Im Frühjahr 2018 haben wir darüber berichtet, wie die – nicht unumstrittene – Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ihre Mitglieder dazu auffordert, einen eigentlich für ganz andere Situationen eingerichteten Strafgesetzbuchparagraphen (§ 201 StGB – „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“) dahingehend zu missbrauchen, das einigen Polizisten unangenehme Dokumentieren polizeilichen Handelns durch kritische Bürger*innen und Demonstrationsbeobachter*innen effektiv zu verhindern.
Seither hat die Polizei beschämenderweise in einigen Fällen von dieser Neuinterpretation der „Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes“ Gebrauch gemacht. Einer dieser Vorgänge wurde nun vor dem Landgericht verhandelt und der Polizei klar beschieden, unrechtmäßig das Smartphone einer Demonstrantin weggenommen und einbehalten zu haben.
Aus der Pressemitteilung des Anwalts Nils Spörkel vom 26.9.2019 zu diesem Verfahren:
„Am 20.07.2019 kam es in Kassel im Umfeld der Gegendemonstration zu einer Beschlagnahme eines Mobiltelefons, mit dem eine Personalienfeststellung gefilmt worden sein soll. (…) Der Beschuldigten wurde ein Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild sowie eine Verletzung des vertraulich gesprochenen Wortes vorgeworfen.
Einen Anfangsverdacht wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz lehnte bereits das Amtsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab. Das Landgericht hat nun klargestellt, dass in dem Sachverhalt keinerlei strafbares Verhalten der Beschuldigten erkennbar war.
Denn, so das Landgericht, ist vertrauliches, also nichtöffentlich gesprochenes Wort dann nicht gegeben, wenn – wie hier – faktisch die Öffentlichkeit gegeben war, wenn also Dritte jederzeit Kenntnis von dem Gespräch nehmen konnten. Hier waren nicht nur die Beschuldigte und der Betroffene der Personalienfeststellung anwesend, sondern in unmittelbarer Nähe auch zwei weitere von Maßnahmen betroffene Personen sowie ein halbes Dutzend Passanten. Mehr als 50 Demonstranten befanden sich im weiteren Umkreis von wenigen Metern. (…)
Der Göttinger Rechtsanwalt Nils Spörkel kommentierte die Entscheidung wie folgt: ‚Seit Jahren beobachten kritische Rechtsanwälte mit Sorge eine Tendenz der Polizei, bei einer Beobachtung und Dokumentation ihrer Maßnahmen durch den Bürger repressiv einzugreifen. Das vertrauliche Wort stellt hier nur die jüngste einer Reihe von Ideen dar, mit denen polizeiliches Handeln unbeobachtet und damit unüberprüfbar bleiben soll.‘ (…)“
Wir möchten neben der Pressemitteilung von Nils Spörkel auch das vom 25.9.2019 gezeichnete Urteil des Landgerichts Kassel (Az. 1622 Js 30357/19 und 2 Qs 111/19) veröffentlichen und auf einen weiteren Punkt der Entscheidungsbegründung des Gerichtes hinweisen. Darin geht es um die besondere Bedeutung des Smartphones für (leider) viele Menschen und um die daraus folgende Unverhältnismäßigkeit der Beschlagnahme und Vorenthaltung des Smartphones der klagenden Frau:
„Überdies wäre die Beschlagnahme, insbesondere soweit sie unter dem Gesichtspunkt der Beweissicherung durchgeführt wird, inzwischen – bei unterstelltem Verdacht nach § 201 StGB – auch als unverhältnismäßig zu erachten. Das iPhone und vergleichbare Gegenstände anderer Hersteller, also das Smartphone generell, gehört heute für eine große Mehrzahl von Menschen zu deren zentralen Besitzgegenständen, die im Alltagsleben von überaus großer Bedeutung sind. Über dieses Gerät wickeln viele Menschen, zu denen nach ihrem eigenen Vorbringen auch die Beschuldigte gehört, große Teile ihrer Kommunikation und vielfältige Alltagsgeschäfte im weiteren Sinne ab: Überdies ist es ein – sei es als Ergebnis gezielter Sammelbemühungen, etwa von Fotos, oder als rein faktischer Zustand – zentraler Sammelpunkt einer Unmenge von nicht selten durchaus privaten Daten und Informationen über den Inhaber des Geräts und – selten-bedacht – auch über sein gesamtes soziales Umfeld. Unabhängig von der Bewertung dieses in vielerlei Hinsicht durchaus problematischen Phänomens dürfte sich heutzutage jedenfalls unstreitig feststellen lassen, dass es in ausgeprägter Weise existiert. Diese extrem hohe Bedeutung des Smartphones im täglichen Leben ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten.“
Neben der Freude über die richterliche Klarstellung, dass die Polizei in diesem Fall einer Demonstrantin ihr Smartphone zu Unrecht weggenommen und weggeschlossen hat lässt einen das Verfahren aber auch etwas unzufrieden zurück:
Richterlicherseite wurde nicht erwähnt und „gewürdigt“, dass solcherlei polizeiliches Verhalten nicht nur außerordentlich einschüchternd und freiheitsbeschneidend wirkt sondern – vor allem – eine mutmassliche Motivation der Polizisten bei ihrer Beschlagnahme birgt: Nämlich der Wunsch, möglichst frei von kritischer Dokumentation so handeln zu können, wie sie es für richtig hält – was nicht unbedingt das sein muss, was erlaubt oder geboten ist …
Mindestens genau so bedauerlich ist es, welche Hürden der Klägerin auf dem gerichtlichen Weg bis zu diesem Urteil hin aufgebaut worden sind. Ein rechtsstaatliches Trauerspiel in dieser Hinsicht.
Eine kritische Beobachtung und Dokumentation polizeilichen Handelns durch Bürger muss – bei aller Rücksichtnahme auf die Persönlichkeitsrechte von Polizisten und Polizistinnen – uneingeschränkt möglich sein, darf nicht den amtlich anerkannten „Pressevertretern“ vorbehalten bleiben, wenn man nicht gänzlich die grundlegende Idee vom Bürger und von der Bürgerin als Souverän zur Farce verkommen lassen will. Wenn Polizeigewerkschaften unverhohlen zum Missbrauch des Strafgesetzbuches aufrufen, um eine effektive Kontrolle polizeilichen Verhaltens zu unterbinden, so ist das eine Schande für die Verantwortlichen in der Gewerkschaft und für diejenigen, die diesen Ratschlag aufgreifen und praktisch anwenden.