Demonstrationen gegen den „AfD“-Bundesparteitag: Polizei spricht von „weitgehend friedlichem Verlauf“ und einzelner Anwendung „unmittelbaren Zwangs“ – wir sprechen von Schikanisierung von Versammlungsteilnehmenden und unnötiger wie unverhältnismäßiger Polizeigewalt an Protestierenden

Ein Polizist versetzt einem Demonstranten einen Faustschlag ins Gesicht.

Am vergangenen Wochenende fand in Braunschweig ein Bundesparteitag der „AfD“ statt. Zugleich eine Reihe von Protesten und Demonstrationen dagegen. Wir haben – neben vielen anderen! – am Samstag, den 30.11.2019 eine punktuelle Demonstrationsbeobachtung durchgeführt und stellen fest:

  1. Die Polizei Braunschweig hat Versammlungsteilnehmer ohne Rechtsgrundlage schikaniert und einzuschüchtern versucht.
  2. Die Einsatzleitung hat bei einer Straßenblockade von der Anwendung milderer, strategisch klügerer Alternativen abgesehen und der Anwendung unnötiger, aber dafür heftiger Polizeigewalt den Vorzug gegeben.

Im Folgenden untermauern wir beide Behauptungen, die im Gegensatz zu dem stehen, was die Polizei in der von ihr kolportierten Berichterstattung an die Medien zu vermitteln versucht:

 

Die Polizei Braunschweig hat Versammlungsteilnehmer ohne Rechtsgrundlage schikaniert und einzuschüchtern versucht.

Standort: https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.24907&mlon=10.51541#map=18/52.24907/10.51541

Uhrzeit: ca. 6:10 – 6:50 Uhr

Ohne erkennbaren Grund kontrolliert eine Kolonne von vier Polizeifahrzeugen (3. Hundertschaft der Polizeidirektion Braunschweig) zwei Fahrzeuge mit anreisenden Demonstranten. Deren Verhalten ist ruhig, zurückhaltend, passiv. Die Anreisenden werden in Gewahrsam genommen. Deren Autos werden von der Polizei durchsucht, Transparente gesichtet und zensierend betrachtet. Dann müssen sich alle Versammlungsanreisenden einzeln ausweisen, es erfolgt also eine Identitätsfeststellung. Sie werden genau so durchsucht wie ihre Taschen und Rucksäcke. Anschließend fahren die Polizisten ohne ein weiteres Wort fort und lassen die Erfassten zurück.

Ein Polizist begutachtet die von den Demonstranten mitgebrachten Transparente

In unserer Demonstrationsbeobachtung wurden wir stark behindert. Angaben zu der verantwortlichen Stelle der Polizei für diese Maßnahme sowie Dienstnummer des Einsatzleiters wurden nur äußerst widerwillig mitgeteilt. Die Polizeibeamten waren uns gegenüber sehr unfreundlich. Eine Rechtsgrundlage für die gesamte Polizeiaktion wollte oder konnte uns der Einsatzleiter nicht mitteilen.

Kein Wunder, denn diese Identitätsfeststellung war klar rechtswidrig!

Den Betroffenen gegenüber teilten die Polizisten mit, der Grund für Durchsuchung, Ingewahrsamsnahme und Identitätsfeststellung wäre zum ein „unkooperatives Verhalten“ zu Beginn der Polizeimaßnahme gewesen. Etwas, was offensichtlich erstunken und erlogen ist – so jedenfalls unsere Beobachtung und Bewertung dieser Unterstellung. Zum anderen wurde den Betroffenen vorgeworfen, „einer Organisation anzugehören“ – dabei verwies der Polizist auf eine Transparent mit dem antifaschistischen Fahnen-Banner. Auch diese „Begründung“ ist unserer Bewertung nach blanker Unsinn.

Wir konstatieren: Anreisende zu einer angemeldeten Versammlung wurden vierzig Minuten daran gehindert, rechtzeitig zur Versammlung zu kommen. Sie wurden demütigend und unfreundlich behandelt. Eine Rechtsgrundlage für Durchsuchung, Ingewahrsamsnahme und Identitätsfeststellung war nicht existent. Unsere Demonstrationsbeobachtung wurde stark behindert.

 

Die Einsatzleitung hat bei einer Straßenblockade von der Anwendung milderer, strategisch klügerer Alternativen abgesehen und der Anwendung unnötiger, aber dafür heftiger Polizeigewalt den Vorzug gegeben.

Standort: https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.25239&mlon=10.51896#map=18/52.25239/10.51896 und https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.25419&mlon=10.52027#map=18/52.25419/10.52027

Uhrzeit: ca. 7:30 – 10 Uhr

Sitzblockade auf der Theodor-Heuß-Straße.

An dieser Stelle auf der Theodor-Heuss-Straße blockierten einige wenige Hundert Menschen friedlich die Straße. Die Polizei kündigte zunächst mit Verweis auf Freihalten der Rettungswege den Einsatz von „unmittelbaren Zwang“ an, falls die Blockierer nicht wenigstens eine Straßenhälfte freimachen würden. „Es wird schmerzhaft!“ verlautete der Polizei-Lautsprecher. Also räumten Polizeibeamte und -beamtinnen unter Einsatz von Faustschlägen, Halsverrenkungen, Armverdrehungen und Schmerzgriffen zunächst den Bürgersteig auf der östlichen Seite der Straße. Ansinnen war hier wohl eher, den zu Fuß dort anreisenden „AfD“-Parteitagsbesuchern den Zugang zu erleichtern bzw. zu ermöglichen.

„Ingewahrsamsnahme“ einer blockierenden Person. Man beachte die Positionen und Krafteinwirkungen der Polizeihände, die einen Bruch des linken Arms des Demonstranten befürchten lassen.

Als offensichtlich wurde, dass die Demonstration Rettungsfahrzeugen gegenüber durchaus bereit war, Durchlass zu gewähren (zwei ohne Blaulicht fahrenden Feuerwehr-Personenkraftwagen wurde seitens der Blockierenden anstandslos eine Gasse gebildet) konnte die Polizei die Rettungsgassen-Begründung nicht weiter aufrecht erhalten und ließ die Blockade als Spontandemonstration gewähren.

Zeitgleich kam es in dem direkt angrenzenden Park südlich der Volkswagen-Halle zu ebenfalls gewalttätigen Ausschreitungen durch die Polizei. Einige wenige Demonstranten (grob zwischen zehn und dreißig Personen) versuchten dort immer wieder, den „AfD“-Besuchern den Weg zum Bundesparteitag zu blockieren. Es ging hierbei nicht um Angriffe auf die Besucher, sondern um eine Blockade. Anstelle diese Protestierenden einzukesseln setzte die Polizei auch hier auf Polizeigewalt, wie oben beschrieben.

Ein Polizist schubst einen Demonstranten in Richtung Oker (Fluß).

Einigen einzelnen Polizeibeamten (BFE-Einheiten) war eine besondere Aggression gegenüber den Demonstranten anzumerken: Es gab Faustschläge ins Gesicht, Schmerzgriffe und fast wären Demonstranten von einem besonders brutal auftretenden Polizisten in die Oker geschubst worden. Andere Polizeibeamte (selbst innerhalb der BFE-Einheiten) waren besonnener. Es wurde offenbar, dass ein Großteil der Polizeigewalt überflüssig war und einer persönlichen Haltung einzelner Beamter geschuldet war. Im späteren Verlauf kesselten Polizeibeamte einen Teil der Blockierer an dieser Stelle ein. Das unterbrach die sich wiederholende Polizeigewalt bei jedem und jeder neuen „AfD“-Besucher*in. Eine sachliche oder rechtliche Bewertung der Ingewahrsamsnahme soll das jedoch nicht bedeuten.

„Genickschubsen oder -knacken“ als eine offensichtlich gut eingespielte Variante von Polizeigewalt.

Und ja: Es gab – zum Teil heftige – Provokationen und verbale Beleidigungen aus der Demo heraus. Diese richteten sich vorwiegend und zunächst den anreisenden „AfD“-Parteitagsbesuchern. Später – nach dem rüden Vorgehen der Polizei – auch den Polizisten. Den Einsatz von Polizeigewalt kann das alles allerdings nicht rechtfertigen.

Insgesamt standen die Proteste unter breiter Beobachtung auch durch die Presse. Dies hatte möglicherweise auch Einfluss auf das Verhalten der Polizei, wie ein von uns beobachteter Vorfall zeigt. Als im oben erwähnten Park eine Gruppe von Polizist*innen auf eine Gruppe von Demonstrierenden losgehen wollte, hielt einer der Polizisten die anderen unter Hinweis auf ein herannahendes Kamerateam der ARD („Das Erste“) zurück. Während uns der gewaltmindernde Einfluss von Öffentlichkeit freut, stimmt uns doch traurig, dass die Beobachtung von Polizeien und Geheimdiensten zur Wahrung der Grundrechte offenbar dringend notwendig ist.

Der (fast) verdeckt agierende Polizei-Kamerawagen.

Außerdem: Mindestens ein Polizei-Kamerawagen (H-ZD 604) videoüberwachte die Demonstration aus einiger Entfernung. Vermutlich war das längst nicht allen Demoteilnehmern bekannt und ersichtlich. Und die Videoüberwachung begann bereits, als es noch zu keinerlei Ausschreitungen gekommen war, war also mindestens bis zu diesem Zeitpunkt unzulässig. Ein weiterer, später hinzugekommener Polizei-Kamerawagen (H-ZD 476) ließ seine Kamera merkwürdigerweise nur knapp über Fahrzeugdachhöhe ausfahren. Ob beabsichtigt oder nicht: Dass sich dieses Fahrzeug damit den Demonstranten als in Betrieb befindliche Polizeikamera offenbarte wurde so effektiv be- wenn nicht verhindert.

Wir konstatieren: Es kam zu erheblicher Polizeigewalt, von der ein Großteil hätte vermieden werden können, wenn die Einsatzleitung taktisch klüger und besonnener vorgegangen wäre. Mildere Mittel waren vorhanden, wurden aber nicht oder erst viel zu spät angewendet. Eine Reihe einzelner Polizeibeamter schienen ein persönliches Anliegen gehabt zu haben, besonders gewalttätig mit Demonstranten umzugehen. Eine Spontandemonstration wurde erst spät als solche gewürdigt. Möglicherweise hat die starke Präsenz von Medien und Demobeobachter*innen weitere, schlimmere Polizeigewalt verhindert. Es fand eine zeitweise unzulässige Videoüberwachung der Demonstration statt.

Hinweis: Die hier und auf unserer Wiki-Seite veröffentlichten Bilder stellen nur einen Bruchteil der von uns erstellten Audio- und Video-Dokumentation dar. Das gesamte Material wurde inzwischen zur Verwendung in möglicherweise anstehenden Klagen an Anwälte übergeben.

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