Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerde zur Volkszählung 2022 (Zensus 2022) nicht zur Entscheidung angenommen

Wir veröffentlichen hiermit den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu der seit August 2019 anhängigen Verfassungsbeschwerde gegen eine umfangreiche, nicht anonymisierte Meldedaten-Zusammenziehung im Zuge der inzwischen auf dieses Jahr 2022 verschobenen Volkszählung („Zensus“) [1].

Die Karlsruher Richter*innen bleiben mit der Begründung der unanfechtbaren Entscheidung schmallippig und inhaltlich fragwürdig:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde mangels Beschreitens des fachgerichtlichen Rechtswegs unzulässig ist. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.“

Hintergrund

Die fünf Beschwerdeführer hatten sich, unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), im Januar 2019 gegen den § 9a des Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 mit einem Eilantrag an das BVerfG gewendet [2].

Mittels dieses im Dezember 2018 kurzfristig vom Bundestag hinzugefügten Paragraphen wurde die Zusammenziehung umfangreicher Meldedatensätze aller Einwohner Deutschlands am zum Stichtag 13. Januar 2019 beschlossen und genehmigt. Die sensible Zusammenziehung und Zusammenfügung der Daten wurde lediglich mit dem Test der für den Zensus erarbeiteten Software-Komponenten begründet. Dieses Vorgehen widerspricht nach Auffassung der Beschwerdeführer grundsätzlich von den Anforderungen an Datensparsamkeit und Verhältnismäßigkeit, insbesondere, da es sich nur um einen Test der Software handeln sollte.

Per Eilentscheid des BVerfG im Januar 2019 wurde der Antrag jedoch zurückgewiesen und damit zunächst die Rechtsstaatlichkeit der Zensusvorbereitung bestätigt. Die Richter und Richterinnen des BVerfG hatten in ihrem Eilentscheid ungewöhnlich offen mitgeteilt, dass sie die Skepsis teilen und (implizit) die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde angeregt.

Die fünf Beschwerdeführer legten zusammen mit der GFF im August 2019 eine ausführlich begründete Verfassungsbeschwerde gegen das Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 ein. Sie prangerten ihre Grundrechtsverstöße durch die Erstellung einer solchen vollständigen und nicht anonymisierten Einwohner-Datenbank der BRD an. Dass solch eine nicht anonymisierte Einwohner-Datenbank mehr als heikel ist und ein lohnenswertes Ziel für Datenräuber darstellt beweist der erfolgreiche Angriff auf die Infrastruktur der Zensus-IT in 2021 [3].

Diese Risiken und die Frage der Verhältnismäßigkeit der Volkszählungs-Maßnahmen wollen die Karlsruher Richter nun nicht weiter beleuchten und verhandeln und verweisen in der dürren Ablehnung der Verfassungsbeschwerde vom 20.1.2022 auf das Subsidiaritäts-Prinzip. Man wirft den Beschwerdeführern also vor, sich mit ihrer Beschwerde nicht erst an niederrangigere Gerichte gewendet zu haben.

Fragwürdige Begründung

Diese Ablehnungsbegründung ist mindestens merkwürdig, wenn nicht fragwürdig.

Zum einen hatten die Richter in ihrer vorausgegangenen Ablehnung [5] zum Eilantrag [4] zur Verfassungsbeschwerde selber mitgeteilt, dass …

„… diese Fragen näherer Aufklärung bedürfen und vorliegend nicht in der für das Eilverfahren gebotenen Kürze der Zeit geklärt werden können.“

So etwas kann als offensichtliche Aufforderung zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde interpretiert werden, wie sie dann auch erfolgte.

Zum anderen hat das Gericht noch Ende 2021 den federführenden Anwalt der Beschwerdeführer dazu aufgefordert, das Festhalten an der Verfassungsbeschwerde zu begründen, nachdem der Zensus – mit dankbarem Verweis auf Corona [6] – um ein Jahr verschoben wurde.

Mit Blick auf die jetzt vorgetragene Begründung zur Ablehnung der Beschwerde hätte sich diese Nachfrage als obsolet, ja als unsinnig erwiesen.

Da der Bescheid aus Karlsruhe unanfechtbar ist wird die jetzige Volkszählung (und auch alle folgenden) von den erhobenen Bedenken unberührt fortgesetzt und durchgeführt werden können.

Einen öffentlichen Diskurs zur Hinterfragung der Notwendigkeit und des Umfangs (auch der Kosten) des Zensus gibt es nicht. Derweil versuchen die dafür verantwortlichen Stellen diesen auch gar nicht erst entstehen zu lassen und vermeiden in vorgefertigten Textbausteinen zu Medienberichten über den Zensus ebendieses Wort so weit wie irgend möglich [7].

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