Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Vorratsdatenspeicherung: Bundesinnenministerin Faeser will IP-Vorratsdatenspeicherung durchsetzen und offenbart in einem Interview ihren Mangel an Kenntnis und die Nichtigkeit ihrer Argumente – Eine Analyse

Nancy Faeser, 2019, Bild: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu), Bearbeitung: freiheitsfoo, Lizenz: CC BY SA 3.0-de

Eine kurze Chronologie der vergangenen Woche:

Montag, 19.9.2022: Einen Tag vor der anstehenden Entscheidung des EuGH zur Gesetzgebung der Vorratsdatenspeicherung (VDS) in Deutschland warnen Gruppen der Zivilgesellschaft sowie Fachleute in einem offenen Brief vor der Einführung einer Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen.

Dienstag, 20.9.2022: Der Europäische Gerichtshof erklärt die deutsche Gesetzgebung zur VDS (erneut!) als mit der EU-Grundrechtecharta unvereinbar. (EuGH-Pressemitteilungen 156/22 und 157/22)

Mittwoch, 21.9.2022: Die derzeitige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärt in einem Interview mit dem DLF, dass sie die IP-VDS wieder einführen möchte. (Text/mp3)

Aus diesem Interview möchten wir einige Passagen zitieren, um daran Unrichtigkeiten in der Darstellung von Frau Faeser aufzuzeigen. Das Interview mit der Bundesinnenministerin führte Philipp May vom Deutschlandfunk:

May: Aber jetzt steht nun mal im Koalitionsvertrag recht klar, dass Daten rechtssicher anlassbezogen gespeichert werden sollen. Das deckt ja die Sichtweise von Marco Buschmann, dass auch eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen nicht möglich sein soll. Haben Sie da nicht aufgepasst bei den Koalitionsverhandlungen?
Faeser: Doch und deswegen steht ausdrücklich im Koalitionsvertrag das Abwarten des Europäischen Gerichtshofs-Urteils drin. Es gibt einen ausdrücklichen Bezug dazu, weil wir abwarten wollten, was das Gericht entscheidet, was rechtssicher möglich ist.
May: Aber anlassbezogen steht da nun mal drin. Das kann man nicht wegdiskutieren.
Faeser: Nein, das kann man nicht wegdiskutieren. Es geht ja auch darum, dass wir nur anlassbezogen eingreifen. Das ist ja die Unterscheidung. Es geht ja nicht darum, dass wir uns die Daten aller Menschen angucken, sondern wir wollen ja nur bei schwerer Kriminalität diese Daten dann nutzen zur Aufklärung des Täters. Insofern gibt der Koalitionsvertrag Spielraum.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung (barrierefrei hier herunterladbar) heißt es im Detail:

„Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“

Analyse:

  • Im Koalitionsvertrag steht – anders als von Frau Faeser behauptet – nicht, dass man das EuGH-Urteil „abwarten“ wolle.
  • Frau Faeser deutet – rhetorisch geschickt – die Frage nach „anlassbezogener Speicherung“ in ein „anlassbezogenes Eingreifen“ oder „anlassbezogenes Angucken von Daten“ um. Das ist aber nichts anderes als absichtliche, hinterlistige Täuschung der Zuhörenden, eine politische Nebelkerze.

Faeser: Eine Kompromisslinie könnte ja sein, dass wir eine Regelung darüber finden, wie IP-Adressen gespeichert werden können, wenn die Anbieter dazu übergehen, wegen der Flatrates gar keine Daten mehr zu speichern, ob es eine Möglichkeit für eine solche Speicherung gibt unter sehr engen Voraussetzungen. Da ist einiges denkbar und deswegen bin ich auch nach wie vor zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.
May: Was wären denn die engen Voraussetzungen, an die Sie da denken?
Faeser: Na ja. Zeitliche Begrenzung ist beispielsweise eine und natürlich ist es ja auch eine Beschränkung der Daten. Es ist ja nicht, wie jetzt im Gesetz vorgesehen, die Speicherung jeglicher Daten, sondern tatsächlich nur der IP-Adresse, womit der Täter identifiziert werden kann. Aber es werden damit keine beispielsweise Bewegungsprofile erstellt werden können.

Analyse:

  • Es werden auch in der derzeitigen und bald abschließend gekippten Gesetzgebung nicht „jegliche Daten“ erfasst und vorgehalten. Auch das ist ein Täuschungsmanöver, eine schwammige formulierte Behauptung, die im Detail schlicht falsch ist.
  • „Nur IP-Daten“ zu speichern, wie Frau Faeser zu beschwichtigen versucht, und dass daraus „keine Bewegungsprofile“ zu erstellen seien, das ist eine absurde und unhaltbare Verharmlosung der Bedeutung von IP-Adressen-Speicherungen. Es geht vielmehr um die damit erzeugte Möglichkeit der Bildung hochsensibler Persönlichkeitsprofile. Viel besser als es der EuGH in seinem Urteil 2020 zum Thema formuliert hat kann man es nicht:
    „Da die IP- Adressen jedoch insbesondere zur umfassenden Nachverfolgung der von einem Internetnutzer besuchten Internetseiten und infolgedessen seiner Online-Aktivität genutzt werden können, ermöglichen sie die Erstellung eines detaillierten Profils dieses Nutzers. Die für eine solche Nachverfolgung erforderliche Vorratsspeicherung und Analyse der IP- Adressen stellen daher schwere Eingriffe in die Grundrechte des Internetnutzers aus den Art. 7 und 8 der Charta dar und können abschreckende Wirkungen wie die in Rn. 118 des vorliegenden Urteils dargelegten entfalten.“

May: Frau Faeser, Sie haben gerade sehr deutlich ausgeführt, warum Sie glauben, dass es so wichtig ist, dass wir diese Vorratsdatenspeicherung insbesondere von IP-Adressen brauchen. Jetzt hat es ja schon eine Vorratsdatenspeicherung gegeben in Deutschland, in viel größerem Maße, als es das Gesetz, das jetzt eingefroren ist, vorgesehen hat, von 2008 bis 2010. Da ist fast alles erlaubt gewesen nach heutigen Maßstäben. Relativ wenig deutet darauf hin, dass das den Behörden damals groß geholfen hätte bei der Verbrechensbekämpfung. Weder die Zahl der schweren Straftaten ist damals zurückgegangen, noch die Aufklärungsquote hat sich verbessert. Wieso, glauben Sie, ist das wirklich ein Quantensprung für die Ermittlerinnen und Ermittler bei der Aufklärung schwerer Straftaten?
Faeser: Zum einen müssen wir unterscheiden. Natürlich gehen die schweren Straftaten nicht zurück, sondern im Gegenteil: Wenn Sie mehr aufklären können, haben Sie natürlich mehr Zahlen.
May: Aber auch die Aufklärungsquote war nicht höher.
Faeser: Und wir haben seit damals eine starke Veränderung, eine sehr starke Verlagerung beispielsweise sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Netz und auch das furchtbare Verfahren des Grooming, wo Erwachsene gezielt Jugendliche, Kinder zu sexualisierten Handlungen zwingen, eine extreme Zunahme. Das sagt auch der Kinderschutzbund. Deswegen haben wir eine veränderte Situation, wo Sie diese IP-Adressen auch benötigen. Deswegen glaube ich so fest daran, dass das für die Sicherheitsbehörden unerlässlich ist, und das sagen ja auch alle Expertinnen und Experten.

Analyse:

  • Zunächst ist festzuhalten, dass Frau Faeser auf die sachliche Entwertung des von ihr zuerst gebrachten Arguments (Kein Rückgang schwerer Straftaten und keine bessere Aufklärungsquoten in Zeiten der VDS) nicht mehr reagiert, also auch nicht fair genug ist anzuerkennen, dass diese Argumentation haltlos ist.
  • Frau Faeser argumentiert mit dem Kinderschutzbund. Bemerkenswerterweise hat aber gerade der nach dem Urteil des EuGH gar keine besonderen Probleme mit diesem. Aus einer Nachricht des DLF vom 21.9.2022:
    „Der Deutsche Kinderschutzbund sieht auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung ausreichend Möglichkeiten im Kampf gegen Pädokriminalität. Das Vorstandsmitglied Türk sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, man halte das sogenannte „Quick-Freeze“-Verfahren für einen gangbaren Weg in der Abwägung zwischen Datenschutz und Kinderschutz. Mit dem Verfahren können Behörden bei Verdacht auf schwere Straftaten einen Provider dazu verpflichten, die verfügbaren Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.“
    Also erweist sich auch diese Argumentationlinie von Frau Faseser als nichtig.
  • Ebenso unsinnig ist die Behauptung der Ministerin, „alle Expertinnen und Experten sagen, dass die IP-VDS für die Sicherheitsbehörden unerlässlich ist.“ Es stellt sich da wohl eher die Frage, welche Sachkundige und Wissenschaftler Frau Faeser als „Expert*innen“ anerkennt und welche nicht.
  • Fraglos real scheint dagegen der Wunsch so genannter „Sicherheitsbehörden“, möglichst viele Daten zu erlangen – ob das mit dem Ziel einer effizienten und verhältnismäßigen Strafverfolgung oder gar mit dem Grundgesetz oder der EU-Grundrechtecharte in Einklang zu bringen ist oder nicht. Diese Haltung der Behörden hat die Vergangenheit mehrfach und eindeutig bewiesen …
  • Zuletzt, aber deswegen nicht am unwichtigsten: Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat im November 2021 belegt, dass die VDS zum Schutz von Kindern ungeeignet ist. Auch das BKA bestätigt das und eine Kinderschutz-Organisation teilt diese Einschätzung ausdrücklich – siehe zu dem allen den schon oben erwähnten Offenen Brief vom letzten Montag.
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freiheitsfoo-Wahlprüfsteine zur Niedersachsenwahl am 9.10.2022: SPD, CDU, Grüne und „AfD“ blamieren sich mit Nicht-Beteiligung – FDP, Piraten und Linke liefern Antworten. [Update]

Übersicht der redaktionellen Bewertung der Antworten bzw. Rückmeldungen und Nicht-Antworten einiger angeschriebener Parteien (als pdf-Dokument)

In drei Wochen, am 9.10.2022, findet in Niedersachsen eine Landtagswahl statt. Derzeit bilden SPD und CDU in diesem Bundesland eine große (Regierungs-)Koalition. Grüne, FDP und „AfD“ befinden sich in der Landtagsopposition. Die Partei „Die Linke“ ist im Parlament derzeit nicht vertreten und befindet sich den aktuellen Umfragen nach unterhalb der 5%-Hürde.

Schon seit 2009 haben wir (bzw. unsere Vorgängergruppe) zu Landtags-, Bundestags- und Europawahlen Wahlprüfsteine mit Bezügen zu Menschen-, Bürger- und Persönlichkeitsrechten erstellt. So auch zu dieser Landtagswahl.

22 Fragen haben wir an alle ebenfalls 22 an der Wahl teilnehmenden Parteien gestellt und bis zu drei mal um Antworten gebeten. Nach diesem Prozedere haben wir von genau drei Parteien Antworten erhalten. Dies waren (in chronologischer Reihenfolge) die FDP, die Piratenpartei und die Partei „Die Linke“. [Update: Nach unserer Veröffentlichung hat dann auch noch die „AfD“ geantwortet.]

Zum Vergleich: Zur Bundestagswahl 2009 hatten noch neun Parteien geantwortet, darunter alle damals bezüglich der Wahlergebnisse „relevanten“ Parteien. Und auch zur Landtagswahl Niedersachsens in 2013 gab es immerhin von acht angeschriebenen Parteien gehaltvolle Antworten zu unseren damaligen Fragen. Als einzige Partei mit Aussicht auf ein Landtagsmandat verweigerte sich damals nur die SPD. Und auch bei den Landtagswahlen 2017 in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen beteiligten sich bei der Beantwortung alle „Großparteien“ bis auf je eine (mal die SPD, mal die „AfD“).

Vorab-Fazit: Die politischen Parteien versuchen in zunehmenden Maße, im Vorfeld von Wahlen sich der Beantwortung konkreter Fragen mit Bezug auf eine etwaige zukünftige Regierungsverantwortung zu entziehen.

Begründet wurde das uns gegenüber mit „mangelnden Kapazitäten“. Das lassen wir bei den Parteien gelten, die bislang nicht im Landtag vertreten sind und die mit entsprechend wenigen Mitarbeitenden und Geld ausgestattet sind.

Wenn aber Großparteien wie CDU und SPD (beide aktuell landesregierungsbildend!) und Bündnis90/Grünen (in froher Erwartung der Landesregierungsbeteiligung) „aus Kapazitätsgründen“ keine Antworten auf unsere Fragen geben wollen, so ist das aus unserer Sicht nicht hinnehmbar und nur eine billige Ausrede. Mit Blick auf die Straßen und öffentlichen Räume Niedersachsens dieser Tage werden ja keine Kosten für (meistens gehaltlose oder -arme) Wahlwerbung gescheut. Und das Geld für eine Mitarbeiterin, die die Beantwortung von 22 Fragen leisten kann ist demgegenüber nicht vorhanden? Unglaubwürdig oder mit Blick auf das sich offenbarende Selbstverständnis dahinter zumindest bitter enttäuschend.

Die SPD gab uns gegenüber an, „eine dreistellige Anzahl an Wahlprüfsteinen erhalten“ zu haben und uns deswegen bis zu Wahl keine Antworten geben zu können. Unsere Nachfrage, wie viele Wahlprüfsteine die SPD denn genau (eher 100 oder eher 1000) erhalten hat und wie viele von denen beantwortet worden sind, diese Nachfrage blieb seitens der SPD trotz Fristsetzung bis dato unbeantwortet …

Unter allen größeren Parteien war die „AfD“ schließlich die einzige, die – trotz dreifacher Nachfrage! – uns noch nicht einmal eine Rückmeldung oder Absage auf unsere Anfrage gab. Selbstkommentierend.

Doch zum inhaltlichen:

Unsere 22 Fragen gliedern sich in folgende fünf Unterbereiche auf:

  • Landespolizei (9 Fragen)
  • Versammlungsfreiheit (3 Fragen)
  • Landesgeheimdienst/“Verfassungsschutz“ (3 Fragen)
  • Informationsfreiheit (1 Frage)
  • Datenschutz (6 Fragen)

Kurzantworten der drei sich inhaltlich beteiligenden Parteien zu den Niedersachsen-Wahlprüfsteinen 2022 (als pdf-Dokument)

Wie üblich baten wir die Parteien um maximal 250 Zeichen lange Antworten zu unseren Fragen. Überlange Antworten haben wir entsprechend abgeschnitten. Die vollständigen Antworten sowie ergänzende und weiter erläuternde Erklärungen der Parteien sind sekundär verlinkt.

Die Kurzantworten haben wir ebenso wie eine graphisch-schematische Übersicht einer subjektiven Bewertung dieser Antworten in je einem PDF-Dokument zusammengefasst und können der Schaffung einer jeweils eigenen Meinung dienlich sein:

Die Partei „Die Linke“ lieferte uns – aus unserer Sicht – die prägnantesten Antworten und vermitteln den Eindruck, dass die verfassende Person Haltung besitzt und wusste, worüber sie schreibt.

Ähnlich, wenn auch mit einigen Abstrichen, die Piratenpartei. Zu einigen Fragen bleiben die Antworten im Detail etwas schwammig. Dafür gibt es bei anderen wenigen Fragen überlange Antworten und ausführliche Erläuterungen.

Die FDP, das kann man ihr im Vergleich zu den beiden anderen Teilnehmenden (Piratenpartei und Die Linke) attestieren, besitzt aus unserer Sicht ein deutlich weniger menschen- und persönlichkeitsrechtsfreundliches Profil. Und doch muss man der FDP anerkennend zugestehen, dass diese sich wie auch die Piraten und die Linken überhaupt die Arbeit mit der Beantwortung der Fragen gemacht hat. Das ist eine Form der Ehrlichkeit, die SPD, CDU, Grünen und AfD sehr vermissen lassen. Alleine aus diesem Grund halten wir die letztgenannten Parteien für nicht oder deutlich weniger wählbar.

Ergänzend und abschließend sei noch der Wahl-O-Mat zur Niedersachsenwahl 2022 empfohlen, wenn auch nur – und das gilt auch für diesen, unseren Beitrag! – in Verbindung mit einem nüchtern-kritischen Blick.

 

[Update 20.9.2022]

Nach Verbloggen mitsamt Pressemitteilung dazu erhielten wir am 19.9.2022 auch von der „AfD“ noch Antworten und haben diese in den pdf-Dokumenten nachgetragen.

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Hauptversammlung des ÖPNV-Betreibers der Landeshauptstadt Hannover (üstra): Eine flächendeckende Videoüberwachung des ÖPNV und neue Schlagstöcke für den Sicherheitsdienst, aber keinerlei Belege für deren Sinn oder Verhältnismäßigkeit. Eine exklusive Schweigeminute für getötete Polizisten und Angst vor dem Tor-Browser.

Die üstra-Tochter Protec bei der Arbeit: Eine Protec-Mitarbeiterin mit Schäferhund vertreibt einen Obdachlosen vom Hauptbahnhof Hannover: „Aufstehen! Jetzt aber!“ (Juni 2019)

Busse und Stadtbahnen in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover werden von der im wesentlichen im öffentlichen Besitz befindlichen üstra AG betrieben. In aller Regel zur großen Zufriedenheit der Kundschaft. Erneut gab es zur am letzten Donnerstag (25.8.2022) stattfindenden jährlichen Hauptversammlung der AG auch Fragen aus unseren Reihen an Vorstand und Aufsichtsrat, die sich in voller Länge in unserem Wiki nachlesen lassen.

Hier ein paar fragmentarische Auszüge aus den Antworten, die Informationen enthalten, die uns wichtig erscheinen. Kommentierungen stehen in [eckigen Klammern].

  • Die üstra betreibt 3.999 Kameras in Bussen und Bahnen, an Haltestellen und Bahnhöfen. [Man darf damit von einer fast flächendeckenden Videoüberwachung des Raumes im und um den ÖPNV Hannover sprechen. Das BVerfG hat einer flächendeckenden Videoüberwachung stets eine pauschale Absage erteilt und davor gewarnt. Auf den ÖPNV Angewiesene können dieser faktisch nicht mehr ausweichen.]
  • In 2021 wurden in 634 Fällen Aufzeichnungen der üstra-Überwachungskameras abgegriffen, in 247 Fällen davon der Polizei übergeben.
  • Dem Unternehmen liegen allerdings keinerlei Informationen dazu vor, ob diese massive Überwachung ihrer Kundschaft auch in nur einem einzigen Fall bei der Aufklärung von Straftaten hilfreich war. Geschweige denn, ob die Überwachung Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verhindern konnte. [Den Nachweis der Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit bleibt die üstra also schuldig.]
  • In 57 Fällen, bei denen die üstra gerne Kameraaufzeichnungen abgreifen wollte musste sie feststellen, dass die Kameras entweder defekt waren oder keine Aufzeichnungen gesichert werden konnten. [Das sind rund 9% aller Fälle.]
  • Die Bilder der üstra-Kameras können in Fällen von Anschlägen oder Katastrophen in Echtzeit der Polizei zugeschaltet werden. Dieser Fall sei bislang aber noch nie eingetreten. [Dass der Zugriff technisch möglich ist, macht nachdenklich.]
  • Die jährlichen Betriebs-, Führungs- und Instandhaltungskosten für die Videoüberwachungstechnik betrugen in 2021 128.000 Euro. [In 2019 betrugen diese noch 340.000 Euro. Die Nutzer des ÖPNV in Hannover müssen für ihre eigene Überwachung also auch noch nicht zu knapp bezahlen.]
  • Die üstra betreibt in Hannover ein Lichtwellenleiter-Datennetz (LWL, Glasfaser), das auch von der Polizei mit genutzt wird, u.a. zur Übertragung der Bilder ihrer Überwachungskameras. Dafür zahlt die Polizei der üstra jährlich einen „geringen 5stelligen Betrag“.
  • Die Anzahl üstra-intern registrierter „Vorfälle“ zu möglichen Straftaten hat von 2020 zu 2021 um 5,3% zugenommen.
  • Am 4.2.2022 führte die üstra eine sog. „Schweigeminute“ für zwei zuvor in Rheinland-Pfalz getötete Polizisten durch. Für andere im Dienst oder bei der Arbeit getötete Menschen werden keine Schweigeminuten eingelegt. Die üstra Begründet diese Ausnahme bzw. Hervorhebung damit, dass „die GdP Niedersachsen und das Niedersächsische Innenministerium“ zur Beteiligung an der bundesweiten Aktion des Gedenkens aufgerufen hätten. [Ein bemerkenswerter Einfluss von Polizeilobby und Landesregierung! Und eine erneut bevorzugende Behandlung der Menschen im Polizeidienst gegenüber allen anderen Menschen.]
  • Der Internetauftritt der üstra lässt sich nicht mittels Tor-Browser aufrufen. Begründung: „Der Zugriff auf unsere Systeme via Tor-Netzwerk ist gesperrt, weil Tor zunehmend für Cyberangriffe genutzt wird.“ [Das ist eine verschleiernde, ausweichende Antwort und wirft Fragen auf, inwiefern die Absicherung eines unbefugten Zugriffs mittels Aufruf der üstra-Homepage möglich sein könnte …]
  • Anfang 2022 feierte man bei der üstra bzw. bei ihrem Tochterunternehmen protec die Einführung eines Teleskop-Schlagstocks. Neusprechartig wird dieser als „Einsatzstock, kurz, ausziehbar“ oder – noch kürzer und weniger treffend – mit „knackigen Namen“ als „EKA“ verniedlichend betitelt. Weiter wird die Wirkung der Waffe im Beitrag weiter als „Begleitutensil“ oder auch als „ein kleiner Stock für Deeskalation und Sicherheit“ fragwürdig beworben. Der Schlagstock habe eine „deeskalierende Wirkung auf alle Fahrgäste“. Auf Nachfrage hin liegen der üstra keine Studien oder andere Belege für diese Behauptung vor. [Tatsächlich widerspricht sich die üstra in einem eigenen Blogbeitrag wie auch auf der Hauptversammlung sogar: Einerseits soll dieser Schlagstock weniger sichtbar sein als die zuvor eingesetzte Tonfa. Andererseits soll das sichtbare Vorhandensein der Waffe deeskalierend wirken. Siehe dazu auch unseren Blogbeitrag vom Februar 2022.]
  • Die üstra und die Protec haben keine Ahnung, wie oft dieser oder jener Schlagstock eingesetzt werden. Dazu würden keine Daten erhoben und keine Statistik geführt. [Ohne eine solche lassen sich Wirkung und (Un)Sinn der Waffen nicht bewerten. Und auch nicht, wie sich der Waffenwechsel auf dessen Einsatzhäufigkeit auswirkt.]
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Hauptversammlung der OHB AG: Neue Spionagesatelliten für (nicht nur deutsches) Militär und Geheimdienste, Frühwarnsysteme gegen Raketen und Hyperschallwaffen, etwas Geld von OHB für deutsche Parteien, viel Geld von der Bundesregierung für OHB und eine umstrittene Zuarbeit für die EU-Grenz“schutz“polizei Frontex

Ein Bild aus den Räumen der OHB-Konzernzentrale im Zusammenhang mit der OHB-HV 2013: Plastik/Darstellung zur SAR-Lupe.

Am 1.6.2022 fand die diesjährige Hauptversammlung (HV) des deutschen Luft- und vor allem Raumfahrtkonzerns, der OHB AG mit Sitz in Bremen statt, erneut leider nur „virtuell“ – ein Format, was kritische Fragen zwar nicht ausschließt, aber die noch wichtigeren Nachfragen und einen echten Austausch zwischen Konzernlenkern und kritischen Aktionären erschwert und fast verunmöglicht. Doch darum soll es hier nicht gehen. (Siehe sonst dazu hier und hier.)

Wir haben aus unseren Reihen heraus eine Liste von Fragen an Vorstand und Aufsichtsrat von OHB stellen können und dokumentieren diese und die Antworten dazu ausführlich auf einer eigenen Wiki-Seite.

Nachfolgend möchten wir auf ein paar aus unserer Sicht wichtigen Einzelpunkte hinweisen, die Lektüre der ausführlichen Frage-Antwort-Liste mag für Interessierte darüber hinaus eventuell interessant sein.

Die OHB AG ist ein ehemaliges Familienunternehmen der Familie Fuchs. Trotz enormer Größe und technischer Reichweite der Handlungen und Produkte der AG hat diese – wie in der Hauptversammlung schon seit immer – einen nahen, familiären und den Fragenden gegenüber fairen und authentischen Charakter bewahrt. Ganz anders als bei den allermeisten anderen HVs der Konzerne sonst üblich.

Das ändert nichts daran, dass OHB neben vielen anderen technisch interessanten Geschäften viel Geld durch Aufträge aus Bundeswehr, internationaler Rüstungsindustrie und (wenn auch wohl nicht mittelbar) Geheimdienste verdient bzw. erhält.

Hier unsere Informationsfragmente aus der OHB-HV 2022, nach eigenem Ermessen ausgewählt und ohne irgendeine bestimmte Reihenfolge:

  • OHB erhielt in 2021 rund 450 Millionen Euro aus deutschen oder EU-europäischen Fördertöpfen.
  • Der jährliche Umsatz von OHB mit Bundes“verteidigungs“ministerium oder Bundeswehr schwankte in den letzten fünf Jahren zwischen 44 und 150 Millionen Euro. Mit anderen Bundesministerien (z.B. BMI, BMWG) machte OHB zwischen 2017 und 2021 zusätzlichen jährlichen Umsatz zwischen 132 und 207 Millionen Euro.
  • Es gibt (derzeit) eher eine geringe Zusammenarbeit von OHB mit Rheinmetall, MBDA, Hensoldt und IAI. Mit ELBIT gab es eine intensivere Zusammenarbeit in Verbindung mit der Herstellung eines (militärischen/aufklärungstechnischen?) Satelliten für Luxemburg. Mit dem Rüstungskonzern Thales arbeitet man intensiv zusammen, wenn auch – so weit wie angegeben – im eher nicht-militärischen Kontext. Eindeutig militärisch dagegen die gute Zusammenarbeit mit Airbus z.B. bei der Herstellung des neuen deutschen Spionagesatelliten SARah für den militärisch-industriellen Komplex.
  • Ob der April 2022 gestartete, von OHB produzierte „Erdbeobachtungssatellit“ EnMAP auch polizeilich/militärisch/geheimdienstlich genutzt wird, ist der AG angeblich nicht bekannt, will von ihr aber auch nicht ausgeschlossen werden.
  • Ähnlich ungenau die Antwort zur Frage, ob und inwiefern die für EU und USA zu bauenden CHIME-Satelliten (als Teil des Copernicus-Programms) militärisch/geheimdienstlich genutzt werden sollen. OHB bleibt bei dem in einer Pressemitteilung verwendeten Passus, dass es „auch um sicherheitsrelevante Fragen“ ginge, löste diese Formulierung inhaltlich aber nicht weiter auf.
  • Die im März 2020 angekündigte zukünftige „intensive und langfristige Zusammenarbeit“ mit dem Schweizer Rüstungskonzern RUAG sei angeblich ausschließlich ziviler Natur.
  • OHB hat zwei der drei neuen SARah-Spionagesatelliten für die Bundeswehr bzw. das „Bundesamt für Ausrüstung und Informationstechnik der Bundeswehr“ gebaut. Der erste dieser beiden Satelliten, die Berichten zufolge auch ausdrücklich und in bedeutsamen Umfang den Geheimdiensten als Informationsquelle dienen wird, wurde kurz nach der HV am 18.6.2022 erfolgreich ins All transportiert. SARah ist die Satelliten-Nachfolgegeneration der ebenfalls von OHB gefertigten SAR-Lupen, die einen „Meilenstein“ im Aufbau unabhängiger allbasierter Spionagetechnik für die deutschen Militärs und Geheimdienste darstellten. Zum aktuellen Ausbau der Spionagearbeit aus einem lesenswerten Golem-Bericht zitiert: „Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) darf die Bilder von SARah nutzen. Mit Georg (Geheimes Elektro-Optisches Reconnaissance System Germany) betreibt der Auslandsgeheimdienst aber ein eigenes Satellitensystem, das auf der elektro-optischen Aufklärung basiert. Der Name spielt vermutlich auf den Heiligen Georg an, der als Schutzpatron des BND gilt. Den Auftrag für die insgesamt drei Georg-Satelliten erhielt OHB. Das Gesamtsystem soll Schätzungen zufolge über eine halbe Milliarde Euro kosten. Es soll ebenfalls mithilfe von SpaceX auf seine Umlaufbahn gebracht werden. Der Start des ersten Satelliten verzögert sich jedoch weiter.“
  • In der Silvesternacht 2021 wurde OHB Opfer eines Brandanschlags. Die Bremer Wirtschaftssenatorin der Partei „Die Linke“ verurteilte den Anschlag mit den bemerkenswerten Worten, „dass Gewalt nie Mittel der Politik sei oder sein könne“. Ein in diesen Tagen bemerkenswerte Behauptung – aber das nebenbei … In einem Bekennerschreiben zum Brandanschlag wurde OHB eine Nähe zum menschenverachtenden EU-Grenzmilitär „Frontex“ vorgeworfen, was OHB in einem selbstverfassten Interview strikt von sich wies. Auch Nachfrage dazu, konkretisierte OHB das nun und beteuert, „keine direkten Beziehungen zu Frontex“ zu unterhalten. Inwiefern Daten von mittels OHB-Technologie der Frontex-Behörde zugänglich gemacht werde, dazu „wisse man nichts“, könne es sich jedoch nicht vorstellen. Bemerkenswert: In einem anderem Zusammenhang spricht sich OHB pressewirksam eine Führungsrolle von OHB im Dienste der strategischen und sicherheitspolitischen Ziele Europas“ zu.
  • OHB ist von der EU-Kommission beauftragt worden, als „Studienführer“ eine Frühwarnsystem gegen Angriffe durch ballistische Raketen und Hyperschallwaffen zu entwickeln.
  • OHB hat Parteien in 2021 Geld gespendet: 16.500 Euro für die CDU, 11.000 Euro an die Grünen, 9.000 Euro an die SPD und 2.000 Euro an die FDP.
  • Ob Mitglieder von OHB-Vorstand oder -Aufsichtsrat einen parteipolitischen Bezug haben oder gar Mitglied einer Partei seien wisse man nicht und dafür interessiere man sich auch nicht.
  • OHB ist Opfer eines Hackerangriffes geworden.
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Mainauer Deklaration 1955

Aus aktuellem Anlaß rezitiert – die Mainer Deklaration 1955 (Hervorhebungen durch uns):

„Wir, die Unterzeichneten, sind Naturforscher aus verschiedenen Ländern, verschiedener Rasse, verschiedenen Glaubens, verschiedener politischer Überzeugung. Äußerlich verbindet uns nur der Nobelpreis, den wir haben entgegennehmen dürfen.

Mit Freuden haben wir unser Leben in den Dienst der Wissenschaft gestellt. Sie ist, so glauben wir, ein Weg zu einem glücklicheren Leben der Menschen. Wir sehen mit Entsetzen, dass eben diese Wissenschaft der Menschheit Mittel in die Hand gibt, sich selbst zu zerstören.

Voller kriegerischer Einsatz der heute möglichen Waffen kann die Erde so sehr radioaktiv verseuchen, dass ganze Völker vernichtet würden. Dieser Tod kann die Neutralen ebenso treffen wie die Kriegführenden.

Wenn ein Krieg zwischen den Großmächten entstünde, wer könnte garantieren, dass er sich nicht zu einem solchen tödlichen Kampf entwickelte? So ruft eine Nation, die sich auf einen totalen Krieg einlässt, ihren eigenen Untergang herbei und gefährdet die ganze Welt.

Wir leugnen nicht, dass vielleicht heute der Friede gerade durch die Furcht vor diesen tödlichen Waffen aufrechterhalten wird. Trotzdem halten wir es für eine Selbsttäuschung, wenn Regierungen glauben sollten, sie könnten auf lange Zeit gerade durch die Angst vor diesen Waffen den Krieg vermeiden. Angst und Spannung haben so oft Krieg erzeugt. Ebenso scheint es uns eine Selbsttäuschung, zu glauben, kleinere Konflikte könnten stets durch die traditionellen Waffen entschieden werden. In äußerster Gefahr wird keine Nation sich den Gebrauch irgendeiner Waffe versagen, die die wissenschaftliche Technik erzeugen kann. Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören, zu existieren.

Mainau/Bodensee, 15. Juli 1955“

Die 18 Erstunterzeichner damals: Kurt Alder, Max Born, Adolf Butenandt, Arthur H. Compton, Gerhard Domagk, Hans von Euler-Chelpin, Otto Hahn, Werner Heisenberg, George Hevesy, Richard Kuhn, Fritz Albert Lipmann, Hermann Joseph Muller, Paul Hermann Müller, Leopold Ružička, Frederick Soddy, Wendell M. Stanley, Hermann Staudinger, Hideki Yukawa

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Zeitzeichen, 24

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

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Vom Unsinn der Dienstausweise von „Erhebungsbeauftragten“ des Zensus 2022

Die mehr als 100.000 von den statistischen Ämtern zu Erhebungsbeauftragten erhobenen Menschen (soweit vorhanden) laufen seit Mitte Mai von Tür zu Tür, um Auskünfte von den von der Volkszählungs-Lotterie beglückten Einwohner*innen einzuholen.

Wie wollen die Behörden verhindern, dass im Zuge dieser Volksbefragung kein Missbrauch betrieben wird? Also – beispielsweise – sich unbeauftragte oder selbsternannte „Erhebende“ Zugang zu Daten oder Wohnungen von Menschen verschaffen?

Die Lösung der Zensus-Verantwortlichen:

Alle zur Befragung Ausgewählten sollen im Vorfeld ein Ankündigungsschreiben erhalten, in dem der Termin der Befragung (vor der Haustür oder im Treppenhaus oder gerne auch in der Wohnung der Betroffenen) sowie der Name der/des Befrager*in genannt werden.

Diese sollen sich dann beim Erscheinen zur „Existenzfeststellung der Befragten“ mit Personalausweis und „Dienstausweis“ legitimieren.

Zur Frage, woran die Befragten denn die Echtheit des „Dienstausweises“ erkennen können will oder kann das Statistische Bundesamt auch auf mehrfaches Nachhaken hin keine Antwort geben.

Dabei wäre die Antwort einfach:

Die Echtheit eines Volkszählungs-„Interviewerausweises“ kann gar nicht festgestellt werden. Dieser besitzt nämlich keine fälschungssicheren Echtheitsmerkmale und ließe sich – bei „Bedarf“ – problemlos fälschen. Siehe dazu anhaltspunktmäßig die Bilderstrecke, die „echte“ Zensus-Dienstausweise aus Hessen und Niedersachsen zeigen und daneben einen „nicht echten“, also gefälschten Nicht-Dienstausweis.

Zusammengefasst:

Der Zensus-Dienstausweis ist unnütz und genau genommen sinnlos. Die „Legitimierung“ der Zensus-Interviewer*innen erfolgt über Personalausweis in Kombination mit dem zuvor zugesendeten Ankündigungsschreiben. Inwiefern letzteres „fälschungssicher“ ist bzw. Nachahmungen und Fake-Ankündigungsschreiben verunmöglicht sei dahin gestellt.

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Rise of the Police: Niedersachsens Polizei erhält einen neuen „Survivor“-Radpanzer von Rheinmetall

Ein ebenfalls neuer Polizeipanzerwagen Niedersachsens – ein „Enok“ der bayrischen Firma ACS. Eigentlich sollte dessen Existenz geheim gehalten werden. Die Polizei sah sich zur Öffentlichkeitsarbeit gezwungen, nachdem wir ein Bild des Fahrzeugs bei einer Fahrt durch Hannover veröffentlicht hatten. (Bildmaterial aus dem Pressematerial des Nds. Innenministeriums, Bildrechte ebendort)

Erneut möchte die Polizei Niedersachsens nicht, dass die Öffentlichkeit über die Anschaffung eines weiteren gepanzerten Polizei-Fahrzeugs (Radpanzer) erfährt:

Aufgrund einer Nachfrage auf der Rheinmetall-AG-Hauptversammlung am 10.5.2022 erfuhren wir davon, dass das Niedersächsische Innenministerium einen weiteren Radpanzer der Baureihe „Survivor“ eingekauft hat.

Unsere dann an das Ministerium gestellte Presseanfrage wurde nun karg beantwortet. Die Antworten – soweite gegeben – und weitere Informationen aus öffentlich zugänglichen Ausschreibungsportalen kurz zusammengefasst:

  • Die Polizei möchte ihr neues Gefährt nicht „Radpanzer“ sondern lieber als „sondergeschütztes Fahrzeug“ bezeichnet haben. Als offizielle Bezeichnung hat man sich gar den Titel „sondergeschütztes KFZ Aurora“ ausgedacht. Aurora ist lateinisch und bedeutet „Morgenröte“. Das klingt wohl weniger martialisch. Die offziellen Kategorienbezeichnungen der Ausschreibungsplattform lauten dagegen: „Mannschaftstransportwagen, gepanzertes Kampffahrzeug„.
  • Das Fahrzeug ist für das SEK Niedersachsen und hat rund 1,34 Millionen Euro (brutto) gekostet – grob 100.000 Euro (netto) mehr, als ursprünglich geplant. (Warum/wofür auch immer.)
  • Der Zuschlag erfolgte am 1.12.2021. Die Auslieferung und Indienstnahme steht – anders als vom Chef der Rheinmetall AG behauptet – noch bevor.
  • Das gesamte Fahrzeug (!) wurde als „geheimhaltungsbedürftig“ eingestuft.
  • Auch alle weiteren Informationen über den Polizei-Radpanzer sind als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ klassifiziert worden.
  • Öffentlichkeitsarbeit scheint es zu dem Fahrzeug bislang keine gegeben zu haben.

Weitere folgende Informationen ließen und lassen sich der zuvor erstellten Ausschreibung entnehmen (Zitate, Hervorhebungen durch uns):

  • Das Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport, dieses vertreten durch die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD), beabsichtigt aufgrund der anhaltenden Bedrohungslagen die Beschaffung eines gepanzerten Fahrzeuges.
  • Gegenstand der Ausschreibung ist der Abschluss eines Liefervertrages (mit einem Unternehmen) gem. § 2 Abs. 1 VSVgV über die Beschaffung ein zulassungsfähiges, ballistisch geschütztes Offensiv-Fahrzeug für die Nutzung durch Organisationseinheiten der Polizei Niedersachsen. Basierend auf einem serienmäßigen, am europäischen Markt verfügbaren zweiachsigen LKW-Fahrgestell mit Allradantrieb, muss ein Aufbau für den ergonomischen Transport von mindestens 10 Personen/Einsatzkräften + Besatzung in entsprechender persönlicher Schutzausrüstung, realisiert werden. Im Aufbau, müssen in Fahrtrichtung gesehen, jeweils 2 Türen links und rechts, sowie eine Tür am Heck für den Personenzugang vorhanden sein. Die technisch zulässige Gesamtmasse in beladenem Zustand darf 20 000 Kg nicht überschreiten.
  • Der (Haupt-) Einsatzraum umfasst das gesamte Land Niedersachsen. Das bedeutet, dass der potentielle Einsatzraum sich nicht nur auf urbane Gebiete beschränkt, sondern auch anspruchsvolle, zum Teil nicht befestigte Gelände einschließt. Niedriggewässer müssen daher durchfahren werden können, weite Lehm-, Sand- und Geröllböden mit wenigen Erhöhungen müssen durchfahren werden können. Der südliche Teil des Landes Niedersachsens, wird dem Bergland zurechnet. Hier finden sich zum Teil markante Steigungen, die überwunden werden müssen. Das Bergland ist grundsätzlich aus Festgestein allerdings mit einer lockeren Sandschicht überzogen. Dies bedingt eine möglichst hohe Wattiefe und Steigfähigkeit des Fahrzeugs, sowie ein bereits sich mehrfach bewährtes Fahrgestell.
  • Für die besonderen Anforderungen der Polizei Niedersachsen, wird eine sehr direkte und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Auftragnehmer erwartet. Das bedeutet eine ständige Betreuung dieses Projektes durch möglichst nur einen Hauptansprechpartner des Auftragnehmers, sowie einem Kernteam für die Hauptfertigungsschritte des Fahrzeugs.
  • Zusätzlich wird eine Abrufoption im Liefervertrag für ein zweites, baugleiches Fahrzeug vereinbart werden. Diese Option ist dann innerhalb von 36 Monaten nach der Zuschlagserteilung abrufbar.

 

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Rheinmetall-Hauptversammlung 2022: CDU-Parteispenden, Survivor-Radpanzer für Niedersachsen, neue Drohnenproduktion, ein neues Airdefence-System für die VAE, eine Sicherheitsstudie für den FC Bayern München und ein unbemanntes Kampffahrzeug mit Kamikaze-Drohnen-Werfern

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Der Rheinmetall-Chef Armin Papperger mit seinen Mitarbeitern Franz Josef Jung (CDU, ehem. Verteidigungsminister) und Dirk Niebel (Ex-Generalsekretär der FDP und ehem. Entwicklungshilfeminister) bei der Rheinmetall-Hauptversammlung 2018.

Am 10.5.2022 fand die diesjährige Hauptversammlung des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall AG statt, erneut leider nur „virtuell“ – ein Format, was kritische Fragen zwar nicht ausschließt, aber die noch wichtigeren Nachfragen und einen echten Austausch zwischen Konzernlenkern und kritischen Aktionären erschwert und fast verunmöglicht. Doch darum soll es hier nicht gehen.

Wir haben aus unseren Reihen heraus eine Liste von Fragen an Vorstand und Aufsichtsrat von Rheinmetall stellen können und dokumentieren diese und die (teilweise Nicht-)Antworten dazu.

Bevor wir noch auf ein paar – aus unserer Sicht – interessanten Fragmente aus den Anworten der Rheinmetall hinweisen bzw. diese auflisten möchten, sei noch der Hinweis auf andere Berichterstatter/Fragende der Hauptversammlung erlaubt, für am Thema Interessierte ebenfalls lesenswert:

Nun unsere Fragmente:

  • Rheinmetall hat in 2021 66.000 Euro an Parteien und 5.000 Euro an parteinahe Organisationen gespendet. In den vergangenen zwei Jahren darunter 9.500 Euro Spenden an den CDU-Kreisverband Celle. Das ist der Kreisverband von Herrn Henning Otte. Dieser ist „ordentliches Mitglied des Verteidigungsausschusses und stellvertretendes Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit deren verteidigungspolitischer Sprecher und zudem ordentliches Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung der NATO.“
  • Neben den 55 (+ weiteren Optionen) bestellten „Survivor R“ für das BMI für die Bundespolizei hat Rheinmetall bereits weitere Survivor-Panzerfahrzeuge geliefert an: die Polizei Österreich und die Landespolizeien Sachsen, NRW, Berlin und Niedersachsen. Dass Niedersachsen solch ein Fahrzeug erworben und ausgeliefert bekommen hat ist uns zumindest bislang nicht bekannt gewesen.
  • Zum Jahreswechsel 2021/2022 hat Rheinmetall den deutschen Drohnenhersteller EMT übernommen. Zwar will die AG nicht sagen, wie hoch der Einkaufspreis des Unternehmens war, aber interessant ist immerhin, dass EMT angeblich keine einzige Drohnen in den letzten fünf Jahren an deutsche Polizeien geliefert haben will und dass im letzten Jahr auch kein Export von Drohnen in das Ausland stattgefunden hat. EMT arbeitet dagegen an der Weiterentwicklung der Luna-Drohne, nun als „Luna NG“ bezeichnet und hat bereits „ein Pilotsystem“ des neuen Typs, bestehend aus fünf Drohnen und einem Satz Steuerungssysteme an die Bundeswehr geliefert.
  • Gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten hat Rheinmetall ein neues Airdefence System namens „Skyknight“ entwickelt.
  • Für den FC Bayern München hat Rheinmetall eine Sicherheitsstudie für das Stadion in München durchgeführt.
  • Hat Rheinmetall auf seiner Hauptversammlung 2021 sich noch um die Verantwortung zu drücken versucht, unbenannte Fahrzeuge (Militärische geländegängige Drohnenfahrzeuge) mit Kamikaze-Drohnen-Werfern auszurüsten und zu fertigen, so gab der Kriegskonzern nun offen zu, gemeinsam mit dem polnischen Hersteller WB-Group ein solches Fahrzeug für die polnische Armee zu entwickeln. Angebliche weitere Bestellungen hierzu aus Italien und dem Nahen Osten meinte Rheinmetall dementieren zu können.
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