Dein Vermieter liefert die Daten, deine Kommune verkauft sie und Polizei- und Geheimdienste greifen sie 24/7 deutschlandweit ab – Das neue Bundesmeldegesetz

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Ende Juni 2012 gab es einen kurzen, aber deutlich hörbaren Aufschrei der Empörung, als der Bundestag einen Gesetzestext für ein neues Bundesmeldegesetz verabschiedet hatte. Die Kritik richtete sich hauptsächlich gegen die Art und Weise des Zustandekommens des Gesetzestexts, weil dieser ohne eine Sachdiskussion von nur wenigen Parlamentariern zu später Stunde verabschiedet wurde und kurzfristig eingeflossene datenschutzfeindliche Änderungen zur Weitergabe von persönlichen Meldeamtsdaten an Adresshändler enthielt.

Nach dem Abschwappen der Empörungswelle wurden Veränderungen ausgehandelt und am 28.2.2013 vom Bundestag sowie am 1.3.2013 vom Bundesrat endgültig verabschiedet. Das damit beschlossene Bundesmeldegesetz (BMG) tritt zum 1.5.2015 1.11.2015 in Kraft.

Anders als bei der Aufregung vom Juni 2012 wurden die Änderungen weitgehend ohne öffentliche Diskussion begleitet und umgesetzt, dabei gibt es zahlreiche, nicht nur datenschutzrechtlich bedenkliche Aspekte im Gesetz.

Eine große, schon seit Jahren geäußerte, datenschutz- und grundrechtliche Sorge ist die vor einer von Konservativen, Bürokratie- und Sicherheitsverfechtern verlangten Schaffung eines zentralen Bundesmelderegisters. Ein solches findet sich in dieser expliziten Form im BMG nicht wieder, doch führen die Regelungen in den Paragraphen 34, 35 und 38 zu einer einem Bundesmelderegister nahekommenden Zentralisierung:

Das Bundesmeldegesetz erzwingt die Einrichtung einer vernetzten IT-Infrastruktur und schafft damit ein Quasi-Bundesmelderegister: Es erlaubt einer beträchtlichen Zahl von Polizeien, Gerichten, Anwaltschaften, Zollbehörden, Finanzämtern und vor allem den Geheimdiensten, vollautomatisierten und zeitlich unbeschränkten Lesezugriff (und mitunter auch Schreibzugriff) auf alle Meldeamtsdaten in Deutschland.

Weitere, kritische Regelungen im BMG haben wir von freiheitsfoo in unserem Wiki paragraphenbezogen zusammengetragen.

[Update 27.3.2014: Gegen das BMG wurde nun eine Verfassungsbeschwerde eingelegt.]

Fünf Punkte sind unserer Ansicht nach besonders hervorzuheben:

  1. Vermieter*innen werden zu Blockwarten und Hilfs-Ordnungshütern gemacht: Der §19 BMG zwingt Vermieter*innen dazu, jeden Ein- und Auszug von Menschen schriftlich zu melden. Sie erhalten zugleich das Recht, Daten über die Mieter*innen einzuholen und gegenzukontrollieren. Auch erhalten Meldeämter das Recht, von Vermieter*innen ganz allgemein „Auskunft zu verlangen über Personen, welche bei ihm [sic!] wohnen oder gewohnt haben.“
  2. Kommunen verkaufen personenbezogene Daten an Adresshändler und Konzerne oder geben sie kostenlos an Kirchen, GEZ und Bundeswehr: Ohne Einwilligung der Gemeldeten. Kritisch finden wir weiter, dass persönliche Daten von uns – ohne uns zu fragen! – an Adresshändler, Konzerne, Kirchen, an die GEZ oder an die Bundeswehr weitergegeben werden, zum Teil sogar völlig automatisiert – wir verlangen ein Opt-In-Verfahren für jeden Einzelfall eines Datenabgriffs!
  3. Jede Übernachtung außerhalb von Privaträumen soll personenbezogen erfasst werden: Jeder Gast bzw. jede in einem Hotel, einer Pension oder ähnlichem übernachtende Gruppe muss einen Meldeschein ausfüllen, welcher für mindestens ein Jahr aufbewahrt wird. Ausländer*innen müssen sich dabei zusätzlich ausweisen und werden registriert.
  4. Auskunftsrechte werden beschränkt und damit die informationelle Selbstbestimmung beschnitten: ausschließlich „regelmäßige“ Datenübertragungen müssen beauskunftet werden, Einzelabfragen nur noch innerhalb der 1-2jährigen Protokollierungsfrist nach Abfrage und wenn Polizeien, Finanzämter, Gerichte, Anwälte oder Geheimdienste Daten über uns abziehen, dann soll das dem Betroffenen selbst auf Nachfrage überhaupt nicht mehr mitgeteilt werden!
  5. Bei Auskunftsersuchen wird eine Elektronische Identifizierung verlangt: Wer keinen (teuren und umstrittenen) E-Perso hat und zudem nicht dessen (ebenfalls kostenpflichtige) Funktion zur elektronischen Identifizierung oder sonst eine „qualifizierte elektronische Signatur“ hat (oder haben will), dem werden keine Auskunftsrechte mehr zugestanden!

Dieses Bundesmeldegesetz untergräbt somit wesentlich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und führt zu einer Zentralisierung der persönlichen Meldeamtsdaten aller in Deutschland lebenden Menschen.

Die unterschiedlichen IT- und Datenbanksysteme der kommunalen Meldeämter, wie auch der abfragenden Behörden von BfV bis ZKA, müssen dafür vernetzt werden bzw. Schnittstellen jeweils integriert oder zentral geschaffen (z.B. wie in Niedersachsen) werden.

Wer der Meinung ist, dass die Daten dabei sicher vor Diebstahl oder – noch schlimmer – Manipulation sei, dem empfehlen wir die Lektüre der aufrüttelnden Stellungnahme des IT-Penetration-Testers Tobias Morsches an den Innenausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 31.1.2014.

Zitat aus einem dazugehörigen Bericht des WDR vom 6.2.2014:

„Gut ein Dutzend Kommunen hat Morsches mit seiner Sicherheitsfirma überprüft. Und bei allen war es den Computer-Experten möglich, innerhalb von zwei bis acht Stunden vollständigen Zugriff auf alle relevanten Systeme zu erlangen. Dazu brauchten sie nicht einmal Insider-Kenntnisse oder geheimdienstliche Methoden. Es fehlt offenbar schlichtweg an einfachsten Sicherheitsmaßnahmen.“

Wegen all diesem:

Wir lehnen die Regelungen des neuen Bundesmeldegesetzes ab und fordern die Rückname dieses Gesetzes und die Besinnung auf Dezentralität und Datensparsamkeit.

Der staatliche Wille jede*n immer detaillierter und alle Reisebewegungen umfassend zu erfassen und damit zu kontrollieren ist ungebrochen.

Wir möchten daher mit einer historischen Gegenüberstellung zum Nationalsozialismus auf die erschreckenden Kontinuitäten der Erfassungs- und Identifierungsanstrengungen in Deutschland hinweisen:

https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/BMG-und-NS-Erfassungen.pdf

 

Verweise

Bild: Darstellung der zahlreichen automatisierten 24/7-Zugriffsberechtigungen, CC-BY-NC-SA

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