Zehn wichtige Punkte aus den OSZE-Empfehlungen zur Versammlungsfreiheit. Was hält die Versammlungsbehörde Hannover davon?

Am 16.12.2016 verabschiedete eine Unterorganisation der OSZE eine Empfehlung an ihre Mitgliedsländer zum Umgang mit dem Menschenrecht der Versammlungsfreiheit.

„OSZE“ steht als Abkürzung für „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ – diese ist ein Kind des ersten Kalten Krieges und Deutschland ist Mitglied der OSZE.

Die Bürgerrechtsorganisation „Demobeobachtung Südwest“ hat den englischsprachigen Text dankenswerterweise (!!!) Anfang dieses Jahres ins Deutsche übersetzt und zudem einen übersichtlichen 10-Punkte-Katalog von Empfehlungen daraus entwickelt. Diesen Katalog halten wir für sehr lesens- und wissenswert und möchten ihn deswegen hiermit teilen und weiter verbreiten. Das tut angesichts vielfältiger polizeilicher und versammlungsbehördlicher Missachtung des Versammlungs-Grundrechts leider Not.

Zum Hintergrund des Zustandekommens des OSZE-Dokuments empfehlen wir den entsprechenden weiteren Beitrag der „Demobeobachtung Südwest“ von Anfang Januar 2017.

Gleichzeitig mit dieser Veröffentlichung haben wir der Versammlungsbehörde Hannover eine Presseanfrage gestellt. Darin bitten wir um Erläuterung ihrer (Un)Abhängigkeiten von der Polizeidirektion Hannover sowie um Stellungnahme zum o.g. 10-Punkte-Katalog.

Hier nun aber diese sehr ans Herz gelegten 10 Empfehlungen, abgeleitet aus dem OSZE-Dokument vom Dezember 2016:

1. Die Polizei soll DemonstrationsbeobachterInnen anerkennen und aktiv fördern, vor Ort größtmöglichen Zugang ermöglichen deren Befunde und Empfehlungen zur Kenntnis nehmen. Sie soll das Filmen und Fotografieren von polizeilichen Aktionen und individuellen Polizeibeamten erlauben, damit diese Aufzeichnungen gegebenenfalls als Beweismittel und disziplinarischen, verwaltungsrechtlichen oder strafrechtlichen Verfahren verwendet werden können. [69-71]

2. Die Polizei soll sicherstellen, dass die eingesetzten BeamtInnen einfach und eindeutig zu identifizieren sind, auch wenn sie Schutz- oder Spezialausrüstung tragen. [66]

3. Bei Anzeichen von Fehlverhalten oder konkreten Vorwürfen sollten Polizei und Staatsanwaltschaft unverzüglich, effektiv und unparteiisch ermitteln, auch wenn keine Anzeige vorliegt. [64-68]

4. Die Polizei bzw. deren politische Führung und der Gesetzgeber sollen detaillierte Grundsätze zum Filmen von Versammlungen erarbeiten und veröffentlichen. Das Filmen durch PolizistInnen muss kenntlich gemacht werden. Die Aufnahmen müssen gelöscht werden, wenn der Aufnahmegrund nicht länger relevant ist. [60-63]

5. Die Polizeitaktik muss auf Kommunikation, Deeskalation, Verhandlung und Dialog basieren. Sie darf die VersammlungsteilnehmerInnen nicht überraschen. Es müssen umfassende Richtlinien ausgearbeitet und veröffentlicht werden die beschreiben, unter welchen Umständen eine Versammlung aufgelöst wird. Einer freiwilligen Auflösung muss Vorrang gegeben werden, bevor unmittelbarer Zwang angewendet wird. Friedliche Versammlungen sollen nicht aus formalen Gründen aufgelöst werden.[38,55,56,46]

6. VersammlungsteilnehmerInnen dürfen nur in Gewahrsam genommen werden, wenn nachvollziehbare Gründe für den Freiheitsentzug vorliegen. Bei der Festnahme darf nicht auf exzessive Gewalt zurückgegriffen werden.[57]

7. Die Vorschriften zum Gebrauch von unmittelbarem Zwang und Waffen, z.B. Pfefferspray, müssen veröffentlicht werden. Der Einsatz muss notwendig und verhältnismäßig sein.[53,54]

8. Demonstrationen sollen in Hör- und Sichtweite ihrer Adressaten stattfinden können. Dies gilt auch für Gegendemonstrationen, die falls nötig zwar polizeilich getrennt, aber dennoch in gegenseitiger Hör- und Sichtweite stattfinden sollen.[19-24,48-52]

9. Die Ordnungsämter sollen statistisch erfassen, welche Art von Auflagen sie wie oft verhängt haben.[45]

10. Auflagen müssen frühzeitig dem Anmelder mitgeteilt werden, damit dieser den Rechtsweg bestreiten kann. Jede Auflage muss detailliert begründet werden.[14-20, 25-27]

Uns scheinen vier Prinzipien zentral zu sein, die auch die Polizeiexperten beim runden Tisch in Wien betont haben:

1. Jeder Polizist muss persönlich für sein Handeln haftbar sein (Accountability)

2. Polizeiliche Maßnahmen müssen vorhersehbar sein (No-Surprise)

3. Maßnahmen müssen sich möglichst zielgerichtet gegen Störer richten. Sie müssen notwendig und verhältnismäßig sein. Kessel, Masseningewahrsamnahmen und der Einsatz von Pfefferspray dürfen niemals leichtfertig erfolgen. (Proportionality)

4. Versammlungen sollen in Hör- und Sichtweite ihrer Adressaten ermöglicht werden (Sight- and Sound)

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