Vom „Recht auf Megaphon“ bei 1-Person-Demos bzw. bei der Meinungskundgabe Einzelner

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Bild: Screenshot aus einem Videoclip der
Aktionskünstlergruppe „Everything is OK“

Ausgangspunkt dieses Blogbeitrags war der Telefonanruf eines Menschen, der aus großer persönlicher Betroffenheit alleine vor einer Behörde seine Meinung kundtut und protestiert, in diesem Sinne also „demonstriert“. Weil ein einzelner Mensch allerdings im Sinne des Artikel 8 des Grundgesetzes, der die Versammlungsfreiheit postuliert, nicht als Versammlung gilt, ist dieser Protest auch nicht wie eine Versammlung im formellen Sinne geschützt. Dementsprechend wurde und wird dem Betroffenen das Protestieren seitens Behörde und Polizei so schwierig bis unmöglich gemacht – i.e. verboten – soweit es den Stellen jeweils irgend möglich ist … oder möglich scheint.

So ging es in dem Fall unter anderem um die Frage, ob ein*e Protestierende*r ein Megaphon nutzen darf, um ihrem/seinem Anliegen Gehör zu verschaffen.

Aus unserer Sicht darf es kein generelles Megaphon-Verbot geben, wenn man auch die Art und den Umfang seiner Benutzung im Einzelfall bei Betrachtung der konkreten Umstände und des örtlichen Umfelds maßvoll beschränken darf. So ist es sicherlich ein Unterschied, ob ein Megaphon in einer Fußgängerzone, vor einem Altenheim, neben einer vielbefahrenen Straße, in einem Industriegebiet, tags oder nachts eingesetzt wird. Wichtig dürfte auch noch die Frage sein, ob man das Megaphon fünf Minuten, eine Stunde oder gar einen ganzen Tag lang einsetzt.

Doch die Polizei meinte die Megaphon-Nutzung pauschal verbieten zu dürfen und drohte der betroffenen Person entsprechend mit Beschlagnahme des Geräts.

Auf Schilderung der Sache auf unserer Mailingliste und der Nachfrage, wie andere Leute dort die Rechtslage bewerten würden schrieb dort ein Mensch folgendes – und das möchten wir im Sinne aller Betroffenen und Interessierten gerne mit diesem Blogbeitrag teilen. Es sind aus unserer Sicht wichtige und hilfreiche Gedanken und Informationen:

 

Es ist richtig, dass eine Versammlung nach bekannte Gerichtsentscheidungen erst ab 2 Personen gilt. Wenn eine Einzelperson ihre Meinung kundtut, hat sie jedoch noch mehr Freiheiten als Menschen welche an einer Versammlung teilnehmen. Die eine Einzelperson kann jederzeit ohne jegliche Voranmeldung ihre Meinung kundtun.

Diese Person darf auch laut sein. Diese Person darf auch an mindestens den gleichen Orten ihre Meinung kundtun wie Menschen, die eine Versammlung anmelden. In der aktuellen Pandemie hat eine Einzelperson riesige Vorteile, da das Gericht nicht von einer Gefährdung aufgrund einer Versammlung von mehreren Personen ausgehen kann.

Mit eine der wichtigsten Entscheidungen zu 1-Person-Demonstrationen ist folgende: Bundesverfassungsgericht: 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91

Das Thema war: Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen strafgerichtliche Verurteilungen wegen Beleidigung der Bundeswehr und einzelner Soldaten durch Äußerungen wie „Soldaten sind Mörder“ oder „Soldaten sind potentielle Mörder“.

Darin entschied das Bundesverfassungsgericht folgendes:

Geschützt ist ferner die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun. Er darf dafür auch diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Meinung nicht begründet oder als „richtig“ geprüft werden können muss (BVerfGE 42, 163).

Unerheblich ist, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (BVerfGE 61, 1).

Selbst einen kommerziellen Charakter darf die Meinung haben solange die Meinung einen wertenden, meinungsbildenden Charakter hat (BVerfGE 71, 162).

PRAXIS:

Die Einzelperson darf auch mit hohe Lautstärke auf sich aufmerksam machen. Dabei ist zu beachten, dass einfach nur Krach keine Meinung darstellt.
Gegendemonstrationen sind grundsätzlich rechtlich niedriger angeordnet als die Demonstration, gegen welche sie sich richten. Insbesondere die Nutzung von z.B. Vuvuzelas, um Reden der Hauptdemonstration unmöglich zu machen ist keine Gegenmeinung und sollte unterlassen werden.

Anders herum sieht es aber aus, wenn z.B. gar keine Demonstration stattfindet. Ein Politiker kann durch z.B. eine Vuvuzela für einige Minuten in dessen Rede unterbrochen und gestört werden.

In der Regel ist die Polizei zuständig. Wenn das Ordnungsamt wegen Ruhestörung erscheint, dann direkt mitteilen, dass sie nicht zuständig sind.

Wenn die Polizei erscheint, mitteilen, dass es sich hierbei nicht um eine Versammlung gemäß Art. 8 GG handelt sondern um eine Meinungsäußerung gemäß Art. 5 GG. Auch mitteilen, dass die hier geäußerte Meinung „außenwirksam“ sei. Dies ist für ein späteres Gerichtsverfahren ggf. wichtig.

Es ist ebenfalls aus juristischer Sicht empfehlenswert, dass der Mensch regelmäßig während der Meinungsäußerung, wenn sich interessierte Menschen nähern das Megafon abnimmt und z.B. auf ein DIN-A4 Blatt verweist, auf dem er ausführlich seine Meinung ruhig begründet hat.

Aber Achtung: Menschen, die stehen bleiben, die sich das anhören und sich so motiviert fühlen, dass sie anfangen mit zu demonstrieren, solche Menschen führen unverzüglich zu einer nicht angemeldeten Versammlung (2 Personen) und damit verbundene Strafen. Da kommt ihr nur noch raus, wenn der hinzu gekommene Mensch plötzlich wirklich viel Mut beweist und dieser Mensch dann gegenüber der Polizei äußert, dass er selbst hiermit eine Spontan-Demo veranstaltet [bzw. dass es sich um eine Spontanversammlung handelt – Anmerkung der Redaktion], die sich an der soeben von der Einzelperson geäußerten Meinung entzündet/entwickelt hat. Die ursprüngliche Einzelperson darf unter keinen Umständen bei der neuen Spontan-Demo als versammlungsleitende Person auftreten.

Abschließend noch:

Weder § 13 des Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) noch § 17 NPOG können von den Polizisten angewandt werden. Denn beide setzen eine Gefahr voraus.

Aus der Fachliteratur unter Zeichen JA 2020, 677:

„Etwaige Lärmbelästigungen durch die Demonstranten begründen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die über die dargestellte Gefahr für die öffentliche Sicherheit hinausgeht, ist nicht ersichtlich.“

Und auf Nachfrage auf der Liste, um was für Gefahren und Strafen es sich handeln könnte:

Zur Frage „welche Gefahren an „Strafen“ siehst du konkret…“:

Hier zuerst ein Beispiel für 2 Personen = Versammlung:

VGH Mannheim, Urteil vom 25.04.2007 – 1 S 2828/06
1. Bereits zwei Personen können eine Versammlung im verfassungs- und versammlungsrechtlichen Sinne bilden. (amtlicher Leitsatz)

Was am 15.04.2021 geschrieben wurde ist ebenfalls passend: https://freiheitsfoo.de/2021/04/15/neue-polizeiinterpretation-spontandemo/

Denn wie geschrieben ist es aus der Praxis empfehlenswert für die außenwirksame Meinungsäußerung gemäß Art. 5 GG auch etwas vorbereitet zu haben.
Wenn eine Person plötzlich anfängt außenwirksam mitzumachen, führt dies dazu, dass das eine Versammlung wird. Es gibt dazu wirklich Gerichtsurteile, wo exakt eine weitere Person spontan angefangen hat mit zu machen und somit daraus eine Versammlung wurde. Finde die Rechtssache auf Anhieb nicht wieder.
Es gibt bekanntermaßen die drei Formen der „zulässigen“ Versammlung:

  • Reguläre, angemeldet [meistens, abhängig vom Landesversammlungsgesetz – Anmerkung der Redation] mindestens 48 Stunden zuvor
  • Eilversammlung, angemeldet unterhalb von 48 Stunden (keine Mindestfrist)
  • Spontanversammlung (keine Anmeldung)

Eilversammlung und Spontanversammlung bedürfen beide eines Eilgrundes, welcher sich innerhalb der letzten 48 Stunden erst ergeben hat. Eilversammlungen sind in der Regel vorbereitet. Dazu zählen also auch Schilder und sonstiges Material. Spontanversammlungen finden „sofort“ und ohne Vorbereitung statt.

Daraus abgeleitet auf die Situation ergibt sich, dass entweder die Person welche gemäß Art. 5 GG ihre Meinung vorher kundgetan hat plötzlich aufgrund der zweiten Person eine Eilversammlung anmelden muss. Dabei muss sie beweisen, dass sie nichts dafür konnte, dass sich da eine Person dazu gestellt habe und somit das nicht früher hätte anmelden können (§ 15 StGB in Verbindung mit § 26 VersammlG). Oder aber sie hat irgendwie nachweisbar sicher zu stellen, dass Sie mit den vorbereiteten Sachen nur eine Grundlage für eine Spontanversammlung dargestellt hat. Dies ist aber ebenfalls kritisch, denn Spontanversammlungen für längst vergangene Sachen sind in der Regel kein Grund sich spontan ohne Anmeldung sich zu versammeln. Es zählt grundsätzlich nicht der Zeitpunkt an dem ein Mensch etwas mitbekommt.
Beispiel zwecks Verständnis: Sonst fangen noch die Leute an Karfreitag an aufgrund eines angeblichen ( https://de.wikipedia.org/wiki/Karfreitag#cite_note-2 ) Mordes vor ca ein paar Tausend Jahren von dem sie jedoch erst am diesen Tag zum ersten mal etwas davon gehört haben sich ohne Anmeldung zu versammeln.
Spontanversammlungen sind schließlich unmittelbare Reaktionen auf aktuelle Ereignisse.
Dazu empfehlenswert ist die Rechtskommentierung zu § 1 VersammlG von Erbs/Kohlhaas, Randnummern 27 bis 32.

In Ridder/Breitbach/Deiseroth zu § 1 VersammlG, 2 Auflage 2020, Randnummer 43 wird auch etwas genauer auf die Landesgesetze eingegangen.

Zitat:

„In den Landesversammlungsgesetzen werden die Eil- und die Spontanversammlung legal definiert: Als „Eilversammlung“ gilt dort eine Versammlung, deren Anlass sich kurzfristig ergibt (Art. 13 Abs. 3 BayVersG) bzw. deren Zweck durch die Einhaltung der Frist gefährdet würde (§ 5 Abs. 4 NVersG, § 14 Abs. 3 SächsVersG, § 12 Abs. 1 VersG LSA, § 11 Abs. 5 VersFG SH). Die „Spontanversammlung“ wird in einigen Landesgesetzen mit Bezug auf den objektiv bestimmbaren Zweck bestimmt als eine Versammlung, die sich aus einem unmittelbaren bzw. aktuellen Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt (Art. 13 Abs. 4 BayVersG, § 12 Abs. 1 VersG LSA). In anderen Landesgesetzen kommt es auf den kurzfristigen Zeitpunkt des Entschlusses (§ 11 Abs. 6 VersFG SH) bzw. der Bekanntgabe der Versammlung (§ 5 Abs. 5 NVersG, § 14 Abs. 4 SächsVersG) an.“

Denn bei Eil- und die Spontanversammlung droht nämlich: BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 9.7.2019 – 1 BvR 1257/19

Und damit die Beantwortung der Frage: Die Strafen ergeben sich aus § 26 VersammlG und die Strafe ergibt sich aus der Anwendung von § 38 Abs. 2 StGB oder § 40 StGB.

Daher der grundsätzliche Praxistipp: Außenstehende Menschen darum bitten, nicht spontan mitzumachen sondern ggf. irgendwelche Kontaktmöglichkeiten austauschen und anschließend zusammen etwas veranstalten.

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