Transparenz- und Journalistenverbände: Niedersächsiches Informationszugangsgesetz als Mittel gegen kritischen Dialog in einer offenen Gesellschaft

Anfang 2013 hat die neue rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen ein „Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz“ versprochen. Ende Januar 2017 stellt sie erstmals den Entwurf eines „Informationszugangsgesetzes“ der Öffentlichkeit vor. Über die dazu hinter verschlossenen Türen laufende „Verbandsanhörung“ herrscht Schweigen.

Wir veröffentlichen hiermit die sonderbar zusammengestellte Liste der vom Niedersächsischen Justizministerium zur nicht-öffentlichen Stellungnahme eingeladenen Gruppen und Verbänden.

Außerdem geben wir wieder, was andere Transparenz-Sachkundige und Journalistenverbände zu dem Entwurf sagen. Auszugsweise vorweg ein kurzer Auszug aus der Stellungnahme des „Netzwerks Recherche“, der uns am treffendsten formuliert erscheint:

„Wenn Wissen erforderlich ist für den kritischen Dialog in einer offenen Gesellschaft und als Basis für eine lebendige Demokratie, dann zeigt dieser Gesetzentwurf: Genau dies, die informatorische Teilhabe an der Macht, der kritische und wohlinformierte Dialog und die lebendige Demokratie sind offenbar nicht erwünscht.“

Doch im Einzelnen:

Schon im Februar 2017 haben wir unsere eigene klare und kritische Haltung zu dem Gesetzentwurf öffentlich gemacht. Nach einem 10tägigen E-Mail-Dialog zwischen uns und verschiedenen Stellen im Regierungs- und Parlamentsapparat des Landes Niedersachsen haben wir die Möglichkeit eingeräumt bekommen, unsere Stellungnahme in die Verbandsanhörung einfließen zu lassen und diese genutzt.

Vor allem aber haben wir die Liste derjenigen 136 (!) Verbände erhalten, die zur internen Verbandsanhörung um Meinung und Stellung zum Gesetzentwurf angeschrieben und gebeten worden sind.

Zur Erinnerung: Es geht um ein Gesetz, dass Informationsfreiheitsanfragen eine gesetzliche Grundlage bieten soll. Merkwürdig ist, welche Vereine und Verbände sich nach Meinung des grün geführten Justizministeriums zu diesem Themenkomplex äußern sollen dürfen.

Eine kleine, aber längst nicht vollständige Auswahl aus dem Sonderbarkeiten-Kabinett dieser Liste:

  • Landesfischereiverband Weser-Ems e.V. -Sportfischerverband-
  • Ring der Abendgymnasien in Niedersachsen e.V.
  • Landeselternvertretung der nieders. Kindertagesstätten
  • Ritterschaftliches Kreditinstitut Stade
  • Bund der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure e.V. (BDVI)
  • Verband Norddeutscher Papierfabriken e.V.
  • Deutscher Verband Tiernahrung e. V. (DVT)

Im Vergleich dazu:

Die Gründungsmitglieder des eigens zur Entstehung eines Niedersächsischen Transparenzgesetzes gegründeten „Bündnisses für Transparenz in Niedersachsen“, die Hannoversche Ortsgruppe des AK Vorrat und der Chaos Computer Club Hannover, wurden nicht eingeladen.

Unsere Kritik an dem saft- und kraftlosen Entwurf, der – so befürchten wir – aus praktischer Sicht sogar einen Rückschritt gegenüber der jetzigen Situation in Niedersachsen ohne ein solches Gesetz bedeuten würde, diese Kritik ist wie erwähnt bekannt und öffentlich.

Doch was sagen andere Verbände dazu?

Hier eine Auflistung der bislang öffentlich gewordenen Stellungnahmen der Transparenz-Experten-Verbände, jeweils mit ein paar Auszügen aus den Stellungnahmen – die Hervorhebungen stammen von uns.

Aus der gemeinsamen Stellungnahme von Transparency International Deutschland, Mehr Demokratie und der Open Knowledge Foundation Deutschland vom 15.3.2017:

„[Wir] sehen [] noch zahlreichen Änderungsbedarf, um den Aufgaben und Funktion eines Transparenzgesetzes gerecht zu werden. Über die bisher geplanten Reformen in dem Entwurf sind wir enttäuscht. Auch nach Einführung eines Informationszugangsgesetzes würde Niedersachsen lediglich 35 von 100 möglichen Punkten (siehe unter www.transparenzranking.de) erhalten und einen der letzten Plätze im bundesweiten Vergleich der Informationsfreiheitsgesetze einnehmen. (…) Der Entwurf ist [] ungenügend.

In der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit (dgif) vom 17.3.2017 ist die Kritik am Entwurf noch deutlicher formuliert:

Der Gesetzentwurf, der vom niedersächsischen Justizministerium unter grüner Hausleitung vorgelegt wurde, ist ein verblüffendes und unerwartetes Beispiel für Kleinmut und vergebene Chancen. Die Landesregierung will mit dem vorgelegten Gesetzentwurf offensichtlich kein modernes Informationszugangs- und Transparenzgesetz vorlegen. Der Gesetzentwurf sieht nicht die Zusammenführung von IFG und UIG vor und sieht auch nur eine Verordnungsermächtigung für ein Transparenzregister in § 12 Abs. 3 NIZG-E vor.
Der vorliegende Gesetzentwurf lässt eine grundsätzlich restriktive Tendenz erkennen. Es handelt sich augenscheinlich um das typische Ergebnis eines Abstimmungsprozesses innerhalb der Landesexekutive, die sich offenkundig mit vielfältigen Beschränkungsversuchen erfolgreich in den Abstimmungsprozess eingebracht hat.

Und ähnlich klar und unverblümt äußert sich der Journalistenverband „Netzwerk Recherche“ in seiner Stellungnahme vom 14.3.2017:

„Der Transparenzgedanke (also im wesentlichen die internetgestützte proaktive Veröffentlichung von Informationen) ist dabei weniger als halbherzig aufgenommen worden. Ähnlich war zuvor nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Rheinland-Pfalz verfahren worden. Insbesondere werden die Kommunen nicht in die Veröffentlichungspflichten des Gesetzes (d.h., die eigentlichen Transparenzpflichten) einbezogen, obwohl in den Flächenländern gerade die Kommunen die Kontaktstellen erster Wahl für die Bürger sind. Es sind derartige „Anregungen“ aus anderen Bundesländern, die nunmehr auch in Niedersachsen aufgegriffen werden. Insofern soll Niedersachsen zwar bald nicht mehr zu den letzten Bundesländern ohne allgemeines und nicht auf Umweltinformationen beschränktes Informationszugangsgesetz gehören. Dieser „Fortschritt“ tritt aber auf in Gestalt eines Gesetzentwurfes, dessen Unwillen, den Anforderungen der Informationsgesellschaft gerecht zu werden, gar zu offensichtlich ist. (…)

Wenn Wissen erforderlich ist für den kritischen Dialog in einer offenen Gesellschaft und als Basis für eine lebendige Demokratie, dann zeigt dieser Gesetzentwurf: Genau dies, die informatorische Teilhabe an der Macht, der kritische und wohlinformierte Dialog und die lebendige Demokratie sind offenbar nicht erwünscht. (…)

Der Gesetzentwurf setzt eine beunruhigende Entwicklung fort, bei der in letzter Zeit in der Transparenzgesetzgebung ein „race to the bottom“ zu beobachten ist. Dafür stehen die Verabschiedung eines sehr restriktiven Informationsfreiheitsgesetzes in Baden-Württemberg und eine Novellierung in Schleswig-Holstein, die aus der Perspektive der Antragsteller Verschlechterungen bringt und das Transparenzniveau senkt.
Dem Anspruch des Transparenzgedankens, der in der Gesetzgebung der Länder Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und insbesondere Hamburg entwickelt wurde, wird der Gesetzentwurf in keiner Weise gerecht. Die Selbstverpflichtung aus der Koalitionsvereinbarung, sich am Hamburgischen Transparenzgesetz orientieren zu wollen, wird durch diesen Gesetzentwurf leider völlig verfehlt. Schon die Bezeichnung „Transparenzgesetz“, womit im Kern die automatische Veröffentlichung von genau definierten Verwaltungsinformationen im Internet gemeint ist, trifft auf den vorliegenden Entwurf gar nicht zu. Denn erstens bleibt es bei einem unverbindlichen Appell an Stellen Landesregierung (nicht etwa der Kommunen, wo die meisten bürgernahen Informationen vorgehalten werden), möglichst viel freiwillig zu veröffentlichen. Zweitens ebnet das Gesetz nur den Weg zu einer möglichen Rechtsverordnung für ein Informationsregister, statt genau dieses zu schaffen, wie es das Hamburgische Transparenzgesetz in vorbildlicher Weise getan hat.
Zweifellos braucht Niedersachsen als eines der letzten deutschen Bundesländer ein allgemeines Informationszugangsgesetzes. Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt die an ein solches Gesetz zu stellenden Anforderungen aber nicht. Er müsste im Sinne der obigen Anregungen erheblich verbessert werden.“

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