Wir veröffentlichen nachfolgend eine Erlebnisbericht eines Elternteils, das im von verschiedenen Demonstrationen geprägten Goslar des 2.6.2018 mit einem Polizeibeamten „ins Gespräch“ geraten ist.
Ausgangspunkt war die Sachkritik an unzulässiger Videoüberwachung von Demonstrationen.
Endpunkt war die unverhohlene und zusammenhangslose Drohung eines Polizeibeamten, das Elternteil beim Jugendamt deswegen anzuschwärzen, weil es ein Kind mit auf die Reise nach Goslar genommen hat.
Dieser Eklat steht in mancherlei Hinsicht stellvertretend für die Tendenzen der Entwicklung polizeilichen Selbstverständnisses, das sachlich vorgetragener Kritik nicht anders zu begegnen weiss als mit zusammenhangloser und unbegründeter Repression zu drohen und einzuschüchtern zu versuchen.
Der Bericht passt so zumindest auf keinen Fall zu dem vom GdP-Niedersachsen-Vorsitzenden Dietmar Schilff veröffentlichten selbstherrlichen Beteuerungen des Einsatzes der Polizei im Goslar des 2.6.2018:
„Alle [Polizisten] waren gut drauf, freundlich, nett und zuvorkommend.“
Die verfassende Person des Erlebnisberichtes ist der Redaktion bekannt, sie ist versammlungsrechtlich bewandert und gilt als nüchtern agierend. Anzumerken sein rein formell noch, dass in Goslar sehr viele Familien mit Kindern unter den Demonstrierenden gewesen sind. Elternteil und Kind des nachfolgenden Berichtes waren zum Zeitpunkt des Geschehens jedoch gar nicht an einer Versammlung beteiligt sondern spazierend auf dem Bürgersteig auf dem Weg nach Hause unterwegs. Bei der Rechtssprechung, auf die sich das Elternteil in der nachfolgend dokumentierten Diskussion bezieht, handelt es sich um ein Urteil des OVG Lüneburg vom 24.9.2015.
Doch nun die skurrile und fassungslose machende Schilderung des Gespräches zwischen Bürger und Polizist – die Namen beider Beteiligten liegen der Redaktion vor, sind aber aus persönlichkeitsrechlichen Gründen im nachfolgenden Text anonymisiert:
Gedächtnisprotokoll (angefertigt am 2.6.2018 20:30 Uhr, auf Grundlage von Notizen, die ich mir noch während des Gespräches gemacht habe und auf Grundlage der Audioaufnahme einer selbst eingesprochenen Gedächtnisnotiz, wenige Minuten nach dem Vorfall)
Datum: 2.6.2018
Uhrzeit: 14:45 Uhr
Ort: Goslar, nördliche Straßenecke Rosentorstraße/Klubgartenstraße
Ausgangssituation: Ich stehe mit meinem kleinen Kind am o.g. Ort, dort befindet sich ein Polizeikamerawagen mit ausgefahrenen und auf eine auf uns zukommende Demonstration gerichtete Kamera (KFZ-Kennzeichen H-ZD 478). Neben dem Wagen steht ein Polizist (P), den ich (I) anspreche. Ich bin in meinem Gespräch mit dem Polizisten sachlich und höflich geblieben. Mein Kind lief die ganze Zeit um meine Beine herum und gab keinen Anlaß zu irgendwelcher Kritik oder Aufregung, nahm mein Gespräch mit dem Polizeibeamten (hoffentlich!) nicht inhaltlich wahr.
I: „Guten Tag. Können Sie mir sagen, warum hier videoüberwacht wird?“
P: „Die Kamera ist nicht in Betrieb, es ist nichts passiert. Wir müssen nur sichergehen, dass wir sofort mit dem Filmen beginnen können, sobald eine Straftat aus der Demo heraus begangen wird.“
I: „Aber die Kamera ist ausgefahren und das Objektiv ist auf die Demo ausgerichtet. Da gibt es doch Rechtsprechung zu, dass das nicht zulässig ist.“
P: „Da haben Sie keine Ahnung von, das ist alles so in Ordnung.“
I: „Verwaltungsgerichtsurteile sagen aus, dass die Kamera erst ausgefahren werden darf, wenn etwas passiert ist. Die Demoteilnehmer können doch gar nicht wissen, ob die Kamera in Betrieb ist oder nicht.“
P: „Dann müssen sie halt klagen. Sie bilden sich ja ein, sich gut auszukennen.“
I: „Das ist doch widersinnig – Sie handeln hier ganz klar gegen gültige Rechtssprechung. Können Sie mir bitte Ihre Identifikationsnummer nennen?“
P: „Das geht Sie gar nichts an. Warum sollte ich das denn tun?“
I: „Na ich möchte das gerne im Nachhinein klären lassen, ob das stimmt, was sie sagen oder nicht.“
P: „Ich gebe Ihnen keine Nummer und sage Ihnen auch nicht, wie ich heiße. Das muss ich nicht. Wenn sie mit der Kamera Probleme haben, dann wenden Sie sich an die Leute im Fahrzeug.“
I: „Aber Sie haben doch eben deren Einsatz gerechtfertigt! Wie lautet denn Ihre Dienstnummer oder ihr Name?“
P: „Ich gebe Ihnen keine Nummer von mir.“
I: „Können Sie mir wenigstens sagen, von welcher Einheit Sie sind?“
P: „X. Bereitschaftspolizei Hannover“
I: „Bereitschaftspolizei. X. Hundertschaft?“
P: „Ja.“
[An dieser Stelle lege ich die zusammengeklappte Kinderkarre, die ich bislang in einer Hand getragen habe auf den Boden, zücke mein Notizbuch und beginne, das bisherige in Stichworten festzuhalten und gebe das beim Notieren laut wieder, was ich aufschreibe … in dem Moment, wo ich niederschreibe und laut miterzähle, dass mir der Polizist keine Identifikationsnummer geben möchte, sagt dieser:]
P: „Mein Name ist XXX.“
I: „Mit ‚X‘?“
P: „Ja, mit ‚X‘.“
[Ich notiere weitere Einzelheiten des bisherigen Gesprächs.]
P: „Dann sagen Sie mir bitte Ihren Namen.“
I: „Den sage ich Ihnen, auch wenn Sie kein Recht dazu haben, den zu erfahren.“
P: „Wenn ich Ihnen meinen Namen gebe, dann müssen Sie mir auch Ihren nennen.“
I: „Na auch dazu gibt es ja klare Rechssprechung, wonach …“
P: „Jetzt werden Sie mir aber ganz lustig, hören Sie endlich auf mit Ihrer Rechtssprechung. Wie heißen Sie denn nun?“
I: „XXX, XXX.“
P: „Und Sie sind aus Goslar?“
I: „Nein, ich komme wie Sie auch aus Hannover.“
P: „Und das ist bei Ihnen so üblich, dass man kleine Kinder auf gewalttätige Demos mitnimmt?“
I: „Ist das hier eine gewalttätige Demo?“
P: „Nein, aber sie kann es ja werden.“
I: „Dann dürfte man ja niemals Kinder mit auf Demos nehmen, weil man ja nie vorher weiß, ob es eine gewalttätige Demo wird oder nicht.“
P: „Das ist bei Ihnen also so üblich, dass man kleine Kinder auf gewalttätige Demos mitnimmt?“
[Auf diese erneute Provokation gehe ich nun nicht mehr ein, notiere mir aber diesen Vorwurf ebenfalls laut vor mich hin sprechend in mein Notizbuch.]
P: „Ob man da mal das Jugendamt einzuschalten sollte?“
I: „Ach, das ist ja interessant!“
[Ich notiere mir auch diese Drohung des Polizeibeamten. Der ist inzwischen sicht- und hörbar böse auf mich geworden.]
P: „Ich glaube, da müsste man mal schauen, ob man bei Ihnen da nicht das Jugendamt einschalten sollte.“
[Auch darauf reagiere ich nicht mehr. Was soll ich auch dazu noch sagen? Der Polizist fordert mich kurz danach auf/faucht mich an, ich hätte mich und mein Kind sofort zur Seite zu begeben, weil die Demo unseren Standpunkt passiert. Weil ich erst meine Sachen, also die am Boden liegende Kinderkarre aufheben und mein Kind an den Arm nehmen muss gibt mir der Polizeibeamte im strengen Ton die Anweisung, „unverzüglich“ zur Seite zu gehen, was ich dann auch so schnell es geht, tue. Beim Passieren der Demozugspitze geht der Polizeibeamte dann mit dieser mit und von uns weg und ruft uns noch zu:]
P: „Sehen Sie, das ist das was ich meine!“
[Was er genau damit meint, bleibt mir unklar. Ich kann ihm keine weiteren Fragen mehr stellen. Mein Kind und ich bleiben am Ort, wenige Meter vom Diskursort entfernt, ich notiere mir die letzten Details der Diskussion, das Kind spielt zum Glück von allem vorhergehenden scheinbar unberührt weiter um mich herum und kritzelt mein Notizbuch mit Bildern von Blitz und Donner voll. Rund eine viertel Stunde später nehme ich ein Gedächtnisprotokoll auf ein Diktiergerät auf.]
Vielleicht darf ich abschließend noch anmerken, dass mein Kind noch wenige Stunden vorher seine ganze innif geliebte Tüte mit Schokoladeneiern mit rund zwanzig am Rande einer Kundgebung stationierten Polizisten geteilt bzw. an diese verschenkt hat – sowohl zur Freude des Kindes als auch – in besonderer Weise – zur Freude der zumindest dort und in dem Moment freundlichen gesinnten Polizeibeamten und -beamtinnen. Welchen Eindruck das Kind nun insgesamt von der Polizei bekommen hat, kann ich nicht sagen.