GFF und AK Zensus legen Verfassungsbeschwerde gegen das Zensusvorbereitungsgesetz 2021 ein, und: Qualitätstests – Von der Unsinnigkeit der Begründung der Bundesregierung der heimlichen und nicht anonymisierten Volkszählung im Vorfeld des Zensus 2021

Zum Ende letzten Jahres beschlossen Bundesregierung und Bundesrat eiligst eine Ergänzung des „Zensusvorbereitungsgesetzes 2021“ (ZensVorbG2021), die mit fast unmittelbarer Wirkung im Januar 2019 dazu führte, dass von allen in Deutschland bei den Meldeämtern registrierten Menschen umfassende persönliche Daten zentral bei den Statistikämtern von Bund und Ländern zusammengetragen worden sind. Diese Daten werden – anders als bei jeder Volkszählung, die dem Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 gerecht werden will – nicht anonymisiert und sollen zwei Jahre lang dazu dienen, dass die Programmierer der Statistikbehörden (oder der angeheuerten privaten IT-Unternehmen!) diese Daten zum Testen ihrer Software für die in 2021 bevorstehende nächste Volkszählung („Zensus 2021“) benutzen können.

Dieses Vorgehen widerspricht in vielem den Grundsätzen von Datensparsamkeit und Verhältnismäßigkeit. Eine Datenschutzfolgeabschätzung zu etwaigen Risiken und Folgen dieser Datensammelwut hat das Bundesinnenministerium bis zum Mai 2019 – also Wochen nach den massenhaften Datentransfers – noch gar nicht erstellt.

So ist es gut und richtig, dass gegen diese Maßnahme vor Gericht gezogen wird. Der zunächst eingelegte Eilantrag ist zwar gescheitert, aber die Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) haben in ihrer Ablehnung ungewöhnlich offen mitgeteilt, dass sie die Skepsis teilen und (implizit) die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde nahegelegt. Das ist seitens der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Zensus (AK Zensus) vor einigen Wochen denn auch geschehen und der AK Zensus berichtet heute in einer aktuellen Pressemitteilung dazu.

Der folgende Gastbeitrag von Jens Kubieziel nimmt sich eines der Hauptargumente der Bundesregierung zur Begründung der Datensammlung vom Januar 2019 vor: Die angebliche Notwendigkeit dieser heimlichen Volkszählung zur Durchführung von Software-Qualitätstest. Der Beitrag wurde für den AK Zensus verfasst. Wir wünschen angenehme Lektüre und danken bei dieser Gelegenheit Jens Kubieziel für seine sachliche und expertise Auseinandersetzung zur Sache:

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Digitalcourage Braunschweig und freiheitsfoo veröffentlichen Gegenüberstellung des alten und neuen Polizeigesetzes

Was wie eine Selbstverständlichkeit in einer Demokratie klingt, ist leider keine:

Der Niedersächsische Landtag hat ein neues Polizeigesetz (NPOG) verabschiedet. Die Änderungen und Erweiterungen polizeilicher und behördlicher Befugnisse gegenüber dem alten Polizeigesetz (NdsSOG) sind genau so immens wie komplex, der Gesetzentwurf ist selbst für Juristinnen und Juristen so gut wie nicht lesbar und nachvollziehbar.

Jede*r Parlamentarier*in, Jurist*in und politisch interessierte*r Bürger*in würde erwarten, dass es also eine Gegenüberstellung (Synopse) von altem zum neuen Polizeigesetz gibt, anhand derer sofort ersichtlich wird, was genau geändert, ergänzt oder gestrichen worden ist.

Doch Fehlanzeige!

Es gibt zwar eine solche Synopse, diese sei jedoch nur für den internen parlamentarischen Betrieb und nicht für die Veröffentlichung gedacht. Der SPD-Innenpolitiker Watermann versprach einst die Herausgabe der Synopse, brach dieses Versprechen dann aber später. Das Innenministerium weigerte sich lange Zeit ebenso beharrlich und gab erst dann Einblick in das Dokument, nachdem wir versprochen hatten, das Dokument nicht weiter zu veröffentlichen … und fügte dann noch hinzu, dass die Synopse nicht den Anspruch habe, vollständig und fehlerfrei zu sein!

Wir fragen uns: Anhand welcher übersichtsgebenden Dokumente haben die Parlamentarier das neue Polizeigesetz verabschiedet, wenn nicht anhand diesem, das allerdings nicht den Anspruch hat, vollständig und richtig zu sein?

In aufwändiger und rein ehrenamtlicher Arbeit haben Aktivist*innen der Digitalcourage Braunschweig und des freiheitsfoo nun das erledigt, was unserer Ansicht nach die Aufgabe einer auf Nachvollziehbarkeit der Gesetzgebung bedachten Landesregierung gewesen wäre:

Wir veröffentlichen hiermit zwei umfassende Synopsen, die das alte Polizeigesetz Niedersachsens dem neuen übersichtlich gegenüberstellen.

Während die erste 2spaltige Synopse „nur“ die letztgültige Fassung des NdsSOG mit dem neuen NPOG vergleicht, erlaubt die umfangreichere, 4spaltige Synpose einen interessanten Einblick in den Vorgang des Gesetzgebungsverfahrens und zeichnet die Folgen öffentlicher Diskussionen und durch Populismus erzeugten Handlungsdrucks nach. Denn diese Synopse berücksichtigt auch die inhaltlichen Zwischenschritte des (eigentlich nicht öffentlichen) Vorentwurfs vom 18.1.2018 und des ersten Gesetzentwurfs vom 8.5.2018.

Diese Synopsen dürften insbesondere für politisch engagierte Bürger*innen und Gruppen der Zivilgesellschaft sowie auch für Juristen und Juristinnen hilfreich sein, die jetzt oder in Zukunft gegen diejenigen Teile des NPOG prozessieren, die augenscheinlich verfassungswidrig oder unverhältnismäßig und damit freiheitsfeindlich sind.

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Anleitung zum Widerspruch gegen die fotografische Erfassung und Veröffentlichung des eigenen Lebensraums durch Apple Maps

Apple-Maps-Fake-Logo

Wie Google via GoogleStreetView beginnt nun auch Apple mit der fotografischen Erfassung des öffentlichen Raums in Deutschland und möchte diese Aufnahmen später im eigenen „Apple Maps“ System einsetzen, also allgemein veröffentlichen und kommerziell nutzen.

Wer der Veröffentlichung des Bildes desjenigen Wohngebäudes, in dem man lebt widersprechen möchte – und dafür kann es gute Gründe geben – dem wird es nicht leicht gemacht. Ein NDR-Bericht verweist auf ein sehr allgemein gehaltenes Kontaktformular von Apple, das zudem nur in englischer Sprache verfügbar ist.

Wir haben versucht, einen leichteren Weg aufzumachen und mit Apple Kontakt aufgenommen. Ergebnis: Es dürfte eine einfache E-Mail mit folgendem Inhalt an mapsimagecollection@apple.com reichen:

Follow-up: 717325294

Hallo Apple Karten Team Bilderfassung,

mit Bezug auf das o.g. Follow-up fordere ich Sie hiermit dazu auf, die fotografische Erfassung und Veröffentlichung der Fotografien der/des folgenden Gebäude(s) zu unterlassen:

[Hier einfügen: Adresse(n) und Wohnort(e) mit Postleitzahl]

Begründung: Ich lebe in diesem/diesen Gebäude(n) und möchte nicht, dass fotografische Ansichten davon von Ihnen im Netz veröffentlicht oder im Zuge anderer Anwendungen verwendet werden.

Bitte informieren Sie mich, sobald Bilder von dem/den Gebäude(n) durch Sie aufgenommen und gelöscht worden sind.

Vielen Dank und viele gute Grüße,

[Hier einfügen: Name, evtl. nur Vorname?]

Wir können für nichts garantieren, erst recht nicht für den EU-DSGV- und persönlichkeitsrechtlich konformen Umgang Apples mit unseren Daten und den Bildern unserer Lebensräume. Aber eventuell stellt dieser Widerspruch eine Möglichkeit dar, sich individuell gegen das Vorhaben von Apple zu wehren – falls man das denn für richtig hält. Vielleicht erzeugen Widersprüche dieser Art auch Druck auf den Apple Konzern.

Weitere Informationen zu allem findet man derzeit u.a. bei Golem, auch kann man sich ein Interview des DLF mit dem ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar vom 26.7.2019 anhören, auch wenn wir nicht alle Ansichten von Herrn Schaar teilen.

Hier gibt es noch einen Überblick von Apple über diejenigen Städte und Kreise, die von den Apple Maps Fahrzeugen panoramisch fotografiert werden sollen. Uns erscheint die Aufzählung sehr umfassend und wir fragen uns, ob es sich Apple damit nicht evtl. vorbehält, den gesamten öffentlichen Raum der Bundesrepublik Deutschland fotografisch zu erfassen und zu verwerten.

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„Korrigieren“ statt „lügen“: Chronik der Intransparenz zu Fragen der Übungsaktivitäten der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsens in Hannover

Der einst nach Berlin entliehene (umstrittene) Polizeipanzerwagen „SW4“ Ende April 2019 auf dem Weg zu einer vermeintlichen Übung zum bevorstehenden 1. Mai-Feiertag (in Hamburg?) mit aufmontiertem G8-Maschinengewehr.

Im Nordosten Hannovers steht eine abbruchreife, in den NS-Zeiten errichtete Bundeswehr-Kaserne. Dort übt die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD) mit Bereitschaftspolizisten, Wasserwerfern und Polizeipanzerwagen u.a. ihren Umgang mit Demonstrationen und Demonstranten.

Unsere Presseanfrage zu diesem Komplex wurde zunächst ausgesessen, dann mit einer unrichtigen Antwort abzuweisen versucht und schließlich mit einer prinzipiellen Nicht-Beantwortung gekrönt.

Eine Chronik:

  • Am 16.5.2019 stellen wir der Zentralen Polizeidirektion fünf Fragen zur Nutzung der ehemaligen „Freiherr-von-Fritsch-Kaserne“ (Werner von Fritsch war NS-General und Antisemit) an der „General-Wever-Straße (Walther Wever war General der NS-Luftwaffe) durch eigene Kräfte und Material.
  • Nach fast sieben Wochen (!) – am 3.7.2019 und erst nach nochmaligem Nachhaken – erhalten wir die knappe Antwort: „Nach Rücksprache mit unserer Behörde wird die angefragte Liegenschaft durch die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen nicht genutzt.“
  • Ein WaWe10000 der ZPD auf dem Weg zum Kasernengelände.

    Wir fragen noch am gleichen Tag nach, warum dann Polizisten, Wasserwerfer und Polizeipanzerwagen der ZPD auf dieses Gelände fahren und dort augenscheinlich Übungen abhalten. Und wie die Fernsehberichte zu diesen Übungen auf diesem Gelände zu erklären sind.

  • Die ZPD gibt eine Woche später zu, dass sie ihre erste Antwort „korrigieren“ müsse: „Vereinzelt und aus gegebenen Anlass“ nutze die ZPD das Gelände nun doch zu Übungszwecken. Weitere Auskunft möchte die ZPD aber nicht erteilen. „Aus einsatztaktischen Gründen.“ Und man bittet uns „um Verständnis“, dass man nicht weiter ins Detail gehen könne.

Soweit die Chronik der „Korrekturen“ und des Mauerns.

Das alte Kasernengelände soll abgerissen werden und mit Wohnungen und Geschäften bebaut werden. So die aktuell öffentlich gewordenen diskutierten Pläne.

Juni 2019: Die ZPD übt auf dem Kasernengelände mit Wasserwerfern.

Uns liegen Informationen vor, wonach die ZPD davon unabhängig gegenwärtig immer noch das Gelände nutzt, um Einsatzszenarien im Zuge von Einsätzen der Bereitschaftspolizei bei Demonstrationen durchzuspielen und einzuüben. Genaue Zahlen können wir zwar nicht belegen, aber wir gehen davon aus, dass das im Schnitt mehrfach pro Monat der Fall ist.

Unabhängig von der Frage, welche Absichten hinter der massenhaften Anschaffung von nicht zufällig martialisch und einschüchternd wirkenden WaWe10000-Wasserwerfern und anderen militaristisch anmutenden Polizeigerät stecken mag darf sich die Polizei nicht verstecken und schweigsam geben, wenn es um die Frage geht, wie sie solches Material an den Menschen und Bürgern einsetzen will. Dass uns die ZPD nach siebenwöchigen Hinhalten zunächst sogar blank angelogen hat, das geht schon gar nicht.

Die Polizei ist kein Geheimdienst und keine Kriegsarmee, auch wenn manche Kräfte in Polizei und Parteipolitik den Weg genau dorthin befürworten und z.B. mittels der neuen Polizeigesetze faktisch einschlagen. Wenn die Polizei in ihren Plänen zum Umgang mit kritischen Bürgern Verschwiegenheit demonstriert, dann zerstört sie damit Vertrauen anstelle Vertrauen aufzubauen.

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Eine neue große polizeiliche Identitätskontrollzone für Hannover und weiter offene Fragen zur „Sicherheitskooperation“ am Hauptbahnhof [Update]

Die derzeit zwei Identitätskontrollzonen Hannovers. Zur Beachtung: Das Recht der Polizei und Verwaltungsbehörden, grundlos Menschen anzuhalten und deren Identität auszuforschen gilt nicht in/auf nicht-öffentlich zugänglichen Gebäuden/Plätzen.

Am Montag, den 24.6.2019 haben wir über eine in Hannover neuartige „Sicherheitskooperation“ verschiedener polizeilicher, kommunaler und privater Stellen berichtet. Und das, obwohl die Antwort der Polizeidirektion Hannover auf unsere Fragen zur Sache auch nach 12 Tagen (und nach mehrfachen Zwischen-Rückmeldungen aus deren Pressestelle) nicht eingetroffen war. Zuletzt wurden wir auf die „Mitte der Woche“ vertröstet, wir wollten das aber nicht mehr abwarten. Grund für die letzte, nochmalige Verschiebung der Antwortserteilung: Ein Anruf des Dezernats 12 bei der Pressestelle.

Später erst wurde uns klar, was ein möglicher Grund dieser Verschleppung von Antworten gewesen sein mag:

Die Polizei Hannover richtete eine neue, weitere Identitätskontrollzone für Hannover ein und gab dieses am Dienstag, den 25.9.2019 öffentlich bekannt.

Bemerkenswert ist daran u.a., dass sie dieses in der am gleichen Tag bei uns eintreffenden Antworten auf unsere Anfrage vom 12.6.2019 mit keinem einzigen Wort erwähnte.

Bemerkenswert ist auch, dass Polizeipräsident Kluwe auf der Pressekonferenz vom 7.6.2019 von uns ausdrücklich dazu befragt worden ist, ob neben der damals für den Hauptbahnhof angekündigten Identitätskontrollzone (Polizei-Neusprech: „Kontrollörtlichkeit nach § 13 NPOG“) weitere solche Kontrollzonen geplant seien … und sich dazu ebenfalls mit keinem einzigen Wort äußerte.

Es ist anzunehmen, dass die Einrichtung einer solchen Kontrollzone nicht innerhalb weniger Tage überlegt, definiert und in der Arbeit der Polizei eingerichtet und praktiziert wird. Insofern kann also von einem absichtlichen Verschweigen dieser Pläne zumindest uns gegenüber gesprochen werden.

Wie auch immer: Wir haben auch zu dieser neuen Zone Fragen gestellt und nachfolgend in summarischer Kürze die uns am wichtigsten erscheinenden Details aus den Antworten der Polizei zur „Sicherheitskooperation bahnhof.sicher“ und zur neuen Identitätskontrollzone:

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Neue Bilder polizei-eigener Kameraverhüllungen in Hannover

Anläßlich der heutigen (6.7.2019) Halim-Dener-Gedenkdemonstration hier dokumentiert zwei weitere Verhüllungen von Polizeikameras, ausgeführt durch die Polizei Hannover.

Zum Hintergrund siehe unseren Blogbeitrag vom 1.7.2019.

Am Steintor:

 

 

 

 

Vor dem Rathaus:

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Kennzeichnung der polizeilichen Videoüberwachung in Hannover: Entweder nicht rechtskonform oder falsch

Ein Beispiel von vielen – der Thielenplatz in Hannover: Die Schilder weisen auf polizeiliche Videoüberwachung hin. Doch der Kameramasten (im Hintergrund) ist längst kahl.

Seit vielen Jahren wird gegen die ausgeuferte polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Räume in Hannover prozessiert. Ging es anfangs (ab 2010) zunächst um das Fehlen jeglicher Kennzeichnung dieser Überwachung, so beschäftigt sich die zweite Klage (ab 2011) mit der Frage, ob die Kameras überhaupt eine Rechtsgrundlage und ausreichende Daseinsberechtigung haben.

Beide Verfahren zogen bzw. ziehen sich über viele Jahre hin (das laufende Verfahren seit bald acht (!) Jahren), wurden z.B. angesichts über lange Jahre drohender, aber nicht oder nur verspätet umgesetzter Polizeigesetz-Reform-Vorhaben zum wiederholten Male vertagt. Immerhin waren beide Verfahren bislang von Erfolg gekrönt. Die Polizeidirektion Hannover wurde dazu verpflichtet, ihre Kameras zu kennzeichnen. (Das tat sie dann auch, wenn auch eher schlecht als recht. Aber um dieses Detail soll es hier nicht gehen …) Und auch das noch laufende Verfahren hatte in der ersten Instanz bereits den Effekt, dass die Polizei Hannover nur noch 23 von ehemals 78 Kameras dauerhaft betreibt, weitere sieben werden nur noch „temporär“ genutzt. Die restlichen Kameras wurden entweder abgebaut (16 Stück) oder „an die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr abgegeben“ (32 Stück).

Nachdem nun das Neue Polizeigesetz für Niedersachsen („NPOG“) zum 24.5.2019 in Kraft getreten ist und umfangreiche Änderungen im § 32 zur Zulässigkeit polizeilicher Videoüberwachung mit sich gebracht hat kommt wieder Schwung in das laufende Verfahren, derweil inzwischen in der zweiten Instanz beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg angelangt. (Dass sich dieses Gericht bislang als nicht besonders grundrechtsfreundlich in Sachen Videoüberwachung gegeben hat, sei hier nur kurz nebenbei angemerkt.)

Zurück zum laufenden Verfahren: In einem aktuellen Schreiben des OVG Lüneburg an die Polizeidirektion Hannover vom 27.6.2019 heißt es unter anderem:

„Bitte führen Sie auch ergänzend aus, ob sich hinsichtlich der von Ihnen zuletzt mit Schriftsatz vom 30. April 2018 dargestellten tatsächlichen Entwicklung der streitgegenständlichen Kamerastandorte zwischenzeitlich weitere Veränderungen ergeben haben bzw. wie diesbezüglich der aktuelle Sachstand ist. Im Schriftsatz vom 30. April 2018 hatten Sie zudem ausgeführt, dass hinsichtlich der notwendigen Kennzeichnung der Kameras „derzeit“ eine sinnvolle und dauerhafte Lösung gesucht werde – wie ist diesbezüglich der aktuelle Sachstand?

Das macht es spannend, denn als Ergebnis von vorherigen Presseanfragen an die Polizeidirektion Hannover kam unter anderem folgendes heraus:

  • Die Polizei Hannover hat es auch nach über drei Jahren noch nicht geschafft, die Kennzeichnung ihrer Überwachungskameras an ie Anforderungen der JI-Richtlinie („JI-Richtlinie für den Datenschutz in den Bereichen Polizei und Justiz 2016/680“ vom 27.4.2016, dort der Artikel 13) anzupassen. Andere Stellen wären für solch ein Versäumnis längst mit Bußgeldern belegt worden. [Zur Erläuterung: Was die EU-Datenschutzgrundveordnung (EU-DSGV) für Unternehmen und Private ist, ist die JI-Richtlinie für Polizei und Justiz in der EU. Für diese findet die DSGV nämlich explizit keine Anwendung.]
  • Auch hat es die Polizei noch nicht hinbekommen, ihre Hinweisschilder an den Stellen/Plätzen zu entfernen, wo sich gar keine Polizeikamera mehr befindet oder diese Kamera nicht mehr der Polizei gehört. Damit erzeugt die Polizei an vielen Stellen fälschlicherweise das Gefühl, polizeilich videoüberwacht zu werden. Etwas, was sowohl zu mangelnder Zivilcourage wie auch zu einer unnötigen (und aus unserer Sicht unzulässigen) Einschränkung der Handlungsfreiheit der Menschen führen kann.
  • Schließlich hat die Polizei Hannover auch noch immer keine Lösung für eine gesetzeskonforme Kennzeichnung „nur temporär betriebener“ Kameras gefunden. Sie kann noch nicht einmal sagen, welcher Text auf diesen Hinweisschildern stehen soll.
  • In diesem letzten Zusammenhang stört es die Polizei ausdrücklich auch nicht, dass Menschen, die die fest installierte Polizeikamera erblicken selbst dann den Eindruck gewinnen, diese könne in Betrieb sein, wenn das gar nicht der Fall ist.

Wir haben den (nicht belegbaren!) Eindruck, dass die Polizei erst aufgrund unserer Presseanfrage (und der darauf folgenden Nachfrage durch das OVG) begonnen hat, sich um all diese Dinge Gedanken zu machen. Die Einhaltung der Kennzeichnungspflicht, zu der die Polizei vor Gericht in 2012 eine fette Schlappe erlitten hat, hat offenbar nicht zu einer nachhaltigen Sensibilisierung geführt …

Jetzt gilt es, das alles vor Gericht zu beleuchten und dort – möglichst – auch die neu entstandenen Fragen zur Zulässigkeit der Neuerungen im NPOG zu behandeln.

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Schon wieder: Polizei Hannover verhüllt eigene Überwachungskamera

Die am 30.6.2019 von der Polizei selber verhüllte Polizei-Domkamera am Steintor. Dieses mal – zurecht – mit Umweltengel. :)

Wie schon am 11.5.2019 hat die Polizeidirektion Hannover gestern auf vorherige Aufforderung eines Demonstrierenden hin erneut selber eine ihrer Überwachungskameras verhüllt. Das alles im Zuge des Gedenkens anläßlich des 25. Todestags von Halim Dener, einem von der Polizei erschossenen, damals 16 Jahre alten Kurden.

Auch für die große Halim-Dener-Gedenk-Demonstration am kommenden Samstag ab 14 Uhr in Hannover wird die Polizei ihre Domkameras entlang des Demoverlaufs erneut verhüllen. (Hinweis: Diese Demo wird anders, als bislang geplant, am Georgsplatz und nicht vor dem Hauptbahnhof beginnen. Da wird die Polizei also vermutlich sowohl die Domkamera am Opernplatz und die am Steintor verhüllen (lassen) müssen.)

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Der 3.10.2018 in Berlin – Niedersachsens Polizeipanzerwagen mit Schnellfeuergewehr als Mittel gegen vermeintlich „linke“ und stattdessen rechtsextreme Terroranschläge?

„Sonderwagen 4“ mit Maschinengewehr am 03.10.2018 in Berlin © Sören Kohlhuber

Am 21.5.2019 berichteten wir (im Nachgang zu einem Bericht von Sören Kohlhuber) über den ungewöhnlichen und rechtlich umstrittenen Einsatz eines aus Niedersachsen geliehenen und mit einem geladenen Schnellfeuergewehr aufmontiertem Polizeipanzerwagens an der Spitze einer rechten Demonstration.

Das war am 3.10.2018 in Berlin.

Die aktuell öffentlich diskutierten Details zu den Plänen der jetzt in der Anklage stehenden, rechten Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ werfen ein neues, besonderes Licht auf diesen Vorgang.

Der Berichterstattung zufolge hatten einige Menschen aus diesem rechtsextremen Spektrum vor, im Zuge der o.g. Demonstration am 3.10.2018 in Berlin inszenierte „tödliche“ Gewalttaten zu organisieren und durchzuführen, die dann „linken“ Gruppen zugeordnet werden sollten.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass den Ermittlern diese Pläne sehr wahrscheinlich bereits am 1.10.2018 bekannt waren, also zwei Tage vor der Sichtung des bewaffneten Polizeipanzerwagens. Welche Ereignisse hat die Polizei also für den 3.10.2018 erwartet? Welche Rolle sollte der Polizeipanzerwagen an diesem Tag einnehmen und weshalb sollte er dann, in Kenntnis der Putschpläne der Nazis, augenscheinlich die Nazi-Demonstration schützen?

Wir zitieren nachfolgend selbstkommentierende Teile aus zwei Berichten von tagesschau.de („Rechte Terrorgruppe – Anklage gegen ‚Revolution Chemnitz'“ vom 25.6.2019 und „‚Revolution Chemnitz‘ – Mitglieder offenbar bundesweit vernetzt“ vom 28.6.2019):

„Die mutmaßlichen Mitglieder von ‚Revolution Chemnitz‘ hatten sich in einer verschlüsselten Chatgruppe zusammengeschlossen und sollen tödliche Anschläge am Tag der Deutschen Einheit in Berlin 2018 geplant haben.“

„Insbesondere sollen sie geplant haben, am 3. Oktober 2018 einen bürgerkriegsartigen Aufstand in Berlin anzuzetteln. Nach Informationen von NDR, WDR und ‚Süddeutscher Zeitung‘ wollte die Gruppe es so aussehen lassen, als hätten linke Gruppierungen die Anschläge begangen. Kurz zuvor – am 1. Oktober 2018 – waren die Beschuldigten allerdings verhaftet worden.“

„Fünf der jetzt Angeklagten führten im September 2018 eine erste Aktion durch, die sie als ‚Probelauf‘ bezeichneten. Gezielt griffen sie Menschen an, die sie als Migranten und Linke wahrnahmen.“

„Darüber hinaus waren einige der jetzt Angeklagten wohl in weiteren Chatgruppen aktiv, unter anderem in der Gruppe „Bündnis zur Bewegung“. Dort tauschten sich nach Erkenntnis der Ermittler rund 350 Rechte und Rechtsextreme aus zehn Bundesländern aus.

„Die Ermittler gehen davon aus, dass die Angeklagten auch versuchten, sich europaweit zu vernetzen. Christian K. bat demnach einen polnischen Bekannten, Kontakt zu polnischen Hooligans zu vermitteln. Er suchte womöglich nach Unterstützung für die Anschlagspläne am Tag der Deutschen Einheit und schrieb seinem Bekannten: ‚…brauchen die Jungs in großer Zahl am 3.10. in Berlin.'“

„Politische Gegner sollten ‚ausgerottet werden‘. Auf den Demonstrationen wollte sich die mutmaßlichen Mitglieder von ‚Revolution Chemnitz‘ diese ‚jagen‘ und ‚auf die Pirsch gehen‘.“

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Wie die Polizei bei der letzten noNPOG-Großdemo unrechtmäßig in die Versammlungsfreiheit eingriff

Die dritte und letzte Großdemo gegen das neue Polizeigesetz für Niedersachsen („NPOG“) fand am 11.5.2019 statt und ist also schon ein wenig her. Inzwischen haben SPD und CDU das Gesetz der umfangreichen Kritik zuwider im Landtag durchgewunken, es wurde dann am 23.5.2019 verkündet und trat am Folgetag in Kraft.

Trotz dem allen hier noch ein dreiteiliger Blick auf das Verhalten der Polizei während dieser Demo, konkret drei Kritikpunkte an der Polizei, die unserer Ansicht demnach in unverhältnismäßiger Weise die Versammlungsfreiheit beschränkt hat – über die üblichen Beschränkungen und sonstigen Randbedingungen, wie z.B. eine massives Polizeiaufgebot, dass geeignet war, von außen bzw. von Dritten betrachtet der Demo einen abschreckenden Eindruck zu erzeugen.

Also:

 

Verweigerung des Demostandorts Steintor

 

Dem Demoanmelder wurde die Durchführung der Demo am Steintor untersagt und diese stattdessen auf den deutlich weniger prominenten und bzgl. der Öffentlichkeitswirksamkeit schlechter gelegenen Platz an der Goseriede verwiesen. Begründung: Die erwarteten 8.000 Demo-Teilnehmer würden nicht auf den Steintor passen. Auf diesen würden maximal 4.000 Menschen passen, auf den Goseriedeplatz dagegen 15.000.

Das ist in diesen Dimensionen nicht nachvollziehbar und ein invalides Argument.

Die Antworten auf die Frage, wie genau diese polizeilichen Schätzwerte entstehen fielen wenig konkret aus, die Nachfragen dazu sind bislang unbeantwortet geblieben.

Klar ist, dass alleine der Flächenvergleich beweist, dass hier eher von einer politischen denn einer sachlichen Entscheidung auszugehen ist, wonach der noNPOG-Demo der attraktivere Steintorplatz verwehrt wurde. Die Ausdehnung des Platzes in Richtung Kröpcke erlaubt an dieser Stelle jedenfalls – selbst unter Berücksichtigung striktester Auflagen zu Flucht- und Rettungswegen – deutlich mehr als nur 4.000 Demoteilnehmer und das wurde in der Vergangenheit mehrfach bewiesen.

 

Entsendung voll bewaffneter und ausgerüsteter Polizisten in die Demo herein

 

Bei der Abschlußkundgebung entsendete die Polizei eine Gruppe voll ausgerüsteter Polizeibeamte in die Mitte der Demo. Diese hielten sich dort längere Zeit auf, nahmen die Demoteilnehmer beobachtende Positionen ein und sorgten so für einiges an Verunsicherung bzw. für eine erhebliche Beeinträchtigung der Demonstrationsfreiheit.

Zur Erinnerung: Es handelte sich dabei um eine polizei- und polizeigesetzkritische Versammlung. In so einem Fall liegen die Latten der Verhältnismäßigkeit für das Eindringen von Polizeibeamten in die inneren räumlichen Strukturen der Demo besonders hoch.

Was sagt die Polizei dazu?

Es seien im vorherigen Verlauf der Demo Bengalfackeln eingesetzt worden. Das sei verboten und man wollte die Verantwortlichen dafür ermitteln.

Diese Begründung scheitert an den vorgenannten hohen Hürden der Verhältnismäßigkeit. Dieser Polizeieinsatz hat die in Artikel 8 fundierte Versammlungsfreiheit übermaßen verletzt und war rechtswidrig.

Schlimmer noch:

Die Polizei erweckt auf Nachfrage hin den Eindruck, dass dieser Einsatz mit dem Versammlungsleiter abgesprochen gewesen sei. Das ist allerdings nicht wahr. Der Versammlungsleiter hat uns gegenüber auf Nachfrage hin erläutert, dass er erst auf eigenes Intervenieren und aktives Nachfragen hin über den Einsatz der Polizei informiert worden sei.

 

Vermummung von Polizisten

 

Nicht nur, dass die Polizisten und Polizistinnen, die in Niedersachsen im Zuge von Demonstrationen immer noch oft nicht voneinander unterscheidbar sind und somit eine effektive Verfolgung von durch Polizeikräfte begangene Straftaten behindert oder gar vereitelt wird: Diesem Wunsch, diesem Zustand scheinen einige einzelne Polizeibeamte auch noch Nachdruck verleihen zu wollen, indem sie sich unter ihrem Helm eine Sturmmaske aufsetzen.

Auch hierzu haben wir bei der Polizei nach dem Grund dafür nachgefragt und bekamen den angesichts der tatsächlichen Situation auf der Abschlußkundgebung fast lächerlich wirkenden Erklärversuch vorgesetzt, dass sich diese Beamte vor Brandverletzungen schützen wollten und deswegen die Sturmmaske aufgesetzt hätten.

Alleine schon merkwürdig, dass offensichtlich (nach dieser Lesart) nur einzelne Beamte vor so etwas Sorge hatten.

Unserer Erfahrung nach wird dieser „multifunktionale Gesichtsschutz“ seitens einiger Polizeibeamten nicht selten dazu missbraucht, um sich aktiv und bewusst zu vermummen. Etwas, was in der öffentlichen Diskussion und in reißerischen Medienberichten allerdings ständig den Demonstranten vorgeworfen wird.

Eine etwaige Sorge von Polizeibeamten vor dem Fotografiertwerden wäre nachvollziehbar. Zugleich muss für diese mindestens das gleiche Vermummungsverbot gelten wie für Menschen, die an kritischen Demonstrationen teilnehmen und damit zum gesellschaftlich wertwollen Korrektiv gerieren.

Für die Polizei gilt, was der ehemalige Bundesverfassungsgericht-Richter Wolfgang Müller-Riem einst im Zusammenhang mit der Demonstrationsfreiheit sagte:

“Wo der Staat auftritt, muss er identifizierbar sein.”

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