Heute vor 50 Jahren gestorben: Hannah Arendt

Hannah Arendt in Wikipedia und im Gespräch mit Günter Gaus auf Youtube (1964).

Nachfolgend sechs nicht beliebig gewählte Ausschnitte aus dem Buch „Hannah Arendt. Oder: Die Liebe zur Welt“ von Alois Prinz. Etwaige Hervorhebungen durch uns.

„Hannah Arendt schreibt diese Zeilen [ab 1941] vor dem Hintergrund der Judenverfolgung durch die Nazis in Osteuropa und einer veränderten Politik der Briten in Palästina. (…) Sie warnt vor der jüdischen Neigung, den Antisemitismus als ein ’natürliches Problem‘ zu betrachten und in den gefährlichen Irrglauben zu verfallen, dass die Juden als auserwähltes Volk von einer feindlichen Welt umzingelt seien. Ebenso warnt sie vor der zionistischen Hoffnung, ein eigener Judenstaat sei der einzige Ort, wohin man vor dem Antisemitismus fliehen könne. Immer wieder erinnert sie in ihren Artikeln, dass Palästina nicht ‚auf dem Mond‘ liegt, sondern von einer arabischen Bevölkerung umgeben ist, mit der man eine Verständigung suchen muss. Ein eigener jüdischer Staat würde diese Verständigung unmöglich machen, weil in ihm die Nicht-Juden imer nur Minderheitsrechte hätten.“ (Seite 114f.)

„Vor allem Dänemark ist für Hannah Arendt ein Musterbeispiel dafür, ‚welch ungeheure Macht in gewaltloser Aktion und im Widerstand gegen ein an Gewaltmitteln vielfach überlegenen Gegner liegt‘. Die dänische Regierung weigerte sich beharrlich, den deutschen Befehlen nachzukommen, und auf die Aufforderung, den Judenstern einzuführen, erklärte der dänische König, er werde sich als Erster diesen Stern anheften. Solcher Widerstand ‚auf breiter Basis‘ hatte eine erstaunliche Wirkung: Die deutschen Befehlshaber wurden merkwürdig nachgiebig und ratlos, sie missachteten Anweisungen aus Berlin und wurden unzuverlässig. Ihre ‚Härte‘, so Hannah Arendt, ’schmolz wie Butter in der Sonne‘. Dieses Aufweichen weist auf eine Eigenschaft hin, die Hannah Arendt schon in ihrem Totalitarismus-Buch beschrieben hat: So mörderisch und vernichtend solche Systeme sind, so leicht brechen sie in sich zusammen, wenn ihnen ein entschlossener, solidarischer Widerstand entgegentritt. Der Grund dafür ist die merkwürdige Substanzlosigkeit.“ (Seite 248f.)

„Jaspers befürchtet [1964], dass das Buch [„Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil.“] auch in Deutschland für erheblichen Wirbel sorgen wird, weil Hannah darin den deutschen Widerstand gegen Hitler in einem sehr kritischen Licht sieht. Sie geht darin der Frage nach, ob Adolf Eichmann so etwas wie ein Gewissen gehabt hat, und erklärt in diesem Zusammenhang, dass die Gegner Hitlers nicht unbedingt immer aus Gewissensgründen gehandelt hätten. Nur einigen Einzelkämpfern und Gruppen wie der ‚Weißen Rose‘ billigt sie zu, wirklich aus prinzipieller Abscheu gegen Hitler die Nazis bekämpft zu haben. Die so genannten ‚Männer des 20. Juli‘ um den Grafen Stauffenberg dagegen hätten nicht aus Prinzip gegen Hitler gehandelt. Ihnen sei es nur darum gegangen, Deutschland politisch zu retten, im absehbaren Fall der Niederlage günstige Bedingungen für Verhandlungen mit den Siegermächten und einen Neuanfang zu schaffen. Das, was man gemeinhin unter Gewissen verstehe, so fasst Hannah zusammen, war ‚in Deutschland so gut wie verloren gegangen‘.“ (Seite 253f.)

„Auch der Gedanke an den Tod macht ihr keine Angst. ‚Ich habe immer gerne gelebt‘, bekennt sie Jaspers, ‚aber so gerne, dass es immer weiterdauern sollte, wieder auch nicht. Mir war der Tod immer ein angenehmer Genosse – ohne Melancholie. Krankheit wäre mir sehr unangenehm, lästig oder schlimmer. Was ich gerne hätte, wäre ein sicheres, anständiges Mittel zum eventuellen Selbstmord; ich hätt es gern in der Hand.‘ Bei Jaspers trifft Hannah mit solchen Überlegungen auf vollstes Verständnis. Seit der Nazizeit lebt er mit dem Gedanken an Selbstmord, und was die ‚anständigen Mittel‘ betrifft, ist er Experte. Er schildert Hannah [1966] ausführlich, welche Pharmaka wie Zyankali, Morphium oder Veronal in Frage kommen, wie man sie zu sich nimmt und welche Vor- und Nachteile sie haben. Was ihn jedoch ‚verdrießlich‘ macht, ist, dass man so schwer an diese Mittel herankommt. ‚Die ‚freie Welt‘ ist nicht frei‘, empört er sich, ‚denn sie verbietet den Selbstmord.‘“ (Seite 268)

„[Hannah Arendt] schreibt [1971] einen Essay über ‚Die Lüge in der Politik‘. Anlass dafür sind die sogenannten ‚Pentagon-Papers‘, die im Juni auszugsweise von der New York Times veröffentlicht worden sind. Es handelt sich dabei um geheime Dokumente aus dem Verteidigungsministerium, in denen die amerikanische Politik in Vietnam beschrieben wird. Für Hannah Arendt zeugen diese Dokumente von einer erschütternden Realitätsferne der politischen Führung in Washington, insbesondere jener Berater des Präsidenten, die sie ‚Problem-Löser‘ nennt. Diese Problem-Löser würden viel Intelligenz darauf verwenden, Szenarien zu entwerfen und Theorien aufzustellen, um die Ereignisse berechenbar zu machen. Dabei ignorierten sie jedoch die tatsächlichen Gegebenheiten. Wovon sie allein geleitet werden, so Hannah Arendt in einem Interview, ist ein ‚Image‘, das sie mit allen Mitteln aufrechterhalten wollen. Seit den Pentagon-Papieren wisse man, ‚dass Amerika diesen ganzen Krieg um sein Image geführt hat – entweder wollte jemand die nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnen (wer will schon der erste Präsident sein, der einen Krieg verliert?) oder aber es ging um das Image Amerikas in der Welt, um den Beweis, dass es wirklich die größte Macht der Welt ist. Doch damit nicht genug. Man wollte unbedingt, dass die Welt auch daran glaubt, dass Amerika das stärkste Land der Welt ist.‘ Das Schlimme an dieser Propaganda ist für Hannah Arendt, dass die ‚image-maker‘ selbst auf ihre Vorstellungen hereinfallen. Ein kaltblütiger Lügner, so führt sie aus, weiß noch, dass er die Unwahrheit sagt, aber bei einem Lügner, der sich selbst betrügt, hat die Realität keine Chance mehr. Darum kommt für sie alles darauf an, dass man sich nicht selbst belügt. Und sie zitiert in diesem Zusammenhang aus einem Roman von Dostojewski, wo es heißt: ‚Wer sich selbst belügt und auf seine eigene Lüge hört, kommt schließlich dahin, dass er keine einzige Wahrheit mehr weder in sich noch um sich unterscheidet.‘“ (Seite 288f.)

„[1973] will Hannah Arendt der Frage nachgehen, welche Ursache dieses Böse hat, das so banal in Erscheinung tritt. Sie glaubt nicht, dass jemand böse ist, weil er ein ‚böses Herz‘ hat oder weil böse Absichten ihn leiten. Sie glaubt auch nicht, dass Bosheit etwas mit Dummheit oder Intelligenz zu tun hat oder sich lediglich als Verstoss gegen moralische Gebote verstehen lässt. In solchen Erklärungen wird das Böse als eine Macht gesehen, die die Gedanken eines Menschen sozusagen auf die schiefe Bahn bringt oder beeinträchtigt. Hannah Arendt dagegen meint, dass die Wurzeln des Bösen im Denken selbst liegen. Darum fragt sie: ‚Könnte vielleicht das Denken als solches – die Gewohnheit alles zu untersuchen, was sich begibt oder die Aufmerksamkeit erregt, ohne Rücksicht auf die Ereignisse oder den speziellen Inhalt – zu den Bedingungen gehören, die die Menschen davon abhalten oder geradezu dagegen prädisponieren, Böses zu tun?‘ Hannah Arendt beantwortet diese Frage mit Ja. Zu den Bedingungen des Denkens gehört für sie die von Sokrates gemachte Entdeckung, dass Denken nichts anderes ist als ein ’stummes Zwiegespräch‘. Wer denkt, der zieht sich zwar von der Welt und den Menschen zurück, er ist allein, aber er ist nicht einsam. Denn er begibt sich in Gesellschaft mit sich selbst und macht dabei die Erfahrung, dass er sich im Denken aufspaltet und sozusagen ‚Zwei-in-einem‘ ist. (…) Diese Notwendigkeit, in Übereinstimmung mit sich selbst zu sein, ist für Hannah Arendt die Quelle für das, was man üblicherweise Gewissen nennt. Dieses Gewissen, verstanden als inneres Gespräch, hält mich davon ab, Unrecht zu tun. Denn wer, so fragt Hannah Arendt, möchte schon mit einem Mörder oder Lügner zusammenleben müssen? (…) In ihrem später veröffentlichten Buch ‚Das Leben des Geistes‘ heißt es hierzu: ‚Wer jenen stummen Verkehr nicht kennt (in welchem man prüft, was man sagt und was man tut), der wird nichts dabei finden, sich selbst zu widersprechen, und das heißt, er ist weder fähig noch gewillt, für seine Rede oder Handeln Rechenschaft abzulegen; es macht ihm auch nichts aus, jedes beliebige Verbrechen zu begehen, weil er darauf zählen kann, dass er es im nächsten Augenblick vergessen hat (…). Ein Leben ohne Denken ist durchaus möglich; es entwickelt dann sein eigenes Wesen nicht – es ist nicht nur sinnlos, es ist gar nicht recht lebendig. Menschen, die nicht denken, sind wie Schlafwandler.‘“ (Seiten 295ff.)

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NPOG-Novelle: Synopse veröffentlicht!

In Niedersachsen wird das Polizeigesetz „reformiert“, besser: aufgebohrt. Seit vielen Monaten arbeitet das dortige Innenministerium an dem Gesetzentwurf („NPOG-Novelle“) herum, vor knapp zwei Wochen ist der Gesetzentwurf öffentlich geworden.

Der Entwurf ist inklusive Begründung 81 Seiten lang und für „normale“ Menschen ohne juristische Fachkenntnisse und eingebunden in ihrem Lebensalltag unleserlich und unverständlich. Da werden alte Paragraphen durch andere Inhalte ersetzt, ganz oder teilweise in neue Paragraphen verschoben, noch ganz neue Inhalte eingefügt oder auch hierfür neue Unterparagraphen geschaffen, die dann auch noch untereinander auf sich (mit den neuen Nummern) verweisen.

Um etwas Ordnung und Übersicht in dieses Getümmel zu bringen gibt es „Synopsen“. Das sind tabellarische Gegenüberstellungen der alten, noch gültigen Gesetzesversion zur neuen.

Auch den an der Gesetzgebung beteiligten Behörden und Menschen geht es nicht anders und deswegen werden diese Synopsen innerbehördlich (aus Steuermitteln finanziert) erstellt, in Niedersachsen in der Vergangenheit bislang aber unter Verschluss bzw. von der Öffentlichkeit ferngehalten. Merke: Niedersachsen ist das (fast) letzte Bundesland in Deutschland, das noch kein Informationsfreiheitsgesetz besitzt und alle vorhergehenden Landesregierungen unter der Beteiligung von CDU und SPD haben ein solches Gesetz bislang erfolgreich blockiert. [Von einer Umsetzung der im aktuellen Koalitionsvertrag auf Seite 102 versprochenen Einführung eines solchen Gesetzes ist unter der derzeitigen Innenministerin Behrens trotz vielfachen Nachfragens von uns in dieser Sache noch keine einzige Spur zu erkennen. Demokratie – yeah!] So hat sich das Innenministerium auch beim Entstehen des NPOG in 2018/2019 oder auch bei der Erweiterung des Gesetzes für den niedersächsischen Geheimdienst in 2020 vehement gegen die Veröffentlichung der damaligen Gesetzes-Synopsen verweigert.

Auf für die aktuell im Gesetzgebungsverfahren befindliche Synopse haben wir das Innenministerium am 16.11.2025 um deren Existenz beim Innenministerium in Hannover nachgefragt. Ja, die gäbe es, es sei allerdings nur ein „internes Arbeitspapier“, das nicht zur Veröffentlichung freigegeben sei – so hieß es einen Tag später als Antwort an uns. Wir haben nicht lockergelassen und nochmals um die Veröffentlichung gebeten und das öffentliche Interesse an der Synopse beschrieben. Das war am 18.11.2025. Nach einem nochmaligen Nachhaken am 25.11. hat uns das Innenministerium nun am 28.11.2025 die Synopse zugeschickt und damit den Weg zur Veröffentlichung freigemacht!

Wir danken dem Innenministerium für die Änderung seiner Haltung in dieser Sache! Würden uns aber zugleich auch wünschen, dass die Synopsen bei Gesetzesänderungen grundsätzlich öffentlich gemacht werden und dass das Innenministerium nun auch noch die ihm zugegangenen Stellungnahmen im Rahmen der Verbandsanhörung veröffentlicht. Diesbezüglich will man bislang noch keine Transparenz herstellen.

Hier nun also für alle:

Synopse zur NPOG-Novelle 2025

Das Innenministerium sollte diesem ersten Schritt in Richtung Bürgerbeteiligung und Transparenz weitere folgen lassen und die Verbands-Stellungnahmen zur NPOG-Novelle veröffentlichen und vor allem nun endlich schnell ein Informationsfreiheitsgesetz angehen und umsetzen, bevor der parteipolitisch absehbare Ruck nach Rechts Einzug in die niedersächsische Landesregierung hält und weitere Demokratisierungsprozesse blockieren wird!

Die nächsten Landtagswahlen in Niedersachsen finden voraussichtlich im Herbst 2027 in statt!

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NPOG-Polizeigesetznovelle Niedersachsen: Landesamt für Datenschutz möchte seine Stellungnahme nicht veröffentlichen

Seit vielen Monaten werkelt das niedersächsische Innenministerium (und bis vor zwei Wochen inhaltlich intransparent hinter verschlossenen Türen) an einer deutlichen Ausweitung der Befugnisse für die niedersächsische Polizei. Das soll durch Änderungen im Polizeigesetz für Niedersachsen, dem NPOG passieren.

Teil der nicht-öffentlichen Vorverhandlungen war die so genannte „Verbandsanhörung“. Auch die Liste der Gruppen und Verbände, die zu diesem exklusiven Vorgang gehören wollte man uns noch vor Monaten nicht verraten.

Nach der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Landtag (inklusive möglichst schneller erster Lesung, bevor sich überhaupt informierter Widerstand bilden konnte) ist nun öffentlich, wer zur Verbandsanhörung eingeladen worden ist (siehe Seite 29 der Landtagsdrucksache zum Gesetzentwurf).

Wir haben daraufhin alle sich beteiligten Verbände mit der Bitte um Veröffentlichung ihrer Stellungnahmen angeschrieben.

Das Landesamt für Datenschutz Niedersachsen (LfD) ist einer der wenigen „Verbände“, der sich darauf hin zurück gemeldet hat – das muss man dem Amt immerhin zugute halten. Allerdings möchte der Landesdatenschutzbeauftragte seinen selbst verfassten Bericht, seine Stellungnahme zur NPOG-Novelle nicht öffentlich machen. Weil: Die sei ja nur an das Innenministerium gerichtet gewesen.

Selbst auf nochmaliges Nachhaken und den Hinweis, dass das LfD als Urheber der Stellungnahme auch Verfügungsgewalt über diese habe lehnen die Landesdatenschützer ohne weitere Begründung ab. Man möge sich mit der Bitte doch an das Innenministerium wenden.

Das haben wir getan und warten seither auf Antwort.

Der gesamte Vorgang erweckt den Eindruck, als sei das LfD dem Innenministerium gegenüber in gewissem Umfang hörig.

Die Stellungnahme des LfD ist aus Steuermitteln finanziert worden. Es gibt zudem ein berechtigtes öffentliches Interesse zu erfahren, was der Landesdatenschützer im Einzelnen zum Entwurf zu sagen hat, ohne sich auf Interpretation der Stellungnahme durch das Innenministerium verlassen zu müssen. Intransparenz und Geheimhaltung solcher Dokumente sind einer Demokratie, wie sie in Feiertagsreden beständig floskelhaft beschworen wird, unwürdig.

Nun ist das Innenministerium am Zug.

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NPOG-Novelle – Entwurf für neues Polizeigesetz Niedersachsen veröffentlicht

Nach langem Zaudern und geheimnisvollen Wirken bei unerwünschter Öffentlichkeit hat die niedersächsische Landesregierung (aktuell: SPD/Grüne) nun den Entwurf für ein neues niedersächsisches Polizeigesetz („NPOG-Novelle„) veröffentlicht.

Die erste Lesung findet dazu bereits am Mittwoch mittag (19.11.2025) im Landtag statt – 28 Minuten hat man dem parlamentarischen Betrieb dafür eingeräumt.

Eine genauere Analyse steht noch aus, aber schon jetzt kann man nach einem ersten groben Blick auf den für normale Leute unlesbaren Gesetzentwurf zusammenfassen:

Mehr Bodycams, VIEL mehr Drohnen (für alles mögliche), Verhaltenserkennung und biometrische Analyse von Menschen im öffentlichen Raum (auch durch mehr Videoüberwachung), Erlaubnis zum unbegrenzten Internetcrawling durch die Polizei, KI-Datenanalyse für Polizeidaten, eine leichtere datenweitergabe an Dritte (öffentliche und private Stellen) und ins unsichere Ausland (Stichwort: Ungarn), ein neuer Neusprech-Tatbestand „Vorfeldstraftat“ (crimethink), Erlaubnis des heimlichen Einsatzes von KFZ-Kennzeichen-Scannern uvm.

In einem für alle offenen Pad sammeln wir derzeit Kritikpunkte an der Novelle.

Die Landesregierung scheint sich jedenfalls nicht im Klaren darüber zu sein, welche Instrumente Sie damit einer Polizei in den Schoß legt, die zukünftig möglicherweise unter einer Beteiligung noch rechterer Parteien als bisher oder gar faschistischer Parteien im Landtag geführt werden wird und die sich schon seit Jahren dem Vorwurf ausgesetzt sieht, selber von rechten Einzelnen und Gruppierungen beeinflusst bis unterwandert zu sein.

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Gegen’s Knie der Versammlungsfreiheit getreten – Gelebte Praxis der Anwendung und Durchsetzung des Sonderstrafrechts für Polizist*innen. Bericht von einer kafkaesk-orwellschen Gerichtsverhandlung.

Vorbemerkung: Der nachfolgende Text ist ein subjektiver Bericht von einer Gerichtsverhandlung, die am 1.10.2025 im Amtsgericht Hannover stattfand. Es ist zugleich die Dokumentation eines „Tritts gegen das Knie der Versammlungsfreiheit“. So interpretierten wir hier in einem Blogbeitrag von 2017 das damals eingeführte Sonderstrafrecht für Polizisten & Co., die diese faktisch zu „gleicheren“ Menschen erklärt. Dass dieses Sonderstrafrecht zur Unterdrückung der Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit missbraucht werde, das hatten wir damals befürchtet. Dass diese Befürchtung Wirklichkeit geworden ist belegt der hier beschriebene Fall.

– – –

Da ist die Demonstration. Die fand im Sommer 2024 in Hannover-Linden-Nord statt und erinnerte an die Erschießung eines Flüchtlings vor 30 Jahren. An Halim Dener.

Da ist eine junge Frau, Anfang 20. Deutsche Staatsangehörigkeit. In der Ausbildung zu einem Pflegeberufes befindlich. Sie hat ein Problem: Sie hat großes Unwohlsein in engen Menschenmengen, sie braucht Bewegungsspielraum, auch aufgrund von üblen Erfahrungen. (Klaustrophobie ist übrigens auch nicht so selten. Rund einer von vierzehn Menschen leidet darunter.) Sie hat aber ein noch größeres Problem: Sie steht an diesem Tag vor Gericht.

Dann sind da noch die vier Polizist*innen. Die haben – so der sehr obrigkeitstreu wirkende Staatsanwalt – die junge Frau in die Demonstration drängen wollen. Warum die vier meinten, dass die Frau unbedingt in den Demozug gehöre und deswegen mittels Gewalt dorthin gebracht werden sollte, das sagt der Staatsdiener nicht. (Auch wenn das heute keinen interessiert hat: Darf man eigentlich zur Teilnahme an einer Demo gezwungen werden?) Na jedenfalls haben die vier Vollzugsbeamte dann die junge Frau auf den Boden geworfen und mit roher Gewalt festzusetzen versucht, als die das nicht mitmachen wollte. Sie geriet in Panik. Was ja auch kein Wunder ist. Und sie hat um sich getreten und sich gegen die sich an ihr ausgeübten Gewalt gewehrt. Ein klassischer Fall für das neue Sonderstrafrecht, das die Polizeileute als bessere Menschen als den Rest der Menschheit deklariert. Die junge Frau darf sich in so einem Fall nicht gegen Polizeigewalt wehren – egal, was die Polizei mit ihr macht und ob das rechtens war oder nicht. Sie hat die Polizist*innen im Sinne des noch jungen Farm-der-Tiere-Paragraphen § 114 StGB „tätlich angegriffen“.

Und ach ja. Dann ist da noch die Richterin. Sie scheint einem klischeeverhafteten Comic entsprungen zu sein. Mit ihrer scharfen Zunge im und der Dauerwelle auf ihrem Kopf. (Ist das nicht die aus dem Großstadtgeflüster-Video?) Die Richterin befand es nicht einmal für nötig, sich das Polizeivideo zum ganzen Verhandlungsgegenstand anzuschauen, interessierte sich nicht für das zentrale Beweismittel. Deswegen dachte sie auch, dass es sich bei der jungen Frau um eine nicht deutsch sprechende Person handelt und hat erst mal eine Dolmetscherin zum Gerichtstermin bestellt. Schließlich hat die junge Frau ja einen so seltsamen, ausländisch klingenden Namen. Die Dolmetscherin ging dann gleich wieder nach Hause, nachdem klar war, dass die junge Frau als gebürtige Hannoveranerin bestes Hochdeutsch spricht. Und nachdem sie sich von der Richterin ihre Anwesenheit hat bescheinigen lassen. Wegen der Rechnung, die sie noch schreiben wird. (Wer bezahlt die eigentlich?)

Die junge Frau wurde bereits verurteilt. Sie muss 120 Tagessätze Strafe bezahlen. Wegen des Um-sich-Tretens in ihrer Zwangslage. Denn ein Polizist ist ja schließlich dabei hingefallen.

Bei dem Gerichtstermin geht es nun nur noch um die Frage, wie viel Geld das ist, diese „120 Tagessätze“.

80 Euro schlägt der schmale Staatsanwalt nun vor. Pro Tagessatz.

Die Verteidigerin der jungen Frau meint das sei zu viel. Schließlich verdient die junge Frau in ihrer Pflegeausbildung nur 900 Euro im Monat, wovon schon 450 Euro für die Miete drauf gehen. (Wieso werden Menschen, die sich in ihrer Ausbildung um andere Menschen kümmern und das auch noch ihr ganzes Arbeitsleben lang machen wollen eigentlich so mies bezahlt?)

Na gut, meint der Staatsdiener. Dann halt 30 Euro.

Die Verteidigerin meint, dass dann nichts mehr zum Erwerb des Lebensnotwendigsten bliebe. Nach Abzug der Miete hat die junge Pflegeschülerin nicht mehr Geld übrig als das staatlich berechnete Mindesteinkommen zum Leben und Überleben. Sie schlägt deswegen 15 Euro als Tagessatz vor.

Man beachte: Nach Abzug der Miete hat die junge Frau noch 450 Euro pro Monat übrig. (War jemand von den hier noch Mitlesenden in den letzten Monaten eigentlich mal Einkaufen?) Wenn sie jeden Tag 15 Euro von ihrer Strafe abbezahlt, hat sie genau 0 Euro zum Leben übrig. Pro Tag. Also nichts. Und das 120 Tage lang. Das sind 4 Monate.

Nun kommt die Richterin. Beziehungsweise erst mal sitzen alle im Gerichtssaal anwesenden Menschen (ob man die Richterin mit Blick auf ihre Empathiefähigkeit als Wesensmerkmal menschlichen Lebens dazu zählen kann muss eher verneint werden) und müssen still und geduldig warten, bis die Richterin etwas vor sich hingekritzelt hat. Nach diesen sonderbaren Gedenkminuten, in denen man sich fragt, ob das alles real oder ein Kitschfilm ist, in dem man als Statist irgendwie hineingeraten ist – nach diesen endlosen Minuten also verkündet die Richterin, dass der Tagessatz der jungen Frau ihrer richterlichen Weisheit nach 30 Euro beträgt. Weil das in Niedersachsen bald (aber jetzt noch nicht, oder was?) so üblich wäre, dass man den Abzug der Miete vom Einkommen nicht berücksichtigen müsse.

Na dann halt 8 Monate lang kein Essen, Trinken oder sonstige Ausgaben für die junge Frau.

Die Richterin wünscht der jungen Frau noch alles Gute. Sie wird nicht rot dabei. Auch tut sich kein Höllenschlund vor ihr auf, in dem sie dann verschwindet.

Gewundert hätte mich das nicht.

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Üstra-Hauptversammlung 2025: Evidenzlose Videoüberwachung. Menschenverachtende Strafverfolgung Schwarzfahrender. Millionen für Microsoft. Fehlende Innovationskraft.

Seit rund 15 Jahren begleiten wir (bzw. im Rahmen der freiheitsfoo-Vorstrukturen) den hannoverschen ÖPNV-Betreiber, die üstra AG auf ihren Hauptversammlungen und stellen Fragen zu Videoüberwachung, zur Zusammenarbeit der üstra mit der Polizei, zur von der üstra zu verantwortenden Strafverfolgung von Schwarzfahrern und vielen anderen Themen.

So auch dieses Jahr, zur Hauptversammlung vom 28.8.2025. Alle Fragen und Antworten wurden von uns – wie üblich – öffentlich in unserem Wiki dokumentiert.

Aus den Antworten des Vorstands und mit Blick auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre möchten wir dazu folgende, uns wichtig erscheinende Informationen zusammenfassen und auflisten:

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freiheitsfoo jetzt auch offizieller Partner von Tor

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Stellungnahme von AK Vorratsdatenspeicherung, freiheitsfoo und Kleindatenverein gegen die Initiative der EU-Kommission für eine Vorratsdatenspeicherung 2.0

Bild von Frans Valenta, rund 15 Jahre alt, heute aktuell wie damals.

Mit Sachverstand und nüchternen Argumenten gegen den neuen Vorstoß der EU-Kommission für eine neue Vorratsdatenspeicherung – Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler reichen Dokument gegen die geplante Erfassung persönlicher Lebensumstände aller Menschen in der EU ein.

*

Mit den Urteilen des Europäischen Gerichtshof ab 2010 beginnend hat dieser der Absicht der EU-Kommission, die Lebensumstände und -gewohnheiten aller Menschen in der EU mittels Pflicht zu einer allgemeinen Vorratsdatenspeicherung zu erfassen einen Riegel vorgeschoben.

Nach jahrelanger interner Vorbereitung möchte die Kommission nun einen neuen Anlauf zur Etablierung einer IP-Vorratsdatenspeicherung und möglicherweise einer noch darüber hinaus gehenden Identifizierungspflicht und die Ausweitung der Datenerfassung auf Messengerdienste nehmen.

In einem ersten Schritt hat sie dazu eine „Sondierung“ gestartet.

Mit einem 10seitigem Positionspapier wenden sich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, das freiheitsfoo und der Kleindatenverein nun gegen die so geplante Vorratsdatenspeicherung 2.0 und führen dazu eine Reihe von Belegen und Argumenten an:

– Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung ist die am tiefsten in die Privatsphäre eingreifende und unpopulärste Überwachungsmaßnahme, die die EU jemals hervorgebracht hat.

– Sie hat sich für viele Bereiche der Gesellschaft als höchst schädlich erwiesen.

– Sie erzeugt erhebliche Risiken des Missbrauchs und des Verlusts vertraulicher Informationen über unsere persönlichen Kontakte, Bewegungen und Interessen. Besonders bedenklich, ja brandgefährlich kann sie in den Händen autoritaristisch und nationalistisch ausgerichteter Regierungen werden.

– Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung hat sich dabei zudem als überflüssig und sogar kontraproduktiv bei der Beseitigung von Marktverzerrungen erwiesen.

– Es hat sich herausgestellt, dass sie zur Aufdeckung, Verfolgung und Bestrafung schwerer Straftaten überflüssig ist.

– Sie hat sich als grundrechtswidrig erwiesen und höchstgerichtlicher Überprüfung wiederholt nicht standgehalten.

– Der durch sie auf die Menschen ausgeübte Überwachungsdruck hat das schreckliche Potential, nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen sondern auch das Gemeinwohl.

Wir fordern die EU-Kommission dazu auf, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Hände von einer neuen Richtlinie zu Vorratsdatenspeicherung und Identifizierungspflicht zu lassen, anonyme Kommunikation als unverzichtbaren Bestandteil eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens anzuerkennen und zu fördern und eine Initiative zur Schaffung einer wissenschaftlich arbeitenden, neutralen und unabhängigen Institution zur Erstellung von Überwachungsgesamtrechnungen zu ergreifen.

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
freiheitsfoo
Kleindatenverein

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Zeitzeichen, 31

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

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Die „Schüler-ID“: Eine Zwangs-Personenkennzeichen für jedes Kind und jeden Jugendlichen

Ein schon viele Jahre alter Aufkleber der inzwischen eingestellten Schwarzen-Ruhr-Uni Bochum.

Jedes Kind und jeder Jugendliche in Deutschland soll ein eineindeutiges Personenkennzeichen erhalten. Zwangsweise. Spätestens ab Eintritt in die Schule, vielleicht aber auch schon ab Kindergarten oder Krippe.

Das Kennzeichen wird als „Schüler-ID“oder auch – neusprechartig harmloser klingend – „Bildungs-ID“ bezeichnet.

Die Idee bzw. der Wunsch zu dieser Erfassung und Rasterung von Menschen und deren scheinbaren Bildungsverlauf ist nicht neu, sondern schon rund 25 Jahre alt. Doch derzeit basteln viele Bundesländer an sehr konkreten Umsetzung oder erweitern bereits eingeführte Ländervarianten von Schüler*innen-Kennzeichen. Die neue Bundesregierung hat die Idee gar zu einem Bundesprojekt befördert und hebt mit der CDU-Politikerin Karin Prien nun eine der herausragenden Fürsprecherinnen umfassender Erhebungen und -nutzungen personenbezogener Schüler*innen-Daten in das Amt der neuen Bundesbildungsministerin.

Dieser Beitrag soll Geschichte und Idee der Personenkennziffer für junge Menschen beleuchten. Auch kritisch im Lichte des Volkszählungsurteils.

So wollen wir im folgenden auch nicht den Terminus der „Schüler-ID“ übernehmen sondern sprechen im folgenden stattdessen von dem, was die „Schüler-ID“ ist, nämlich ein „Kinder-Kennzeichen“ (KKZ). Diesen – zunächst sicherlich übertrieben wirkenden – Begriff zu wählen wäre nicht gerechtfertigt gewesen, wenn es bei Anfangs-Idee der Schüler*innen-ID im Sinne der Nutzung personenbezogener Daten lediglich in pseudonymisierter Weise und unter Beachtung des Rückführ- bzw. Rückwirkungsverbots für die Ermittlung ausschließlich statistischer Daten geblieben wäre. Das ist es aber nicht, wie wir hier belegen werden.

Wir gliedern diesen Beitrag wie folgt:

1. Geschichte des KKZ
2. Neuer Anlauf für ein KKZ
3. Das KKZ in der neuen schwarz-roten Bundesregierung
4. Blick nach Niedersachsen
5. Pro und Contra eines KKZ
6. Vereinbarkeit des KKZ mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
7. Ausblick und Fazit

Los gehts:

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