Erstmals veröffentlicht: Wie die Bundesregierung der EU-Kommission gut zuredet, um ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die neue Vorratsdatenspeicherung möglichst zu verhindern

20151016meeting-with-EC-DGHOME-dataretentionNachdem die Bundesregierung das Gesetzespaket zur neuen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland veröffentlicht hatte, wurde dieses seitens der EU-Kommission in vielen Punkten grundlegend bemängelt. Grundlage für diesen Vorgang ist das Abkommen zur so genannten TRIS-Notifizierung.

Wir veröffentlichen hiermit das Schreiben der Bundesregierung respektive des Bundesjustizministeriums an die EU-Kommission, mit dem die deutsche Regierung das höchst umstrittene Vorhaben zu verteidigen versucht. Und das aus Sorge davor, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten könnte.

Nach einer ersten Durchsicht sind wir der Meinung, dass dieser Rechtfertigungsversuch an einigen Stellen nicht zieht, zum Teil von falschen Annahmen ausgeht, in einem Fall sich die Bundesregierung sogar selber zu widersprechen scheint.

Neben dem aus einer bei fragdenstaat.de verorteten IFG-Anfrage hervorgegangen Antwortschreiben des Bundesjustizministeriums veröffentlichen wir die von uns durchgeführte Digitalisierung des Antwortschreibens sowie eine erste Zusammenfassung dessen Inhalts, in der wir auf einige aus unserer Sicht kritische Punkte hinweisen möchten.

 

Hier nun unsere Zusammenfassung des siebenseitigen Schreibens:

Die Bundesregierung trägt vor:

In anderen EU-Ländern herrscht kein ausreichender Datenschutz.

Und:

In anderen EU-Ländern gespeicherte Daten sind nicht sicher vor den jeweiligen nationalen Geheimdiensten.

Erneut verwendet die Bundesregierung den Begriff der „Datenerhebung“ missbräuchlich: Für sie steht das für die Verwendung von anlaßlos auf Vorrat gespeicherten Daten. Juristisch ist aber die Datenspeicherung der pauschalen Telekommunikations-Metadaten aller in Deutschland kommunizierenden Menschen bereits die „Erhebung“.

Erstaunlicherweise beruft sich die Bundesregierung in diesem Fall auf die Erkenntnisse dank Snowden, um ihre eigene Sicht der Dinge zu rechtfertigen, während die Regierung (und auch die Verantwortlichen der Bundesgeneralanwaltschaft) in anderen Zusammenhängen wiederholend betont, dass es doch gar keine hieb- und stichfesten Beweise für das wahnsinnige Ausmaß der Überwachung durch fremde (und eigene, deutsche!) Geheimdienste gäbe.

Ebenso erstaunlich ist die Tatsache, dass die Bundesregierung einfach über die inzwischen dank des NSA-Untersuchungsausschusses belegte intensive Zusammenarbeit des BND (und in Teilen auch des Inlandsgeheimdienstes „Verfassungsschutz“) mit NSA und anderen US- und FiveEyes-Geheimdiensten stillschweigend hinwegsieht und so tut, als gäbe es diese nicht.

Mit der gleichen Argumentation, die die Bundesregierung hier nutzt, um ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU-Kommission möglichst noch abzuwenden, verbietet sich zugleich die Erfassung und Speicherung der TK-Verkehrsdaten (und nicht nur im Rahmen der neuen Vorratsdatenspeicherung!) innerhalb Deutschlands!

Die Bundesregierung betont, dass die EU-Grundrechtecharta nicht (zwingend) Gültigkeit für die Vorratsdatenspeicherung hat. Begründet wird das dadurch, dass ein Zugriff auf „deutsche“ Vorratsdaten im EU-Ausland dann möglich wäre, wenn das mit z.B. Terrorismusbekämpfung begründet wäre. (Siehe dazu Artikel 4 Abs. 2 des aktuellen EU-Vertrags von Lissabon.)

Die Bundesregierung meint, dass die bereits heute von TK-Anbietern (z.T. illegal) erfassten Verkehrsdaten (nach § 96 TKG) grundsätzlich weniger sensibel seien als die Daten, deren Erfassung und Speicherung mit der neuen Vorratsdatenspeicherung begründet werden. Begründung für diese zweifelhafte Unterscheidung: Die ersteren Daten (die schon heute vorgehalten werden und oft den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden) seien angeblich von den Unternehmen „freiwillig“ gespeichert und das nur zum Zweck der Aufrechterhaltung des Betriebs. Das ist jedoch eine mehr als zweifelhafte Ansicht.

Das gilt auch für die von der Bundesregierung aufgestellte Behauptung, dass diese Daten nur für einen kurzen Zeitraum gespeichert werden würden (bzw. als Kunde könne man sich doch so ein Unternehmen angeblich frei von anderen Zwängen aussuchen…), was ja durch jüngste Veröffentlichungen widerlegt worden ist.

Zudem hilft eine „nur kurzfristige“ Speicherung von sensiblen Daten nicht per se gegen deren Abgriff/Missbrauch.

Ebenso ist in Zweifel zu ziehen, dass die Wahl einer „flat rate“ automatisch dazu führt, dass der TK-Anbieter keine Verbindungsdaten mehr speichert.

Die Bundesregierung behauptet, dass die Gesetzgebung zur neuen Vorratsdatenspeicherung erst „nach sorgfältiger Prüfung“ entstanden sei. Das widerspricht allen Tatsachen und dem übereilten Vorgehen der Bundesregierung, dass eher einem Durchpeitschen des Gesetzgebungsverfahrens entspricht und eine öffentliche Diskussion des konkreten Gesetzesvorschlags tunlichst vermieden werden sollte, während im Vorfeld bei unzähligen Anfragen immer wieder einer Sachdiskussion ausgewichen worden ist, eben mit dem Verweis auf eine bis dahin noch gar nicht existente konkrete Gesetzgebung.

Die Bundesregierung bittet die EU-Kommission, von einem Vertragsverletzungsverfahren abzusehen. Zitat: „Sie [die Bundesregierung] möchte bei der Kommission dafür werben, solche nationalen Entscheidungen nicht mit dem scharfen Schwert des Vertragsverletzungsverfahrens zu bedrohen, solange auf der Ebene des EU-Rechts in dieser Sache nicht für Klarheit gesorgt ist.“

Das ist aus der Sicht der Bundesregierung ein Werben für eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Wir von freiheitsfoo sehen darin aber eher ein Unterstreichen unserer Forderung, sich mit Bezug auf die Grundrechtecharta und ihre eminente Bedeutung endlich für ein EU-weites Verbot anlassloser Vorratsdatenspeicherung einzusetzen.

Die Bundesregierung meint, trotz bereits 1,5 jähriger Praxis in Deutschland mit einer Vorratsdatenspeicherung und trotz einer langen Diskussion und Bewertung um die vieljährigen Vorratsdatenspeicherungen in anderen EU-Ländern keine „wissenschaftlich fundierte Bewertung der Wirksamkeit einer Vorratsdatenspeicherung“ liefern zu können. Es ist erfreulich, dass die Bundesregierung endlich schriftlich zugibt, dass sie keinen Sinn einer Vorratsdatenspeicherung belegen kann. Es ist zugleich merkwürdig, dass Sie mangels dieser Erkenntnis dennoch diesen tiefen Eingriff in die Grundrechte aller Deutschen meint vornehmen zu dürfen!

Die Bundesregierung wagt es, die Vorratsdatenspeicherung als „offene Ermittlungsmaßnahme“ interpretieren zu können. Eine – wie wir juristische Laien finden – gewagte These. Diese Interpretation nutzt die Regierung dazu, den vom EuGH geforderten Ansprüchen des Rechtsschutzinteresses der Menschen in der EU gerecht werden zu können … oder das zumindest zu meinen.

Weiter meint die Bundesregierung, den Anforderungen des EuGH von Berufsgeheimnisträgern gerecht geworden zu sein, indem sie den Verweis auf die Regeln des § 53 StPO setzt. Ausgeklammert werden dabei sowohl die Fragen der technischen Umsetzung sowie die Zweifel des mangelhaften Umfangs dieser Regelung. Nur ein Beispiel: Sind wir als Blogger von freiheitsfoo keine Journalisten im Sinne des Begriffs und aufgrund der engen Auslegung des § 53 StPO der Vorratsdatenspeicherung genau so ausgesetzt wie alle anderen „einfachen Bürger“?

Und erneut meint die Regierung, dass eine Verwertungspflicht für diese Berufsgeheimnisträger reichen würde, damit diese bzw. ihre „Mandanten, Patienten, Quellen“ nicht eingeschüchtert werden, ihre Grundrechte wahrzunehmen bzw. sich frei entfalten zu können. Dass bereits die Erfassung und Speicherung der Daten erhebliche Auswirkungen auf die davon Betroffenen und deren Wahrnehmung ihrer Grundrechte hat, wird ignoriert.

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