Am Samstag, den 23.11.2019 fanden sich in Hannover gut 100 Menschen zu einer rechten Demonstration zusammen, die die Einschüchterung investigativ arbeitender Journalisten zum Ziele hatte. Mehrere Tausend Menschen demonstrierten an verschiedenen Orten und auf unterschiedliche Art und Weise dagegen.
Die Polizeidirektion Hannover – in der Landeshauptstadt bedauerlicherweise zugleich auch die Versammlungsbehörde – hatte auf öffentlichkeitswirksames Anraten des niedersächsischen Innenministers Pistorius hin am Abend des Tags zwei vor der Demonstration noch ein grundsätzliches Versammlungsverbot ausgesprochen. Sowohl vor dem Verwaltungsgericht Hannover als auch vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg wurde ihr darauf hin am darauffolgenden Tag die Rechtswidrigkeit dieser Verbotsverfügung attestiert. Eine herbe Schlappe, denn durch die politische Intervention aus dem Innenministerium wurde der Ruf der Unabhängigkeit der Versammlungsbehörde möglicherweise arg beschädigt.
Dieser Vorgang an sich weist die Besonderheit auf, dass sich die Polizei in ihrer Verbotsbegründung im wesentlichen auf die Verletzung des Pressefreiheits-Grundrechts bezogen und aus den Inhalten aus sozialen Medien eine tatsächliche Gefahr abzuleiten versucht hat. Ausdrücklich führte der Polizeipräsident Kluwe aus, dass man bzgl. der Verbotsbegründung mit „psychischer Gewalt“ argumentiere. In diesem Kontext wird eine spätere noch zu erfolgende, ausführlichere Auswertung Texte des Verbots und der Gerichtsbeschlüsse (hier z.B. der Beschluss des OVG Lüneburg) noch einmal spannend werden.
Am Demonstrationstag fuhr die Polizei viele hundert Polizeibeamte und -beamtinnen auf samt mindestens drei Wasserwerfern (WaWe10000, NI1-NI3), einem Schützenpanzer (der berüchtigte „Sonderwagen 4“ – NI1, bekannt und berüchtigt durch seinen Einsatz mit aufgesetztem Maschinengewehr in Berlin!), einigen Reiterschaften und Hundestaffeln, hunderte Meter Hamburger Gatter und vieles mehr auf, um die Proteste und Gegenproteste voneinander abzutrennen – und hatte dahingehend weitgehend Erfolg damit. Insofern konnte die vorherige Ankündigung aus Gewerkschaftskreisen, „den Rechten in Hannover keinen Meter zu geben“ nicht umgesetzt werden. Aber dafür gab es wirksameren Widerstand bzw. Protest im Kleinen (siehe unten).
Wir haben mit zwei Menschen vom freiheitsfoo die Versammlungen punktuell begleitet, beobachtet und dokumentiert und möchten nun im Nachgang auf einige uns wichtig erscheinende Erfahrungen und Punkte hinweisen:
- Missachtung unserers Demo-Beobachter-Status durch die Polizeidirektion Hannover
- Besorgniserregende Orientierung einiger Polizeikräfte mit Bezug auf den G20-Gipfel sowie Behinderung der Pressefreiheit durch die Polizei
- Drei Auszüge (samt Audios) aus den Redebeiträgen der Redner der NPD-Demo vor dem NDR-Funkhaus
- Erfolgreicher Protest I: Anwohner der NPD-Demostrecke sind kreativ
- Erfolgreicher Protest II: Ein Tröthorn stört die Kundgebung der NPD vor dem NDR-Funkhaus
- Erfolgreicher Protest III: Fünf Menschen (teil-)blockieren den Kundgebungsweg der NPD zum Aegi
- Polizeilich parteiliche Auslegung des Vermummungsverbots? Diskussion, Rechtsgrundlagen, Schlußfolgerungen
Aus unserer Sicht stellen sich darüber hinaus auch noch weitere, bislang ungeklärte Fragen:
- Hat die Versammlungsbehörde alle Möglichkeiten ausgeschöpft, nach den Gerichtsurteilen möglicherweise weitergehende Auflagen zu erteilen (z.B. die Beschränkung auf eine räumlich-stationäre Demo an einem Ort)?
- Hätte möglicherweise nicht eine*r der von der NPD namentlich diffamierten Journalist*innen die Chande gehabt, bis hin zum Bundesverfassungsgericht die Rechtsfragen, also die Zulässigkeit der NPD-Demo klären zu lassen? Falls ja: Fehlte es dazu an Unterstützung und wie kann man diese Menschen zukünftig besser unterstützen?
Aber nun zu unserer Berichterstattung im Einzelnen:
Missachtung unserers Demo-Beobachter-Status durch die Polizeidirektion Hannover
Die Bewachung der sich am Bismarckbahnhof in Hannover versammelnden NPD-Demoteilnehmer wurde durch die Polizeiinspektion Oldenburg – Stadt Ammerland durchgeführt und verantwortet.
Als wir uns dort ein Bild von der Situation machen wollten – zeitlich noch lange bevor die eigentliche Versammlung beginnen sollte – ließ uns die Polizeisperre nicht durch.
Wir verwiesen auf unsere Kennzeichnung als Demo-Beobachter und auf die Ankündigung unserer Demobeobachtung bei der Polizeidirektion Hannover vom 20.11.2019. Man erkundigte sich dazu beim Einsatzleiter – oder tat zumindest so – was aber nichts änderte: Der Einsatzleiter der Oldenburger Hundertschaft sei nicht über Demobeobachter informiert worden. Pressevertreter würde man durchlassen, uns aber nicht.
Diese Erfahrung wiederholte sich, als wir zu einem späteren Zeitpunkt im Bereich des Maschsees vor dem NDR-Funkhaus an einer Weiterfahrt gehindert wurden. Den dortigen Polizeieinheiten (dieses mal aus Nienburg/Weser stammend) war ebenfalls nicht mitgeteilt worden, dass Demobeobachter unterwegs seien und diese mit besonderen, auch von der OSZE bestätigten, Rechten ausgestattet sind.
Obwohl der NPD-Versammlungszug noch kilometerweit entfernt war wollte man an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Pressevertreter durchlassen. Erst auf unsere Intervention hin bei der Pressestelle der Polizei Hannover wurde – mit 1/2stündiger Verspätung – der Weg wenigstens für Pressevertreter freigegeben. Wenn die Verlautbarungen uns gegenüber stimmen, haben die – uns gegenüber unfreundlich auftretenden – Nienburger Einsatzkräfte auf eigenes Ermessen hin den Zugang der Presse gegenüber versperrt und mussten erst durch die Einsatzleitung der Polizei Hannover anders angewiesen werden, bis sie den Journalisten den Weg widerwillig freimachten.
Wir konstatieren: Die Polizeidirektion Hannover verweigert den Demobeobachtern die Durchsetzung ihrer von der OSZE zuerkannten Rechte und behindert unabhängige Demobeobachtungen massiv. Aus welchem Grund – darüber kann man nur spekulieren.
Besorgniserregende Orientierung einiger Polizeikräfte mit Bezug auf den G20-Gipfel sowie Behinderung der Pressefreiheit durch die Polizei
Bei einem Gespräch mit dem Einsatzleiter der PI Oldenburg – Stadt Ammerland am NPD-Demostartort (siehe oben) fiel uns auf, dass dieser auf dem linken Ärmel ein rundes Stickemblem „G20, Hamburg 2017“ – mit Klettbefesitung – trug. Wir fragten nach, ob wir das fotografieren dürften. Es entspann sich folgender Diskurs:
freiheitsfoo-Demobeobachter (fD): „Darf ich das Abzeichen an ihrem Ärmel fotografieren?“
Polizist (P): „Nein. Warum wollen sie das?“
fD: „Warum tragen sie das denn am Ärmel?“
P: „Wir waren mit dabei.“
fD: „Ja, aber warum tragen sie diesen Sticker denn gerade heute?“
P: „Wir haben auch andere schöne Sachen bei uns im Auto hängen!“
fD: „Was sind denn das für schöne Sachen?“
P: „Warum wollen sie das denn wissen?“
fD: „Ja, was sind das für schöne Sachen, die sie da eben selber erwähnt haben?“
P: „Weiß ich nicht.“
Darauf hin wendet sich der Polizist von uns ab und geht schnell weg.
Wie oben schon geschrieben: Es handelt sich hierbei um diejenigen Polizeikräfte, die zum Schutz der NPD-Demonstranten am deren Auftaktort zuständig gewesen sind.
Ebendort soll es mindestens eine Polizeiaktion gegeben haben, bei der es zweifelhaft ist, ob die Polizei dort den berichtenden Journalisten weniger zugetan sein sollen als den NPD-Anhängern:
Nachdem Teilnehmer der NPD-Demo einige Journalisten bedrängt, geschubst oder bespuckt hatten wurden die Journalisten von Polizisten fortgedrängt – darunter übrigens auch Andreas Speit (der zwei Tage später darüber berichtete), ein investigativ arbeitender Journalist und kenntnisreicher Berichterstatter über die rechte Szene Nord- und Ostdeutschlands.
Anders ausgedrückt: Anstatt die Pressefreiheit zu schützen, indem man die NPD-Demo-Teilnehmer nach ihrem Angriff auf die Journalisten in ihre Demo zurückdrängt verhindert die Polizei eine weitere Berichterstattung über die NPD-Demo. Das ist das Gegenteil dessen, was der Innenminister Niedersachsens, Herr Pistorius, zuvor öffentich beteuert und angekündigt hatte …
Aber noch einmal kurz zum stolz getragenen G20-Wir-waren-dabei-Emblem:
Wie wir später von einem NDR-Journalisten erfahren haben, war dieses offenbar nicht der einzige Polizist, der so ein Emblem gut sichtbar an seiner Protektoren-Uniform trug. Im NDR-Funkhaus war es dem dortigen Pförtner auch am frühen Freitag morgen an einem Polizisten aufgefallen, der die Toilette des Funkhauses benutzen wollte.
Drei Auszüge (samt Audios) aus den Redebeiträgen der Redner der NPD-Demo vor dem NDR-Funkhaus
Der drittletzte Redner dieser NPD-Kundgebung rief:
„Weg mit Julian Feldmann“.
Der letzte Redner von der Partei „Die Rechten“ fühlte sich bei der Verwendung von LTI-Sprachvokabular sichtlich wohl, als er sich an die anwesenden Journalist*innen wandte:
„Das was ihr tut ist Brunnenvergifterei. Ihr seid nichts anderes als Schädlinge. Schädlinge für ein Gemeinschaftsgefühl. Einem Gemeinschaftsgefühl, was diesem Volk inzwischen fehlt. Das ist eure Arbeit.“
Wer Menschen als „Schädlinge“ bezeichnet ebnet physikalischer Gewalt an diesen die Bahn, wendet physische Gewalt gegen sie an. Das war in Deutschland 1933-1945 so (damals: „Volksschädlinge“ oder „Schmarotzer“) und das war auch 1994 in Ruanda das Gleiche. Im Vorfeld des damaligen Genozids wurden die späteren Opfer als „Kakerlaken“ („inyanzi“) bezeichnet und somit verbal entmenschlicht und so die moralischen Zäune für das spätere Gemetzel eingerissen.
Ebenfalls vom letzten Redner dann noch diese Tirade:
„Wir sagen euch: Wenn wir, wir etwas verändert haben, dann gibt es diese Republik in der Form nicht mehr und eure staatlich alimentierte Hetze auch nicht mehr. Wir vergessen nicht. Wir brauchen keine Namen von euch jetzt sammeln und auch keine Fotos von euch jetzt sammeln. Ihr hinterlasst sie schon, eure Spuren in der Zeitgeschichte. Eure Spuren in der Zeitgeschichte als Hetzer, als antideutsche Hetzer. Nichts anderes seid ihr. Und das werden wir nicht vergessen. Nicht nur wir haben Namen und Adressen – wir verstecken die nämlich auch nicht – sondern ihr auch und wir vergessen nicht. Gott kennt vielleicht Gnade, wir an diesen Stellen nicht.“
Ob die von uns hier dokumentierten Teile der Redebeiträge aus juristischer Sicht strafverfolgungswürdig sind, vermögen wir nicht zu beurteilen. Es gab weitere Redeanteile, die eine rechtliche Prüfung verdient hätten. Etwa die, in denen der Journalist Feldmann persönlich diffamiert und reichlich verunglimpft worden ist und die wir hier deswegen nicht zitieren.
Davon unabhängig bewerten wir die Redebeiträge als menschenverachtend und potentiell einschüchternd. Wir sehen darin einen Aufruf zur Gewalt an Menschen und lehnen das kategorisch ab.
Erfolgreicher Protest I: Anwohner der NPD-Demostrecke sind kreativ
Vor allem entlang des Altenbekener Damms – einem ca. 1,5 km langen Routenabschnitt der Demo zu Beginn – zeigten sich viele Anwohner dieser Straße solidarisch mit den angegriffenen Journalist*innen. Sei es durch Banner, Schmuckwerk an Busch und Baum, lautem Getröte oder Töpfe-Geklappere oder entsprechende Buh-Rufe beim Vorbeischreiten der NPD-Demo.
Diesen Meinungsbekundungen konnten NPD-Demonstranten und Polizei nichts anhaben.
Erfolgreicher Protest II: Ein Tröthorn stört die Kundgebung der NPD vor dem NDR-Funkhaus
Vor dem NDR-Funkhaus legte die NPD-Demo wie schon oben beschrieben einen recht langen Kundgebungs-Halt ein. Beim vorletzten Redner machte eine einzelne Person am Rande der Demo mit einer kleinen, aber dafür ziemlich lauten Tröte seinen Unmut über die Redebeiträge Luft.
Wirksamer Protest, lauter Widerspruch kann also auch von Einzelnen ausgehen und bedarf keiner großen Menschenmasse oder ausgetüftelter Organisation.
Nachdem sich der Versammlungsleiter der NPD bei der Polizei beschwert hatte, sprach die Polizei mit dem Musikanten und verbot ihm weiteres Tröten.
Wir danken dem Tröter für seine Meinungsäußerung und für seinen Mut!
Erfolgreicher Protest III: Fünf Menschen (teil-)blockieren den Kundgebungsweg der NPD zum Aegi
Rund 100 Meter vor dem Endhaltepunkt der NPD-Demo, dem Aegi-Platz hatten es fünf Menschen geschafft, sich direkt auf die NPD-Demoroute zu setzen und zumindest die eine Straßenhälfte zu blockieren. Die Polizei ließ diese Blockade gewähren und verhielt sich den Blockierer*innen freundlich, soweit wir das erlebt und in Erfahrung bringen konnten. Offenbar ist es an mindestens zwei weiteren Stellen schon zuvor zu ähnlichen Sitzblockaden gekommen, was zeigt, dass solche Interventionen im Kleinen durchaus möglich und realistisch sind. Allen Sitzblockierer*innen von unserer Redaktions-Seite aus Dank und Respekt!
Polizeilich parteiliche Auslegung des Vermummungsverbots? Diskussion, Rechtsgrundlagen, Schlußfolgerungen
Schon im Vorfeld der Demonstrationen gab es seitens des in Hannover dominierenden Madsack-Konzerns und seinen Medien eine falsche Vermittlung zu dem, was das Vermummungsverbot ist und wie es anzuwenden ist. So hieß es am 22.11.2019 in der „HAZ“:
„Darüber hinaus kann ein Protest beendet werden, wenn Teilnehmer vermummt und/oder bewaffnet auftreten beziehungsweise „den Eindruck von Gewaltbereitschaft“ vermitteln. (…) Ab 50 Teilnehmern sind auch Lautsprecher gestattet, diese dürfen aber Anwohner nicht allzu sehr belästigen.“
Nebenbei bemerkt: Auch die zweite Angabe zur Beschränkung der Nutzung von Lautsprechern oder Megaphonen ist falsch. Doch zurück zum Vermummungsverbot:
Eine mediale Diskussion kochte begründet durch einen Polizei-Tweet noch während der laufenden Demo hoch, als die Polizei es einigen der NPD-Demonstranten erlaubte, sich zu vermummen:
Darauf folgte am nächsten Tag ein entsprechender Beitrag in der HAZ, wobei die Berichterstattung des Internetblogs news38.de reichhaltiger ist, enthält diese insbesondere eine ausführliche Stellungnahme der Polizeidirektion Hannover. Daraus zitiert:
Als sich die Versammlung der NPD auf dem Altenbeekener Damm befand, wurden in dieser Versammlung wenige Personen festgestellt, welche die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf gezogen hatten, Sonnenbrille trugen und z.T. dazu noch einen Schal oder ein Halstuch bis über den Mund hochzogen. In einem Fall wurde eine augenscheinlich weibliche Person festgestellt, welche zudem eine sogenannte „Sturmhaube“ trug. (…) Daraufhin haben die die Versammlung begleitenden Polizeibeamten/-innen die vermummten Versammlungsteilnehmenden auf den Grund deren Vermummung angesprochen. Sie erwiderten, dass diese ausschließlich dem Schutz der Identität vor ungewollter Veröffentlichung von Portraitaufnahmen durch die die Versammlung begleitenden Pressevertreter dient.
(…)
Das alleinige Anlegen von Vermummung durch Versammlungsteilnehmende ohne das Hinzutreten weiterer verhaltensbezogener Feststellungen stellt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.
Es wurde nur bei wenigen Versammlungsteilnehmenden eine Vermummung festgestellt. Nach eigenem Bekunden diente diese dem Schutz vor Fotos durch begleitende Journalisten und politische Gegner. Weitere äußere Umstände, wie ein generell einschüchterndes Verhalten der Versammlung in Gänze oder etwa bevorstehende polizeiliche strafprozessuale oder versammlungsrechtliche Maßnahmen traten nicht hinzu.
Aus diesem Grund konnte seitens der Gesamteinsatzleitung die für eine Aufhebung der Befreiung vom Vermummungsverbot erforderliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht begründet werden.
Die vermummten Personen wurden durch polizeiliche Einsatzkräfte im weiteren Verlauf der Versammlung eng begleitet und beobachtet. Bei Hinzutreten gefahrenbegründenden Verhaltens hätten diese unmittelbar die Befreiung vom Vermummungsverbot aufgehoben.
Dazu ein kleiner Exkurs zum Vermummungsverbot im Niedersächsischen Versammlungsgesetz:
+++Exkurs-Beginn+++
In 2010 gönnte sich die (damals rot-gelbe) Landesregierung – zuwider allen Protesten und Kritik – ein eigenes „Niedersächsisches Versammlungsgesetz (NVersG)“. Darin enthalten die § 9 Absätze 2 und 3 , die das Vermummungsverbot (wie im vorherig gültigen bundesweiten Versammlungsgesetz (VersG)) als Tatbestand, bewertet als Straftat manifestierten.
Der §9 NVersG lautet in seinen Absätzen 2 und 3 lautet:
„(2) Es ist auch verboten,
1. an einer Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die zur Verhinderung der Feststellung der Identität geeignet und bestimmt ist, oder den Weg zu einer Versammlung in einer solchen Aufmachung zurückzulegen oder
2. auf dem Weg zu oder in einer Versammlung Gegenstände mit sich zu führen, die zur Verhinderung der Feststellung der Identität geeignet und bestimmt sind.
(3) Die zuständige Behörde befreit von den Verboten nach den Absätzen 1 und 2, wenn dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht unmittelbar gefährdet wird.“
Nachdem die darauf folgende, aus heutiger Sicht vorherige niedersächsische rot-grüne Regierungskoalition das Vermummungsverbot zur Ordnungswidrigkeit abgesenkt hatte schraubte die derzeitig amtierende rot-schwarze Landesregierung dieses Rad noch einmal wieder zurück und beförderte das Vermummungsverbot erneut zur Straftat.
Das Strafmaß bei Zuwiderhandlung beträgt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe (§ 20 (2) Nrn. 4 bis 6).
Also nicht von Pappe.
+++Exkurs-Ende+++
Mit Blick auf den §9 (2) und (3) NVersG erweist sich das von der Polizeidirektion Hannover verteidigte Verhalten bzw. Nichteinschreiten bei Vermummung von NPD-Demonstranten zunächst und auf den ersten Blick als korrekte Auslegung der Rechtslage. Und Professor Dr. Clemens Arzt, brachte es neulich erst treffend auf den Punkt:
„Wobei die meisten Polizeibeamten dem Irrtum unterliegen, dass es per se verboten sei, sich bei einer Versammlung zu vermummen. Nein, es ist nicht per se verboten. Es ist nur verboten, mich zu vermummen, wenn die Polizei eine rechtmäßige Identitätsfeststellung durchführen dürfte, erst dann ist es verboten. Also wenn ich im Moment als Kurdin oder Kurde auf die Straße gehe und gegen die türkische Invasion in Syrien demonstriere, möchte ich das nicht unbedingt mit meinem Gesicht tun, weil ich weiß, was die Folgen in der Türkei sein können für meine Familie. Und lesen Sie bitte die Norm … also ich sehe schon, Ihre Sitznachberin verzieht … hat ein schmerzverzerrtes Gesicht – ich weiß, dass Polizei das gerne anders sieht, aber lesen Sie einfach die Norm, die ist völlig eindeutig: Ich darf mich nicht vermummen, um eine Identitätsfeststellung der Polizei zu verhindern, aber es gibt ja kein Recht der Polizei auf Identitätsfeststellung per se, sondern dieses Recht auf Identitätsfeststellung muss erstmal begründet sein, zuvor, dass sie schon eine Identitätsfeststellung nach Strafprozessrecht oder Polizeirecht machen darf, und wir sind Gott sei Dank in diesem Land noch nicht so weit, dass meine Identität festgestellt werden darf, weil ich auf eine Demonstration gehe, und sei sie linksradikal oder auch rechtsradikal, wir haben Versammlungs- und Meinungsfreiheit, und ich muss mein Gesicht nicht zeigen. Das ist ein großer Irrtum in der Polizeipraxis.“ (Clemens Arzt in seiner mündlichen Stellungnahme vom 12.11.2019 zum Gesetzentwurf der siebten Änderung des NRW-Polizeigesetzes – im Videomitschnitt des Landtags ab ca. 1h07s.)
Zugleich ist die Empörung und Aufregung vieler Menschen auf Twitter und anderswo gut verständlich, denn:
1. Zugleich erleben es Teilnehmer*innen und Anmelder*innen/Leiter*innen anderer Demonstrationen (vor allem zu so genannter „linken“ und sozialkritischen Themen) genau das Gegenteil. Dort greift die hannoversche Polizei fast regelmäßig in die Demonstrationsfreiheit ein, in dem sie das Vermummungsverbot (pauschal für alle Demonstrationsteilnehmer) durchzusetzen versucht, ohne die ausreichende Legitimation dafür zu besitzen. Das ist insbesondere deswegen skandalös, weil den von dieser Polizeipraxis in ihrer Versammlungs- und Meinungsfreiheit beeinträchtigten Menschen kein juristischer Weg offensteht, sich ad hoc und vor Ort effektiv und wirksam gegen diesen Rechtsmissbrauch zur Wehr zu setzen.
Die Aufregung, dass die Polizei hier also nach zweierlei Maß das Vermummungsverbot zur Anwendung bringt (oder eben auch gerade nicht) erzürnt viele Menschen insofern zurecht.
2. Fraglich ist, ob die Polizeidirektion Hannover nicht durchaus einen Grund gehabt hätte, die Identität der anwesenden Demoteilnehmer – zumindest einzelner – festzustellen. Zumindest die wenigen von uns alleine schon dokumentierten Aussagen der Demonstration, erweitert durch die offensichtliche Verherrlichung eines SS-Kriegsverbrechers und ein Transparent mit einem durchgestrichenen Profilbild eines von der NPD-Demo kritisierten Journalisten und dessen verbale Herabsetzung/Beleidigung hätte unserer Ansicht nach die Möglichkeit dazu eröffnet.
Wie auch immer: Die Polizeidirektion Hannover wäre gut beraten, zukünftig endlich maßvoll und sparsam mit dem Vermummungsverbot zu argumentieren bzw. dieses anzuwenden – und zwar nicht nur bei Demonstrationen von NPD und anderen rechten oder rechtspopulistischen Gruppierungen …