Das neue niedersächsische Polizeigesetz: SPD und CDU erklären uns (nicht), was alles zukünftig unter „Terrorismus“ verstanden wird [UPDATE!]

Wie definiert man eigentlich „Terrorismus“?

Nach Meinung der rot-schwarzen Landesregierung in Niedersachsen ist (unter anderem!) alles das eine „terroristische Straftat“, was einen der folgenden Straftatbestände des Strafgesetzbuches (StGB) erfüllt (nachzulesen im Entwurf des neuen Polizeigesetzes für Niedersachsen, der Nummer 14 im § 2 NPOG-E):

  • § 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
  • § 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
  • § 89c Terrorismusfinanzierung
  • § 129a Bildung terroristischer Vereinigungen
  • § 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung
  • § 211 Mord
  • § 212 Totschlag
  • § 223 Körperverletzung(, die einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden zufügt)
  • § 226 Schwere Körperverletzung
  • § 239a Erpresserischer Menschenraub
  • § 239b Geiselnahme
  • § 303b Computersabotage
  • § 305 Zerstörung von Bauwerken
  • § 305a Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel
  • § 306 Brandstiftung
  • § 306a Schwere Brandstiftung
  • § 306b Besonders schwere Brandstiftung
  • § 306c Brandstiftung mit Todesfolge
  • § 307 Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie
  • § 308 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion
  • § 309 Mißbrauch ionisierender Strahlen
  • § 313 Herbeiführen einer Überschwemmung
  • § 314 Gemeingefährliche Vergiftung
  • § 315 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr
  • § 316b Störung öffentlicher Betriebe
  • § 316c Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr
  • § 317 (1) Störung von Telekommunikationsanlagen
  • § 330a Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften

Nicht, dass das alles nicht schlimme Verbrechen wären oder sein können.

Aber warum werden beispielsweise die Ermordung eines Menschen, die „Computersabotage“ oder eine Brandstiftung pauschal und grundsätzlich als Terrorismus gewertet? (Und warum die Verstümmelung weiblicher Genitalien – um nur ein weiteres Beispiel aus dem großen StGB-Katalog zu nennen – nicht?)

Eine mögliche Erklärung liegt auf der Hand: Es ist leicht, neue, äußerst drastische und mit einem Paradigmenwechsel der Polizeiarbeit (neu: das Verfolgen von Gedankenverbrechen, also lediglich im Kopf durchgespielten, aber gar nicht umgesetzten Straftaten) versehene neue Polizeigesetze öffentlich durchzusetzen, wenn Sie grobkörnig mit der Verfolgung von Terrorismus begründet werden, ohne der Öffentlichkeit zugleich vor Augen zu führen, was der Gesetzgeber unter diesem offensichtlich sehr dehnbaren Begriff künftig meint alles verstehen zu dürfen …

Bleibt nur noch daran zu erinnern, dass die von der Polizei gesehene oder konstruierte „konkrete Wahrscheinlichkeit“ (was auch immer das überhaupt sein mag!) zur Planung oder zum Begehen einer dieser Straftaten in Niedersachsen zukünftig genügen soll, um mit drastischen Unterdrückungs- und Einschüchterungsmaßnahmen bis hin zu 74 Tagen Gefängnis (Neusprech: „Präventivhaft“) konfrontiert werden zu können.

 

[UPDATE 29.6.2018]

Leider haben wir es im vorhergehenden Blogbeitrag nicht geschafft, die tatsächlichen Neuerungen und Entwicklungen in der gesetzlichen Begrifflichkeit bzw. im polizeilich-gesetzlichen Verständnis von „Terrorismus“ zu erkennen und herauszuarbeiten.

Deswegen ergänzen wir den Blogbeitrag hier um eine uns zugegangene Zurechtstellung, die die Entwicklung genauer und korrekt beschreibt:

„Entscheidend am neuen NPOG ist der folgende Zusatz:

„… bei Begehung im In- und Ausland, wenn diese Straftat dazu bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates, eines Landes oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat, ein Land oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann;“

Das ist eine schwammige Regelung. Aber auch bisher schon war die Liste an Straftaten die als terroristisch verfolgt werden konnte lang, und so etwas wie Brandstiftung oder Störung öffentlicher Betriebe (häufig z.B. bei den Protesten gegen Atomenergie mittels Schienenankettungen) auch darunter. Dieser Paragraph wurde bislang weitgehend für Ermittlungen benutzt, weil die Polizei in diesem Zusammenhang auch bisher schon mehr Befugnisse hatte (allerdings da nur bei Verdacht auf begangene Straftaten), seltener zur Verurteilung (das sieht im Kontext des § 129 b StGB jedoch schon wieder anders aus). Auch da wird aber ähnliches gefordert mit Einschüchterung oder erheblicher Schädigung des Staats. Das ist der Teil, bei dem die Polizeien und Staatsanwaltschaften in realen Verfahren Schwierigkeiten hatten das nachzuweisen.

[So beispielsweise im Zusammenhang mit der sog. „militanten gruppe“: Die Beschuldigungen fielen größtenteils in sich zusammen, mindestens ein Mensch wurde sogar völlig unschuldig als Terrorist beschuldigt und entsprechend brutal behandelt (auch seine Familie!). Andere Beschuldigte wurden lediglich wegen Brandstiftung verurteilt: es gab „keinen hinreichenden Tatverdacht“ und der Bundesgerichtshof bewertete die maßlosen Überwachungsmaßnahmen der Bundesanwaltschaft als „rechtswidrig“ – auch handele es sich bei der gruppe um gar keine terroristische Organisation!]

Die Definition zum Terrorismus hat sich also im Vergleich zum Status Quo nicht besonders verändert, sondern stimmt weitgehend überein mit der im Strafgesetzbuch (zur Bildung einer terroristischen Vereinigung). Das macht die Sache allerdings auch nicht besser.

Aber:

Der entscheidendende Unterschied ist jetzt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft kein Gericht mehr brauchen, welches die Vorwürfe der Polizei einem gerichtlichen Verfahren Beschuldigten-Rechten beweist (und den Beschuldigten Rechte zur Verteidigung einräumt!), sondern dass die polizeiliche Einschätzungen völlig reichen, um das ganze Repertoire an Repression, Überwachung und ggf. Gefangennahme abzuspulen! Eigener Erfahrung nach sind die polizeilichen Jura-Einschätzungen meistens ziemlicher Nonsens und wenig stichhaltig.

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