Mein Smartphone und die Polizei

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Hat die Polizei ein Recht, in unseren Smartphones oder Mobiltelefonen herumzuwühlen und SMS, Mails, Nachrichten, Adressbücher, Kalendereinträge und persönliche Dateien aus- und durchzulesen?

Nein, selbstverständlich nicht!

… dachten wir jedenfalls bis neulich ….

In diesem Blogbeitrag geht es nicht um die berechtigte Kritik zu den im letzten Jahr von Bundestag und allen Landesregierungen verabschiedeten Gesetzen zur Bestandsdatenauskunft. (Wer mehr über dieses Thema wissen möchte, kann sich an anderer Stelle weiter informieren, wir raten sehr dazu.)

Stattdessen soll es hier um eine Praxis der nordrhein-westfälischen Polizei gehen (welche vermutlich auch schon jetzt oder zumindest bald in anderen Bundesländern üblich ist), nach Verkehrsunfällen Handys und andere mobile Geräte von an Unfällen beteiligten Menschen einzufordern bzw. gegebenenfalls diese und ihre Fahrzeuge nach solchen zu durchsuchen. Begründet wird dieses Vorgehen mit der Möglichkeit der Nutzung von Handy und dergleichen durch Unfallbeteiligte zur Unfallzeit und damit als dessen Ursache.

Angefangen hat alles mit einem WDR-Beitrag vom 30.1.2014, in dem es heisst:

„Die Polizei in Köln will deshalb künftig das Mobiltelefon routinemäßig bei schweren Unfällen beschlagnahmen, auch wenn es nicht direkt einen Hinweis darauf gibt, dass das Gerät darin verwickelt war.“

Das wollte ein kritischer Zeitgenosse nicht ohne weiteres hinnehmen und hat mittels dem Informationsfreiheitsportal fragdenstaat.de nachgefragt.

Zur Antwort erhielt er sechs Seiten von der Landespolizei ausgehändigt, die einen bemerkenswerten Einblick in die rechtliche Konstruktion für diesen heiklen Eingriff in die Privatsphäre gewährt.

Zitat aus der IFG-Beantwortung:

„Bei einer Auswertung von Daten auf einem Mobiltelefon stellt sich die Frage, welchen grundrechtlichen Schutz die auf dem Gerät gespeicherten Daten genießen. Sollten die Daten dem Fernmeldegeheimnis gemäß Artikel 10 Absatz 1 Grundgesetz unterliegen, wäre eine Auswertung nur unter den Voraussetzungen des § 100g StPO und damit nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung zulässig. Unterlägen die Daten jedoch nicht dem Fernmeldegeheimnis, sondern lediglich dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, könnten für das Ermittlungsverfahren relevante Daten aufgrund der strafprozessualen Ermittlungsgeneralklausel nach § 163 Absatz 1 Satz 2 StPO erhoben werden. Danach würde der Anfangsverdacht einer Straftat ausreichen, wobei aufgrund der Sensibilität der personenbezogenen Daten die Verhältnismäßigkeit der Daten gegeben sein muss.“

Im weiteren Verlauf wird dann erläutert, dass ein Smartphone oder ein Mobiltelefon, mit dem augenblicklich keine Datenübertragung durchgeführt wird, diesbezüglich eindeutig nicht entsprechend dem Fernmeldegeheimnis geschützt ist. Es gelte dann also „lediglich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“.

Diese Unterscheidung zwischen Daten die gerade übertragen werden und solchen Daten, die noch nicht übertragen wurden bzw. deren Übertragung schon abgeschlossen wurde ist auf eine Entscheidung des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts von 2006 zurückzuführen (2 BvR 2099/04).

Die Interpretation dieses Urteils durch die Polizei Köln liest sich wie folgt:

„Vereinfacht dargestellt kann man die Reichweite des Schutzes des Fernmeldegeheimnisses mit dem Briefgeheimnis vergleichen. Sobald der Brief dem Empfänger zugegangen ist, endet der Schutz des Briefgeheimnisses, da der übermittelnde Dritte keine Zugriffsmöglichkeiten mehr auf die Daten hat. Der Empfänger kann ab diesem Zeitpunkt eigenverantwortlich über die Daten verfügen, weshalb es des erweiterten grundrechtlichen Schutzes nicht mehr bedarf. So verhält es sich, wenn auch ungleich komplexer und vielschichtiger, mit dem Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses.
Eine Erhebung von auf den Endgerät gespeicherten Verbindungsdaten stellt demzufolge keinen Eingriff in Artikel 10 Absatz 1 Grundgesetz dar. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist für die Auswertung eines Mobiltelefons damit nicht erforderlich. Die Datenerhebung kann demzufolge auf § 163 Absatz 1 Satz 1 StPO gestützt werden.“

Die Polizei deutet zwar selber an, dass man ein Smartphone nicht mit dem Briefkasten oder der privaten Sammlung persönlicher Briefe gleichsetzen kann (doch selbst wenn es „nur“ das schon wäre …). Aber die Schlußfolgerung, dass man eben nicht aufgrund irgendeines Anfangsverdachts, der in fast jedem beliebigen Fall leicht zu konstruieren ist, Zugriff auf das Smartphone nehmen darf (und eine echte Einschränkung, auf welche Daten man sich dort beschränkt, wird nicht genannt), diese Konsequenz wird von der Behörde ausgeblendet.

Es ist nicht verwegen zu behaupten, dass das alltäglich genutzte Smartphone für viele Menschen zum Teil des Kernbereichs privater Lebensgestaltung geworden ist, in das nur in außergewöhnlichen Einzelfällen und nur nach richterlicher Prüfung eingegriffen werden darf. Dass dieser Grundsatz häufig von der Polizei verletzt wird, zeigt auch ein Beispiel aus Berlin.

Den Verantwortlichen in Polizei und Politik empfehlen wir die Lektüre des Bundesverfassungsgerichts-Urteils vom 27. Februar 2008, in dem das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ entwickelt und beschrieben worden ist.

Dieses u.a. aufgrund der Initiative der Bürgerrechtlerin Bettina Winsemann (heute: Bettina Hammer) gefällte Urteil benötigt endlich Eingang in Köpfe und Praxis der Polizeien und Geheimdienste, es verdient mehr Beachtung!

Dem geneigten Leser empfehlen wir darüber hinaus auch die Lektüre der Seiten 4 und 5 des von der Polizei NRW freigegebenen Dokuments, werden darin doch sehr übersichtlich die Ermächtigungsgrundlagen der Polizei aufgelistet und letztenendes der Gehalt des WDR-Berichts ein wenig zurecht gerückt.

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