben wir es hier offenbar mit dem Verständnis einer „direkten Gefahr“ zu tun, das so nur in Schleswig Holstein existiert. Auch die in der Begründung angeführte entsprechende hessische Regelung enthält sich solch extensiver Weiterentwicklungen eines eigentlich recht eindeutigen Rechtsbegriffs.

Zur Speicherdauer – Das 7-Tage-Phantasma

Mehrfach ist in der Begründung von einer Speicherdauer der Verkehrsdaten von sieben Tagen die Rede. Tatsächlich stellt diese Frist aber durchaus nicht die Regel dar, auch wenn dies in der Begründung durch Bezug auf ein Urteil des BGH zur Speicherung von IP-Nummern (BGH, 03.07.2014 – III ZR 391/13) von 2013 suggeriert wird. Dies wenigstens aus drei Gründen:

1. Die im Entwurf wiederholte Vermutung der zunehmenden Verbreitung von Flatrates entspricht tatsächlich nicht der Realität, da Daten nur bei solchen Flatrates sofort gelöscht werden müssen, die tatsächlich weder für Telefonie noch für Datenverbrauch irgendwelchen Einschränkungen unterliegen. Fast alle real vermarkteten „Flatrates“ sind aber entweder mit offenen oder versteckten Begrenzungen versehen. Drosselungen, Volumen oder territoriale Einschränkungen bilden aber dann gesetzliche Grundlagen für die Speicherung von Verkehrsdaten.

2. Selbst bei „richtigen“ Flatrates kommt es zur Speicherung von Verkehrsdaten, sobald etwa die Nutzung dieser Flats zu Leistungsabrechnungen mit Dritten führt, Unstimmigkeiten über Rechnungen entstehen oder schlicht technische Probleme auftauchen.

3. Insbesondere die Einführung der Vorgaben des EU-Roamings haben zu einer weitverbreiteten Speicherpraxis geführt, die viele oder sogar alle Verkehrsdaten für vier Monate vorhält, um Roaming-Missbrauch innerhalb der EU zu belegen.

Ein von Dr. Patrick Breyer über das Portal Frag-den-Staat von der Bundesnetzagentur befreites Dokument ( https://fragdenstaat.de/anfrage/speicherung-von-verkehrsdaten-durch-tk-anbieter/108274/anhang/DokumentezudenErgebnissenderVerkehrsdatenabfrage.pdf ) belegt darüberhinaus die tatsächlichen Speicherungszeiten bei deutschen Telekommunikationsprovidern. Dies belegt, dass gerade im Bereich der Telefonie viele Daten bis zu sechs Monate gespeichert werden, manche wenigstens 90 Tage und nur bei der Speicherung der Funkzellen die reale Speicherfrist bei sieben Tagen endet (allerdings offenbar auch niemals weniger lang gespeichert wird).

Standortdaten: unzureichend geschützt

Der vorliegende Entwurf fokussiert sich in der Begründung besonders auf die Erhebung von Standortdaten. Zwar wird in der Begründung darauf hingewiesen, dass es sich insbesondere bei retrograden Standortdaten um besonders sensible Daten handelt, doch fand diese Sorge offenbar keinen Eingang in den Gesetzestext selbst. Die Standortdaten, retrograd oder nicht, werden ausschließlich in § 185a (2) Satz 1 Nummer 2 erwähnt:

„2. Verkehrsdaten (§§ 9 und 12 des Datenschutzgesetzes) einschließlich Standortdaten“

Dies mag als „klarstellende Hervorhebung“ verstanden werden, wie es in der Begründung heißt, allerdings doch wohl zu dem einzigen Zweck, Standortdaten ausdrücklich der gleichen Regelung zu unterwerfen wie alle anderen erhobenen Verkehrsdaten. Ihre Besonderheit wird durch diese Form der „Hervorhebung“ geradezu negiert. Im Endeffekt gelten für erhobene (auch retrograde!) Standortdaten offenbar die gleichen Regelungen wie für weniger sensible Verkehrsdaten.

Funkzellenabfragen: nicht unbedingt verhältnismäßig

Da bei Funkzellenabfragen gewöhnlich fast ausschließlich die Daten nicht betroffener Personen von den Telekommunikationsprovidern abgegriffen werden, müssten diese besonders geschützt werden. Bei vergangenen Funkzellenabfragen sind offenbar regelmäßig Datensammlungen mit einer siebenstelligen Zahl von Datenpunkten angefallen. In den Jahren 2018 und 2019 waren in Schleswig Holstein bei jährlich etwa 270 Maßnahmen jedes Jahr über 100.000 Personen betroffen ( https://fragdenstaat.de/anfrage/zahlen-fur-stille-sms-7/ ). Die „stille SMS“ führt die offizielle Häufigkeitsliste der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in Schleswig Holstein mit weitem Abstand an (vgl. DS 20/537).

Setzt das Gesetz die Hürden für die Erhebung dieser Daten zu niedrig, ist mit erheblichen Mengen neuer Einträge in den Polizeidatenbanken zu rechnen. Denn die Abfrage von Bestandsdaten (durch welche die bei Funkzellenabfragen anfallenden Geräte- und Kartennummern realen Personen zugeordnet werden können) durch die Polizei ist auch in Schleswig-Holstein fast voraussetzunglos.

Neben dieser ganz praktischen Schutzlücke verzichtet der Entwurf auch noch auf rechtliche Schutzmaßnahmen, die der in der Begründung herangezogene § 100g StPO sehr wohl aufweist. So wird in § 100g (1) Satz 3 und 4 die Erhebung retrograder Standortdaten an besondere Voraussetzungen geknüpft, ohne die ausschließlich die Erhebung von künftigen und Echtzeit-Standortdaten erlaubt ist. Es ist vollkommen unklar, warum in Schleswig Holstein auf diese Einschränkung verzichtet wurde.

Der Entwurf bleibt schließlich deutlich hinter dem Schutzniveau von § 100g (3) zurück, da die wichtige Einschränkung

„soweit die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht“ (§ 100g (3) Satz 2 Nr. 2 StPO).

nicht ebenfalls übernommen wurde. Damit bleibt aus unserer Sicht die gesamte Regelung unverhältnismäßig.

Insbesondere der laxe Umgang mit retrograden Standortdaten lässt uns einerseits staunen.

Andererseits sind uns schon bei der Verabschiedung des LVwGPORÄndG so viele grundrechtlich faule Stellen aufgefallen, dass wir mit soetwas gerechnet hatten.

Auch die im Entwurf vorgelegten Änderungen leiden an einem eklatanten Mangel rechtlicher Schutzmaßnahmen, von denen wir hier nur einige kurz aufzählen:

    • Es gibt keine Deckelung der Erhebungsfristen, falls etwa Bundesgesetze, auf die das LVwG Bezug nimmt, geändert werden.
    • Es gibt kein Verwertungsverbot unrechtmäßig erhobener Daten.
    • Mit der Benachrichtigung Betroffener – gerade bei Massenabfragen wie der Funkzellenabfrage – ist auch in Schleswig Holstein kaum zu rechnen. Ein System wie das Berliner Funkzellenabfragen-Transparenz-System (FTS) gibt es hier nicht.

Diese Regelung ist aber aus unserer Sicht politisch der falsche Weg, fällt in der Kriminalstatistik kaum ins Gewicht und ist rechtlich an so vielen Stellen kaputt, dass wir nur zu dem Schluss kommen können: Nein Danke. Sogar nichts tun ist besser als diese neue Regelung.

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