Anfang dieses Jahres erhielten wir Hinweise auf Einsätze von Polizeidrohnen bei Fußballspielen in Hannover. Wir nahmen das als Anlaß, um eine Reihe von Fragen per Presseanfrage an die Polizeidirektion Hannover und das Niedersächsische Innenministerium zu senden, später auch noch an die Polizeiinspektion Braunschweig.
Während die Polizeien umgehend und weitgehend auf unsere Fragen eingingen verlangte uns die Beantwortung der Fragen aus dem Ministerium und dem dort für die Bearbeitung unserer Anfrage zuständigen Landespolizeipräsidium (LPP) eine Menge Geduld und Arbeit ab: Weit mehr als geschlagene zehn Wochen und neun (!) Anfragen, Nachfragen und Telefonanrufe bei der Behörde hat es gebraucht, um nun auch von dort unter der neuen sehr polizeifreundlichen Innenministerin Behrens Antworten auf unsere Fragen zu erhalten. Diese pressefeindliche Auskunftspraxis mag ihren Grund darin haben, dass das Ministerium – das sei schon mal vorab verraten – noch in diesem Monat ein Dutzend neue Polizeidrohnen anschaffen und so „alle Flächenbehörden“ des Landes mit diesen ausstatten will. Da haben wir unsere Anfrage also wohl unerwartet zu einen spannenden Zeitpunkt eingereicht und möglicherweise liegt das auskunftsunwillige Verhalten des Landespolizeipräsidiums (LPP) im Innenministerium darin begründet.
Wir haben mittels der vielen An- und Nachfragen einige interessante Informationen erhalten. Anfragen und Antworten sind – wie bei uns üblich – in vollem Umfang öffentlich im Wiki dokumentiert. Wir möchten der Einfachheit halber mit diesem Beitrag aber die uns am wichtigsten erscheinenden Informationen zusammenfassen und haben das wie folgt gegliedert:
1. Polizeidrohnen über Fußballfans: Von der Mode zur Regel
2. Polizeidrohnen in Niedersachsen: Entwicklung der Einsätze und bald flächendeckendes Vorhalten von Drohnen
3. Klagepotential: Ungenügende Kennzeichnung bei Drohneneinsätzen
Im Einzelnen und in Stichworten:
1. Polizeidrohnen über Fußballfans: Von der Mode zur Regel
Die Polizeidirektion Hannover (PDH) hat im Juli 2022 damit begonnen, bei ca. jedem zweiten Heimspiel von Hannover 96 eine Polizeidrohne einzusetzen. Die Polizei begründet das damit, dass die eingesetzte Drohne (Typ DJI Matrice 300) zuvor nicht verfügbar gewesen sei.
Auch die Polizeiinspektion Braunschweig (PIBS) setzt seit Mitte 2022 diese Drohne ein, wenn auch nicht so häufig wie die Hannoveraner Polizei.
Die Polizeidrohne wird von der Zentralen Polizeidirektion (ZPD) zur Verfügung gestellt.
Drohnenüberwacht werden Ankunft und Abfahrt von Fußballfans. Im Stadion wird keine Drohne eingesetzt.
In Hannover startet die Drohne vom Dach des benachbarten Landeskriminalamt (LKA).
In Braunschweig startet und landet die Polizeidrohne nördlich des Parkplatzes P4.
Die Polizeidrohne fliegt jeweils Einsätze von ca. 20 bis 30 Minuten Zeitdauer.
Die Drohne fliegt (nach Angaben der Polizei!) in einer Höhe von 30 bis 40m, nicht über Menschen und bleibt in Sichtweite des fernsteuernden Drohnenpiloten.
Die Kamera besitzt keine Audio-Aufnahmefähigkeit, erzeugt Bilder in HD-Qualität und besitzt einen 20fach optischen sowie 10fach digitalen Zoom. Die Kamera kann auch Thermalbilder darstellen.
Auf den Drohneneinsatz wird seitens der Polizei dadurch hingewiesen, dass der Drohnenpilot (mutmasslich in Hannover ebenfalls auf dem Dach des LKA befindlich) eine Warnweste mit der Aufschrift „Luftbildaufnahme“ trägt und auf einem Polizei-Lautsprecherwagen Magnetschilder „Polizei – Drohneneinsatz“ angebracht werden.
Die Polizei Hannover führt eigenen Angaben zufolge einen Drohneneinsatz durch und begründet diesen, wenn „zu erwarten war, dass in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit diesem Fußballspiel (innerer und räumlicher Zusammenhang) Straftaten und nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen werden“ und wenn die Polizeidrohne deswegen „insbesondere zur Gefahrenermittlung (veranstaltungstypische Gefahren), aber auch zur Aufklärung an bereits erkannten Gefahrenorten [eingesetzt] und schließlich [] mit dem UAS-Pol eine Beweissicherung und Dokumentation bis hin zur Fahndung nach flüchtigen Tätern erreicht werden [kann].„
Nachgefragt, wie häufig mittels und dank der Polizeidrohne bislang
a) eine erfolgreiche Beweissicherung ermöglicht wurde,
b) eine konkret erfolgreich die Fahndung nach flüchtigen Tätern erreicht wurde,
c) wie oft und welche konkreten Gefahren bislang ermittelt wurde und
d) welcherlei konkrete „Aufklärung an bereits erkannten Gefahrenorten“ ermöglicht wurde
antwortet uns die Polizei Hanonver unisono: „Wir bitten um Verständnis, dass wir dazu aus einsatztaktischen Gründen keine Angaben machen.“ Auf weitere Nachfragen dazu teilt man uns mit, dass man zum Teil keine Zahlen dafür vorliegen habe und dass „die Benennung konkreter Gefahrenorte (…) die Gefahr [berge], dass sich potenzielle Tatverdächtige daran bei der Planung bzw. Durchführung von Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten orientieren. Diese würde sowohl den störungsfreien Verlauf der Einsatzanlässe als auch die Einsatztaktik der Polizei gefährden.“ Das ist für uns nicht oder nur beschränkt nachvollziehbar.
2. Polizeidrohnen in Niedersachsen: Entwicklung der Einsätze und bald flächendeckendes Vorhalten von Drohnen
Aktuell werden die Polizeidrohnen Niedersachsens von der Zentralen Polizeidirektion Hannover (ZPD) bereitgestellt und inbetriebgehalten.
Derzeit hat die ZPD sechs funktionsfähige Drohnen der Typen DJI Matrice 300, DJI Matrice 210, DJI Mavic 2 sowie Yuneec Typhoon 520 zur Verfügung.
Das bedeutet, dass einige vormals noch eingesetzte Drohnen (Stand 02/2021) nicht mehr genutzt werden ausgemustert worden sind. Das sind im Einzelnen: 1x Microdrones MD 4-200 (Beschaffungskosten: 40.000€), 1x DJI F550 (Beschaffungskosten: 3.000€), 1x DJI F450 plus 1x F550 (Beschaffungskosten: 723,52€) sowie 1x Yuneec H-520 (Beschaffungskosten: 1065€).
Die Anzahl der jeweiligen Drohnentypen beziffert das Innenministerium trotz Nachfrage nicht, vermutlich gibt es aber mindestens zwei DJI M 300, weil eine dieser Drohnen im Zuge eines Projekts PI Harburg zusammen mit der Universität Würzburg und dem Zentrum für Telematik im Rahmen des Verbundprojektes „Autonome Unfalldokumentation (AutoDok)“ mit der Drohnengestützten Aufnahme von Verkehrsunfällen überlassen worden ist und diese dann zur Überwachung der Fußballfans nicht zur Verfügung gestanden hätte. Aber das ist nur eine Vermutung.
Der Anzahl der Drohneneinsätze hat in den vergangenen fünf Jahren stark zugenommen (siehe Grafik). Von 3 Einsätzen in 2018 bis zu 104 Einsätzen in 2022.
Noch in diesem Monat (Mai 2023) schafft das Innenministerium weitere 12 Drohnen an: „Die Polizei Niedersachsen plant alle Flächenbehörden mit ULS auszustatten.“ Was das genau bedeutet, welche Drohnentypen angeschafft werden und welche „Flächenbehörden“ mit jeweils wie vielen Polizeidrohnen ausgerüstet werden, das hat uns das Innenministerium bislang trotz Fristsetzung leider noch nicht beantwortet. Wenn die Antwortzeiten wie bei der letzten Presseanfrage liegen, können wir vielleicht im Juli 2023 mit Antworten rechnen …
Dieser Drohnen-Großeinkauf der niedersächsischen Polizei ist – unserem Kenntnisstand zufolge – bislang weder öffentlich noch parlamentarisch diskutiert oder behandelt worden.
Eine DJI Matrice 300 kostet rund 12.000€. Das zusätzliche Wärmebild-Kamerasystem DJI H20T kostet ca. 10.000€. Das ist das vermutlich das aktuell eingesetzte Kameramodell bei der Überwachung der Fußballfans. Ein Kameramodul vom Typ DJI Z30 (ohne Wärmebildfunktion) würde vermutlich grob 3.000€ kosten.
3. Klagepotential: Ungenügende Kennzeichnung bei Drohneneinsätzen
Beim Einsatz der Polizeidrohne zur Überwachung von Fußballfan-An- und Abreise gilt folgende Rechtsgrundlage aus dem umstrittenen Niedersächsischen Polizeigesetz:
„Die Polizei kann eine Person, bei der Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie bei oder im Zusammenhang mit einer öffentlichen Veranstaltung oder Ansammlung, die nicht dem Niedersächsischen Versammlungsgesetz unterliegt, eine Straftat oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeit begehen wird, bei oder im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung oder Ansammlung mittels Bildübertragung offen beobachten, um die Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu verhüten, und von dieser Person zu diesem Zweck Bild- und Tonaufzeichnungen (Aufzeichnungen) offen anfertigen. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. Die Maßnahme ist kenntlich zu machen.“
§32 (1) NPOG
Von einer „offenen Beobachtung“ kann im Zusammenhang mit dem Einsatz einer Polizei-Kamera-Drohne nicht grundsätzlich gesprochen werden. Mindestens aber ist eine Kennzeichnung, wie von der Polizei beschrieben (zum einen an der Weste eines Drohnenpiloten, der weit entfernt auf dem Dach eines Gebäudes steht und zum anderen an einem einzelnen Polizei-Lautsprecherwagen), ungenügend.
Ungenügend, weil die Beschriftung des Lautsprecherwagens inhaltlich nicht ausreichend und eindeutig ist und noch viel ungenügender, weil diese Kennzeichnung nicht rechtzeitig von den Menschen wahrgenommen werden kann und sie dann schon potentiell längst von dem Kameraauge der Drohne erfasst worden sind und diese Leute also faktisch keine Wahl haben, sich der Polizeibeobachtung zu entziehen, indem sie bspw. einen anderen Weg nehmen, wenn ihnen das lieber ist. Genau diese freie Wahl zu haben soll aber (u.a.) Sinn der Beschilderung von Videoüberwachung sein.
Es dürfte eine Frage der Zeit sein, bis die Polizei entweder ihre Kennzeichnungspraxis den gesetzlichen Vorgaben anpasst oder aber ein Gericht mit dieser Frage beschäftigt wird.
Grundsätzlich ist die Frage zu klären, ob und inwieweit der Einsatz von Drohnen im Zuge von Versammlungen zulässig ist oder nicht. Ein nach Angaben der Polizei bestehendes „Landeskonzept zum Einsatz von ULS“ sähe keinen Einsatz von Drohnen bei Demonstrationen vor – sagt das Innenministerium. Was das für ein Dokument ist wurde uns bislang von der Behörde trotz Fristsetzung nicht offenbart.
Es ist anzunehmen, dass sich dieses Konzept zur Frage von Einsätzen von Polizeidrohnen bei Protesten und Demonstrationen einfach ausschweigt anstelle sie zu negieren. Denn zum einen kann auch die Anreise von Fußballfans zu einem Fußballspiel unter bestimmten Bedingungen als Versammlung interpretiert werden und zum anderen hat sich die niedersächsische Polizei bislang keinen guten Ruf in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Transparenz zum Einsatz von Polizeidrohnen bei Demos erworben. Als Beispiele seien die Einsätze von Drohnen am 7./8.11.2010 im Wendland und am 4.8.2012 in Bad Nenndorf genannt.