Von totalen Demonstrationsverboten, Klagen und Widersprüchen in Zeiten des Coronavirus

Pauschale Spielplatz-Sperrungen. Sinnvoll und verhältnismäßig?

Nach der Konferenz der Ministerpräsidenten der Bundesländer und der Bundeskanzlerin am vergangenen Sonntag wurden in Folge davon landesweit Erlasse und Allgemeinverfügungen veröffentlicht, die – für jedes Bundesland in vielen Details unterschiedlich – Ausgangsbeschränkungen sowie Berührungs- bzw. Annäherungsverbote für die gesamte Bevölkerung angeordnet haben wollen.

Einschub: Was ist der Unterschied zwischen einem Erlass und einer Allgemeinverfügung staatlicher Stellen?
Ein Erlass richtet sich nicht direkt an die Bürger, sondern an nachgeordnete Behörden. Anders eine Allgemeinverfügung, die sich direkt an die Bürger oder eine Gruppe von Menschen wendet und „verfügt“.

Ohne hier auf die Details der vielen Unterschiede der bundesweiten Gesamtheit der Regelwerke eingehen zu wollen und vor allem zu können, möchten wir in diesen aufgeregten Zeiten zumindest auf zwei uns wichtig erscheinende Punkte hinweisen:

 

Wer Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auferlegten Beschränkungen sowie der damit einhergehenden Beschränkungen wesentlicher Grund- und Menschenrechte hat, der kann Widerspruch einlegen. Einige wenige Beispiele für Widerspruchsentwürfe gibt es hier.

Anzuzweifeln sein dürfte mindestens die Frage, ob der bei den bisherigen Corona-Allgemeinverfügungen und -Erlassen als Rechtsgrundlage bemühte § 28 des Infektionsschutzgesetz (IfSG) taugt bzw. zulässig ist. Für eine Situation wie derzeitig bestehend war er zumindest bei seinem Entstehen nicht gedacht.

Auch stellte das Verwaltungsgericht München heute gestern bei der Bewertung der sehr weit gehenden bayrischen Variante der Allgemeinverfügung fest, dass eine solche nicht genügen kann, um die ausgesprochenen Ausgangsbeschränkungen auszusprechen. Dazu hätte es nach Meinung des Gerichts einer Rechtsverordnung bedurft.

Manche Erlasse und Allgemeinverfügungen weisen in ihrer Rechtsmittelbelehrung darauf hin, dass gegen die Regelwerke lediglich Verwaltungsgerichtsklage einzulegen sei. Doch möglicherweise kann ein Widerspruch dennoch sinnvoll sein.

Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) mit dem Fachgebiet Polizei- und Ordnungsrecht weist darauf hin, dass es sinnvoll und wichtig sein kann, …

„… wenn es Menschen gibt, die Widerspruch gegen Anordnungen nach § 28 IfSG einlegen, weil dann zumindest im Nachgang hiergegen auch vor dem Verwaltungsgericht geklagt
werden kann. Zu beachten ist allerdings, dass Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, § 28 III i.V.m. § 16 VIII IfSG. Da zudem regelmäßig die sofortige Vollziehung angeordnet wird, bliebe der Weg über § 80 V VwGO.“

Herr Arzt weist aber darauf hin, dass die Gerichte derzeit möglicherweise davor zurückschrecken könnten, derart grundsätzlich gegen die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen vorzugehen. Bisher bekannt gewordene Entscheidungen deuten diese (Nicht-)Haltungslinie an und auch die frische Entscheidung des VG München von heute gestern weist in diese Richtung, heißt es in der dazugehörigen Pressemitteilung doch:

„Die für das Gesundheitsrecht zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts München hat mit zwei Beschlüssen vom 24. März 2020 zugunsten zweier Einzelpersonen die Wirkung der Ausgangsbeschränkungen vom 20. März 2020 aus formalen Gründen vorläufig außer Kraft gesetzt. (…) Die Beschlüsse wirken nur gegenüber den zwei Antragstellern. Somit behält die angeordnete Ausgangsbeschränkung für die Allgemeinheit ihre Gültigkeit.

Clemens Arzt meint daher weiter:

„Es ist daher aus meiner Sicht vermutlich besser, Widerspruch einzulegen und in aller Ruhe abzuwarten bis dieser beschieden ist und dann eine Anfechtungsklage oder Fortsetzungsfeststellungsklage anzustrengen, weil eine Wiederholung der Maßnahmen ja wohl noch über die nächsten 1 – 3 Jahre droht.
Anders könnte das bei Versammlungsverboten der Fall sein, weil hier immerhin Art. 8 GG in die Güterabwägung einzustellen wäre. Dabei wäre dann auch zu klären, ob die Versammlungsfreiheit so pauschal und so weitreichend eingeschränkt werden kann, hier habe ich meine Zweifel.“

Und damit zum zweiten Punkt:

 

Wie schon angedeutet unterscheiden sich die Erlasse und Allgemeinverfügungen von Bundesland zu Bundesland in vielen Detailpunkten sehr.

Beispiel Versammlungsfreiheit: Ohne einen vollständigen Überblick und Vergleich des Flickenteppichs aller 16 Erlasse ziehen zu können reicht die Spannweite von liberal bis autoritär.

So gibt es in Bremen beispielsweise überhaupt keine pauschale Einschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes. Ganz anders in Niedersachsen. Dort ist jegliche Versammlung mit mehr als zwei Personen unabhängig von den Umständen und ihrer organisatorischen Ausgestaltung pauschal verboten, was faktisch nichts anderes als ein totales Demonstrationsverbot bedeutet. Die niedersächsische Allgemeinverfügung sieht zudem eine Wirkdauer von fast vier Wochen vor. Also doppelt so viel wie die medial meist verbreiteten zwei Wochen als Empfehlung der Konferenz vom Sonntag.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang dann auch die Tatsache, dass unsere Presseanfrage an die niedersächsische Landesregierung zur tatsächlichen Handhabe von Demonstrationsverboten oder -beschränkungen im Zuge der Corona-Allgemeinverfügungen von vor einer Woche trotz mehrfacher Nachfragen bislang unbeantwortet geblieben ist.

Weil das niedersächsische totale Corona-Versammlungsverbot verfassungsrechtlich nicht haltbar sein dürfte wird es möglicherweise mindestens eine Klage aus dem Kreise des freiheitsfoos dagegen geben.

[Update: Um diese ggf. konkret begründen zu können wurde bei der Versammlungsbehörde Hannover bereits am letzten Montag für den kommenden Samstag eine Versammlung angekündigt. Bislang – Stand 25.3.2020, 8:00 Uhr – ohne irgendeine Rückmeldung von der Behörde …]

 

Von dem allen unabhängig empfehlen wir die Lektüre und Beachtung des „Tagebuchs der Inneren Sicherheit“ in den Zeiten der Corona-Epidemie der CILIP. Bei dieser Gelegenheit den Macherinnen und Machern dort ein großes Kompliment und Dankeschön!

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Rise of the Police – heute: Das Saarland verschafft sich neue ausufernde Polizeigesetze. Wir liefern die Synopse zu den geplanten Änderungen, weil der Landtag dieses nicht leistet (leisten kann/will).

Bild eines saarländischen SEK-Polizisten am einem Tag der offenen Tür in Göttelborn am 5.5.2019 bei der gespielten Entfernung eines störenden Kletteraktivisten – selbstentlarvenderweise trägt dieser bei diesem von der Polizei inszenierten Schauspiel ein Protestschild mit der Aufschrift „Braunkohle – Nein Danke“. Das lässt tief blicken und beschreibt eigentlich schon alles. (Bild von Simon Mannweiler unter CC-BY-SA 4.0 Lizenz)

Das Saarland ist das kleinste Flächen-Bundesland in Deutschland, hat nach Bremen als Bundesland zudem die geringste Bevölkerungszahl im Vergleich zu den anderen. Die stimmenmäßig massiv dominierende schwarz-rote Groko der saarländischen Landesregierung erlaubt sich dennoch (oder gerade genau deswegen!) „sicherheitspolitisch“ unter dem Innenminister Klaus Bouillon die Rolle als bundesweiten Vorreiter einzunehmen, indem sie im November 2019 bekannt gab, als erstes Bundesland überhaupt die potentiell menschlich entwürdigend wie tödlich wirkende Taser-Elektroschockwaffe flächendeckend an alle Streifenpolizisten auszuhändigen und einsetzen lassen zu wollen.

Nun will sich das Saarland in den üblen Reigen derjenigen Bundesländer einreihen und das Landspolizeigesetz umfassend verändern und ergänzen. Ohne an dieser Stelle eine umfassende oder vollständige Darstellung der geplanten Änderungen präsentieren zu wollen und zu können, hier ein grober, sicher lückenhafter Überblick über die Neuerungen in Sachen Polizeibefugnissen:

  • Kontaktgebot Kontaktverbot
  • Aufenthaltsgebot
  • Elektronische Fußfessel
  • Erweiterung der Zulässigkeit von Videoüberwachung öffentlichen Raums
  • (Wieder-)Einführung KFZ-Kennzeichen-Scanning
  • Staats- bzw. Landestrojaner („Quellen-TKÜ“)
  • Polizeiliche Datenabfragen nach Telemediengesetz
  • Einsatz von Mobilfunk-Jammern (zur Störung/Unterbrechung der Mobilfunk-Kommunikation)
  • Einrichtung einer „Referenzdatenbank“ inkl. DNA-Datensätze
  • Erweiterung Bodycam-Zulässigkeit nun auch in Gebäuden und Wohnungen
  • Einführung einer mittelbaren „Gefährder“-Definiation

Diese Aufzählung muss auch alleine deswegen (noch) lückenhaft sein, weil der Gesetzentwurf – wie auch in anderen Bundesländern – keinen Überblick darüber erlaubt, was genau an Änderungen und Erweiterungen geplante ist, genauer gesagt, wie sich die Änderungen auswirken und welche Absichten dahinter stecken.

Klar ist, dass auch die saarländische CDU-SPD-Regierung beabsichtigt, mit den beiden neuen Polizeigesetzen einen Paradigmenwechsel für die Rolle der Polizei in der Gesellschaft durchzuführen. Nicht nur erhält die Landespolizei vielfach neue Befugnisse und technische Mittel und Methoden in die Hand, auch soll sie zukünftig schon beim Bestehen eines – von ihr selbst definierten! – Verdachtsmoments schwerwiegend in fundamentale Grundrechte der Menschen eingreifen bzw. diese beschneiden oder ganz aussetzen dürfen.

Wir vom freiheitsfoo wurden zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme sowie zur Teilnahme an der mündlichen Anhörung (derzeit geplant für den 7.5.2020) eingeladen. Darüber freuen wir uns, stellen jedoch zugleich ernüchternd fest, dass uns der Landtag weder den Gesetzestext in einem offenen Dokumentenformat liefern kann noch – und das ist viel schlimmer – eine Synopse, also eine Gegenüberstellung der alten zu den neuen Gesetzesregelungen vorlegen kann oder darf.

Ohne eine solche Synopse ist es selbst geübten Fachleuten nicht oder nur sehr schwer möglich zu verstehen, was das neue Gesetz bedeuten und wie es sich in der Praxis auswirken würde. Also haben wir in ehrenamtlicher (und eher nächtlicher) Heimarbeit selber diese notwendige Synopse erarbeitet und stellen sie hiermit allen Interessierten zur Verfügung:

Gegenüberstellung des jetzigen zu den geplanten neuen Polizeigesetzen des Saarlands (Synopse)

Wir sind der Meinung, dass die Erstellung einer solchen Synopse zu den Aufgaben einer Regierung gehört, die von sich selber behauptet, bei der Gesetzgebung bürgerfreundlich und transparent zu arbeiten.

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„Die Geltung der Grundrechte hängt nicht davon ab, ob die Bundesregierung sie für hinderlich hält.“ Burkhard Hirsch ist tot.

Burkhard Hirsch ist gestorben. Viele haben ihn als eine der wenigen in politischen Parteien wirkenden und mit eigener, freier Persönlichkeit ausgestatteten Menschen gesehen, die sich gegen den schleichenden, aber stetigen Abbau individueller Freiheiten in diesem Land authentisch eingesetzt haben.

Viel über Herrn Hirsch zu schreiben steht uns nicht zu. Wikipedia hält einige Grundinformationen über sein Wirken und seine Arbeit bereit. Lesenswert auch, was das Bundesverfassungsgericht 2006 aufgrund (und Dank!) einer Verfassungsbeschwerde (u.a.) von Herrn Hirsch zum „Luftsicherheitsgesetz“ des doppelten Ottos zu sagen hatte.

Wir möchten hier zur Anregung aus einer Rede von Burkhard Hirsch aus 2001 zitieren. Diese hielt er als Laudatio für Arno Gruen, der für sein Buch „Der Fremde in uns“ den Geschwister-Scholl-Preises in jenem Jahr erhielt. Das ist über 18 Jahre her und scheint doch (leider) hochaktuell. Die Hervorhebungen im folgenden Manuskriptausschnitt stammen von uns.

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Reminiszenz: Vom Anfang der polizeilichen Videoüberwachung öffentlichen Raums in Hannover und Deutschland

Dass seit bald einem Jahrzehnt vor Gericht um die polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Lebensraums der Stadt Hannover gestritten wird mag – wenn auch nicht vorrangig – daran liegen, dass die Polizei Hannover diesbezüglich bundesweit eine Vorreiterstellung eingenommen hat. Im Dezember 1976 begann sie – in einem bis dahin nicht dagewesenen Umfang und mit für jene Zeiten hochmoderner Technik  – mit der flächenmäßig umfangreichen Videoüberwachung der Stadt.

Zur Erinnerung daran rezitieren wir aus einem Bericht des „Spiegel“ vom Januar 1977:

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Polizei Hannover: Zurückrudern und weiteres Verstricken in Widersprüchen in Sachen neuer Polizeikameras in Hannover. Außerdem zum wiederholten male eine völlig unzureichende „Kennzeichnung“ der Kameras.

Einer der beiden neuen „Kennzeichnungen“ für vier neue und geheim gehaltene Polizeikameras zur Überwachung des öffentlichen Raums in Hannover, genauer gesagt am türkischen Generalkonsulat.

Dass die Polizeidirektion Hannover ein Problem mit Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Videoüberwachung des öffentlichen Raumes hat, darüber haben wir erst zuletzt berichtet.

Unter anderem haben wir dabei erstmals öffentlich gemacht, dass die Polizei seit Mitte letzten Jahres vier neue Polizeikameras betreibt bzw. in ihrem Auftrage betreiben lässt, ohne die Öffentlichkeit darüber aufzuklären. Weder gab es dazu eine polizeiliche Presseberichterstattung – und das ist ein recht atypisches Verhalten für die sonst sehr umfangreich über viele Dinge und Erlebnisse berichtende Polizeipressestelle und ihre Resonatoren in der Medienwelt – noch tauchen die vier Kameras in der Auflistung der stationären Polizeikameras auf den Internetseiten der Behörde auf. Und das, obwohl die Kameras einen für „jedermann“ begehbaren öffentlichen Raum überwachen und sich dementsprechend auf die Rechtsgrundlage des (vor Gericht noch umstrittenen) § 32 (3) NPOG stützen. Letzteres hatte die Polizeidirektion als Antwort auf eine unserer Presseanfragen selber erklärt.

Wie auch immer: Nun verwickelt sich die Polizei Hannover in weitere Widersprüche.

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Zeitzeichen, 18

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

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Videoüberwachung durch die Polizei Hannover: Plötzlich und heimlich vier neue Überwachungskameras und – bislang vergebliche – (Nicht-)Anstrengungen, ihre Überwachungskameras wie vom Gesetz vorgeschrieben zu kennzeichnen [Update]

Einer der „alten“ Aufkleber, die die Polizei in bester StreetArt-Manier an Laternenpfosten klebt und meint, damit universell alle Menschen über die Videoüberwachung aufgeklärt zu haben.

Einst betrieb die Polizeidirektion Hannover bis zu 79 Kameras zur so genannten „offenen“ Überwachung öffentlicher Plätze und Straßenräume in der Landeshauptstadt. Derzeit sind es immerhin noch 30 Stück dieser fest montierten Kameras.

[Achtung, Spoiler: Huch. Plötzlich sind vier neue Kameras dazugekommen, also sind es 34 Kameras. Doch davon erfährt mensch nichts, es sei denn, die Polizei legt vor Gericht aufgrund von Rechtfertigungsdruck spontan und ungeplant ein Dokument vor, aus dem der Kamerazuwachs nebenbei kurz erwähnt wird.]

„Nur noch“ 30 Kameras deswegen, weil das Verwaltungsgericht Hannover in einem Urteil aus 2016 die Mehrzahl der Polizeikameras als unzulässig bewertet und die Demontage oder Außerbetriebnahme verordnet hatte.

Die Fortsetzung dieses Verfahrens findet derzeit vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg statt, denn die Polizei möchte acht derjenigen Kameras weiter betreiben, deren Nutzung vom Verwaltungsgericht verboten worden war. Das Gericht, das in 2017 eklatanterweise nicht davor scheute, die Vortäuschung von Scheinsicherheit durch die Anwesenheit von Kameras, also die lediglich subjektive Verbesserungs des Sicherheitsgefühls als Argument für den Ausbau von Videoüberwachung zu akzeptieren (siehe hier und hier), dieses Gericht hat den Streitfall eines in Hannover lebenden Menschen am 21.1.2020 erneut verhandelt und – anders als mutmasslicherweise geplant und gewünscht – nicht zu den Akten legen können. Der Grund: Die Vertreter der Polizeidirektion Hannover waren nicht in der Lage zu beschreiben und zu belegen, welche Flächen ihre Polizeikameras denn nun tatsächlich erfassen und Bilder davon aufzeichnen.

So wurde das Verfahren also bis auf weiteres vertagt, nachdem es schon seit 2011 (inklusive Vorverfahren sogar schon seit 2010) bereits mehrfach verschoben worden ist. Ein Verwaltungsgerichtsverfahren, das sich also bald über neun Jahre (!) hinzieht und gerade einmal erst in der zweiten Instanz behandelt wird …

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Bundesverwaltungsgericht: Niedersachsen wollte mittels falscher Unterstellung eines „Gefährder“-Status einen Menschen ohne weitere Prüfung abschieben

In 2017 hat Niedersachsen bundesweit als erstes Bundesland überhaupt damit angefangen, den als Folge des parteipolitischen 9/11-Terroranschlags-Aktivismus eingeführten Abschiebeparagraphen 58a des Aufenthaltsgesetzes erstmals praktisch anzuwenden.

Mittels dieser Rechtsgrundlage dürfen die Landesbehörden (in diesem Fall verantwortlich: das Niedersächsische Innenministerium) Menschen ohne vorherigen Ausweisungsbescheid abschieben, also auch unter Anwendung von Gewalt gegen ihren Willen in ein anderes Land verbringen, und zwar

„auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr.“

Nach diesem bundesweiten Dammbruch hat Niedersachsen auch weitere Menschen unter Berufung auf diesen Paragraphen außer Landes bringen lassen, nun aber einen höchstrichterlichen Rückschlag einstecken müssen:

Am 14.1.2020 urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass eine von Nds. Innenministerium nach §58a AufenthG verfügte Abschiebung rechtswidrig war und ist. Mit der „auf Tatsachen gestützte Prognose“ war es in diesem Fall also nicht so weit her. Das Bundesverwaltungsgericht schreibt in seiner Pressemitteilung vom 14.1.2020:

„Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute der Klage eines als islamistischer Gefährder eingestuften türkischen Staatsangehörigen stattgegeben und die gegen ihn vom Land Niedersachsen verfügte Abschiebungsanordnung aufgehoben. (…) Eine Gefahr i.S.d. § 58a AufenthG kann auch dann vorliegen, wenn der Ausländer zwar nicht selbst – gar vollständig oder nachhaltig – ideologisch radikalisiert ist, er sich jedoch von Dritten im Wissen um deren ideologische Zwecke für entsprechende Gewalthandlungen „einspannen“ lässt. Auch nach diesem konkretisierten Maßstab gelangt der Senat in der Gesamtschau bei umfassender Würdigung des Verhaltens des Klägers, seiner Persönlichkeit, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung und seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen zu der Bewertung, dass die festgestellten Tatsachen im Ergebnis nicht die Bewertung tragen, dass aktuell von dem Kläger mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit eine nach § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder terroristische Gefahr ausgeht.

Mit anderen Worten: Die Durchsetzung dieser Abschiebung hätte das Innenministerium rechtswidrig durchgeführt, den §58a also mutmasslich zur Durchsetzung politischer Ziele missbraucht, zumindest diese Regelung nicht sorgfältig abwägend angewendet. Mit heiklen Folgen für den Betroffenen und seine Familie …

So viel zur Wertigkeit und juristischen Haltbarkeit polizeilicher Prognosen, mittels derer die Niedersächsische Polizei dank des neuen Niedersächsischen Polizeigesetzes („NPOG“) inzwischen eine ganze Menge Dinge an und mit Menschen tun darf, die gar keine Straftaten begangen haben („Gefährdern“). Übrigens: In NRW (und nicht nur dort) hat die Polizei ihre dort ebenfalls neu eingeräumten Befugnisse eines neuen Polizeigesetzes nicht gegen (angebliche) Terroristen oder staatsgefährdende Attentäter angewendet, sondern gegen Demonstranten, die sich gegen die sinnlose und klimakatastrophale Abholzung eines Waldes im Zuge der Braunkohlegewinnung eingesetzt haben … Doch zurück zum eigentlichen Fall:

Was wäre wohl dabei herausgekommen, wenn sich auch alle anderen mittels dieses Paragraphen abgeschobenen Menschen juristisch bis zum höchsten Verwaltungsgericht dagegen gewehrt hätten?

Diese Frage kann nur unbeantwortet bleiben und dem Innenministerium in Hannover dürfte das auch ziemlich egal sein. So wie ihm auch diese Rechtssprechung folgenlos bleibt. Nicht nur, dass nicht ein einziger Mensch in der Behörde für diese juristische Backpfeife verantwortlich zeichnet und mit Konsequenzen zu rechnen hat – der erfolgreiche Kläger soll nun mittels anderer Rechtsgrundlagen abgeschoben werden.

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Verwaltungsbericht Lüneburg: Niedersächsischer Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“) hat jahrelang illegal Anti-Atom-Aktivistin ausgespäht

Wir geben hiermit den  Beitrag der Aktivistin Cécile Lecomte („Eichhörnchen“) vom 17. Dezember 2019 wieder, weil wir ihn als gleichermaßen besorgniserregend wie symptomatisch empfinden. [Hervorhebungen im Beitrag wurden durch uns vorgenommen.]

* * *

Umweltaktivistin gewinnt Klage gegen den Verfassungsschutz Niedersachsen

Seit dem Jahr 2005 speicherte der niedersächsische Verfassungsschutz Niedersachsen Daten über die in Lüneburg lebende Umwelt- und Kletteraktivistin Cécile Lecomte. Sie hat nach einem 4-jährigen Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg und einem sogenannten „in Camera“ Verfahren mit geschwärzten Akten vor dem Oberverwaltungsgericht erreicht, dass der Verfassungsschutz die über ihre Person gespeicherten Daten löscht (Az. 1 A 375/15und später Az. 4 A 10/19).

Überwacht wurde die Aktivistin, weil sie „umfangreiche Aktionen zur Unterstützung linksextremistischer Bestrebungen im Sinne des § 3 Abs. 1 NVerfSchG durchgeführt“ habe, so der Verfassungsschutz. Gemeint war somit ihr vielfältiges Engagement als Atomkraftgegnerin, Antimilitaristin undDegrowth-Aktivistin. Dies belegte die Behörde vor dem Verwaltungsgericht jedoch nicht. Der Verfassungsschutz muss die Kosten des Verfahrens tragen.

Aus den dem Verwaltungsgericht vorgelegten Akten lässt sich entnehmen, dass der Verfassungsschutz sich insbesondere für die Antiatom-Kletteraktionen und Vorträge der Klägerin interessierte. Erwähnung finden Antiatom-Konferenzen inklusive Spitzelbericht, Abseilaktionen gegen Atomtransporte, Protestaktionen gegen die Bundeswehr, Redebeiträge auf Demonstrationen oder auch Lesungen mit ihrem 2014 erschienen Buch „Kommen Sie darunter! Kurzgeschichten aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin“. Selbst eine Ordnungswidrigkeit die mit 5 Euro Bußgeld bestraft wurde, findet dort explizit Erwähnung.

In ihrem Buch kommentierte die Aktivistin ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz, den sie als Verfassungssch(m)utz titulierte:

„Warum ist Baumklettern so staatsgefährdend? Gibt es ein Gesetz à la »Du sollst dich ausschließlich horizontal bewegen«? Warum interessiert sich der Verfassungssch(m)utz mehr für’s Baumklettern als für mordende Neonazis?“

Nach einem richterlichen Hinweis im Sommer 2019, wonach das Gericht anhand der vorgelegten Akten keine verfassungsfeindliche Handlungen erkennen konnte, erklärte sich der Verfassungsschutz bereit, die gespeicherten Daten zu löschen, die Speicherung sei zur Aufgabenerfüllung des niedersächsischen Verfassungsschutzes nicht mehr erforderlich, so die Behörde.

Weshalb die Speicherung zuvor gerechtfertigt gewesen sein soll, wird wohl das Geheimnis der Behörde bleiben. Sie legte keine Belege vor, sodass das Gericht mit Bezug auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln (Az.: 20 K 2331/08) zur materiellen Beweislast, nach Erledigung der Klage durch Löschung der Daten, der Behörde die Kosten des Verfahrens auferlegte.

„Unabhängig davon, ob der Beklagte die personenbezogenen Daten rechtmäßig erhoben hat, sind jedenfalls vom Beklagten die tatsächlichen Voraussetzungen für eine fortlaufende Speicherung vom Zeitpunkt der Erhebung (augenscheinlich erstmals seit dem Jahr 2005) bis heute nicht dargelegt. Diese ergeben sich auch nicht aus den rudimentär vorgelegten Akten.“

Schrieb das Gericht.

„ Ich freue mich, diese Klage gewonnen zu haben“ erklärt Lecomte. Sie bleibt aber skeptisch. „Es gibt keine Rechtssicherheit. Die Behörde entscheidet nach Gutdünken, wen sie überwacht oder nicht. Es besteht keine Sicherheit, dass die Überwachung morgen nicht wieder aufgenommen wird.“

Gründe für Misstrauen hat die Aktivistin genug. Vor Kurzem erfuhr sie zufällig davon, dass eine (Polizei)behörde – welche ist ihr nicht bekannt – sie wegen ihrer politischen Aktivitäten auf eine Liste Namens „Schengen-Fahndung zur Pol. Beobachtung“ gesetzt hat. Dies führe im Alltag zu unangenehmen Polizeikontrollen und zur Speicherung von noch mehr Daten als sonst in polizeilichen Datenbanken. Vorbestraft ist die Aktivistin nicht.

Lecomte stieß auf auf das Dokument bei einer Akteneinsicht in ein – inzwischen nach § 170 II StPO eingestelltes – Ermittlungsverfahren zu einer Abseilaktion gegen einen Urantransport 2018 bei Koblenz. Das Dokument befindet sich eher zufällig in der Akte. Es ist als Verschlusssache nur für den Dienstgebrauch eingestuft (siehe Bild am Rand dieses Beitrags).

„Wer sich politisch – insbesondere gegen die Atomkraft und Militarismus – engagiert, wird als Staatsfeind behandelt und kommt nie aus den Mühlen der polizeilichen Datenbanken und Überwachung“, fasst Lecomte zusammen.

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Leseempfehlung zum heutigen Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG zur (Un)Rechtmäßigkeit der BND-Abhörmaßnahmen: „Wie Ex-BND-Präsidenten mit Unwahrheiten die Überwachung von Journalist:innen rechtfertigen“ von Daniel Moßbrucker

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