Rot-grüne Änderungspläne für das Niedersächsische Versammlungsgesetz: Lange verhandelt, wenig Substanz. Stellungnahme vom freiheitsfoo an den Nds. Innenausschuss veröffentlicht

demonstrant-traurig03Zu einer Bewertung der Initiative „Versammlungsfreiheit für Niedersachsen“ der von SPD und Bündnis90/Die Grünen vorgeschlagenen Änderungen am Niedersächsischen Versammlungsgesetz (NVersG) hatten wir bereits berichtet.

Das freiheitsfoo wurde seitens des Innenausschusses im Niedersächsischen Landtag freundlicherweise dazu eingeladen, eine Stellungnahme zu den Gesetzänderungsvorschlägen zu erstellen und in die innerparlamentarische Diskussion einzubringen. Diese haben wir nun fristgerecht fertiggestellt und eingereicht und veröffentlichen Sie nachfolgend im vollen Wortlaut:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir danken für die Einladung zur schriftlichen Stellungnahme zu den geplanten Gesetzesänderung am NversG. Und wir bedauern zugleich, dass – soweit uns bekannt – kein einziger Vertreter der Initiative „Versammlungsfreiheit in Niedersachsen“ zur frühzeitigen Beratung, ja noch nicht einmal für die nachträgliche Anhörung eingeladen worden ist. Dieses Bündnis vertritt wie sonst niemand eine Reihe von Gruppen und Personen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten äußerst viel Demonstrationspraxis vereinen. Diese Initiative ist die Bündelung relevanter zivilgesellschaftlicher Stimmen aus Niedersachsen zur Praxis der Versammlungsfreiheit, breit und vielfältig zusammengesetzt.

Um diesen Mißstand der Nicht-Einladung der in der Initiative vereinigten Bürgerinitiativen und der Nicht-Hörung dieser Stimmen abzuhelfen, hängt unserer eigenen Stellungnahme zur Ergänzung und mit der freundlichen Bitte um Kenntnisnahme auch noch die Stellungnahme der Initiative „Versammlungsfreiheit für Niedersachsen“ vom 21.9.2016 an.

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Nun zu unserer eigenen Sicht der Dinge zu den vorgeschlagenen Änderungen am Niedersächsischen Versammlungsgesetz (NVersG), wie in LT-DS 17/6233 vorgesehen:

Es ist zu dem Thema bereits alles wesentliche gesagt und geschrieben worden – und zwar schon vor einiger Zeit, nämlich in den Jahren 2009-2010, als die Verabschiedung und (Nicht-)Diskussion des NVersG, seinerzeit verantwortet durch die CDU-FDP-Landesregierung, vonstatten gegangen ist.

Somit verweisen wir inhaltlich auf einen aus dem Dezember 2009 stammenden Informations-Flyer der hannoverschen Ortsgruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, die u.a. Ausgangspunkt für unsere Initiative freiheitsfoo gewesen ist. Diesen Flyer hängen wir ebenfalls diesem Schreiben an und bitten um Kenntnisnahme.

Nach dieser Vorbemerkung und mit Blick auf die in den vergangenen fünf bis sechs Jahren gesammelten Erfahrungen mit der Praxis der Demonstrations- und Meinungsfreiheit in Niedersachsen unter dem NVersG kommen wir zu folgendem Schluß und zu folgender Haltung:

Wir lehnen das NVersG grundsätzlich ab.

Das Niedersächsische Versammlungsgesetz ist nicht menschen- und nicht bürgerfreundlich.

Das NVersG hat zur zunehmenden Zersplitterung des Versammlungsrechts in Deutschland beigetragen.

Und weiter: Das NVersG atmet bürokratischen Geist und obrikeitsstaatliches Denken, das einer demokratisch verfassten Gesellschaft unwürdig ist.

Die hier zur Debatte stehenden Änderungen würden das nur unwesentlich ändern. Eine Reihe der (wenigen) vorgeschlagenen Änderungen am NVersG sind Makulatur oder verschlimmbessern die derzeitige Situation sogar noch. Dazu verweisen wir auf die angehängte Stellungnahme der Initiative „Versammlungsfreiheit für Niedersachsen“, die das im Einzelnen beschreibt.

Ebenso möchten wir zur Erweiterung des Horizonts auf die Äußerungen der jetzt in Regierungsverantwortung befindlichen SPD und Grünen zum Thema aus Ihrer Oppositionszeit verweisen, dokumentiert für die SPD hier und nachzulesen für die Bündnis90/Die Grünen in deren eigener Veröffentlichung hier. Inwieweit diese beiden Parteien nun Ihren eigenen (Oppositions)Ansprüchen genügen oder nicht, vermag jeder neutrale Beobachter des parteipolitischen Spiels selber zu beurteilen.

In den vergangenen Jahren haben wir von freiheitsfoo eine Reihe von Demonstrationen in Niedersachsen aufmerksam beobachtet, den Vorlauf samt Kooperationsgesprächen und Verhandlungen mit Versammlungsbehörde und Polizei aktiv und passiv begleitet und zusammen mit dem Ablauf von Protesten verschiedenster Art dokumentiert und veröffentlicht.

Exemplarisch genannt sei hier – bei Interesse an unserer Arbeit – die ausführliche Begleitung von Demonstrationen am 4.4.2016 in Hannover. (Anmerkung in eigener Sache: Eine Presseanfrage der Redaktion freiheitsfoo.de an die Polizeidirektion Hannover vom 21.4.2016 diesbezüglich ist bis heute – sieben Monate später – noch immer nicht beantwortet worden. Man bittet uns noch um Geduld und Rücksicht für die Priorität anderer Arbeiten …)

Das Ergebnis unserer Demonstrationsbegleitungs-Praxis ist eine lange Reihe von mitunter schlechten, zum Teil bedrückenden Erfahrungen und Erlebnissen, deren Umfang und Vielfältigkeit den Rahmen einer Stellungnahme sprengen würde. Gerne können wir Ihnen bei Interesse dazu mündlich ausführlich Rede und Antwort stehen.

Unser Resumée dieser Praxisjahre und unsere Haltung in Bezug auf die geplanten Änderungen am NVersG:

Die Änderungen sorgen keine grundlegende, wesentliche Verbesserung der Lage des Menschenrechts auf freie, friedliche Versammlung in Niedersachsen.

Deswegen gibt es für uns nur die Option,

  1. das Projekt NVersG gänzlich zu beenden,
  2. sich zunächst kurzfristig auf die Regelungen des zuvor bundesweit gültigen VersG zurückzuziehen (und dass das anders als von den NVersG-Befürwortern immer wieder behauptet worden ist alles andere als ein Problem ist beweisen die vielen Bundesländer, die sich seit der Föderalismusreform aus 2006 kein eigenes Länder-Versammlungsgesetz zugelegt haben) und schließlich
  3. sich dafür einzusetzen, das Versammlungsgesetz mittel- bis langfristig gänzlich obsolet werden zu lassen und den Bürgern das Vertrauen zu schenken, das die Verfasser des Grundgesetzes nach dem Desaster Nazi-Deutschlands und des Zweiten Weltkriegs in den Neubeginn Deutschlands gesetzt haben, als sie den Artikel 8 des Grundgesetzes verfasst haben.

Wir gehen davon aus, dass eine Reihe der diese Stellungnahme lesenden Menschen mit Unverständnis auf diese dann vielleicht radikal erscheinenden Forderungen reagieren werden. Wir raten diesen Menschen mit Willen zum Verstehen-Wollen um die Aufnahme von Gesprächen mit Personen und Gruppen, die unter dem NVersG tatsächlich Versammlungen anmelden und leiten. Oder zu einem ernstgemeinten Selbstversuch unter realistischen Bedingungen. Nur wer selber mit der Versammlungs-Bürokratie in Berührung gekommen ist und diese erfahren musste kann nachvollziehen, warum wir unsere Haltung in der dargelegten Weise einnehmen.

Proteste gegen Castor-Transporte, 27.11.2011, Wendland: Polizeibeamte filmen widerrechtlich, weil anlaßlos, die Gefangenen der Freiluft-Massen-Ingewahrsamsstelle (Polizei-Kessel) bei Harlingen

Proteste gegen Castor-Transporte, 27.11.2011, Wendland: Polizeibeamte filmen widerrechtlich, weil anlaßlos, die Gefangenen der Freiluft-Massen-Ingewahrsamsstelle (Polizei-Kessel) bei Harlingen

Proteste gegen Castor-Transporte, 27.11.2011, Wendland: Schmerzgriffe durch Polizisten an friedlichen, nicht miteinander verhakten Sitzblockierenden.

Proteste gegen Castor-Transporte, 27.11.2011, Wendland: Schmerzgriffe durch Polizisten an friedlichen, nicht miteinander verhakten Sitzblockierenden.

Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf, 1.8.2015: Schmerzgriff durch Polizisten an friedlichem Sitzblockierenden

Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf, 1.8.2015: Schmerzgriff durch Polizisten an friedlichem Sitzblockierenden

Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf, 1.8.2015: Sitzblockierender wird kopfüber über Pflastersteine schleifend weggetragen.

Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf, 1.8.2015: Sitzblockierender wird kopfüber über Pflastersteine schleifend weggetragen.

Proteste gegen Pegida-Aufmarsch in Hannover, 4.4.2016: Illegale anlaßlose Identitätskontrollen von potentiellen Demonstranten, polizeiliche Anordnung dazu erst am Tage des Protestes erlassen, ohne Inkenntnissetzung oder Besprechung mit dem Demoanmelder – Ist das die vielzitierte Kooperationsbereitschaft seitens der Polizeibehörden?

Proteste gegen Pegida-Aufmarsch in Hannover, 4.4.2016: Illegale anlaßlose Identitätskontrollen von potentiellen Demonstranten, polizeiliche Anordnung dazu erst am Tage des Protestes erlassen, ohne Inkenntnissetzung oder Besprechung mit dem Demoanmelder – Ist das die vielzitierte Kooperationsbereitschaft seitens der Polizeibehörden?

Proteste gegen Pegida-Aufmarsch in Hannover, 4.4.2016: Auf Passanten einschüchternd wirkender Polizeiblock vor, seitlich und hinter der Versammlung – Ist das die „Staatsferne“ von der der Brokdorf-Beschluss spricht?

Proteste gegen Pegida-Aufmarsch in Hannover, 4.4.2016: Auf Passanten einschüchternd wirkender Polizeiblock vor, seitlich und hinter der Versammlung – Ist das die „Staatsferne“ von der der Brokdorf-Beschluss spricht?

Proteste gegen den Abriß eines Sport-Gebäudes in Hannover am 8.4.2016: Polizei riegelt die Spontanversammlung ab und verhindert – verfassungswidrigerweise – den Zugang zu der friedlich verlaufenden Versammlung.

Proteste gegen den Abriß eines Sport-Gebäudes in Hannover am 8.4.2016: Polizei riegelt die Spontanversammlung ab und verhindert – verfassungswidrigerweise – den Zugang zu der friedlich verlaufenden Versammlung.

Proteste gegen den Abriß eines Sport-Gebäudes in Hannover am 8.4.2016: Polizei riegelt die Spontanversammlung ab und verhindert – verfassungswidrigerweise – den Zugang zu der friedlich verlaufenden Versammlung.

Proteste gegen den Abriß eines Sport-Gebäudes in Hannover am 8.4.2016: Polizei riegelt die Spontanversammlung ab und verhindert – verfassungswidrigerweise – den Zugang zu der friedlich verlaufenden Versammlung.

 

Der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist sozusagen die Magna Charta der deutschen Versammlungsrechtsprechung. Wir gehen davon aus, dass dieses Urteil jedem Mitglied des Innenausschusses geläufig ist, wenn es – wie in diesem Verfahren – über eine Veränderung der gesetzlichen Grundlagen für die Beschränkung dieses Grundrechts geht.

Dennoch: Die wichtigsten Abschnitte dieses Beschlusses wurde vor wenigen Jahren in sog. „einfache Sprache“ übertragen und wir möchten unsere Stellungnahme mit der Zitierung dieser Version des Brokdorf-Beschlusses schließen:

 

Der Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985 in leichter Sprache

Worum geht es?

In Schleswig-Holstein sollte ein Atom-Kraft-Werk gebaut werden. Viele Menschen haben sich deswegen große Sorgen gemacht. Sie wollten das nicht. Sie haben oft demonstriert.

Eine besonders große Demonstration im Jahr 1981 wurde verboten. Die Menschen haben trotzdem protestiert. Wegen des Verbotes sind einige Menschen zum Gericht gegangen. Sie wollten wissen, ob das Verbot der Demonstration gerecht war.

Im Jahr 1985 gab es dazu einen Gerichts-Prozess. Das Gerichts-Verfahren fand vor dem Bundes-Verfassungs-Gericht statt. Das Bundes-Verfassungs-Gericht in Karlsruhe ist das höchste Gericht in Deutschland.

Das Atom-Kraft-Werk steht in der Nähe eines Ortes mit dem Namen „Brokdorf“. Darum heißt das Urteil des Gerichtes „Brokdorf-Beschluss“.

Wir haben einige Teile des Brokdorf-Beschlusses in leichte Sprache übertragen. Das sind aber nur ein paar Aus-Schnitte aus dem viel längeren Gerichts-Urteil.

Abschnitt 61 des Brokdorf-Beschlusses: Die Kläger haben Recht: Das Verbot der Demonstration war un-recht.

In diesem Gerichts-Prozess haben sich Menschen beschwert, sie seien in ihrer Freiheit zu Demonstrieren behindert worden. Es geht dabei um die Versammlungs-Freiheit.

Eine Versammlung ist ein Treffen von Menschen, die anderen Menschen etwas mitteilen möchten. Eine Demonstration ist eine Versammlung. Ein Protest oder eine Mahn-Wache sind auch eine Versammlung. Im Artikel Nummer 8 unseres Grund-Gesetzes steht, was man unter Versammlungs-Freiheit versteht:

Der Artikel 8 des Grund-Gesetzes:
Alle Deutschen haben das Recht, sich zu treffen und zu protestieren. Dazu muss man sich nicht anmelden. Sie dürfen aber nur friedlich und ohne Waffen demonstrieren.
Für Demonstrationen im Freien darf man ein besonderes Gesetz erlassen. Dieses Gesetz darf Regeln für eine solche Demonstration aufstellen.

Das Gericht urteilt:

Der Vorwurf stimmt!

Die Versammlungs-Freiheit der Klagenden wurde zu sehr behindert!

Die Versammlungs-Freiheit sollen alle Menschen haben. Das steht im Artikel 8 des Grund-Gesetzes.

Versammlungs-Freiheit ist wichtig, damit sich die Menschen austauschen können. Sie hilft den Menschen, sich zu entfalten. Die Versammlungs-Freiheit gilt aber nicht nur dann, wenn sich Menschen unterhalten oder diskutieren. Sie gilt immer, wenn mehrere Menschen ihre Meinung sagen.

Es ist den Menschen überlassen, wie sie das tun. Die Versammlungs-Freiheit gilt auch, wenn die Menschen dabei gar nicht reden, sondern plakativ Stellung beziehen. Plakativ bedeutet hier z.B. das Ausdrücken der Meinung mit Bildern, Liedern oder Theater. Die Menschen sollen dabei besonders geschützt und unterstützt werden, wenn sie als Gruppe ihre Meinung ausdrücken wollen.

Abschnitt 62 des Brokdorf-Beschlusses: Über die Wichtigkeit Versammlungs-Freiheit.

Das Recht auf Versammlungs-Freiheit ist ein Grund-Recht.

Ein Grund-Recht ist ein besonders wichtiges Recht. Mit dem Grund-Recht auf Versammlungs-Freiheit können sich die Menschen öffentlich äußern. Besonders Minderheiten sind durch Grund-Rechte geschützt.

Die Menschen dürfen zum Beispiel selber bestimmen, wo sie demonstrieren. Sie dürfen selber entscheiden, wann sie demonstrieren. Die Menschen dürfen sich aussuchen, wie sie demonstrieren. Über den Inhalt der Demonstration bestimmen nur sie selber.

Niemand darf gezwungen werden, an einer Demonstration teilzunehmen. Niemand darf an der Teilnahme an einer Demonstration gehindert werden. Jeder Mensch darf sich ohne Anmeldung mit anderen Menschen treffen und mit diesen demonstrieren.

Diese Versammlungs-Freiheit steht für Unabhängigkeit und Selbst-Bestimmtheit der Menschen. Staatliche Behörden müssen sich aus Demonstrationen so weit wie möglich heraus halten.

Abschnitt 64 des Brokdorf-Beschlusses: Meinungs-Freiheit und Versammlungs-Freiheit sind wichtig für die Menschen. Die Sorge vor Missbrauch der Versammlungs-Freiheit darf nicht im Vordergrund stehen.

Jeder Mensch hat das Recht auf freie Rede. Er darf seine Meinung ungehindert sagen. Er darf seine Meinung ungehindert aufschreiben. Er darf seine Meinung auch auf andere Art und Weise ausdrücken. Das alles nennt man Meinungs-Freiheit (Artikel 5 GG).

Meinungs-Freiheit ist wie die Versammlungs-Freiheit ein Grund-Recht. Ohne Meinungs-Freiheit gibt es keine Demokratie. Meinungs-Freiheit ist ein Menschen-Recht. Sie steht jedem Menschen zu.

Seine Meinung zu sagen ist Teil der menschlichen Persönlichkeit. Erst durch Meinungs-Freiheit entstehen demokratische Gesellschaften. Meinungs-Austausch und Diskussionen sind wichtig für eine Demokratie.

Versammlungs-Freiheit ist die praktizierte Meinungs-Freiheit von mehreren Menschen zusammen. Demonstrationen sind eine Form von praktizierter Versammlungs-Freiheit. Durch das Demonstrieren äußern die Demonstranten ihre Überzeugungen. Demonstrieren lässt die Menschen sich entfalten.

Durch das Demonstrieren bezeugen die Demonstranten ihre Überzeugungen. Dazu begeben sie sich in die Öffentlichkeit. Die Art des Auftretens der Demonstranten ist Teil der gemeinsamen Meinung-Äußerung. Der Umgang der Demonstranten untereinander ist Teil der gemeinsamen Meinungs-Äußerung. Und die Wahl des Demonstrations-Ortes ist Teil der Meinungs-Äußerung.

Es besteht die Möglichkeit, dass Menschen die Versammlungs-Freiheit missbrauchen. Auf Demonstrationen soll man nicht andere Menschen zu Straftaten aufwiegeln. Demonstrationen bieten Raum zum Ausdruck von Gefühlen, Sorgen und Ängsten. Auf Demonstrationen soll man aber nicht gegen andere aufhetzen oder missbräuchlich mit Gefühlen anderer spielen. Man darf nicht gewalttätig werden.

Die Sorge vor dem Missbrauch einer Demonstration darf die Versammlungs-Freiheit aber nicht grundsätzlich beeinträchtigen. Auch Meinungs-Freiheit darf man aus Angst vor Missbrauch nicht grundsätzlich beeinträchtigen. Und auch die Freiheit der Presse darf man aus Angst vor Missbrauch nicht grundsätzlich beeinträchtigen.

Abschnitt 65 des Brokdorf-Beschlusses: Versammlungs-Freiheit ist wichtig für die Gesellschaft und ihre Weiter-Entwicklung. Der Staat soll sich aus Demonstrationen möglichst heraus halten.

Die Versammlungs-Freiheit hat eine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist wichtig für die Willens-Bildung in einer Demokratie. Vor vielen Jahren hat das Bundes-Verfassungs-Gericht ein Urteil gefällt, in dem es um das Verbot einer Partei ging. Das Gericht hat gesagt:

Eine Gesellschaft ist eine zusammen lebende Gruppe von Menschen. Ein Staat ist eine Organisationsform einer Gesellschaft. Die Verhältnisse in einer Gesellschaft hängen von ihrer Geschichte ab. Die Verhältnisse in einer Gesellschaft hängen von ihrer vorherigen Entwicklung ab.

Diese Verhältnisse können und sollten immer weiter verbessert werden. Die Menschen in der Gesellschaft müssen gemeinsam über die Verbesserungen nachdenken. Dazu müssen sie einen gemeinsamen Willen entwickeln. Diesen Prozess nennt man Willens-Bildung.

Die Menschen in einer Gesellschaft entscheiden sich für einen gemeinsamen Weg. Manchmal führt das zu einer Verbesserung der Verhältnisse. Aber manchmal verschlechtern sich die Verhältnisse dadurch. Dann wird ein besserer Weg gesucht. Diesen Prozess nennt man „trial and error“. „Trial and error“ ist englisch und heißt auf deutsch: „Versuch und Irrtum“.

Zur Willens-Entscheidung einer Gesellschaft gehören Diskussionen. Zur Willens-Entscheidung gehören gegenseitige Kontrolle und Kritik.

In einer Gesellschaft von vielen Menschen gibt es viele verschiedene Kräfte. Manche Gruppen von Menschen haben besonders viel Einfluss auf die Gesellschaft. Andere Gruppen von Menschen oder Einzelne haben weniger Einfluss.

Das Bundes-Verfassungs-Gericht sagt:

Die Menschen einer Gesellschaft sollen zusammen einen gemeinsamen Willen bilden. Die Willens-Bildung darf aber nicht nur von den Staats-Organen bestimmt werden.

Der Bundestag ist ein Staats-Organ. Ein Ministerium und eine Behörde sind Staats-Organe. Bundeskanzler, Bundespräsident die Regierung und das Bundes-Verfassungs-Gericht sind auch Staats-Organe.

Bei der Willens-Bildung einer Gesellschaft sollen diese Staats-Organe auf die Menschen in der Gesellschaft hören.

Die Menschen dürfen die Bundesregierung und den Bundestag wählen. Das reicht zur Willens-Bildung aber nicht aus.

Die Menschen sollen sich ständig in die Meinungs-Bildung einmischen. Aus der Bildung einer Meinung erwächst die Willens-Bildung.

Die Meinungs-Bildung muss frei sein. Die Meinungs-Bildung muss offen passieren. Die Meinungs-Bildung darf nicht durch Vorschriften oder Regeln beschränkt werden. Der Staat muss diese Meinungs-Bildung zulassen und Versammlungen müssen staats-frei sein. Das heißt: Die Staats-Organe müssen sich aus der Meinungs-Bildung durch Demonstrationen so weit wie möglich heraus halten.

Abschnitt 66 des Brokdorf-Beschlusses: Die Demonstration als ausgleichendes Mittel für die Ohnmächtigen.

Menschen beteiligen sich unterschiedlich stark an der gemeinsamen Meinungs-Bildung. Manche großen Verbände oder Vereine können großen Einfluss auf die Meinungs-Bildung ausüben.

Menschen mit viel Geld und große Zeitungen oder Fernsehsender können auch viel Einfluss haben. Nur wenige Menschen bekommen eine Gelegenheit zur Äußerung ihrer Meinung in Zeitung, Radio und Fernsehen.

Dem gegenüber erlebt sich ein einzelner Mensch als machtlos, hilflos und verloren. Er kann sich in Parteien und in Gruppen oder Vereinen engagieren. Dadurch kann er manchmal seine Meinung in die Diskussion einbringen. Aber nicht immer.

Um die Öffentlichkeit zu erreichen brauchen auch Gruppen und Vereine manchmal Demonstrationen. Und dem Einzelnen bleibt die Beteiligung an einer Demonstration. Oder er setzt eine Demonstration von sich aus in Gang.

Eine Demonstration ist die kollektive Nutzung der Versammlungs-Freiheit. Mit einer Demonstration nimmt man Einfluss.

Wenn die Versammlungs-Freiheit ernst genommen und durchgesetzt wird spricht man von un-behinderten Demonstrationen. Un-behinderte Demonstrationen helfen gegen Ohnmacht.

Schlechte Erfahrungen mit dem Staat und den Staats-Organen führen zu Verdrossenheit und Frust. Verdrossenheit und Frust können gefährliche Folgen bewirken. Un-behinderte Demonstrationen wirken gegen Staats-Verdrossenheit und Frust.

Deswegen ist die Versammlungs-Freiheit so wichtig.

Mit un-behinderten Demonstrationen kann Einfluss auf ansonsten un-gerechte Macht-Verhältnisse genommen werden.

Abschnitt 67 des Brokdorf-Beschlusses: Demonstrationen als wichtiges Gegen-Gewicht zur Über-Macht von Bürokratie und Staats-Organen. Demonstrationen stabilisieren die Demokratie.

Demonstrationen sind ein wichtiger Teil einer demokratischen Gesellschaft. Demonstration erzeugen in einer Gesellschaft Offenheit für Veränderungen. Demonstrationen beeinflussen politische Prozesse. Demonstrationen enthalten ein Stück ursprünglich-un-gebändigter Demokratie.

Demonstrationen können den Politik-Betrieb vor der Erstarrung in geschäftiger Routine bewahren.

Demonstrationen sind grundlegend für das Funktionieren einer Demokratie. Sie sind dafür unentbehrlich.

In einer Demokratie gilt einerseits das Mehrheits-Prinzip. Die Menschen wählen das Parlament. Im Parlament bildet sich eine Mehrheit. Diese Mehrheit bildet die gewählte Regierung. Das Parlament erlässt die im Staat für alle geltenden Gesetze. Die Regierung organisiert und bestimmt viele der Staats-Organe.

Die Staats-Organe und die Bürokratie haben viel Macht. Zwischen den Wahlen haben die Bürger nur noch wenig Einfluss. Minderheiten haben ebenfalls nur einen geringen Einfluss. Die Entscheidungen der Regierung und die Arbeit der Staats-Organe müssen für einen Schutz der Minderheiten sorgen.

Wenn die Entscheidungen der Regierung und das Tun der Staats-Organe von den Menschen nicht akzeptiert werden und die Menschen nicht kooperieren, sind sie wirkungslos.

Deswegen müssen Minderheiten auf Meinungs-Bildung und Willens-Bildung einen gewissen Einfluss ausüben können. Demonstrationen helfen dabei.

Mit Demonstrationen können die Menschen auf Fehler und auf schlechte Entscheidungen und Entwicklungen aufmerksam machen. Demonstrationen können Druck auf Regierung und Staats-Organe ausüben. Demonstrationen stabilisieren die Demokratie. Demonstrationen wirken wie ein politisches Früh-Warn-System. Demonstrationen zeigen Probleme und Störungen an. Demonstrationen machen Integrations-Defizite sichtbar. Demonstrationen machen eine Kurs-Korrektur der offiziellen Politik möglich.

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