Am vorletzten Dienstag (12.3.2019) hat das Verwaltungsgericht in einem medial vielbeachteten Urteil dafür gesorgt, dass der am südlichen Rande Hannovers verortete und seit Jahren seitens der SPD vorangetriebene Probebetrieb einer Abschnittsgeschwindigkeits-Überwachungsanlage („Section Control“) mit sofortiger Wirkung beendet werden musste.
Der einfache Grund für diesen harten Schnitt: Es gibt aktuell weder auf Bundes- noch auf Landesgesetzebene eine Rechtsgrundlage für die damit immanent verbundenen Grundrechtseingriffe. Das wusste die SPD-CDU-Landesregierung zwar schon von Anfang an und wurde auch immer wieder darauf hingewiesen, doch meinte sie es mit dem Argument, dass es sich „doch nur um einen 18 Monate lang dauernden Pilotbetrieb“ handele wegwischen zu können.
Es ist gut, dass das Verwaltungsgericht diese haarsträubende Begründung nicht anerkannt hat:
„Da es sich um eine „Pilotphase“ von 18 Monaten handle, sei es noch nicht nötig, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen[, so die Vertreter der Polizeidirektion Hannover vor Gericht.] Richter Ufer erwiderte, dass mache für den Bürger keinen Unterschied, ob man das „Pilotphase“ nenne oder nicht.“
Mit dieser „Nur-ein-Pilotbetrieb“-Argumentation ließen sich sonst auch beliebige andere Grundrechtseingriffe rechtfertigen und das ist selbstverständlich hanebüchender Quatsch.
Nachfolgend ein paar weitere Erläuterungen, Hinweise und Updates zum ganzen Thema:
1. Häufig durcheinandergebracht: Zwei Klagen und ein Eilantrag
2. Ebenfalls rechtswidrig: Die vorherige, jahrelange der Öffentlichkeit gegenüber verschwiegene heimliche Probebetrieb der PTB
3. Beschilderungsfragen
4. Das Theater der Politparteien in Regierung und Opposition
Häufig durcheinandergebracht: Zwei Klagen und ein Eilantrag
Der gerichtliche Erfolg beruht auf Klage und Eilantrag eines Anwalts aus Laatzen (Az. 7 A 849/19 und 7 B 850/19). Dank seines Antrags auf Erteilung einer einstweiligen Anordnung fand überhaupt erst diese recht kurzfristig anberaumte Verhandlung vom 12.3.2019 statt mit dem oben geschilderten Ergebnis.
Inhalt und Ausrichtung der dazugehörigen ersten Klage sind leider nicht bekannt, weil die Klageschrift bis dato nicht veröffentlicht worden ist. Klar ist, dass sich die Klage – gegen die seitens der Polizei Hannover bzw. des Landes Niedersachsens sicherlich Berufung eingelegt werden wird – u.a. auf die jüngsten Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Thema KFZ-Kennzeichen-Scanning vom 18.12.2018 berufen.
Gemeinsam mit dem Juristen und Bürgerrechtler Patrick Breyer, dem diese Urteile u.a. zu verdanken sind, wurde aus dem freiheitsfoo heraus eine zweite Klage gegen Section Control eingereicht (Az. 7 A 1285/19). Diese hat es sich ausdrücklich zum Ziel erklärt, die Rechtswidrigkeit einer Section-Control-Anlage selbst bei vorhandener Rechtsgrundlage zu belegen und das notfalls bis hin zur letztverfügbaren Instanz. Diese zweite Klage wurde noch nicht verhandelt und entschieden, es ist aber davon auszugehen, dass diese erst dann ihre eigentliche Behandlung erfährt, wenn das neue Polizeigesetz für Niedersachsen verabschiedet und in Kraft getreten ist, weil in diesem eine formelle Rechtsgrundlage für Section Control geschaffen werden soll.
Ebenfalls rechtswidrig: Die vorherige, jahrelange der Öffentlichkeit gegenüber verschwiegene heimliche Probebetrieb der PTB
Wie von uns herausgefunden und berichtet, hatte die PTB im Rahmen ihrer Eichungsanstrengungen und im Zuge weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen die Section-Control-Pilotanlage schon viele Monate, ja Jahre vor offiziellem Startschuss scharfgeschaltet und betrieben, also die Fahrzeuge auf dieser Strecke fotografiert und identifiziert, ohne dass die Öffentlichkeit oder Betroffenen darüber informiert worden wären.
Es ist offensichtlich, dass auch dieser heimliche Wirkbetrieb der Section Control Pilotanlage rechtswidrig gewesen ist. Das möchten wir an dieser Stelle zumindest im Nachhinein einmal betonen und klarstellen. Es wäre der PTB zu wünschen, zukünftig die Rechte der Betroffenen zu würdigen und zu achten.
Erfreulicherweise hat sich das Verwaltungsgericht in seiner Verhandlung auch zur Frage einer notwendigen und ausreichenden Beschilderung/Kennzeichnung der Section-Control-Anlage geäußert:
„Zudem gebe es für Ortsunkundige keine Möglichkeit, bei einer Sichtung des Section-Control-Schildes auf der B 6 noch auf eine Alternativroute auszuweichen, erklärte Richter Ufer. Es sei verboten, auf einer Kraftfahrstraße zu wenden, also werde das Kennzeichen des entsprechenden Fahrzeugs auf jeden Fall registriert.“
Erfreulich deswegen, weil die Polizeidirektion Hannover derartige Hinweise in den vergangenen Jahren stets wegzuwischen und zu missachten versucht hat. Gleichartige Fragen tauchen nämlich auch im Zusammenhang mit der Kennzeichnung der (umfangreichen) polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Räume in der Landeshauptstadt auf.
Auch bemerkenswert:
Selbst nach (angeblicher) Abschaltung der Section-Control-Anlage zwischen Gleidingen und Laatzen hält es das Innenministerium nicht für nötig, das Hinweisschild abzubauen oder gar abzudecken. Es wird also den Autofahrern suggeriert, dass die Anlage weiter in Betrieb sei, auch wenn das (hoffentlich) faktisch gar nicht mehr der Fall ist.
Das spricht dafür, dass Polizei und Innenministerium die notwendige Sensibilität für die Bedeutung der Kennzeichnung nach wie vor fehlt.
Das Theater der Politparteien in Regierung und Opposition
Wie üblich lässt das mediale Theater der im Landtag vertretenen Parteien nichts an Unsinn und Lächerlichkeit zu wünschen übrig:
Die Opposition geriert sich als Hüter der Menschen- und Bürgerrechte, während in der mündlichen Anhörung des Innenausschusses zum neuen Polizeigesetz auch von denen kein gewichtiges kritisches Wort gegen die Section Control zu vernehmen war, ja die Landtagsgrünen in ihrer vorherigen Landesregierungsbeteiligung sogar das wortgleiche Gesetz zur Scheinrechtfertigung der Section Control mitgetragen und verabschiedet hätten, hätte die rot-grüne Landesregierung nicht ein unerwartet jähes Ende gefunden. Im Angesicht dieser Historie erscheinen die kritischen Worte des innenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion eher scheinheilig:
„Trotz fehlender Rechtsgrundlage und entgegen des Urteils vom Bundesverfassungsgericht hat Innenminister Pistorius an der Section Control festgehalten. Diese Ignoranz von Bürgerrechten und Datenschutz zieht sich wie ein roter Faden durch die Innenpolitik der Großen Koalition (…)“
Die Grünen scheinen sich also hauptsächlich an der (derzeit noch) fehlenden Rechtsgrundlage zu stoßen.
Der FDP-Politiker Bode wirft dem SPD-Innenminister „tausendfachen Verfassungsbruch“ vor:
„Die Landesregierung hat damit etwa 15000 mal gegen das Grundgesetz verstoßen. Der Mann, der eigentlich die Verfassung schützen sollte, hat sie schon häufiger gebrochen, als alle Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes zusammen.“
Das mag formell (mehr oder weniger) richtig sein, überschreitet jedoch zugleich die Grenze zum billigen Populismus, denn die FDP hat in ihrer eigenen Zeit der Beteiligung an der niedersächsischen Regierung selber höchst frag- und kritikwürdige Gesetze erlassen und zu verantworten – beispielhaft sei nur die Installation eines Landesversammlungsrechts genannt. Der von CDU und FDP eingebrachte Entwurf erhielt damals in 2009/2010 genau wie der derzeitige Polizeigesetzentwurf unter rot-schwarz seitens des landtagseigenen Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes (GBD) mehr als mangelhafte Noten und wurde vom GBD quasi vom Grunde auf neu geschrieben. Also, FDP: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!
Und CDU und SPD?
Aus dem Innenministerium hört man:
„Die Entscheidung sei bedauerlich, denn die Abschnittskontrolle leiste einen Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit und sei wirksamer als das übliche punktuelle „Blitzen“.“
Das ist eine gewagte und bislang unbewiesene, vermutlich sogar schlicht falsche Behauptung, die hier als Schein-Tatsache vorgebracht wird. Dass Regierung und Polizei in Sachen Section Control keine Scheu vor Falschaussagen haben, um ihr Pilotprojekt in der medialen Öffentlichkeit zu verteidigen ist allerdings nicht neu.
„Karsten Becker, Experte der SPD, betonte hingegen, die Anlagen seien nicht ohne Rechtsgrundlage aufgestellt worden. Schließlich könne man die Anlagen auch über eine Generalklausel legitimieren.“
Der „Experte“ Becker wagt sich damit so weit aus dem Fenster, das Urteil des Verwaltungsgerichts offen zu missachten und zu diskreditieren. Herr Becker war in seinem vorherigen Berufsleben Polizist.
[Update 29.3.2019]
Der SPD-Politiker Karsten Becker stelle auf Nachfrage von uns hin klar:
Er vertrete die Rechtsauffassung, dass der § 11 NdsSOG als Generalklausel eine ausreichende Rechtsgrundlage für das Section-Control-Pilotprojekt sei. Zugleich gibt er „unstreitig“ zu, dass „die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover zu beachten“ sei.