Ein Beispiel polizeilicher Repression in Hannover in drei Akten: 1. Proteste gegen Zwangsentmietung – 2. Anklage gegen die Protestierenden wegen „Landfriedensbruch“ – 3. Freispruch, weil Polizist wird vor Gericht der unrichtigen Aussage überführt wird!

Am 16.7.2015 wurde in Hannovers Szeneviertel Linden unter Einsatz grober und unverhältnismäßiger Polizeigewalt (inklusive massiven Pfeffersprays aus kurzer Distanz) eine Zwangsentmietung durchgeführt. Heißt im Klartext: Ein Mensch, der sich bislang geweigert hat, die von ihm bewohnte Wohnung zu räumen und zu verlassen wurde abgeführt, die Wohnung anschließend ausgeräumt und der vermietenden (in diesem Fall umstrittenen) Vermietergesellschaft zur Verfügung gestellt.

Wir haben schon zwei mal zu diesem Geschehen und den anschließenden Verhandlungen berichtet (am 20.2.2016 und am 20.8.2017). Gegen die ca. 50 Protestierende wurde im Anschluss wegen Landfriedensbruchs ermittelt. Dieser Vorwurf wurde in den allermeisten Fällen dann aber mangels Substanz fallengelassen. (Der stark einschüchternden Wirkung dürfte das keinen Abbruch getan haben!) In sechs Fällen jedoch ging es vor Gericht. Fünf dieser Fälle wurden eingestellt.

Zu dem Ausgang des letzten, sechsten Verfahrens in dieser Sache möchten wir nun auf einen aktuellen Blogbeitrag des Ermittlungsausschusses Hannover verweisen und daraus zitieren (und bitten die Verfasser*innen des zugrundeliegenden Blogbeitrags zugleich um freundliches Verständnis für die von uns eigenmächtig vorgenommene sprachliche Variation eines einzelnen Begriffes aus dem Originalbeitrag!).

Vorab und in aller Kürze: Die Beschuldigte wurde in allen Klagepunkten uneingeschränkt freigesprochen, der als Zeuge zur Belastung der Beschuldigten vorgeladene Polizist verwickelte sich vor Gericht in lügenhaft erscheinende Ungereimtheiten.

Aus dem Blogbeitrag des EA Hannover:

„Am 7.9.2018 fand gegen eine der Beschuldigten die zweite Hauptverhandlung wegen Widerstands und Beleidigung („Du Pisser!“) am Amtsgericht Hannover statt. Der Polizist B. hatte die Genossin angezeigt, die Staatsanwaltschaft zeigte Verfolgungswillen. Im ersten Anlauf des Gerichts hatte der Anwalt der Angeklagten für eine Aussetzung der Verhandlung gesorgt, weil der Verteidigung diverse Akten vorenthalten worden waren. Zudem stand der Verteidigung und dem Gericht lediglich ein von der Polizei zum Nachteil der Genossin geschnittener Videoausschnitt zur Verfügung, aus dem der Kontext einer angeblichen Beleidigung oder Widerstandshandlung nicht hervorging.

Knapp über ein Jahr später folgte also der zweite Termin für eine „Beweisaufnahme“, die fehlenden Akten oder Videoaufnahmen waren der Verteidigung bis dahin noch immer nicht zugegangen. Etwa 40 Genoss*innen solidarisierten sich im Gerichtssaal mit der Angeklagten und durften eine Verhandlung mit einem gewissen Unterhaltungswert erleben. Der Polizist B. wiederholte seine Anschuldigungen, war in seinen Angaben allerdings auch vorsichtig genug, um nicht allzu offensichtlich des Lügens überführt werden zu können. In der langen und sicherlich nicht angenehmen Befragung durch den Rechtsanwalt wurde bereits mehr als deutlich, dass B. sich nicht sicher war, selbst der von der Angeklagten angesprochene „Pisser“ gewesen zu sein. Auch ergaben sich Zweifel ob er im polizeilichen Sinne korrekt gehandelt hat, als er die Aktivistin von hinten ergriff und versuchte, sie aus der Gruppe zu zerren. Er habe die Genossin als einen „Unruheherd“ ausgemacht, den es aus seiner Sicht zur Beruhigung der Lage zu entfernen gegolten habe. Der „Unruheherd“ habe im Zuge seiner „Maßnahme“ Widerstand geleistet.

Nach der Demontage des Polizisten B. zeigte der verteidigende Rechtsanwalt der Richterin und der Staatsanwältin das aus einem anderen Verfahren stammende, ungekürzte Video des „Einsatzes“. Zwei Dinge gingen daraus deutlich hervor:

1. Der Polizist wurde nicht von der Angeklagten beleidigt. Das Material, welches der Verteidigung vorenthalten wurde, ließ deutlich vernehmen, dass die Pisser-Aussage eine Reaktion auf eine vorherige Ansage eines anderen Polizistn war – B. konnte nicht gemeint sein. Dieser hatte, nachdem die Aktivist*innen aus der Einfahrt geprügelt und gekesselt worden waren, angekündigt es könne alles „ohne Zwangsmaßnahmen“ ablaufen, wenn die polizeilichen Anweisungen befolgt würden.

2. Der Polizist war kein Opfer einer Widerstandshandlung. Wenngleich die bemerkenswert schlecht informierte und unvorbereitete Staatsanwältin behauptete, man habe vor dem Zerren des B. an der Genossin so etwas wie einen Dialog wahrnehmen können, ließ das Video in Verbindung mit der desolaten Aussage des Polizisten keinen anderen Schluss zu als diesen: Der Polizist hatte ohne Ansprache die Genossin angepackt, woraufhin diese sich aus seinem Griff befreite.

Der Polizist hat gelogen, die Staatsanwältin zeigte sich faktenresistent und wollte im Widerspruch zum Offensichtlichen eine Verurteilung zu insgesamt 70 Tagessätzen erreichen. Auch ließ sie es sich nicht nehmen, auf die mittlerweile gültigen Paragraphen §113 & §114 StGB hinzuweisen. Die Richterin musste jedoch nach damals gültigem Recht freisprechen – die Widersprüche waren zu offenbar.“

Die zu Unrecht von der Polizei des „Landfriedensbruchs“ Beschuldigte, der damit über drei Jahre lang das Leben nicht unbedingt leichter gemacht worden ist, kommt zu den folgenden beiden Schlüssen:

„(i) Bei genügendem Repressionswillen ist sich die Polizei und auch die Staatsanwaltschaft nicht zu schade, Beweise zu kürzen, zu unterschlagen oder zu ignorieren.

(ii) Mit den verschärften Bestimmungen zu „Widerstand“ und dem geplanten niedersächsischen Polizeigesetz werden die Repressionsorgane noch ungenierter versuchen, zu bescheißen und ihre Versuche, Aktivist*innen einzuschüchtern, intensivieren.“

Und appelliert abschließend:

„Der Widerstand gegen den Polizeistaat wird damit umso wichtiger. Lasst Euch nicht einschüchtern, setzt Eure Rechte durch, nutzt solidarische Strukturen!“

Es bleiben die nicht wirklich neuen und wiederkehrenden Fragen auch in diesem Fall gestellt und unbeantwortet:

Welche Konsequenzen wird die Polizei aus der falschen Anschuldigung eines unschuldigen Menschen ziehen? Wer trägt die personelle Verantwortung dafür? Hat die Polizei das Rückgrat und das Standing, sich wenigstens bei der zu Unrecht vor die Gerichte Gezerrte zu entschuldigen, wenn deren Aufwand für ihre eigene Verteidigung schon ihr alleine aufgebürdet worden sind?

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