freiheitsfoo-Stellungnahme an den Landtag Saarland zu den geplanten neuen Polizeigesetzen: Schwere Grundrechtseinschränkungen für Verdächtige und Gedankenverbrecher, Videoüberwachung ohne Ende, Polizeientscheidungen auf Basis von Computerberechnungen und Algorithmen und ohne menschliche Kontrollinstanz, Staatstrojaner und Lauschangriffe auf Journalisten. Geht’s noch?

Der Innenausschuss des Landtags Saarland hat das freiheitsfoo zur Abgabe einer Stellungnahme für die geplanten neuen Polizeigesetze aufgefordert. Dazu hatten wir bereits im Vorfeld eine Gegenüberstellung der alten zu den neuen Regelungen („Synopse“) erstellt, um diese Gesetzgebung etwas verständlicher und transparenter zu machen. Eine Arbeit, die der Landtag bzw. die schwarz-rote Landesregierung nicht leisten wollte, die aber überhaupt erst ersichtlich und verständlich macht, was mit dem Gesetzesvorhaben konkret beabsichtigt wird.

Nun haben wir die 35 Seiten bzw. inklusive aller Anhänge sogar 226 Seiten starke Stellungnahme fertiggestellt, dem Landtag nach Saarbrücken übermittelt und veröffentlichen sie hiermit:

https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/20200503-freiheitsfoo-Stellungnahme-neue-Polizeigesetze-Saarland-LTDS-16-1180-final-anon.pdf

Am kommenden Donnerstag soll der Innenausschuss des saarländischen Landtags mittels Videokonferenz über den Gesetzentwurf beraten. Vermutlich wird das freiheitsfoo auch daran teilnehmen.

Soweit uns bekannt wurden neben uns u.a. auch noch zur Stellungnahme aufgefordert und eingeladen:

  • LKT (Landkreistag Saarland)
  • SSGT (Saarländischer Städte- und Gemeindetag)
  • BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter)
  • DPolG (Deutsche Polizeigewerkschaft)
  • Unabhängiges Datenschutzzentrum Saarland
  • Fachhochschule für Verwaltung Saarland
  • LPP – Landespolizeipräsidium
  • HWR – Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
  • DAV – Deutscher Anwaltverein
  • ai – Amnesty International
  • CCC – Chaos Computer Club

Eine vollständige Liste aller Eingeladenen will oder darf uns die Landtagsverwaltung nicht beauskunften. Bemerkenswert ist auch, dass einige der Eingeladenen bereits in den Entstehungsprozess des Gesetzentwurfs eingebunden worden sind. Bei dieser Vorzugsbehandlung blieben die Gruppen aus der Zivilgesellschaft allerdings allesamt außen vor.

Die inhaltliche Kritik am Gesetzentwurf ist so umfangreich wie schwerwiegend:

Auch im Saarland soll ein Paradigmenwechsel der Arbeit der Landespolizei, das heißt ihrer Stellung im gesellschaftlichen Gefüge eingeläutet werden. Denn zukünftig darf die saarländische Polizei schon dann einige schwere Grundrechtseingriffe an den Menschen vornehmen, wenn sie tatsachenbasiert lediglich „annimmt“ oder „das individuelle Verhalten dieser Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet“, dass diese Menschen (als Objekte der polizeilichen und polizeiinternen Betrachtung und Bewertung) über die Begehung einer (jeweils bestimmten) Straftat nachsinnen.

Zu diesen Maßnahmen können u.a. zählen:

  • Platzverweise
  • Wohnungsverweise
  • Aufenthaltsverbote
  • Kontaktverbote (!)
  • Elektronische Fußfessel
  • Aufenthaltsgebote (ein euphemistischer Ausdruck für Gefängnis-Zonen im eigenen Heim oder öffentlichen Raum)
  • Observation (verdeckte Beobachtung)
  • verdeckte Videoüberwachung
  • Lauschangriff (Abhören und Aufzeichnen des privat gesprochenen Wortes)
  • Einsatz von bezahlten Informanten und Polizeispitzeln und -spionen
  • Funkzellen- und Bestandsdatenabfragen samt Geo-Positionsdaten, soweit verfügbar
  • Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) samt Staatstrojaner (Software-Verwanzung von Smartphones und Computern)

Damit ist zugleich ein Teil der Neuerungen an technischen Mitteln und Befugnissen für die Polizei im Saarland beschrieben. Das ist aber nicht alles:

Die Zulässigkeit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum soll großzügig bis ins theoretisch (fast) flächendeckende ausgedehnt werden, der Einsatz von BodyCams auch in privaten Wohnungen zulässig sein und ein heimliches („verdecktes“) Scanning von Auto-Kennzeichen wird neu eingeführt. Ein eigener Paragraph ermöglicht/erlaubt zukünftig zudem unter bestimmten Bedingungen rein algorithmenbasierte Entscheidungen mittels Computern/IT-Systemen und ohne menschliches Zutun selbst dann, wenn diese zu einer „nachteiligen Rechtsfolge“ oder zu einer „erheblichen Beeinträchtigung“ für einen Menschen führen kann. Klingt wie dystopische Science-Fiction, ist es aber leider nicht.

Neben dem allen (und noch mehr hier in der Kürze unerwähnten) fiel uns eine besonders heimtückische, weil auf den ersten Blick in ihren Folgen schwer identifizierbare Formulierung im § 41 SPolDVG, einem der beiden neuen Polizeigesetze für das Saarland, auf:

In diesem Paragraphen geht es u.a. um den Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen. Doch für Journalist*innen, Ärzt*innen und Beratungsstellen soll dieser Schutz zukünftig nur noch eingeschränkt gelten. Der Privatsphären- und Telekommunikationsschutz dieser Berufsgruppen soll im Zuge einer „Abwägung“ eingeschränkt werden können. Journalisten und Journalistinnen können sich also im Saarland zukünftig nicht mehr grundsätzlich sicher sein, dass ihre Arbeit und ihre (Tele-)Kommunikation nicht doch von der Polizei abgehört oder mitgeschnitten wird. Das dürfte schwerwiegende Folgen für die Kultur kritischer Medienberichterstattung haben, wenn zum Beispiel im Zuge sensibler Recherchen Whistleblower aus nachvollziehbar guten Gründen vielleicht lieber kein Risiko für ihr Leben und ihre Zukunft mehr eingehen möchten, indem sie sich vertrauensvoll ein eine*n Journalist*in wenden.

Dass das Saarland bereits Ende letzten Jahres den flächendeckenden Einsatz von Taser-Elektroschockern für alle Streifenpolizisten angekündigt hat rundet das fatale Bild des scheinbar sicherheitsfanatischen kleinen Bundeslandes unter einer CDU-SPD-Groko dann nur noch treffend ab.

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