Interpretation der Versammlungsfreiheit nach zweierlei Maß: Rechtsextreme „Graue Wölfe“ sind okay. „YPG“ und „YPJ“ sowie Bilder von Herrn Öcalan sind nicht okay. Findet und bestimmt das Bundesinnenministerium. Warum wohl?

Vor gut einem Jahr erließ der aktuell gerade noch amtierende Bundesinnenminister de Maiziere ungewöhnlich öffentlichkeitsscheu eine neue Rechtsbewertung, nach der das Zeigen von Fahnen mit dem Konterfei Abdullah Öcalans auf gelbem Grund nun auch eine verbotene Werbung für die PKK und mithin einen Straftatbestand nach dem Vereinsgesetz darstelle.

Diese Neubewertung, deren Hintergründe sich nicht offenbaren und zu allerlei Mutmassungen anregen, streute das Bundesinnenministerium (BMI) in die Polizeien des Landes und hatte schwerwiegende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit zur Folge.

Gleichzeitig toleriert die Polizei Hannover (aber nicht nur diese) das öffentliche Auftreten der türkischen rechtsextremen und vom verschiedenen Stellen als gewalttätig eingestuften so genannten „Grauen Wölfe“.

Etwas genauer betrachtet:

 

Demonstrationen im Kontext des Türkei-Kurdistan-Konflikts oder auch nur mit dem Hintergrund der Kritik an antidemokratischen Entwicklungen in der Türkei werden seit der neuen, Anfang März 2017 von Thomas de Maiziere angeordneten Rechtsbewertung mit einem massiven und einschüchternd wirkenden Auftreten von Polizeikräften bedacht.

Die neue Sichtweise gab und gibt den Polizeikräften zudem die (rechtlich umstrittene) Gelegenheit, mit Polizeigewalt in derartige Proteste einzugreifen oder diese ad hoc aufzulösen, sobald Bilder von Herrn Öcalan oder andere ministeriell als unzulässig empfundene kurdische Symbole in der Demo auftauchen.

Jemand schrieb dazu:

„Diese Zeiten hätten vieles nötig, aber sicher keinen neuen Ansatz zur möglichen Kriminalisierung von Protesten gegen die Entwicklung in der Türkei.“

Gerne wurde der Komplex auch dazu missbraucht, kritische Jugendzentren unter Beobachtung stellen und razzienartige Durchsuchungen scheinbegründen zu können.

Die zwei jüngsten Entwicklungen dieser zensurhaft wirkenden Intervention aus dem BMI:

 

Die Versammlungsbehörde Hannover (behördlich kaum von der Polizei Hannover zu trennen, die Pressearbeit der Versammlungsbehörde wird so z.B. von der Polizeidirektion Hannover miterledigt) verbietet zahlreiche angekündigte Demonstrationen im Zuge des kurdischen Neujahrsfestes (siehe Polizei-Pressemeldungen vom 8.3.2018 und von heute). Sie begründet das kleinkariert wie folgt:

„Die Behörde hat nicht das Newroz-Fest verboten! Das von ihr beabsichtigte Verbot bezog sich ausschließlich auf eine angezeigte Versammlung. Diese stand unter dem Motto: „Newroz-Fest der Freiheit und des Friedens. Für einen dauerhaften Frieden in Kurdistan. Für Demokratie im mittleren und nahen Osten. Freiheit für Abdullah Öcalan und alle politischen Gefangenen“. Die Polizeidirektion Hannover sieht in der angezeigten Versammlung eine Unterstützung der PKK, die mit einem Betätigungsverbot belegt ist. Die Durchführung der Versammlung hätte dem entsprechend nach Auffassung der Behörde einen Verstoß gegen das Vereinsgesetz dargestellt.“

Zurecht wird diese Haltung von einer Reihe namhafter Menschenrechtsorganisatoren scharf kritisiert. In einer Pressemitteilung vom 9.3.2018 schreiben sie dazu:

„Die unterzeichnenden Bürgerrechtsorganisationen verurteilen diesen massiven und ungerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Newroz-Feiern und Newroz-Versammlungen sind zentrale Veranstaltungen für die kurdische Bevölkerung. Sie konnten bisher jedes Jahr stattfinden – auch in Hannover. Die jetzige Verbotspraxis hat nichts mit einer angeblich neuen Erkenntnislage zu tun, sondern ist Ausdruck eines verschärften Vorgehens der Behörden gegen Kurdinnen und Kurden in Deutschland. Damit reagieren die deutschen Behörden auf ständige Forderungen aus der Türkei, gegen die kurdische Bewegung stärker vorzugehen.

„Während deutsche Waffen beim völkerrechtswidrigen Angriff auf Nordsyrien eingesetzt werden, beschränken die deutschen Behörden die dagegen gerichteten Proteste; sie machen sich mit dieser Verletzung von Grundrechten zum verlängerten Arm der Erdogan-Türkei“, kritisiert Rechtsanwältin Franziska Nedelmann, die stellvertretende Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV).“

 

In Magdeburg wurde einem Demonstrationsanmelder zum gleichen Thema wie in Hannover („Solidarität mit Afrin“) die Auflage erteilt „keine Symbole und Abzeichen der YPG und der YPJ zu zeigen.“ Das deswegen, weil diese Organisationen im Hinblick auf die Nähe zur verbotenen PKK ebenfalls angeblich verboten seien.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg sah das anders und urteilte (Az. 6 B 125/18 MD) am 8.3.2018 dagegen:

„Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Magdeburg hat dem Antrag [des Versammlungsanmelders] insoweit stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der YPG und YPJ handele es sich nicht um verbotene Organisationen. Gleiches gelte für deren Fahnen. Es sei nicht zu erkennen, dass diese verwendet werden sollten, um ein Näheverhältnis zur verbotenen PKK zum Ausdruck zu bringen. Die Versammlung verfolge den Zweck, die YPG/YPJ wegen ihres Einsatzes im Kampf gegen den IS und für den Schutz der kurdischen Bevölkerung in Syrien Wertschätzung und Verbundenheit entgegenzubringen.

Die Einlegung einer Beschwerde gegen diesen Beschluss beim OVG Sachsen-Anhalt wurde ausdrücklich zugelassen.

 

Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick auf die Behandlung Erdogan-freundlicher Demonstrationen durch die Versammlungsbehörde:

Am 24.1.2018 kam es in Hannover in der Nähe des türkischen Generalkonsulats zu zwei Demonstrationen, einer Erdogan-freundlichen und einer Erdogan-kritischen.

Im Zuge der Erdogan-Politik-unterstützenden Demonstration wurde mindestens eine Flagge mit dem Symbol der „Grauen Wölfe“, einer von deutsch-staatlichen Stellen mithin als rechtsextremistisch und gewalttätig bewerteten Gruppe, innerhalb der Demonstration präsentiert, mehrere Demonstrationsteilnehmer zeigten zudem den als Erkennungsmerkmal dieser Gruppe bekannten „Wolfsgruß“, wie die „Bilderstrecke“ der HAZ zu dieser Versammlung eindrücklich dokumentiert (Bild 1 / Bild 2).

Auf unsere Anfrage an die Polizeidirektion Hannover teilte diese uns in knapper Antwort sinngemäß mit:

Ja, die Polizei hat das durchaus wahrgenommen, aber nichts dagegen unternommen, weil das alles in Deutschland nicht verboten sei. Dementsprechend gäbe es auch weder Ermittlungen noch Strafanzeigen gegen dieses Auftreten.

Wikipedia über die „Grauen Wölfe“:

„Graue Wölfe (türkisch Bozkurtlar oder Bozkurtçular) ist die Bezeichnung für türkische Rechtsextremisten wie Mitglieder der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) oder der Partei der Großen Einheit (BBP). Sie haben in der Vergangenheit und besonders in den 1970er Jahren zahlreiche Gewalttaten und Morde begangen. (…) Die Ideologie ist der türkische Rechtsextremismus. Als Feindbilder sehen die Grauen Wölfe die kurdische Terrororganisation PKK, welche auf einschlägigen Webseiten als „Babymörder“ bezeichnet wird, und jegliche Kurden, welche eine „Gefahr“ für die Türkei darstellen. Ebenfalls als Feindbilder gelten des Weiteren Juden, Christen, Armenier, Griechen, Kommunisten, Freimaurer, Israel bzw. „Zionisten“, die EU, der Vatikan und die Vereinigten Staaten.

 

Dieser Beitrag will keine Partei ergreifen. Sehr wohl aber das sehr unterschiedliche Maß dokumentieren, mit dem die Versammlungsbehörden (aufgrund undurchsichtiger Vorgaben aus dem Bundesinnenministerium) Demonstrationen meinen, verbieten zu können und die Polizeien diese als politisch zu bewertenden Entscheidungen mitträgt und zum Teil unter Einsatz von Gewalt durchsetzt.

Die unterzeichnenden, sich gegen die hannoverschen Demo-Verbote aussprechenden Menschenrechtsorganisationen rufen zu Protesten gegen die ebendiese Verbote auf.

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