Im Vor-Bundestagswahl-Getöse erscheint das aktuelle G20-Gipfel-Medienecho – wenig überraschend – ausgesprochen einäugig und tunnelblickartig. Ein Aspekt, der beispielsweise derzeit noch viel zu wenig in der Öffentlichkeit Beachtung erfährt ist die Frage, wie frei die Journalistinnen und Journalisten während des Gipfelgeschehens tatsächlich in ihrer Arbeit gewesen sind.
Vor allem:
Wie sehr ungesicherte und unüberprüfte Geheimdienst-Informationen oder -Behauptungen dazu geführt haben (können), dass kritische Berichterstattung unterbunden worden ist.
Schon im Vorfeld des eigentlichen Gipfels gab es einige Anzeichen dafür, wie sehr Polizeien und Geheimdienste bestimmen oder beeinflussen wollten, was als Gesamtbild des Hamburger G20-Gipfels in die Köpfe der meisten Menschen und in das inoffizielle Geschichtsbuch diktiert werden sollte: So mauerte die Hamburger Polizei frühzeitig zur Frage einer Demonstrationsverbotsverfügung, die Bundespolizei wollte sich auf Nachfragen zum Einsatz von Drohnen über G20-Hamburg nur „mit einem reduzierten Sprachgebrauch äußern“ und antwortete inhaltlich faktisch überhaupt nicht. (Anmerkung: Die Hamburger Polizei praktiziert eine solche pauschale Informationsverweigerung unter Vorbringung fraglicher Argumente heute ebenfalls.) Schließlich führte ein im Dezember 2016 veröffentlichtes Interview mit namentlich anonymisierten Gegen-G20-Aktivisten ein halbes Jahr später – perfekt orchestriert nur wenige Tage vor dem Gipfel – zu Hausdurchsuchungen bei den Interviewpartnern und einer fragwürdigen Zeugenvorladung bei einer Journalistin. Dieses staatliche Repressionsgebaren kann man nicht nur klar in die Kategorie „Einschüchterung kritischer Presse“ einsortieren, es wirft auch die berechtigte Frage auf, in welchem Umfang die Journalisten der Zeitung (in diesem Fall der „taz“) staatlich überwacht oder „abgeschöpft“ werden.
Während der insgesamt sehr hektischen Gipfel- und Vor-Gipfel-Tage folgten dann zahlreich dokumentierte Einschüchterungsversuche an Journalisten. Mehrfach wurde Pressevertretern nicht nur Gewalt angedroht sondern sogar zugefügt, von der Unterdrückung der ihnen zustehenden, besonderen Presserechte ganz zu schweigen. Die rechtswidrigen Über- und Angriffe seitens der Polizei auf Pressevertreter waren so schwerwiegend, dass sogar ein „BILD“-Reporter sich darüber beschwerte. Über diese Vorfälle ließe sich eine Menge schreiben oder verlinken, wir möchten uns mit diesem Beitrag hier allerdings auf etwas anderes konzentrieren. (Bei weiterem Interesse sei beispielhaft der unmittelbare Protest des Deutschen Journalisten-Verbands DJV und dessen Brief an den BKA-Präsidenten Münch genannt.)
Nach dem Gipfel mit seinen vielen sehr großen friedlichen Demonstrationen (über die leider nur sehr wenig gesprochen wird) und den gewalttätigen Ausschreitungen forderte der Hamburger SPD-Fraktionsvorsitzende Dressel die Einführung einer neuen Gaffer-Straftat im Zusammenhang mit Demonstrationen. Diese Forderung bedeutet in der Praxis konkret nichts anderes als der mit dem Strafgesetzbuch daherkommende Versuch, die Dokumentation von Polizeigewalt und staatlichen Fehlverhalten durch die allgemeine Öffentlichkeit ganz unterbinden zu wollen. Diejenigen Momente, in denen der Polizei in ihrem Handeln lieber nicht gefilmt werden möchte, werden kurzerhand zur „gafferfreien Zone“ erklärt und alle nicht direkt im Zeitgeschehen involvierten Menschen werden per Platzverweis oder Gefangennahme fortgeschafft. Dass die mitunter populistisch wirkende „Gaffer“-Diskussion einzelnen Menschen zum großen Problem werden kann, sei hier nur am Rande bemerkt.
Doch nach dem Gipfel offenbarte sich mit dem Bekanntwerden so genannter „schwarzer Listen“ mit den Namen von akkreditierten Pressevertretern, erstellt vom Bundeskriminalamt (BKA), auch eine noch ganz andere Untiefe des staatlichen Handelns im Vorfeld und während des Gipfeltreffens. Wurde bereits am ersten Gipfelfreitag erstmals darüber berichtet klärte ein Bericht der ARD-Tagesschau vom 11.7.2017 mit ergänzenden Details weiter auf:
„32 Journalisten wurde beim G20-Gipfel nachträglich die Akkreditierung entzogen. (…) Es war [] kein Problem, den Polizisten über die Schultern zu blicken und sich die alphabetisch sortierten Namen anzusehen. Man konnte die Liste auch ganz offen aus der Nähe filmen. Auf dem Drehmaterial des ARD-Hauptstadtstudios sind viele Namen gut lesbar. (…) Die beiden eng beschriebenen Seiten waren vielfach kopiert und offensichtlich in größerer Auflage verteilt worden – ob vom Bundespresseamt oder vom Bundeskriminalamt, ist noch ungeklärt. Jeder Polizist an den Kontrollpunkten besaß sein eigenes Exemplar. Die Beamten hatten nach eigener Auskunft weder Anweisung, sie diskret zu benutzen, noch sie nach Gebrauch überprüfbar zu entsorgen.
Experten, die sich mit den Abläufen befasst haben, sind entsetzt: Etwas Vergleichbares sei ihm während seiner zehnjährigen Tätigkeit im Amt nicht bekannt geworden, erklärt der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio und wirft der Behörde von Regierungssprecher Steffen Seibert gleich eine ganze Liste von Rechtsverstößen und unerlaubten Eingriffen in Grundrechte vor. „Dem gesamten Akkreditierungsverfahren fehlt die verfassungsrechtlich gebotene Grundlage, wo es um die Sicherheitsüberprüfung von Journalisten geht“ (…)
Alarmiert zeigt sich der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar: „Sobald sich die Betroffenen namentlich auf entsprechenden Sperrlisten finden, die wie Handzettel quasi offen einsehbar kursieren, hat dies einen offen diskriminierenden Charakter,“ erklärte er gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Die Verantwortlichen seien verpflichtet gewesen, „technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die eine Stigmatisierung Betroffener verhindern.“
Die Tagesschau bewertete das als „massiven Eingriff in die Pressefreiheit“ und „beispiellosen Verstoß gegen den Datenschutz.“
Zwar versuchte der Bundesregierungs-Sprecher Seibert die im Tagesschau-Bericht weiter aufgeführten Mutmassungen, dass die Listen zum Teil mittels Informationen von oder auf Druck türkischer Geheimdienste (konkrete benannt wurde der „MIT“) erstellt worden seien, mit einem sofortigen Dementi entgegenzutreten, aber der als erfahren geltende Grünen-Bundestagsabgeordnete sprach schon am Tag danach wieder von einem „begründeten Verdacht“, dass diese Unterstellung plausibel sein könne.
Aber selbst diese Teil-Debatte versperrt den Blick auf die grundlegenden Probleme des polizeilichen Vorgehens. Im Detail:
Die Frage, woher die angeblich „gewichtigen zusätzlichen sicherheitsrelevanten Erkenntnisse“ des BKA stamm(t)en, die als Grund für kurzfristigen Ausschluss von 32 Journalisten angegeben werden, konnte zunächst nicht geklärt werden – die Bundesregierung verlor sich bei Nachfragen dazu in allgemein gehaltenen Antworten. Aufgrund des seit Jahren stetig immer weiter aufgeweichten und verwaschenen Trennungsgebots zwischen Polizeien und Geheimdienste und mit Blick auf das Dementi von Herrn Seibert, in dem er davon sprach, dass das Aussortieren von Journalisten aufgrund „eigener Erkenntnisse deutscher Behörden“ veranlasst worden sei, konnte man aber davon ausgehen, dass Geheimdienstinformationen eine wichtig Rolle bei dem Vorgang gespielt haben.
Gestern abend erst wurden dann genau diese Befürchtungen bestätigt: Denn es hat sich wohl herausgestellt, dass die Mutmaßungen vom Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ stammen, der bekanntlich über gute Kanäle zu ausländischen Diensten und deren Folterkellern verfügt.
(Davon unabhängig und als zusätzliche Spitze berichtete eine Zeitung gestern übrigens auch noch außerdem, dass einige Journalisten während ihrer Arbeit auf G20- oder ähnlichen Ereignissen schon seit Jahren heimlich von BKA-Beamten „begleitet“, also polizeilich observiert werden!)
Das bedeutet im Klartext:
Ungesicherte, unbewiesene und aus strafrechtlicher Sicht haltlose Informationen der Geheimdienste sind dazu eingesetzt worden, um die Tätigkeit von Pressevertretern zu unterdrücken bzw. haben zum polizeilich exekutierten Ausschluss der Presse geführt!
Dass kritische Journalisten derart undurchsichtig und ohne eine Chance auf rechtzeitigen Rechtsschutz mittels Geheimdienst- und Polizei-Verdächtigungen nicht nur in Ihrer körperlichen Unversehrtheit sonder auch in der Pressefreiheit beschnitten werden, ist ein neuer negativer Höhepunkt in der Geschichte des Artikels 5 GG in Deutschland.
Der zudem fahrlässige und bezüglich des Reputationsverlustes nicht wieder gut zu machende Umgang der Polizei mit den „schwarzen Listen“ setzt dem noch die Krone auf.
Besonders perfide dabei: Den Datenschutzaufsichtbehörden sind durch den Willen und/oder die Unfähigkeit des Gesetzgebers weitgehend die Hände gebunden. Sie können gegen die verantwortlichen Stellen keine Bußgelder verhängen, allenfalls eine Rüge in Form einer Beanstandung ist möglich. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Betroffenen auf zivilrechtlichem Wege gegen einzelne Beamte vorgehen.
Aber selbst in dieser Hinsicht eines eklatanten Umgangs mit Würde und Persönlichheitsrechten Einzelner scheint die Polizei nur dem schlechten Beispiel des Inlands-Geheimdienstes folgen zu wollen, der im Vorfeld des G20-Gipfels keine Scheu davor hatte, einige Anmelder bzw. Protagonistinnen von G20-Demonstrationen namentlich an seinen persönlichen Internet-Pranger zu stellen …