Gastbeitrag: NoNPOG einmal aus anderer Perspektive

Trotz der vielen und vielfältigen kritischen Stellungnahmen zum NPOG, in dem zwischenzeitlich sogar die vom Gesetzgeber selbst beschäftigten Fachleute (Gesetzgebungs- und Beratungsdienst im niedersächsischen Landtag) offene Fragen und Probleme sehen, hat Ministerpräsident Weil im Interview schon mal klar gemacht, dass aus Sicht der rot/schwarzen Landesregierung kein Änderungsbedarf besteht. Richtig möchte man mit Emphase entgegnen: der Gesetzentwurf gehört nicht geändert, er gehört komplett in die Tonne. Doch weit gefehlt, denn angesichts der Mehrheitsverhältnisse und einer offenbar längst ausgegebenen Fraktionsräson im Regierungslager wird es wohl so kommen, das NPOG. Es wird eine vollkommen neue Dimension des Vorgehens des Staates gegen sogenannte Gefährder eröffnen und damit selbst zum größten Gefährder: nämlich der unserer Freiheit. Und doch bleibt die Bedrohung bei vielen Menschen offenbar abstrakt, erscheint ihnen wenig greifbar. Die Sorge vor dem überambitionierten Staat, der erratisch das Portfolio seiner Befugnisse ins Uferlose ausdehnt, ist ja irgendwie auch ein alter Hut. Gab es doch schon immer und dennoch registriert die Mehrzahl der Bürger*innen keine konkreten Eingriffe. Es scheint etwas schwer verständlich, was nun genau die veränderte Dimension im künftigen Überwachungsportfolio der Polizei sein soll.

Was tatsächlich das Neue und Bedrohliche im Ansatz der aktuell laufenden Entwicklung neuer Polizeigesetze und (wie in diesem Beitrag ausgeführt werden wird) vor allem auch der Polizei selbst als dessen Anwender ist, hat Nobelpreisträger Bob Dylan sehr treffend literarisch ausgemalt: „And if my thought dreams could be seen / They‘d probably put my head in a guillotine“. Zwar bleiben die erdachten Maßnahmen unseres Gesetzgebers unter der Dimension „Rübe ab“, aber das Prinzip ist damit zutreffend beschrieben. Die Intervention des Staates in Form gravierender Eingriffe in Grund- und Bürgerrechte soll sich künftig bereits an bloßen Möglichkeiten orientieren und in der Folge wird in der Polizei der (General-) Verdacht noch intensiver grassieren. Regierung und Mehrheitsfraktionen im Parlament wollen im Furor der Terrorbekämpfung die abstrakte Gedankenwelt zum Gegenstand staatlicher Interventionen machen. Gleichzeitig erteilt man sich für den Fall der Fälle mit der Binsenweisheit, dass es absolute Sicherheit natürlich gleichwohl nicht geben könne, schon mal vorsorglich selbst Absolution. Das kann man in seiner Gesamtheit wohl nur als Irre erkennen oder als Akt eines zwangsläufig wehrhaften Rechtsstaates selbst gegen jeden noch so offensichtlichen Widerspruch mit Ignoranz verteidigen. Auf Seiten der Ignoranten will man aber auch gar nichts ausgelassen haben, was der Terrorbekämpfung dienlich sein könnte. Und weil es angeblich doch „nur“ gegen Extremisten und Fanatiker geht, die vermeintlich vor allem auf der Folie ihrer Religiosität Fanale anzetteln, kann es, so die am Ende vielleicht durchaus mehrheitsfähige Sichtweise, doch so falsch nicht sein, wenn der Staat sich notfalls auch über die Grenzen des Zulässigen hinaus wappnet.

Was dagegen die auf freiheitsfoo erfreulicherweise so eindrücklich dokumentierte kritische Auseinandersetzung mit der Gesetzesmaterie und ihren erschreckenden Möglichkeiten bislang nicht erfasst, ist der Punkt, dass zugleich auch die Anwender der Materie zunehmend problematisch ticken. Im kritischen Diskurs um die Auswirkungen des NPOG wäre es daher notwendig, gerade auch das Selbst- und Aufgabenverständnis der Polizei und ihre Binnenkultur in den Blick zu nehmen. Das umso mehr, als die Polizei sich vom (Selbst-) Verständnis einer sozial-kompetenten Bürgerpolizei immer mehr in Richtung eines allgegenwärtigen Dienstleisters von Sicherheit verabschiedet, der in seiner Praxis potenzielle Störer allerdings gern in sozial-selektiven Zusammenhängen ausmacht und ethnozentrisch agiert. Die Polizei befindet sich dabei in einem unausgesetzten Alarmzustand. Jeweils für sich genommen vollkommen isolierte Begebenheiten und Ereignisse verdichtet sie in ihren so genannten Lagebildern zu Szenarien, in denen geradezu katastrophale Verläufe selbst alltäglicher Ereignisse wie Fußballbegegnungen, Festveranstaltungen oder auch Demonstrationen von ihr kaum mehr ausgeschlossen werden können. Das führt überall und in immer schnellerer Folge zu massiven Polizeieinsätzen, die von der Maßgabe (einschließlich des Selbstverständnisses der handelnden Polizist*innen) früher Intervention geprägt sind und einer konsequenten Ausschöpfung gegebener Befugnisse das Wort reden. „Rechtsfreie Räume werden nicht geduldet“, lautet ihr Credo (was immer das auch sein soll), während die Verhältnismäßigkeit der Mittel zunehmend in den Hintergrund tritt.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Problematik beim Anwender der Befugnisse in ihrer ganzen Komplexität aufzuzeigen. Es geht hier vielmehr um den Anstoß, die Polizei und die in vielerlei Hinsicht krude Entwicklung in ihrem Selbst- und Aufgabenverständnis im Diskurs um das NPOG mit zum Thema zu machen – zumal das Gesetz augenfällig so gestrickt ist, dass es Maximalvorstellungen einer Polizei erfüllt, die in ihrem Drang, die Sicherheit immer und überall gewährleisten zu wollen, offenbar zunehmend aus dem Ruder läuft. Dabei liegen die Entwicklungslinien einer kritischen Befassung mit der Polizei auch jenseits bekannter wahnwitziger Äußerungen von Polizeigewerkschaftern wie Reiner Wendt in einem fachlich und sachlich hilfreichen Kontext weitestgehend offen. So beklagen die Polizei und vielmehr noch ihre Berufsvertretungen permanent Überlastung und Personalmangel. Angesichts tatsächlich in Summe historisch höchsten Polizeistärken in den allermeisten Ländern sind die aber vor allem Folge ihres ausufernden Alarmismus oder einem Verzetteln in einer sogenannten Drogenbekämpfung, die vor allem darauf ausgerichtet ist, Konsumenten von Cannabis massenhaft zu kriminalisieren. Die unablässigen Klagen über „mangelnden Respekt vor der Uniform“ und zunehmende Gewalt gegen Polizist*innen finden ihren vermeintlichen Beleg in zielgerichtet manipulierter Kriminalstatistik (siehe etwa Opferzahlen der PKS) oder einer Empirie, in der bereits die Fragestellungen so aufgegeben werden, dass alles andere als die vermeintliche Erkenntnis: „alles wird immer schlimmer (für die Polizei)“, gar nicht heraus kommen kann (siehe etwa „Bliesener-Studie“). Und weil das Verhalten von Menschen (in diesem Fall Polizist*innen) vor allem von der Wahrnehmung ihrer Situation bestimmt wird, folgt diesen Fälschungen der Lage seit Jahren eine enorme materielle und vor allem mentale Aufrüstung der Polizei und Polizist*innen, die schon in der gegebenen Rechtslage immer häufiger geradewegs in überzogene Polizeieinsätze und unverhältnismäßige Freiheitsbeschränkungen führt. Wer sich heutzutage das Setting bei Demonstrationen vor Augen führt und dieses mit dem Grundsatz polizeifreier Räume in der Ausübung der Versammlungsfreiheit in Deckung zu bringen sucht, kann nur noch scheitern. Dass das im Gegenzug auch beim Gegenstand des polizeilichen Aktionismus nicht ohne Folgen bleibt, zeigt sich etwa besonders eindrücklich beim mittlerweile tief verwurzelten „Feindbild Polizei“ unter organisierten Fußball-Fans.

Natürlich ist es ein gewaltiges Problem, wenn der Staat Sicherheitslücken in Software nicht zu schließen hilft, sondern diese vielmehr pflegt, um heimlich in Computer eindringen und das digitale Leben von Menschen bis ins Detail ausforschen zu können. Und natürlich ist das das genaue Gegenteil eines Beitrags zur Sicherheit kritischer Infrastrukturen. Und wenn Ausforschen mittels Staatstrojanern auch erlaubt sein soll, wenn Unbeteiligte dabei unvermeidbar mit ausgeforscht werden, dann ist in Zeiten einer global vernetzten Welt letztlich jedermann irgendwie betroffen. Und doch bleibt mit Blick auf massenhaft freiwilig genutzte Portale wie Facebook die daraus folgende Bedrohung der Freiheit für viele Menschen abstrakt oder wird kaum ernst genommen. Umso mehr gilt es zu verstehen, dass eine Polizei im Zustand ständig diffusen Voralarms mit den neuen Befugnissen des NPOG nicht vorrangig oder etwa ausschließlich irgendwelche Extremisten überziehen wird, die im Zweifel gar nichts mit mir und meiner Freiheit zu tun haben. Gefährderansprachen, Kontaktverbote und Meldeauflagen etwa richten sich gegen jedwede Person, die in den Fokus der Polizei gerät. Und weil sich die Polizei die Tatsachen, die sie zu solchen Eingriffen befugen, mit ihren ins Extreme tendierenden Lagebildern gleich selbst macht, fällt es auch besonders schwer, eben nicht doch in den Fokus der Polizei zu geraten – oder es bleibt gar dem Zufall geschuldet. In ihren Lagebildern akkumuliert die Polizei ihre weitestgehend selbstgestrickten Tatsachen, mit denen sie ihre Annahme rechtfertigt, jemand könne zu einem bestimmten Anlass eine Straftat begehen. Zugleich obliegt es ihrer Schwerpunktsetzung, welchem Ereignis sie gerade mal in welchem Ausmaß ihre Vorstellung von Sicherheit angedeihen lassen möchte, um ihr Portfolio an Eingriffen in Grund- und Bürgerrechte zur Anwendung zu bringen – wobei das Prinzip gilt: um so mehr das betreffende Ereignis politisch und / oder medial aufgeladen ist, desto intensiver.

Dann wird der Fußballfan mit dem Kapuzenpullover von der Polizei der Vermummung bezichtigt, weil das nach Versammlungsrecht, das in diesem Fall dann auch für den Besuch eines Fußballstadions gilt, wieder zur Straftat erhoben sein soll, und schon hat die Polizei ihre Tatsache, um ihre Annahme zu rechtfertigen, dass dieser Mensch auch zur nächsten Fußballbegegnung ein vermummter Straftäter sein könnte. Und dann hat die Polizei diese nächste Begegnung vielleicht als so genannte Risikobegegnung klassifiziert (vergl. Alarmismus oben), womit die Erwartung gesetzt ist, dem mit besonders vielen und intensiven Maßnahmen schon im Vorfeld zu begegnen. Und schon richtet sich gegen diesen Fan etwa eine Meldeauflage, die seine Anreise zur Begegnung verhindert und je nach Gestaltung am Ende praktisch die Wirkung eines Hausarrests annimmt. Das darf man sich dann in Praxis aber nicht als eine Meldeauflage für einen betroffenen Fan vorstellen, sondern muss es als taktische Maßnahme der Polizei sehen, von der massenhaft Personen erfasst werden, die ihr in der aufgezeigten Systematik als mögliche Störer gelten. Und zur Frage der Durchsetzung ihrer Maßnahmen muss die Polizei auch gar nicht mehr auf die in der Ermächtigungsnorm vergleichsweise eng begrenzten und mithin schwierig anzuwendenden Zwangsmittel zurück greifen, sie kann, zumal sie gleichzeitig auch Verfolgungsbehörde ist, den Fußballfans einfach mit schmerzhaften Bußgeldern massenhaft das Leben so lange schwer machen, bis sich die Dinge in ihrem Sinne wenden. Steht alles im Gesetz und kann praktisch jeden treffen, und sei es nur in Person des eigenen Kindes oder Enkels, der Nachbarin oder des besten Kumpels. Und wer selbst vielleicht einmal vor hat, sich in einem notwendigen Akt zivilen Ungehorsams Rassisten in den Weg zu stellen, weil die herrschende fremdenfeindliche Rhetorik sie allerorten aus ihren Löchern spült, der darf sich dann auch selbst schon mal warm anziehen. Es ist also ganz klar: Hier geht es ganz konkret und ganz praktisch um unsere alltägliche Freiheit. Allerdings ebenso klar ist: Hier geht es auch um die Frage welche Art von Polizei wir wollen, welches Selbst- und Aufgabenverständnis diese Polizei in einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen prägen soll und welche Praxis von ihr zu fordern und zu erwarten ist. Das ist vor allem eine Frage der Ausrichtung und Ausgestaltung des Rahmens ihrer Befugnisse. Insoweit schadet dieses Polizeigesetzt nicht allein oder gar nur abstrakt unserer Freiheit. Es schadet vor allem auch der Polizei und den Erwartungen, die man an sie in einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft haben darf. Das NPOG ist ein machtvoller Schub, die Binnenkultur der Polizei weiter in die falsche Richtung zu entwickeln.

Der Verfasser dieses Gastbeitrags ist Polizeibeamter in Niedersachsen.

Die Hervorhebungen stammen von der Redaktion freiheitsfoo.

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