Videoüberwachung durch die Polizei Hannover: Plötzlich und heimlich vier neue Überwachungskameras und – bislang vergebliche – (Nicht-)Anstrengungen, ihre Überwachungskameras wie vom Gesetz vorgeschrieben zu kennzeichnen [Update]

Einer der „alten“ Aufkleber, die die Polizei in bester StreetArt-Manier an Laternenpfosten klebt und meint, damit universell alle Menschen über die Videoüberwachung aufgeklärt zu haben.

Einst betrieb die Polizeidirektion Hannover bis zu 79 Kameras zur so genannten „offenen“ Überwachung öffentlicher Plätze und Straßenräume in der Landeshauptstadt. Derzeit sind es immerhin noch 30 Stück dieser fest montierten Kameras.

[Achtung, Spoiler: Huch. Plötzlich sind vier neue Kameras dazugekommen, also sind es 34 Kameras. Doch davon erfährt mensch nichts, es sei denn, die Polizei legt vor Gericht aufgrund von Rechtfertigungsdruck spontan und ungeplant ein Dokument vor, aus dem der Kamerazuwachs nebenbei kurz erwähnt wird.]

„Nur noch“ 30 Kameras deswegen, weil das Verwaltungsgericht Hannover in einem Urteil aus 2016 die Mehrzahl der Polizeikameras als unzulässig bewertet und die Demontage oder Außerbetriebnahme verordnet hatte.

Die Fortsetzung dieses Verfahrens findet derzeit vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg statt, denn die Polizei möchte acht derjenigen Kameras weiter betreiben, deren Nutzung vom Verwaltungsgericht verboten worden war. Das Gericht, das in 2017 eklatanterweise nicht davor scheute, die Vortäuschung von Scheinsicherheit durch die Anwesenheit von Kameras, also die lediglich subjektive Verbesserungs des Sicherheitsgefühls als Argument für den Ausbau von Videoüberwachung zu akzeptieren (siehe hier und hier), dieses Gericht hat den Streitfall eines in Hannover lebenden Menschen am 21.1.2020 erneut verhandelt und – anders als mutmasslicherweise geplant und gewünscht – nicht zu den Akten legen können. Der Grund: Die Vertreter der Polizeidirektion Hannover waren nicht in der Lage zu beschreiben und zu belegen, welche Flächen ihre Polizeikameras denn nun tatsächlich erfassen und Bilder davon aufzeichnen.

So wurde das Verfahren also bis auf weiteres vertagt, nachdem es schon seit 2011 (inklusive Vorverfahren sogar schon seit 2010) bereits mehrfach verschoben worden ist. Ein Verwaltungsgerichtsverfahren, das sich also bald über neun Jahre (!) hinzieht und gerade einmal erst in der zweiten Instanz behandelt wird …

 

Streit um die korrekte Ausgestaltung der Kennzeichnung polizeilicher Videoüberwachung öffentlicher Plätze

Bei der mündlichen Verhandlung im Januar wurde noch nicht einmal über verfassungsrechtliche Fragen gesprochen, umso mehr hangelten sich Gericht, Kläger und Beklagte an Fragen der zulässigen Kennzeichnung der überwachten Bereiche entlang. Das mag banal klingen, ist es allerdings gar nicht. Denn bislang hat es die Polizei Hannover trotz einer erfolgreichen Klage gegen die vorherige Nicht-Beschilderung in 2010/2011 nicht verstanden und nicht geschafft, die öffentlichen Plätze ausreichend und rechtskonform zu markieren.

Mehrfach wurde die Polizei vom OVG in den letzten Jahren dazu aufgefordert mitzuteilen, wann die neue, den Regeln der Vorschrift entsprechende Kennzeichnung erfolgt sei. Ebenso mehrfach hat sie dieses Thema ausgesessen und sich mit konkreten Versprechen zurückgehalten. Vor Gericht am 21.1.2020 schließlich bekannte sich die Polizei Hannover dazu, die neuen Kennzeichnungen (zumeist: Aufkleber!) bis zum 31.1.2020 anzubringen.

Und nun?

Erneut ist die Polizei gescheitert:

  • Alle sieben Kameras, die die Polizei Hannover (angeblich) nur temporär einsetzt/nutzt, sind aktuell überhaupt nicht gekennzeichnet: Die alten Hinweis-Aufkleber wurden entfernt, neue bis dato noch nicht angebracht.
  • Bei einer dieser Kameras (die am Lister Platz in Hannover) gibt es sehr vereinzelt und in völlig unzureichender Zahl und an unpassenden Stellen Aufkleber an Laternen- oder Schilderpfosten, die jedoch behaupten, dass die Kamera dauerhaft betrieben werde, was die Polizei selber auf ihrer Homepage dementiert. Hier täuscht die Polizei also falsche Tatsachen vor.
  • Die Beschilderungen sind oftmals nicht lesbar oder so angebracht, dass sie dem normalen Passanten gar nicht auffallen.
  • Viele Zugänge und Zufahrten zu den überwachten Bereichen sind gar nicht gekennzeichnet. Wer also über diese Wege in das Blickfeld der Polizeikamera gerät, erfährt gar nichts davon, was dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung fundamental widerspricht.
  • Zwar wird man zwar (mehr schlecht als recht und nicht, wie gesetzlich verlangt) zuweilen mittels der Aufkleber darauf hingewiesen, dass man eine polizeilich videoüberwachte Fläche betritt. Wann und wo man diese aber wieder verlässt, darüber lässt die Polizei die Menschen im Unklaren. Die mögliche Folge: Ein permanentes Gefühl des Überwachtwerdens.
  • Die Polizei erweckt mittels ihrer Aufkleber den Eindruck, als würde der videoüberwachte Platz von der Polizei ständig – also in Echtzeit und räumlich lückenlos – von Polizisten via Kameraauge im Blick behalten, was faktisch nicht der Fall ist. Diese subkutane Falschinformation erzeugt ein nicht gerechtfertigtes Sicherheitsgefühl und kann sogar dazu führen, dass die Zivilcourage von Passanten bei Notfällen reduziert wird. Mit möglicherweise fatalen Folgen für die Opfer von Straftaten.
  • Passanten in videoüberwachten Bereichen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind (Gast-Student*innen, Tourist*innen, geflüchtete Menschen), dürften keinerlei Ahnung davon bekommen, was die Aufkleber bedeuten, sofern sie diese überhaupt wahrnehmen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich aus den ersten beiden Grundgesetz-Artikeln ab und ist somit ein „Jedermanns-Recht“, das nicht nur für Menschen mit einem deutschen Pass gilt. Dem wird die einsprachige Kennzeichnung nicht gerecht. Dass es auch anders geht, beweisen Bahn und ÖPNV in Hannover, die zwei oder noch weitergehend mehrsprachig auf alle wichtigen Dinge für ihre Nutzer*innen hinweisen.
  • Wer bspw. als Autofahrer in einen der überwachten Bereiche einfährt wird nicht nur (oft) nicht oder völlig unzureichend auf den Umstand der polizeilichen Videoüberwachung hingewiesen – es gibt zudem in der Regel keine Chance zum Ausweichen oder Umgehen der überwachten Zone. Und das, obwohl die Rechtssprechung und der Anspruch auf Videoüberwachung im öffentlichen Raum eine solche Möglichkeit der individuellen Entscheidung des Ausweichens ausdrücklich vorsieht.
  • Und wer als Benutzer des ÖPNV z.B. mittels Bus oder Stadtbahn in die überwachten Bereiche einfährt, wird gar nicht darüber informiert, dass er sich beim Aussteigen in einer solchen befindet.
  • Schließlich entspricht die Kennzeichnung nicht der für die Polizei geltenden JI-Richtlinie der EU. Diese verlangt in ihrem Artikel 13 eine erheblich detailliertere Information über Art und Umfang der bestehenden staatlichen Überwachung der Öffentlichkeit.

Mindestmenge an Hinweisschildern für eine rechtmäßige Kennzeichnung der polizeilichen Videoüberwachung am Königsworther Platz in Hannover – nach Ansicht des Klägers. Jeder Pfeil steht für ein Schild, 69 Stück insgesamt.

Sämtliche Kritik an dieser Kennzeichnungspraxis der Polizei Hannover hat der Kläger des Verfahrens dem OVG im Zuge der mündlichen Verhandlung übergeben und zugleich am Fall der Kamera am Königsworther Platz akribisch untersucht und ermittelt, wo überall Kennzeichnungen und Hinweise der Videoüberwachung angebracht werden müssten, um der gesetzlich verankerten Kennzeichnungspflicht Genüge zu tun (siehe Grafik am Rand dieses Beitrags).

Es bleibt abzuwarten, wie die Polizei auf die vielfältige Kritik reagieren und wie das OVG mit den Missständen umgehen wird …

Doch es kam im Zuge der mündlichen Verhandlung noch dicker:

 

Aus Versehen vor Gericht verraten: Polizei Hannover installiert heimlich vier neue Kameras im öffentlichen Raum

Im Zuge der Klärung der Frage, was die Polizeidirektion Hannover unter „Sichtbereich“ und „Wirkungsbereich“ ihrer Kameras überhaupt versteht, übergab sie ad hoc – und erst nach einigem Zögern – dem Gericht und damit dem Verfahren ein Dokument, aus dem neben einer mehr oder weniger wissenschaftlich begründeten, geschweige denn praktisch brauchbaren Definition des „Wirkungsbereichs“ in einem Nebenabschnitt folgendes zu lesen ist:

Seit dem 01.05.2019 sind vier neue Standorte mit Videoüberwachungstechnik in Betrieb genommen. Diese befinden sich auf dem Hinterhof an der Rückseite des Türkischen Generalkonsulates (TGK) mit Zugang / Zufahrt über Gustav-Adolf-Str., Torbogen zwischen Nr. 6 und Nr. 8. Servicedienstleister ist hier die ZETTEC Gefahrenmeldesysteme GmbH aus Seelze.“

Auf die vor Gericht an die Polizei Hannover gerichtete Frage, ob denn diese Kameras im Internetauftritt der Polizei Hannover aufgeführt werden würden hieß es eindeutig (und sinngemäß):

„Nein. Unsere Internetseiten führen diese vier Kameras nicht auf.“

Weiter nachgefragt, ob es sich denn dabei um Kameras im öffentlichen Raum handele, entgegnete der Hausjurist der Polizei selbst auf mehrfaches Nachfragen unisono wie wortkarg:

„Nicht im öffentlichen Straßenraum.“

Eine Unzahl von Überwachungskameras an der von der Polizei beschriebenen Stelle. Welche davon gehören der Polizei Hannover? Und warum ist keine einzige der Kameras, die öffentlich zugänglichen Raum überwachen, gekennzeichnet?

Das war eine verbale Finte, denn der Raum, der von diesen der Öffentlichkeit bislang unbekannten Polizeikameras überwacht wird ist für „jedermann“ frei begehbar. Zugleich gibt es dort nicht ein einziges Hinweisschild, das auf die polizeiliche Überwachung hinweist.

Es bleibt nach wie vor des weiteren ungeklärt, ob es überhaupt eine Rechtsgrundlage für diese Kameras gibt und was die Benennung eines privatwirtschaftlichen Subunternehmers bedeuten soll. Eine Presseanfrage vom 22.1.2020 (!), die das alles klären soll und um deren „kurzfristige“ Bearbeitung wir angesichts der dringenden Fragen baten, blieb bis dato unbeantwortet.

Die Polizei Hannover hat also noch einiges an Informationen und Arbeit nachzuliefern … es bleibt spannend.

 

[Update 18.2.2020]

Bemerkenswert: Nachdem uns die Polizei Hannover fast vier Wochen lang auf die Presseanfrage nicht geantwortet hat ging bei unserer Redaktion nur wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Blogbeitrag eine Rückmeldung der polizeilichen Pressestelle ein.

Im wesentlichen zusammengefasst:

Angeblich sind die Kameras beschildert. Das ist uns bei unseren aufmerksamen Besuchen der letzten Wochen allerdings nicht aufgefallen.

Und ja: Die Kameras werden als „offene Videoüberwachung“ im Sinne des § 32 (3) NPOG eingesetzt.

Widersprüchlich zu dem allen dann die (erneute) Bestätigung, dass die Kameras nicht auf dem Internetportal der Polizei Hannover als offene Videoüberwachung aufgeführt werden. Begründung: Es handele sich um eine „Objektschutzmaßnahme“. Merkwürdig nur, dass andere Kameras, deren Rechtmäßigkeit unisono begründet wird (z.B. am Landtag, vor dem Rathaus, vor der Synagoge) dennoch im Internet aufgelistet werden. Warum dann diese Kameras nicht?

Diese und andere Fragen (gibt es etwa noch weitere Kameras, deren Existenz bislang verschwiegen worden ist?) haben wir der Polizei Hannover als Nachfragen vorgelegt.

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