Gegen’s Knie der Versammlungsfreiheit getreten – Gelebte Praxis der Anwendung und Durchsetzung des Sonderstrafrechts für Polizist*innen. Bericht von einer kafkaesk-orwellschen Gerichtsverhandlung.

Vorbemerkung: Der nachfolgende Text ist ein subjektiver Bericht von einer Gerichtsverhandlung, die am 1.10.2025 im Amtsgericht Hannover stattfand. Es ist zugleich die Dokumentation eines „Tritts gegen das Knie der Versammlungsfreiheit“. So interpretierten wir hier in einem Blogbeitrag von 2017 das damals eingeführte Sonderstrafrecht für Polizisten & Co., die diese faktisch zu „gleicheren“ Menschen erklärt. Dass dieses Sonderstrafrecht zur Unterdrückung der Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit missbraucht werde, das hatten wir damals befürchtet. Dass diese Befürchtung Wirklichkeit geworden ist belegt der hier beschriebene Fall.

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Da ist die Demonstration. Die fand im Sommer 2024 in Hannover-Linden-Nord statt und erinnerte an die Erschießung eines Flüchtlings vor 30 Jahren. An Halim Dener.

Da ist eine junge Frau, Anfang 20. Deutsche Staatsangehörigkeit. In der Ausbildung zu einem Pflegeberufes befindlich. Sie hat ein Problem: Sie hat großes Unwohlsein in engen Menschenmengen, sie braucht Bewegungsspielraum, auch aufgrund von üblen Erfahrungen. (Klaustrophobie ist übrigens auch nicht so selten. Rund einer von vierzehn Menschen leidet darunter.) Sie hat aber ein noch größeres Problem: Sie steht an diesem Tag vor Gericht.

Dann sind da noch die vier Polizist*innen. Die haben – so der sehr obrigkeitstreu wirkende Staatsanwalt – die junge Frau in die Demonstration drängen wollen. Warum die vier meinten, dass die Frau unbedingt in den Demozug gehöre und deswegen mittels Gewalt dorthin gebracht werden sollte, das sagt der Staatsdiener nicht. (Auch wenn das heute keinen interessiert hat: Darf man eigentlich zur Teilnahme an einer Demo gezwungen werden?) Na jedenfalls haben die vier Vollzugsbeamte dann die junge Frau auf den Boden geworfen und mit roher Gewalt festzusetzen versucht, als die das nicht mitmachen wollte. Sie geriet in Panik. Was ja auch kein Wunder ist. Und sie hat um sich getreten und sich gegen die sich an ihr ausgeübten Gewalt gewehrt. Ein klassischer Fall für das neue Sonderstrafrecht, das die Polizeileute als bessere Menschen als den Rest der Menschheit deklariert. Die junge Frau darf sich in so einem Fall nicht gegen Polizeigewalt wehren – egal, was die Polizei mit ihr macht und ob das rechtens war oder nicht. Sie hat die Polizist*innen im Sinne des noch jungen Farm-der-Tiere-Paragraphen § 114 StGB „tätlich angegriffen“.

Und ach ja. Dann ist da noch die Richterin. Sie scheint einem klischeeverhafteten Comic entsprungen zu sein. Mit ihrer scharfen Zunge im und der Dauerwelle auf ihrem Kopf. (Ist das nicht die aus dem Großstadtgeflüster-Video?) Die Richterin befand es nicht einmal für nötig, sich das Polizeivideo zum ganzen Verhandlungsgegenstand anzuschauen, interessierte sich nicht für das zentrale Beweismittel. Deswegen dachte sie auch, dass es sich bei der jungen Frau um eine nicht deutsch sprechende Person handelt und hat erst mal eine Dolmetscherin zum Gerichtstermin bestellt. Schließlich hat die junge Frau ja einen so seltsamen, ausländisch klingenden Namen. Die Dolmetscherin ging dann gleich wieder nach Hause, nachdem klar war, dass die junge Frau als gebürtige Hannoveranerin bestes Hochdeutsch spricht. Und nachdem sie sich von der Richterin ihre Anwesenheit hat bescheinigen lassen. Wegen der Rechnung, die sie noch schreiben wird. (Wer bezahlt die eigentlich?)

Die junge Frau wurde bereits verurteilt. Sie muss 120 Tagessätze Strafe bezahlen. Wegen des Um-sich-Tretens in ihrer Zwangslage. Denn ein Polizist ist ja schließlich dabei hingefallen.

Bei dem Gerichtstermin geht es nun nur noch um die Frage, wie viel Geld das ist, diese „120 Tagessätze“.

80 Euro schlägt der schmale Staatsanwalt nun vor. Pro Tagessatz.

Die Verteidigerin der jungen Frau meint das sei zu viel. Schließlich verdient die junge Frau in ihrer Pflegeausbildung nur 900 Euro im Monat, wovon schon 450 Euro für die Miete drauf gehen. (Wieso werden Menschen, die sich in ihrer Ausbildung um andere Menschen kümmern und das auch noch ihr ganzes Arbeitsleben lang machen wollen eigentlich so mies bezahlt?)

Na gut, meint der Staatsdiener. Dann halt 30 Euro.

Die Verteidigerin meint, dass dann nichts mehr zum Erwerb des Lebensnotwendigsten bliebe. Nach Abzug der Miete hat die junge Pflegeschülerin nicht mehr Geld übrig als das staatlich berechnete Mindesteinkommen zum Leben und Überleben. Sie schlägt deswegen 15 Euro als Tagessatz vor.

Man beachte: Nach Abzug der Miete hat die junge Frau noch 450 Euro pro Monat übrig. (War jemand von den hier noch Mitlesenden in den letzten Monaten eigentlich mal Einkaufen?) Wenn sie jeden Tag 15 Euro von ihrer Strafe abbezahlt, hat sie genau 0 Euro zum Leben übrig. Pro Tag. Also nichts. Und das 120 Tage lang. Das sind 4 Monate.

Nun kommt die Richterin. Beziehungsweise erst mal sitzen alle im Gerichtssaal anwesenden Menschen (ob man die Richterin mit Blick auf ihre Empathiefähigkeit als Wesensmerkmal menschlichen Lebens dazu zählen kann muss eher verneint werden) und müssen still und geduldig warten, bis die Richterin etwas vor sich hingekritzelt hat. Nach diesen sonderbaren Gedenkminuten, in denen man sich fragt, ob das alles real oder ein Kitschfilm ist, in dem man als Statist irgendwie hineingeraten ist – nach diesen endlosen Minuten also verkündet die Richterin, dass der Tagessatz der jungen Frau ihrer richterlichen Weisheit nach 30 Euro beträgt. Weil das in Niedersachsen bald (aber jetzt noch nicht, oder was?) so üblich wäre, dass man den Abzug der Miete vom Einkommen nicht berücksichtigen müsse.

Na dann halt 8 Monate lang kein Essen, Trinken oder sonstige Ausgaben für die junge Frau.

Die Richterin wünscht der jungen Frau noch alles Gute. Sie wird nicht rot dabei. Auch tut sich kein Höllenschlund vor ihr auf, in dem sie dann verschwindet.

Gewundert hätte mich das nicht.

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Üstra-Hauptversammlung 2025: Evidenzlose Videoüberwachung. Menschenverachtende Strafverfolgung Schwarzfahrender. Millionen für Microsoft. Fehlende Innovationskraft.

Seit rund 15 Jahren begleiten wir (bzw. im Rahmen der freiheitsfoo-Vorstrukturen) den hannoverschen ÖPNV-Betreiber, die üstra AG auf ihren Hauptversammlungen und stellen Fragen zu Videoüberwachung, zur Zusammenarbeit der üstra mit der Polizei, zur von der üstra zu verantwortenden Strafverfolgung von Schwarzfahrern und vielen anderen Themen.

So auch dieses Jahr, zur Hauptversammlung vom 28.8.2025. Alle Fragen und Antworten wurden von uns – wie üblich – öffentlich in unserem Wiki dokumentiert.

Aus den Antworten des Vorstands und mit Blick auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre möchten wir dazu folgende, uns wichtig erscheinende Informationen zusammenfassen und auflisten:

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freiheitsfoo jetzt auch offizieller Partner von Tor

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Stellungnahme von AK Vorratsdatenspeicherung, freiheitsfoo und Kleindatenverein gegen die Initiative der EU-Kommission für eine Vorratsdatenspeicherung 2.0

Bild von Frans Valenta, rund 15 Jahre alt, heute aktuell wie damals.

Mit Sachverstand und nüchternen Argumenten gegen den neuen Vorstoß der EU-Kommission für eine neue Vorratsdatenspeicherung – Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler reichen Dokument gegen die geplante Erfassung persönlicher Lebensumstände aller Menschen in der EU ein.

*

Mit den Urteilen des Europäischen Gerichtshof ab 2010 beginnend hat dieser der Absicht der EU-Kommission, die Lebensumstände und -gewohnheiten aller Menschen in der EU mittels Pflicht zu einer allgemeinen Vorratsdatenspeicherung zu erfassen einen Riegel vorgeschoben.

Nach jahrelanger interner Vorbereitung möchte die Kommission nun einen neuen Anlauf zur Etablierung einer IP-Vorratsdatenspeicherung und möglicherweise einer noch darüber hinaus gehenden Identifizierungspflicht und die Ausweitung der Datenerfassung auf Messengerdienste nehmen.

In einem ersten Schritt hat sie dazu eine „Sondierung“ gestartet.

Mit einem 10seitigem Positionspapier wenden sich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, das freiheitsfoo und der Kleindatenverein nun gegen die so geplante Vorratsdatenspeicherung 2.0 und führen dazu eine Reihe von Belegen und Argumenten an:

– Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung ist die am tiefsten in die Privatsphäre eingreifende und unpopulärste Überwachungsmaßnahme, die die EU jemals hervorgebracht hat.

– Sie hat sich für viele Bereiche der Gesellschaft als höchst schädlich erwiesen.

– Sie erzeugt erhebliche Risiken des Missbrauchs und des Verlusts vertraulicher Informationen über unsere persönlichen Kontakte, Bewegungen und Interessen. Besonders bedenklich, ja brandgefährlich kann sie in den Händen autoritaristisch und nationalistisch ausgerichteter Regierungen werden.

– Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung hat sich dabei zudem als überflüssig und sogar kontraproduktiv bei der Beseitigung von Marktverzerrungen erwiesen.

– Es hat sich herausgestellt, dass sie zur Aufdeckung, Verfolgung und Bestrafung schwerer Straftaten überflüssig ist.

– Sie hat sich als grundrechtswidrig erwiesen und höchstgerichtlicher Überprüfung wiederholt nicht standgehalten.

– Der durch sie auf die Menschen ausgeübte Überwachungsdruck hat das schreckliche Potential, nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen sondern auch das Gemeinwohl.

Wir fordern die EU-Kommission dazu auf, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Hände von einer neuen Richtlinie zu Vorratsdatenspeicherung und Identifizierungspflicht zu lassen, anonyme Kommunikation als unverzichtbaren Bestandteil eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens anzuerkennen und zu fördern und eine Initiative zur Schaffung einer wissenschaftlich arbeitenden, neutralen und unabhängigen Institution zur Erstellung von Überwachungsgesamtrechnungen zu ergreifen.

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
freiheitsfoo
Kleindatenverein

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Zeitzeichen, 31

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

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Die „Schüler-ID“: Eine Zwangs-Personenkennzeichen für jedes Kind und jeden Jugendlichen

Ein schon viele Jahre alter Aufkleber der inzwischen eingestellten Schwarzen-Ruhr-Uni Bochum.

Jedes Kind und jeder Jugendliche in Deutschland soll ein eineindeutiges Personenkennzeichen erhalten. Zwangsweise. Spätestens ab Eintritt in die Schule, vielleicht aber auch schon ab Kindergarten oder Krippe.

Das Kennzeichen wird als „Schüler-ID“oder auch – neusprechartig harmloser klingend – „Bildungs-ID“ bezeichnet.

Die Idee bzw. der Wunsch zu dieser Erfassung und Rasterung von Menschen und deren scheinbaren Bildungsverlauf ist nicht neu, sondern schon rund 25 Jahre alt. Doch derzeit basteln viele Bundesländer an sehr konkreten Umsetzung oder erweitern bereits eingeführte Ländervarianten von Schüler*innen-Kennzeichen. Die neue Bundesregierung hat die Idee gar zu einem Bundesprojekt befördert und hebt mit der CDU-Politikerin Karin Prien nun eine der herausragenden Fürsprecherinnen umfassender Erhebungen und -nutzungen personenbezogener Schüler*innen-Daten in das Amt der neuen Bundesbildungsministerin.

Dieser Beitrag soll Geschichte und Idee der Personenkennziffer für junge Menschen beleuchten. Auch kritisch im Lichte des Volkszählungsurteils.

So wollen wir im folgenden auch nicht den Terminus der „Schüler-ID“ übernehmen sondern sprechen im folgenden stattdessen von dem, was die „Schüler-ID“ ist, nämlich ein „Kinder-Kennzeichen“ (KKZ). Diesen – zunächst sicherlich übertrieben wirkenden – Begriff zu wählen wäre nicht gerechtfertigt gewesen, wenn es bei Anfangs-Idee der Schüler*innen-ID im Sinne der Nutzung personenbezogener Daten lediglich in pseudonymisierter Weise und unter Beachtung des Rückführ- bzw. Rückwirkungsverbots für die Ermittlung ausschließlich statistischer Daten geblieben wäre. Das ist es aber nicht, wie wir hier belegen werden.

Wir gliedern diesen Beitrag wie folgt:

1. Geschichte des KKZ
2. Neuer Anlauf für ein KKZ
3. Das KKZ in der neuen schwarz-roten Bundesregierung
4. Blick nach Niedersachsen
5. Pro und Contra eines KKZ
6. Vereinbarkeit des KKZ mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
7. Ausblick und Fazit

Los gehts:

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Zeitzeichen, 30

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Dieses ist dabei allerdings eine Sonderausgabe der „Zeitzeichen“ – es folgen hier ausschließlich Zitate und herausgerissene Bruchstücke aus dem gestern veröffentlichen Koalitionsvertrag der kommenden Bundesregierung unter „C“DU, „C“SU und „S“PD.

Hervorhebungen erfolgten durch uns. Wir bieten keine Gewähr für eine fehlerfreie, allerdings nach bestem Wissen und Gewissen vorgenommene Übertragung der Textteile aus dem Orginaldokument. Die Auszüge sind nicht zwangsläufig vollständig, sondern mitunter, wie erwähnt, bruchstückhaft und außerdem subjektiv ausgewählt.

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Schummelnde und eine breite öffentliche Diskussion ausschließende Parteienpolitik, SPD-Forderungen nach einem „Deutschland alter Stärke“, CSU-Gefasel zu „staatspolitischer Verantwortung“

Im aktuellen Bundestag soll am kommenden Donnerstag, den 13.3.2025 eine kurzfristig einberufene Sondersitzung stattfinden. Eine weitere Sondersitzung ist für den 18.3.2025 geplant.

Die alles hat allerdings nicht die derzeit noch im Amt befindliche Regierungskoalition von „S“PD und „Grünen“ organisiert sondern wurde in einer internen Absprache zwischen „C“DU/“C“SU und „S“PD untereinander vereinbart und beantragt.

Es soll um die erste Beratung einer Grundgesetzänderung gehen. Worum inhaltlich genau ist der bis dato im Bundestag abrufbaren Tagesordnung nicht zu entnehmen – die Bundestags-Drucksache zur Sitzung existiert noch gar nicht!

So muss man sich als Mensch in diesem Land auf das verlassen und berufen, was medial zur Sache verbreitet wird.

Zusammenfassung daraus:

„Um unter anderem [„unter anderem“, aufgepasst! Anm. der Red.] Straßen, Schienen und Brücken zu sanieren, soll ein auf zehn Jahre angelegtes Schuldenpaket in Höhe von 500 Milliarden Euro soll am 18. März vom Bundestag beschlossen werden. Und: Für alle Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, soll die seit 2011 geltende Schuldenbremse ausgesetzt werden. Das Geld dafür muss sich der Staat über die Ausgabe von Staatsanleihen an den internationalen Märkten leihen. Er ist vom Vertrauen der Investoren wie Banken, Versicherungen und Fonds abhängig. Sowohl für die Änderung der Schuldenbremse als auch für den Beschluss eines Sondervermögens muss das Grundgesetz geändert werden. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig. Nach der Bundestagswahl entfallen zusammengenommen mehr als ein Drittel der Sitze im Parlament auf Linke und AfD – es bräuchte also die Zustimmung einer der beiden Parteien. Die Linke hat aber deutlich gemacht, dass sie einer Aufrüstung der Bundeswehr nicht zustimmen will. Deshalb wollen Union und SPD noch mit den Mehrheitsverhältnissen im alten Bundestag abstimmen lassen. Dort brauchen sie für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit nur die Stimmen der Grünen.

Hier stellen sich viele Fragen:

Unter anderem, ob es demokratisch legitim ist, diesen Trick anzuwenden, mit den voraussichtlich Beteiligten einer bevorstehenden neuen Regierung noch innerhalb des alten Bundestages mit „alten“ Mehrheitsverhältnissen eine derart gravierende Abstimmung durchzuführen.

Vor allem aber, ob es duldbar ist, dass eine so politische schwerwiegende Entscheidung in dieser Form übers Knie gebrochen wird. Also ohne der Öffentlichkeit, den Menschen im Land ausreichend Zeit und Gelegenheit zu geben, über das alles nachzudenken und öffentlich zu diskutieren.

Ganz davon abgesehen gibt es eine Menge verstörender Einzeltöne im verqueren Chor der Politikerstimmen.

Zwei Beispiele (unter vielen anderen möglichen):

1.)

SPD-Co-Chef Lars Klingbeil am Abend des 8.3.2025 in den Tagesthemen:

„Wir haben ein starkes Signal auch für Europa gesetzt, indem bspw. bei Fragen der Verteidigungspolitik, auch der Wirtschaftspolitik jetzt klarmachen: Deutschland kommt zu alter Stärke zurück. Wir wollen da voran gehen. Wir wollen ein starkes Deutschland in einem starken Europa. (…) und natürlich geht es darum, die Resilienz unserer Gesellschaft also die Widerstandsfähigkeit erhöhen, indem wir Infrastruktur stark machen, indem wir dafür sorgen, dass in die Bahn investiert wird, in den Klimaschutz investiert wird, in die Energienetze investiert wird. Deutschland muss ein starkes Land sein. (…)“

Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/klingbeil-tt-sondierungsabschluss-100.html

2.)

CSU-Politiker Florian Oßner am 10.3.2025 im DLF zu der Frage, warum die „Grünen“ dem von „C“DU/“CSU“ und „S“PD ausverhandelten Paket in den Eilsitzungen in dieser Woche im noch alten Bundestag zustimmen sollten:

Ich appelliere sehr stark an die staatspolitische Verantwortung der Grünen (…) Es geht weit über parteipolitische Egoismen hinaus – es geht am Ende um die verteidigungspolitische Stabilität Europas. (…) [Wichtig ist, dass man sagt] dass die Grünen das von uns auch immer eingefordert haben, wie wir in unserer Oppositionszeit in dieser Rolle gestanden sind. Wir sind deren Aufforderungen auch immer gefolgt, ohne einen großen Anforderungs- und Kriterienkatalog. (…) [Gespart werden soll] im Bereich des Bürgergeldes, das zurückgefahren wird in eine Art Grundsicherung, auch im Bereich der Migrationskosten, wir haben große Möglichkeiten den Ausnahmetatbeständen der freiwilligen Leistungen des Bundes (…)“

Quelle: https://download.deutschlandfunk.de/file/dradio/2025/03/10/nach_der_sondierung_interview_florian_ossner_mdb_csu_dlf_20250310_1215_BCD0CBA5.mp3

Ein Fazit

a.) Es ist nicht richtig, eine zusätzliche Schuldenaufnahme in unerfassbarer Höhe von 500 Milliarden Euro sowie eine massiv das kriegspolitische Selbstverständnis Deutschlands verändernde Grundgesetzveränderung in dieser Eile und mit dem Trick der den dafür verantwortlichen Parteien günstigeren Mehrheitsverhältnissen im alten Bundestag durchzudrücken. Das scheint spätestens seit dem 100-Milliarden-„Zeitenwende“-Schuldenpaket für das Militär und der heimlich beschlossenen Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland zum Politikstandard zu werden …

b.) Es ist verstörend, wenn „S“PD-Politiker davon reden, dass „Deutschland zu alter Stärke zurück kommen“ müsse. Und dem Irrglauben verfallen sind, dass die Resilienz von Menschen im Wesentlichen von finanziellen Investitionen in die Wirtschaft und Infrastruktur abhängig seien.

c.) Es ist unredlich und unmoralisch, wenn Politiker vermeintlich „christlicher“ Parteien von „staatspolitischer Verantwortung“ faseln, ohne sich dabei an die eigene Nase zu fassen und so tun, als seien sie selber diesem obrigkeitsstaatlich geprägten Gerede selber gefolgt. Und dann auch noch auf die Frage, wo man denn einsparen wolle, wenn man Deutschland aufrüstet, wie noch nie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wenn sie auf diese Frage als allererstes die Kürzungen von Leistungen für arme und geflüchtete Menschen anführen.

 

Update 11.3.2025, 5:27

Die Grünen scheinen einzuknicken:

„SPD und Union haben am Abend mit den Grünen über das geplante Finanzpaket verhandelt. Nach rund eineinhalb Stunden waren die Gespräche im Bundestag beendet. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Frei, sprach in der ARD von einem konstruktiven Treffen.“

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Kommentar: Elon Musk outet sich als Nazi, die Polizei Hannover als hinterher rennende Möchtegern-Cool-Behörde. Zeit für eine Ende staatlicher Unterstützung so genannter „sozialer“ Medien.

Am 20.12.2024 twitterte der Multimilliardär und Donald-Trump-Busenfreund Elon Musk und Besitzer von „X“, Tesla, SpaceX etc.:

„Only the AfD can save Germany“.

Unabhängig von der Frage, was Herr Musk damit meint, dass „Deutschland gerettet werden muss“ müsste nun auch den letzten Ignoranten klar sein, welche rechte und faschistische Gesinnung Elon Musk hat.

Herr Musks „X“, das ehemalige „Twitter“ ist – auch das ist nicht neu – kein unabhängiges oder neutrales, transparentes Informations- oder Kommunikationsmedium sondern – wie andere „Social Media“-Plattformen wie Facebook, Instagram, TikTok, Twitch etc. auch – ein Unternehmen, das nicht nur die Daten seiner Nutzer*innen heimlich und undurchschaubar ausbeutet sondern zudem deren Zugang zu Informationen fernsteuert und lenkt. Ebenso heimlich.

Seit vielen vielen Jahren warnen Persönlichkeitsrechtler die Behörden davor, auf diesen Trend aufzusitzen – bislang vergebens und ausgelacht:
Parteien, Parteipolitiker, Ministerien, Polizeien, Geheimdienste und andere Behörden bis hin zum Bundesverfassungsgericht waren und sind kurzsichtig genug und beteiligen sich mit eigenen Auftritten und Nutzerkonten an diesem Trend. Und stärken damit die Plattformen, untermauern deren Wichtigkeit, füttern die Serverfarmen mit wertvollen Daten und Metadaten. Letztlich verdingen sie sich damit auch als Lockvögel für weitere Menschen, sich auf diesen Datenplattformen zu tummeln.

Nur allmählich scheint es einzelnen parteipolitischen Akteuren zu dämmern, wohin diese Entwicklung längst geführt hat: Der unbeherrschbare Einfluß der Plattformen (und der hinter ihnen stehenden Menschen und Konzerne) auf die Entwicklung der Persönlichkeiten ganzer Generationen von Menschen. Die einseitige und gelenkte Filterung von Informationen, die bis dato mittels Manifestierung von Fakenews und Desinformation zu einem ungeahnten Zerfall von bisher als stabil und gesichert geglaubten Standards an menschlicher Bildung, gesellschaftlicher Aufklärung und Humanismus geführt hat.

Spätestens jetzt wäre eine Umkehr notwendig. Doch davon weitgehend keine Spur.

Aus einer Deutschlandfunk-Nachricht vom 30.12.2024:

„Die Bundesregierung erwägt trotz der zunehmenden Kritik an US-Unternehmer Elon Musk vorerst keinen Rückzug von dessen Internet-Plattform X. Regierungssprecherin Hoffmann sagte auf Nachfrage, man sehe mit Sorge, was bei X passiere, überlege aber auch, was geschehe, wenn man Nutzer dort nicht mehr erreiche. In der Abwägung komme man momentan zu dem Schluss, dass es richtig sei, auf der Plattform präsent zu sein.“

(Hintergrund hierzu: Herr Musk meinte sich via eines eigenen Kommentarblocks in der „BILD“ „WELT“ in die deutsche Politik einmischen zu können, war sich in den letzten Tagen auch nicht zu schade, deutsche Politiker mit üblen Schimpfwörtern zu überziehen.)

Im Gegenteil brüstete sich die Polizeidirektion Hannover vor kurzem sogar damit, nun als erste Polizeibehörde Deutschlands auch noch mittels vier „Twitch-Officers“ auf ebendieser Kommunikations-Plattform präsent zu sein. (Zocken die eigentlich in ihrer Dienstzeit?) Auszüge aus der Pressemitteilung der Polizei vom 11.12.2024:

„Zur Erhöhung ihrer Präsenz im digitalen Raum geht die Polizeidirektion (PD) Hannover ab dieser Woche komplett neue Wege: Als erste Polizeibehörde Deutschlands hat sie einen eigenen Kanal auf der führenden Streaming-Plattform „Twitch“ ins Leben gerufen. (…) Mit dem außergewöhnlichen Schritt erreicht die Polizei Hannover eine deutlich jüngere Altersgruppe und kann mit den Userinnen und Usern in lockerer Atmosphäre auf Augenhöhe kommunizieren. (…) Bislang ist die Polizeidirektion Hannover im Internet auf den Plattformen „Facebook“, „Instagram“, „X“ und „LinkedIn“ präsent. (…) Unter anderem mit dem Live-Gaming vom Fußball-Klassiker „EA Sports FC 2025“, aber auch mit den Titeln „Minecraft“, dem witzigen Battle-Royal-Game „Fall Guys“, dem Racing-Spiel „The Crew Motorfest“ oder auch den kooperativen Titeln „Overcooked“ und „Chained together“ wollen die fünf nebenamtlichen Twitch-Officer „Janni“, „Jo“, „Sini“, „Stevie“ und „Taski“ ab Freitag mehrere Stunden pro Woche mit der Community in Kontakt treten. (…) Beim Gaming, aber auch bei sogenannten Just-Chatting-Sessions will die Polizeidirektion auf Twitch für eine deutlich jüngere Zielgruppe niedrigschwellig ansprechbar sein. (…) Doch nicht nur Strafverfolgung und Prävention ist das Ziel der neuen Aktivitäten: „Die Präsenz bei Twitch ist auch hervorragend für die Nachwuchsgewinnung geeignet“, sagt Thorsten Massinger. Denn wer hier streamt, wirkt alles andere als verstaubt, sondern ziemlich cool.“

Die Polizei möchte also nicht so gerne als „angestaubt“ erscheinen. Lieber „cool“. Aber muss eine Behörde cool sein, um ihre Aufgabe zu erfüllen? Oder unterminiert sie mit dieser „Coolness“ nicht die Nüchternheit und Sachlichkeit, die die Polizei eigentlich an den Tag legen sollte?

Fundierter und tiefergehender als das in diesem Kommentar losgelassene hat die CILIP das schon alles in den letzten Jahren ausführlich dargelegt, wenn sie von der „scheinbaren Banalität“ der polizeilichen Alltagskommunikation auf Twitter/“X“ schreibt (August 2022) oder in „Blaue Gefühlswelten“ Emotion und Affekt in der digitalen Polizeiarbeit analysiert (März 2022). Lesenswert!

Ach ja – zum Schluß noch einmal zurück zur Polizei Hannover. In Ihrer Pressemitteilung schreibt die auch das noch:

„Schließlich nutzen rund 95 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren das Internet, 79 Prozent sogar täglich. Bei den 14- bis 49-Jährigen liegt die Quote seit 2012 sogar konstant bei 100 Prozent.

Letzteres darf gemeinhin als barer Unsinn bezeichnet werden.

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Neuer Aufkleber: Polizeiverbotszonen statt Waffenverbotszonen

In Anlehnung an die vorherigen Entwürfe gibt es anlässlich des ausufernden Waffenverbotszonen-Populismus seit kurzem einen neuen Aufkleber:

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