Verwaltungsgerichte Sachsen-Anhalts verurteilen polizeilichen Platzverweis beim Protest gegen das Kriegsübungslager GÜZ nach vier Jahren Rechtsstreit aks rechtswidrig

Jedes Jahr findet in den Sommermonaten ein beachtenswerts Protestcamp gegen das Gefechtsübungszentrum („GÜZ“) Colbitz-Letzlinger Heide statt. Mit dem „War starts here“-Camp machen die daran teilnehmenden Menschen mittels Protest und Aktionen gewaltlosen Widerstands (und übrigens meistens von den Medien weitgehend unbeachtet oder gar totgeschwiegen) darauf aufmerksam, dass in dem gemeinsam von Rheinmetall und der Bundeswehr betriebenen Truppenübungsgebiet fragwürdige Auslandseinsätze, aber auch Kampfhandlungen der Bundeswehr in Städten und Gemeinden trainiert bzw. „gespielt“ werden.

Vor vier Jahren (vom 17.-24.8.2014) gab es zudem konzertierte Aktionen gewaltfreier Aktionen unter der Überschrift „Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ in deren Rahmen eine große Zahl gewaltfreier Demonstranten (nach expliziter vorheriger Ankündigung ihrer Absichten!) u.a. mit einem Platzverweis belegt worden sind, der – so die nun endgültige und amtliche Rechtssprechung nach über vier Jahren im Gerichtsdschungel – seitens der Polizei Sachsen-Anhalt rechtswidrig ausgeführt worden war.

Das nützt den Friedensaktivisten nun reichlich wenig – mittels des polizeilichen (illegalen) Platzverweises wurde die Versammlungsfreiheit unzulässig und für den entscheidenen Moment der Meinungsäußerung und Versammlung unwiederbringlich entzogen. Dieser Verlust kann auch mit dem Erfolg vierjährigen Kampfes in den gerichtlichen Instanzen nicht wieder wett gemacht werden. Bösartig könnte man auch sagen: Aus der Sicht der Polizei wurde das Ziel erreicht – die nachträgliche Rehabilitation der Demonstranten bleibt innerhalb des Polizeiapparats vermutlich ohne konkrete, nachhaltige Folgen für die als Einsatzleiter dafür Verantwortlichen.

Auch dieses aktuelle Urteil belegt, dass die Polizei mitunter deutlich über das Ziel hinausschießt und gesetzliche Vorgaben missachtet bzw. überschreitet. Zur Erinnerung: Der Entwurf des von SPD und CDU für Niedersachsen geplanten neuen Polizeigesetzes („NPOG“) sieht unter anderem vor, dass die Polizei auf Basis eigener, interner Überlegungen und Mutmassungen entscheiden darf, ob Menschen ein Aufenthalts- oder sogar Kontaktverbot auferlegt werden kann. Das alles, ohne dass ein Richter die Entscheidungsgründe hierfür überprüft oder überprüfen kann. Manche Kritiker sprechen von einem Blankoscheck polizeilicher Repression. Das auch vor dem Hintergrund, dass diese Auflagen sogar in Kombination mit der Pflicht zum Tragen einer elektronischen Fußfessel ausgesprochen werden darf – ebenfalls ohne Richtervorbehalt.

Hier nun das, was einer der die Klagen führenden Rechtsanwälte, Herr Dietmar Sasse aus Berlin, zu der jüngsten Entscheidung an die 42 vom unzulässigen Platzverweis Betroffenen geschrieben hat. Er erläutert darin nochmals den Vorgang im Gesamten:

Bild des in 2014 von der Polizei den Demonstranten ausgehändigten Platzverweises, der nun als unzulässig erklärt worden ist.

(…)

Die insgesamt 42 einstweiligen Rechtsschutzverfahren waren im Jahr 2014 vor dem Oberverwaltungsgericht erfolgreich gewesen, nachdem das Verwaltungsgericht zunächst negativ entschieden hatte. Da die Polizei die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgericht nicht teilte, mussten auch die Hauptsacheverfahren gemeinsam mit Rechtsanwalt Daniel Werner aus Leipzig vor Gericht durchgefochten werden. Auch hier beurteilte in drei Musterverfahren das Verwaltungsgericht die Platzverweise wieder als rechtmäßig, so dass in diesen drei Verfahren in die Berufung zum Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen—Anhalt gegangen werden musste.

Nachdem in dem Musterverfahren von Rechtsanwalt Daniel Werner das Oberverwaltungsgericht im Urteil vom 23. April 2018 festgestellt hatte, dass die Platzverweise rechtswidrig waren und die Polizei die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen hat, erkannte die Polizei endlich auch in den anderen 41 Verfahren an, dass die Platzverweise rechtswidrig waren, so dass in diesen 41 Verfahren Anerkenntnisurteile ergingen bzw. noch ergehen werden.

Juristisch ging es letztlich darum, wie groß eine Platzverweiszone gern. § 36 Sicherheits— und Ordnungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) sein darf. Das Oberverwaltungsgericht folgte unserer Rechtsauffassung, dass ein „Ort“ im Sinne des § 36 Absatz l Satz 1 SOG LSA nur ein Platz sein kann, der in seinem Umfang als solches eng begrenzt ist und nicht ein Gebiet sein kann, welches sich über mehrere Gemeinden und zwei Landkreise erstreckt.Wer die genauen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichtes aus dem Musterverfahren nachlesen möchte, finder das vollständige Urteil im Internet (Suchanfrage: OVG LSA 3L85/ 16)

Wichtig ist noch folgendes: Gern wurde und wird ein Platzverweis dafür genutzt, um Leute in die staatlichen Verfolgungsdateien (Z.B. Politisch motivierte Straftaten links) aufzunehmen.

(…)

Die gewaltfreie Bestzung des GÜZ am 19.8.2014.

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