25.2.2016, Hannover: Erster Gerichtsprozess nach einer Blockade bei einer Zwangsentmietung, die zu „Landfriededensbruch“ und „Widerstand gegen Vollstreckung“ bei den Protestierenden umgemünzt werden soll

Am 16.7.2015 wurde (wie fast täglich in Hannover) der Mieter einer Wohnung im immer „hipper“ und damit auch immer teurer werdenden Stadtteil Hannover-Linden „zwangsentmietet“: Nach dubiosen Vorgeschichten seitens der Hausgesellschaft Haack, der das Mietshaus gehört, wurde der Mieter mit Polizeigewalt und in Handschellen aus seiner Wohnung gebracht und vorläufig festgenommen. Sein Besitz wurde anschließend „zwangsgeräumt“.

Das alles allerdings erst, nachdem rund 50 Menschen gegen diese Zwangsmaßnahme friedlich per Blockade protestiert hatten. Sie wurden mit Polizeigewalt in Form von völlig überzogenen und aus unserer Sicht unzulässigen Pfeffersprayeinsatz (das ist unsere Interpretation zu diesem Pfefferspray-Einsatz, mit Bezug auf die unten angehängten Links), Faustschlägen ins Gesicht und An-den-Haaren-über-die-Straße-ziehen konfrontiert. Verantwortlich hierfür ist eine eigens bestellte „BFE“-Polizeieinsatzgruppe mit Polizeihundestaffel gewesen. Anschließend erfolgten umfangreiche erkennungsdienstliche Behandlungen, eine mehrstündige Einkesselung im Freien und – für einige der Protestierenden, die das Pech hatten, in der ersten Reihe der Blockade zu stehen – Strafbefehle (=Verurteilungen ohne Gerichtsprozess) mit Verurteilungsgründen „Landfriedensbruch“ und „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“.

Wir behaupten und benennen das auf unserem Blog so konkret und so sehr im Widerspruch zu der Darstellung der Polizeibehörden, weil uns mehrere, z.T. voneinander unabhängige und glaubwürdige Aussagen zu den Vorgängen an diesem Tag bekannt sind und wir es für einen Skandal halten, wie in diesem Beispiel eine völlig entgegengesetzte, diametral ausgerichtete Berichterstattung seitens der Polizei die Wahrheit verdrehen und umzuschreiben versucht.

Eine friedliche Blockade kann nach einhelliger Ansicht von Gerichten und Juristen ein Ausdruck von Meinungsfreiheit sein, im Falle einer kollektiven Blockade dann sogar eine Versammlung im Sinne und unter dem Schutz des Artikel 8 im Grundgesetz (Versammlungsfreiheit).

Im Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 14.5.1985 heißt es entsprechend:

„[Die Versammlungsfreiheit] ist in Art. 8 GG gewährleistet, der Versammlungen und Aufzüge – im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen – als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung schützt. Dieser Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfaßt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Es gehören auch solche mit Demonstrationscharakter dazu, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird.“ (Abschnitt 61)

Und etwas weiter an anderer Stelle:

„In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die sich bislang mit der Versammlungsfreiheit noch nicht befaßt hat, wird die Meinungsfreiheit seit langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform. Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. Dem steht nicht entgegen, daß speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art. des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.“ (Abschnitt 63)

Dass eine friedliche Blockade von Menschen keinesfalls per se als „Gewalt“ uminterpretiert werden darf, hat das Bundesverfassungsgericht in einem weiteren Urteil (BVerfGE 92, 1 vom 10.1.1995) zudem deutlich herausgestellt.

Die im Zuge dieser Zwangsentmietung durchgeführte Versammlung inklusive Blockade nun als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ oder gar „Landfriedensbruch“ bewerten zu wollen, halten wir für völlig überzogen und fern von dem, was sich vor Ort tatsächlich abgespielt hat. Das Vorgehen der Polizei und die daraus resultierenden Strafbefehle wirken repressiv und schüchtern die Betroffenen, aber auch die Sympathisanten einer legalen und legitimen Protestbewegung über die Strenge ein – und man darf mutmaßen, dass genau dieses die Absicht einiger Behörden oder Verantwortlicher darin ist. Wir bewerten das als undemokratisch und unverhältnismäßig.

Des Weiteren wurde auch bei dieser gewaltätigten Räumung der Blockade Pfefferspray als Waffe eingesetzt. Zu Unrecht hat diese Waffe ein eher harmloses Image, was Betroffene bestätigen können. Tatsächlich führt das Abbekommen von Pfefferspray, je nach Intensität, typischerweise zu sehr starkem Brennem, zugeschwollenen und tränenden Augen, anschwellen der Atemwege sowie zu Angst, Orientierungslosigkeit und panischen Attacken. Bei jedem Peffersprayeinsatz muss die Polizei auf ihr Glück hoffen, dass keine Menschen mit Asthma oder allergischen Reaktionen unter den Betroffenen sind. (Siehe auch hierzu die Links am Ende dieses Beitrags.)

Eine zum Teil noch offene Anfrage von uns an die Polizeidirektion Hannover vom 21.8.2015 (!) zum damaligen Pfeffersprayeinsatz blieb bis heute unbeantwortet.

Mit Recht haben sich die von der gerichtsverhandlungsfreien Verurteilung Betroffenen mittels Einspruch zur Wehr gesetzt: Am 25.2.2016 findet ab 10:55 Uhr beim Amtsgericht Hannover eine erste Verhandlung hierzu statt. Schon etwas vorher soll es eine Solidaritätskundgebung vor dem Gericht geben:

http://wohnraumfueralle.blogsport.de/2016/02/17/erster-prozess-nach-der-blockade-der-zwangsraeumung-in-der-nieschlagstrasse/

 

Links zum Thema Pfefferspray und Pfefferspray-Einsatz:

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