Niedersachsen: Wie verhindert man eine öffentliche und kritische Debatte zum neuen Polizeigesetz? Fünf Strategien.

Der niedersächsische Landtag an einem Freitag Mittag, kurz vor Feierabend.

Ist mediale Aufmerksamkeit, ja gar eine offene und kritische Diskussion zu einem Gesetzesvorhaben nicht erwünscht, so gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese zu unterbinden. Der Niedersächsische Landtag gibt sich derzeit viel Mühe, darin die Meisterschaft zu erringen.

Fünf der Strategien, das neue Polizeigesetz für Niedersachsen (NPOG) so weit wie möglich ohne Öffentlichkeit oder zumindest ohne fundierte sachliche Diskussion/Kritik durchzudrücken:

1.) Dem „Gegner“ keine Zeit lassen.
2.) Für Waffenungleichheit sorgen.
3.) Maximale Intransparenz praktizieren.
4.) Sachliche Auseinandersetzungen verhindern.
5.) Inhaltliche Nebelkerzen zünden.

Im Einzelnen und etwas ausführlicher:

 

Dem „Gegner“ keine Zeit lassen.

Am 17.11.2017 fand sich nach einem unversöhnlichen Wahlkampf persönlicher Verletzungen die neue rot-schwarze Groko unerwartet schnell mit einem Koalitionsvertag zusammen, in dem das neue Polizeigesetz angekündigt wurde.

Am Freitag, den 11.5.2018 (also 154 Tage später) wird der aktuelle, 79 Seiten (!) lange Gesetzentwurf veröffentlicht. Zuvor hatten wir bereits im Januar 2018 einen Zwischenstand des Entwurfs geleakt.

Am Donnerstag, den 17.5.2018, also effektiv nur 3-4 Werktage später findet bereits die erste Lesung im Landtag statt, der erste formell notwendig Schritt, um das Gesetz Wirklichkeit werden zu lassen.

Am Donnerstag, den 14.6.2018 – genau vier Wochen später – werden die Einladungen zur Anhörung im Innenausschuss verschickt. Mit der Bitte um „alsbalde“ Übersendung einer schriftlichen Vorab-Stellungnahme. Die mündlichen Anhörungen sollen genau acht Wochen später beginnen. Hört sich viel an. Blöd nur, dass genau mittendrin die 6wöchigen Sommerferien liegen. Und dann auch noch mitten in den Parlamentsferien vom 25.6. bis 12.8.2018. Zufall?

Außer der seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten ständig wiederholten angeblichen und „abstrakten“ Gefährdungslage in Sachen Terrorismus – also keinen akut bekannten konkreten Gefährdungen – hat die Landesregierung keinen Grund zur Eile. Im Gegenteil: Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist in weiten Bereichen höchste Aufklärungsquoten und niedrigste Straftatzahlen seit Jahrzehnten aus.

 

Für Waffenungleichheit sorgen.

Zum Beispiel bei der Anhörung im Innenausschuss:

Wer dort zur Erstellung einer schriftlichen Stellungnahme sowie zum persönlichen Erscheinen am vorgegebenen Termin zwecks mündlichen Vortrags eingeladen wird, soll/darf/muss alle Arbeit und Kosten, die mit der Arbeit an Stellungnahme und dem Reisen und Stellungbeziehen in Hannover verbunden sind aus eigener Tasche bezahlen.

Aber:

Das gilt höchstwahrscheinlich nicht für die zahlreich aus den Polizeidirektionen und anderen Polizeistellen eingeladenen Polizeipräsidenten und -präsidentinnen. Kaum vorstellbar, dass die – genau so wie die eingeladenen Gruppen aus der Zivilgesellschaft – dies in ihrer Freizeit, ehrenamtlich und auf eigene Kosten unternehmen. Echte Waffenungleichheit also.

 

Maximale Intransparenz praktizieren.

Obwohl potentiell alle davon betroffen sind oder sein können ist der 79 Seiten lange Gesetzentwurf ist für die allermeisten Menschen im Land unlesbar bzw. völlig unverständlich. Denn darin wird lediglich aufgelistet, welche einzelnen Wörter oder Sätze sich gegenüber dem derzeit gültigen Landespolizeigesetz (NdsSOG) ändern. Ein verständniserzeugendes Lesen im Gesamtkontext der Paragraphen wird so unmöglich gemacht.

Es gibt eine oder mehrere innerhalb des Landtags erarbeitete, also aus Steuergeldern bezahlte Synposen. Synopsen sind tabellenförmige Gegenüberstellungen der gesamten Paragraphenabsätze des alten und neuen Polizeigesetzes. Aber diese Dokumente werden trotz mehrfachens Nachfragens seitens des Innenministeriums und seitens der Fraktionen gegenüber der Öffentlichkeit unter Verschluss gehalten (siehe hier und hier).

Lediglich und immerhin die Synpose einer älteren Fassung des NPOG-Gesetzentwurfs wurde im Januar 2018 geleakt. Aus dieser hervorgehend erarbeiten freiheitsfoo und Digitalcourage Braunschweig in mühevoller Arbeit eine solche Synopse zum aktuellen Gesetzentwurf, die überhaupt erst die Möglichkeit schafft zu verstehen, welche Änderungen im Detail überhaupt geplant sind.

Wer sich als normaler interessierter Bürger die Landtags-„Debatte“ der ersten NPOG-Lesung am 17. Mai anschauen bzw. anhören wollte, wurde auf eine vom NDR verwaltete Live-Stream-Seite geleitet, wobei die Live-Stream-Übertragung nicht oder zumindest nicht auf einigen, durchaus gängigen Computerbetriebssystemen funktionierte, das Plenum also nicht verfolgbar ist. Na gut, dann halt die Aufzeichnung anschauen? Pech gehabt: Das geht auch nicht – Aufzeichnungen der Plenarsitzungen existieren zwar, sind aber hartnäckiger Nachfrage zufolge nur für die Mitglieder des Landtags abrufbar und ansehbar

 

Sachliche Auseinandersetzungen verhindern.

Bislang hielt der Innenausschuss die ihm zugesendeten Stellungnahmen der dazu Eingeladenen explizit unter Verschluss. (Wir haben im Dezember 2016 eine Petition in den Landtag eingebracht, die das ändern soll … und die bislang unbeantwortet geblieben ist.) Deshalb gab es zunächst Freude darüber, dass in der Einladung der Landtagsverwaltung an die zur NPOG-Innenausschuss-Anhörung zu lesen war:

„Die Ausschussmitglieder wären Ihnen dankbar, wenn Sie ihnen zur Vorbereitung auf die Anhörung Ihre Stellungnahme bereits vorab schriftlich zur Verfügung stellen würden. (…) Ferner ist nicht auszuschließen, dass sich Medienvertreterinnen oder -vertreter und Bürgerinnen und Bürger für Ihre schriftliche Stellungnahme interessieren. Sollte ich von Ihnen keine gegenteilige Nachricht erhalten, gehe ich davon aus, dass Sie mit einer Weitergabe Ihrer Stellungnahme an interessierte Dritte einverstanden sind.“

Doch als unsere Redaktion dementsprechend vor einigen Tagen um die Übersendung der bislang eingegangenen schriftlichen Stellungnahmen bat, erhielten wir – und auch das erst nach einem „Missverständnis“ unserer Frage und weiterem Nachhaken dazu – ernüchternd folgendes als Antwort:

„Die Anforderung der Stellungnahmen durch die Landtagsverwaltung im Vorfeld einer mündlichen Anhörung dient der Vorbereitung der Ausschussmitglieder. Mit der Abgabe der Stellungnahme wird den Anzuhörenden Gelegenheit gegeben, die eigene Auffassung zum Beratungsgegenstand darzustellen.
Eine Herausgabe der Stellungnahmen vor der Anhörung könnte unter Umständen Einfluss auf den Inhalt der mündlich vorgetragenen Stellungnahmen haben. Mit der Anhörung verfolgt der Ausschuss in erster Linie das Ziel, die Positionen der Anhörungsteilnehmer zu erfahren – und nicht, dass sich die Anzuhörenden mit der Argumentation der anderen Vortragenden auseinandersetzen. Daher ist entschieden worden, die Stellungnahmen erst nach der Durchführung der Anhörung an Interessenvertreterinnen und -vertreter zu versenden.

Diese Klandestinität bewerten wir wie folgt:

Offenbar hat die Verwaltung oder auf sie einwirkende politische Kräfte Angst vor einem offenen Austausch von Argumenten für und wider dem NPOG-E!

Wie anders ist zu verstehen, dass man kein Aufeinander-Eingehen auf Argumente, also einen sachlichen Streit in der Sache zulassen möchte?

Zudem:

In gewisser Hinsicht ist das zudem eine krasse Bevormundung und Entmündigung derjenigen, die schriftliche Stellungnahmen abgeben. Man traut ihnen nicht zu, dass sie sich auf die Kraft eigener Argumente verlassen. Man traut ihnen ebenso wenig zu, sich auf die Darstellung einer eigenen Sichtweise konzentrieren könnten. Eine paternalistischer Landtag, der den Sachkundigen ihre Selbstbestimmung und Selbständigkeit beschneidet.

Ach ja, und dann auch das noch:

Die CDU Niedersachsen antwortet auf eine Frage zur Bedeutung von Moscheekontrollen im Zuge des NPOG-E trotz mehrfachen Nachhakens einfach gar nicht. Das Sich-Stumm-Stellen ist ebenfalls eine Möglichkeit, eine sachliche öffentliche Diskussion zu verhindern und zeugt nicht von Fairness.

 

Inhaltliche Nebelkerzen zünden.

Wer die Fernsehberichterstattung zur ersten Anhörung des NPOG verfolgt erhält den Eindruck, als streite man sich im Parlament hauptsächlich um die Frage, ob und in welchem Umfang man mittels des neuen Polizeigesetzes das öffentliche Trinken von Bier und Wein untersagen wolle.

Und die Nachrichten der in Hannover monopolhaft tätigen Tageszeitung übernehmen den Slogan „Alles nur gegen islamischen Terrorismus“ ohne auch nur die geringste Spur kritischen Blicks auf das, was sich hinter dieser falsche Assoziationen vortäuschenden Worthülse im Detail versteckt (siehe dazu die freiheitsfoo-Stellungnahme oder auch die Übersicht über alles das, was gesetzlich als Terrorismus verstanden werden soll oder bereits wird).

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