Polizei setzt bei Newroz-Demonstration in Hannover unzulässig Videoüberwachung ein

Einer der beiden Polizei-Kamerawagen aus Wuppertal am 17.3.2018 in Hannover-Linden.

Am 17.3.2018 kam es in Hannover zu einer im Vorfeld vieldiskutierten Demonstration im Zuge des kurdischen Neujahrsfestes „Newroz“. Ja die Polizei Hannover hatte diese Versammlung sogar zunächst verboten, was vom Verwaltungsgericht Hannover dann als rechtswidrig verurteilt und rückgängig gemacht worden war.

Der Start einer der beiden Teil-Demonstrationen, die sich später in der Innenstadt Hannovers zusammengefunden haben, war am Küchengartenplatz in Hannover-Linden.

Dort stellte eine im Auftrage der Polizei Hannover agierende Polizeihundertschaft aus Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) zwei Überwachungskamera-Fahrzeuge mit ausgefahrenen bzw. bereits fertig aufmontierten Kameramasten auf. (Siehe auch die von uns dazu erzeugte Bilderstrecke.)

Für in Sachen polizeilicher Videoüberwachung nicht-sachkundige und diese Kamerawagen nicht aus direkter Nähe inspizierende Demonstrationsteilnehmer war nicht ersichtlich, ob die Kameras in Betrieb waren oder nicht.

Damit brach die Polizei geltendes Recht.

Erst im September 2015 hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Hannover aus 2014 bestätigt, wonach so eine Praxis eine unzulässig einschüchternde Wirkung auf (potentielle) Demoteilnehmer haben kann. Eine Polizeikamera also erst dann ausgefahren oder von einer Abdeckung befreit werden darf, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte für Straftaten im Zusammenhang mit der Versammlung gibt.

Gab es solche Gründe?

Der Einsatzleiter der Polizei Hannover antwortete uns auf Nachfrage dazu:

„Zu diesem Zeitpunkt hatte ich als verantwortlicher Polizeiführer bereits den Einsatz der Videotechnik frei gegeben. Aus der Versammlung heraus wurden Straftaten nach dem Vereinsgesetz begangen.“

Klingt eindeutig. Ist es aber nicht. Denn damit widerspricht der Einsatzleiter seinen eigenen Mitarbeitern, die wir persönlich vor Ort zur Sache befragt hatten:

Sowohl den Kommunikationspolizisten der Polizei Hannover als auch der Besatzung des Kamerawagens der Polizeieinheit aus Wuppertal war von einem Verstoß gegen das Vereinsgesetz nichts bekannt. Im Gegenteil beteuerten uns diese Polizeibeamten und -beamtinnen ausdrücklich, dass die Demonstration am Küchengartenplatz bislang friedlich und ohne Störungen der Probleme verlaufen seien!

Auch die Demoanmelder und -leiter wussten nichts von irgendwelchen Verstößen gegen das Vereinsgesetz, die das Ausfahren der Polizeikameras hätten rechtfertigen können.

Diesen harten Widerspruch zwischen der Behauptung des Einsatzleiters und den vor Ort tätigen Polizeibeamten konnte uns ersterer leider nicht auflösen – er antwortete uns auf eine entsprechende Nachfrage hin derart, die uns jedenfalls völlig unerklärlich ist und die Frage leider nicht aufklärt.

Dementsprechend möchten wir der interessierten Öffentlichkeit und der Polizei Hannover hiermit noch einmal die wichtigen Aussagen aus dem Urteil des OVG Lüneburg vom 24.9.2015 (Az. 11 LC 215 / 14) in Erinnerung rufen oder gar zum erstmaligen Lesen anbieten:

Durch das Vorhalten einer teilausgefahrenen, nicht in Betrieb genommenen Mastkamera während der Zwischenkundgebung wurde in die durch Art. 8 GG geschützte Versammlungsfreiheit des Klägers eingegriffen. (…)

Die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte innere Versammlungsfreiheit ist beeinträchtigt, wenn sich die Versammlungsteilnehmer durch staatliche Maßnahmen veranlasst sehen, ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht oder nicht in vollem Umfang auszuüben. Die Grundrechtsträger sollen nicht befürchten müssen, als Teilnehmer einer Versammlung wegen oder anlässlich ihrer Grundrechtsausübung staatlicher Überwachung unterworfen und gegebenenfalls Adressat nachteiliger Maßnahmen staatlicher Organe zu werden. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in bestimmter Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. (…)

Das Verwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass eine die Entschließungsfreiheit des Klägers als Versammlungsteilnehmer berührende Eingriffswirkung durch das Vorhalten einer teilausgefahrenen Mastkamera auf dem Polizeifahrzeug während der Versammlung am 21. Januar 2012 gegeben war, obwohl die Kamera nicht eingeschaltet war. Dieser Sichtweise ist beizupflichten.

Bei der hier gegebenen Fallkonstellation ist das Vorhalten einer teilausgefahrenen Mastkamera auf dem Dach eines Einsatzfahrzeuges der Polizei als Grundrechtseingriff zu werten. Soweit die Beklagte vor einer „übersteigerten Versubjektivierung des Eingriffsbegriffs“ warnt, ist ihr zuzugestehen, dass ausschließlich persönliche Gefühle und Empfindungen Betroffener nicht für die Annahme eines Grundrechtseingriffs ausreichen. Es müssen objektive Gesichtspunkte hinzutreten. Solche lagen hier vor. Der Kläger hatte nach seinem Vortrag den Eindruck, die Versammlungsteilnehmer würden während der Zwischenkundgebung von der Polizei mittels der teilausgefahrenen Mastkamera gefilmt. Dieser Eindruck wird durch objektive Gesichtspunkte untermauert. Nach dem Vorbringen der Beklagten war das Polizeifahrzeug mit der teilausgefahrenen Mastkamera an der Versammlungsroute so abgestellt, dass für die vorbeiziehenden Versammlungsteilnehmer kurzzeitig beim Passieren des Fahrzeuges der Eindruck des Gefilmtwerdens mit einem Weitwinkelobjektiv entstehen konnte. Die teilausgefahrene Kamera war zwar zum Heck des Fahrzeuges ausgerichtet. Das Heck stand aber nicht in einem 90 Grad Winkel zur Versammlungsroute, sondern in einem Winkel von ca. 30 Grad. Unerheblich ist, dass der Eindruck des Beobachtetwerdens nur für einen kurzen Zeitraum entstehen konnte. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch vor kurzzeitigen Eingriffen. Zudem hat die Beklagte den aus Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Umstand nicht angezweifelt, dass wegen der Konstruktion des Mastkameratyps, nämlich wegen der geringen Größe des Kamerakopfes und der farblich einheitlichen Gestaltung von Kamera und Aufsatz, bereits aus einer relativ geringen Entfernung von einigen Metern zum Einsatzfahrzeug nicht mehr deutlich feststellbar war, in welche Richtung die Kamera gerichtet und in welchem Winkel eine Aufnahme möglich war. Für den Kläger war folglich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit festzustellen, ob er Objekt staatlicher Beobachtung war oder nicht.

Wird – wie hier – durch das Vorhalten einer teilausgefahrenen Mastkamera auf dem Dach eines am Rande des Versammlungsgeschehens bereit gehaltenen Polizeifahrzeuges der Eindruck des Gefilmt- oder Beobachtetwerdens vermittelt, besteht wegen der technischen Möglichkeit, mit einer Videokamera durch schlichte Fokussierung einzelne Personen zu identifizieren, ein erheblicher Unterschied zu dem Einsatz von Polizeibeamten in einer Versammlung, die mit bloßem Auge etwaige Gefahrensituationen registrieren und erforderliche Maßnahmen entweder selbst einleiten oder ihre Erkenntnisse und Einschätzungen an die Einsatzleitung weiterleiten. (…)

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